OGH 15Os11/04

OGH15Os11/0424.6.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. Juni 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fuchs als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Erwin S***** und einen anderen Angeklagten wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Erwin S***** und Dr. Gerwig P***** gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 30. September 2003, GZ 27 Hv 105/02f-67, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Den Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Angeklagten auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden die Angeklagten Erwin S***** und Dr. Gerwig P***** - nach Aufhebung eines im ersten Rechtsgang erfolgten gleichlautenden Schuldspruchs durch den Obersten Gerichtshof (15 Os 8/03) - im zweiten Rechtsgang neuerlich des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB, letzterer als Beteiligter nach § 12 dritter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach haben in Seefeld im Februar 1997

I./ Erwin S***** als Bürgermeister der Gemeinde Seefeld mit dem Vorsatz, diese und das Land Tirol in ihrem Recht auf Einhaltung der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung, des Tiroler Raumordnungsgesetzes und des örtlichen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes zu schädigen, seine Befugnis, im Namen der Gemeinde Seefeld als deren Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er dem Bauwerber Friedrich K***** die baubehördliche Bewilligung zur Durchführung von Baumaßnahmen betreffend ein bereits errichtetes Appartementhotel und Personalhaus erteilte, obwohl er wusste, dass die betreffende Grundparzelle samt dem darauf errichteten Objekt zum Teil in der Bauverbotszone (Freiland) lag;

II./ Dr. Gerwig P***** zur Tat des Erwin S***** beigetragen, indem er den mit 21. Februar 1997 datierten Baubewilligungsbescheid im Auftrag des Bürgermeisters vorbereitete und ihm zur Unterschrift vorlegen ließ, obwohl er wusste, dass die betreffende Grundparzelle samt dem darauf errichteten Objekt zum Teil in der Bauverbotszone (Freiland) lag.

Das Schöffengericht hat dazu im Wesentlichen festgestellt, dass der Angeklagte S***** als Bürgermeister der Gemeinde S***** mit Bescheid vom 25. Oktober 1978 dem Bauwerber Franz K***** die baubehördliche Genehmigung für den Neubau eines Hotel-Garni in S***** erteilte. Zu diesem Bewilligungszeitpunkt befand sich das Bauobjekt zur Gänze im Bauland. Mit Bescheiden vom 13. Juli 1980, 16. August 1981 und 4. Oktober 1982 wurde die ursprünglich zweijährige Frist für den Baubeginn jeweils um ein Jahr verlängert, letztere endete am 7. Dezember 1983. Mit Bescheid vom 19. April 1983 wurde in Abänderung des Erstbescheids sodann dem Bauwerber über sein Ansuchen die Errichtung eines - von den Außenmaßen her unveränderten - Appartementhotels bewilligt. In der Folge kam es zwar zu schriftlichen Äußerungen des Erstangeklagten dahingehend, dass die Baubewilligung mit 7. Dezember 1983 ihre Wirksamkeit verloren hätte, sowie dass die Errichtung des Appartementhotels aufgrund der ab 1. Jänner 1984 in Kraft getretenen vierten Raumordnungsgesetznovelle nicht mehr möglich sei, da die Gemeinde nicht die Absicht habe, die nun für Appartementhotels erforderlichen Sonderflächen auszuweisen. Ungeachtet dessen teilte er dem Bauwerber auf dessen neuerliches Verlängerungsansuchen am 8. Jänner 1985 schriftlich mit, dass die Gemeinde Seefeld die Bewilligungsbescheide nach wie vor als rechtswirksam betrachte und somit eine Bebauung durch den Bauwerber zulässig sei. Nach dem am 15. April 1985 erfolgten Baubeginn fand am 29. November 1985 die Kollaudierung des Objekts statt; mit Bescheid vom 2. Dezember 1985 erteilte der Erstangeklagte die Benützungsbewilligung hiefür.

Aufgrund wiederholter Bemängelungen dieser Vorgangsweise durch den Tiroler Landesvolksanwalt kam es am 4. Februar 1997 zu einer neuen Bauverhandlung, nach der der Erstangeklagte dem Bauwerber mit Bescheid vom 21. Februar 1997 die baubehördliche Bewilligung betreffend das (bereits rund 12 Jahre zuvor errichtete) Appartementhotel erteilte, obwohl er wusste, das das Objekt (nunmehr) zum Teil in der Bauverbotszone (Freiland) lag. Der Zweitangeklagte Dr. P***** hat als Gemeindesekretär diesen Bescheid in Kenntnis der genannten Umstände vorbereitet und dem Erstangeklagten zur Unterschrift vorlegen lassen. Beide handelten dabei mit dem Vorsatz, die Gemeinde S***** und das Land Tirol in ihrem Recht auf Einhaltung der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung, des Tiroler Raumordnungsgesetzes und des örtlichen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes zu schädigen.

Am 10. Oktober 2000 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde S***** die Umwidmung ua des als Freiland ausgewiesenen Bereiches des genannten Hotels in Bauland, dies wurde mit Bescheid des Amts der Tiroler Landesregierung vom 23. Jänner 2001 aufsichtsbehördlich genehmigt.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richten sich getrennt ausgeführte, auf § 281 Abs 1 Z 5, 5 a und 9 lit a, beim Angeklagten S***** auch Z 9 lit b StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerden der beiden Angeklagten; ihnen kommt Berechtigung zu.

Zutreffend zeigen beide Angeklagten auf, dass die Urteilsfeststellungen über ihren Vorsatz, die Gemeinde S***** und das Land Tirol in ihrem Recht auf Einhaltung der Bestimmungen der Tiroler Bauordnung, des Tiroler Raumordnungsgesetzes und des örtlichen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes (der Sache nach ersichtlich gemeint: im Recht, dass Bauobjekte nicht im Freiland errichtet werden dürfen und bereits vorschriftswidrig errichtete Bauten wieder abzubrechen sind; vgl SSt 51/55; JBl 1992, 56; 11 Os 44/96) zu schädigen, Begründungsmängel aufweisen (Z 5) und ihrer Richtigkeit aus den Akten abzuleitende erhebliche Bedenken entgegen stehen (Z 5a).

Denn die Tatrichter haben zur hiefür nach Lage des Falles maßgeblichen Vorfrage, ob durch den Bescheid vom 21. Februar 1997 objektiv ein Schaden im angeführten Sinn eingetreten ist oder nicht, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem - entsprechend der kassatorischen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 26. Juni 2003 nunmehr aus den Feststellungen abzuleitenden (US 10) - Umstand unterlassen (Z 5 zweiter Fall), dass der Baubeginn innerhalb von zwei Jahren nach Zustellung des Baubewilligungsänderungsbescheids vom 19. April 1983, erfolgt ist. In Zusammenhang damit wäre auf weitere - vom Schöffengericht aber nicht berücksichtigte - Verfahrensergebnisse, nämlich die Zeugenaussage Dris. S***** (S 227/II iVm 53/II sowie Beilage zu ON 50) und die durch Verlesung (S 229/II) ins Verfahren eingebrachte Stellungnahme des Univ. Prof. Dr. W***** (Beilage zu ON 51; zur Berücksichtigung sog Rechtsgutachten Ratz, WK-StPO § 281 Rz 459, § 285 Rz 7) einzugehen gewesen, weil sich hieraus ergeben könnte, dass das Bauobjekt objektiv fristgerecht (§ 35 Abs 1 Tiroler Bauordnung idF LGBl 43/1978) und somit bereits ursprünglich vorschrifts- und bescheidgemäß errichtet worden war. Das neuerliche Bewilligungsverfahren im Jahr 1997 wäre dann - ungeachtet der dazu von den beiden Angeklagten und dem Amt der Tiroler Landesregierung subjektiv zu verschiedenen Zeitpunkten vertretenen unterschiedlichen Rechtsansichten - objektiv obsolet gewesen und es hätte der Bescheid vom 21. Februar 1997 ungeachtet der zwischenzeitigen Umwidmung eines Teils des Grundstücks in Freiland mangels Anspruchs der Gemeinde Seefeld und des Landes Tirol auf Abbruch des Bauobjekts nicht gegen die angeführten Rechte verstoßen können.

Der Richtigkeit des ungeachtet dessen festgestellten - wenngleich auch ohne tatsächlich mögliche Schadensherbeiführung theoretisch verwirklichbaren (Bertel in WK2 § 302 Rz 119; 15 Os 1/95; 15 Os 71/99) - Schädigungsvorsatzes, den beide Angeklagten stets in Abrede gestellt haben, stehen aus diesem Grund in Zusammenhalt mit dem (bereits zu 15 Os 8/03 als erheblich bedenklich angeführten) Umstand, dass im Bescheid vom 21. Februar 1997 explizit angeführt wurde, das Bauobjekt liege (im Bescheidzeitpunkt) zum Teil im Freiland, sowie der ursprüngliche Baubescheid vom 25. Oktober 1978 in Zusammenhang mit jenem vom 19. April 1983 sei (gemeint: bei Baubeginn) nicht mehr wirksam gewesen, womit die Angeklagten, wollte man ihren Schädigungsvorsatz annehmen, diesen durch die Bescheidformulierungen selbst offen kundgetan hätten, was aber lebensfremd wäre (vgl 14 Os 9/02), sowie schließlich auch in Hinblick darauf, dass das baurechtliche Sanierungsverfahren nur über intensives Betreiben des Tiroler Volksanwaltes (US 12 f) und ersichtlich gegen die Intentionen der Angeklagten zustande kam, auch erhebliche Bedenken des Obersten Gerichtshofs (Z 5a) entgegen.

Das angefochtene Urteil war daher bei nichtöffentlicher Beratung aufzuheben (§ 285e StPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zu verweisen.

Mit ihren Berufungen waren die Angeklagten auf diese Entscheidung zu verweisen.

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