OGH 9Ob31/04f

OGH9Ob31/04f21.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Christoph S*****, geb. 5. Juli 1992, wegen Kostenersatz nach § 48 Abs 1 NÖ JWG, über den Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf, Schönkirchner Straße 1, 2230 Gänserndorf, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 19. Dezember 2003, GZ 20 R 133/03d-77, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Zistersdorf vom 21. August 2003, GZ 1 P 13/03a-73, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung

Das Land Niederösterreich gewährt dem mj. Christoph volle Erziehung (§ 44 NÖ JWG 1991) durch Unterbringung im Schülerinternat Judenau.

Die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf, Jugendabteilung, beantragte am 15.1. 2003 beim Erstgericht, die Mutter des Minderjährigen gemäß § 48 Abs 1 NÖ JWG 1991 zu einem monatlichen Kostenersatz von EUR 125, beginnend ab 1.2. 2003, an den Jugendwohlfahrtsträger zu verpflichten. Die Bezirkshauptmannschaft begründete ihren Antrag damit, dass die Kosten der vollen Erziehung monatlich EUR 2.165 verursachten. Die Mutter treffe nach dem bürgerlichen Recht eine Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Sohn. Die Mutter könne als Arbeiterin, wie zuletzt bei der B*****AG, ein Einkommen von zumindest EUR 850 monatlich netto erzielen, das ihr die Leistung des Kostenersatzes in der beantragten Höhe ermögliche. Da die Mutter eine solche Verdienstmöglichkeit unbegründet nicht wahrnehme, sei sie auf ein entsprechendes Einkommen "anzuspannen".

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Es traf keine Feststellungen über Verdienstmöglichkeiten der Mutter, sondern vertrat die Auffassung, dass § 48 Abs 1 NÖ JWG 1991 eine Kostenersatzpflicht nur soweit vorsehe, als nach dem bürgerlichen Recht Unterhaltspflichtige "nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande seien". Dieses Abstellen auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse schließe eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen auf ein allenfalls theoretisch erzielbares Einkommen aus.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es vertrat ebenfalls die Rechtsauffassung, dass der Wortlaut des § 48 NÖ JWG 1991 von dem des § 140 ABGB abweiche und eine Anspannung der Mutter auf einen möglichen Verdienst ausschließe. Es sprach überdies aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Diesen Ausspruch begründete das Rekursgericht damit, dass Rechtsprechung zur Frage fehle, ob im Umfang der Kostenersatzpflicht eines Unterhaltspflichtigen nach § 48 Abs 1 NÖ JWG 1991 die Anspannungstheorie zur Anwendung gelangen könne.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Mutter zum beantragten Kostenersatz verhalten werde.

Die zur allfälligen Äußerung zum Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers aufgeforderte Mutter machte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist im Umfang eines in jedem Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.

§ 33 des als Grundsatzgesetz geltenden (Bundes-)Jugendwohlfahrtsgesetzes 1989 in der hier anzuwendenden Fassung bestimmt, dass die Kosten der vollen Erziehung der Minderjährige und seine Unterhaltspflichtigen nach bürgerlichem Recht zu tragen haben, gegebenenfalls rückwirkend für drei Jahre zu ersetzen haben, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind. Die Unterhaltspflichtigen haben die Kosten auch insoweit zu ersetzen, als sie nach ihren Lebensverhältnissen zur Zeit der Durchführung der vollen Erziehung dazu imstande gewesen sind. Die meisten Ausführungs-Landesgesetze (Oberösterreich, Niederösterreich, Steiermark, Wien, Kärnten, Salzburg, Burgenland und Tirol) haben die Wendung des "nach ihren Lebensverhältnissen dazu Imstandeseins" übernommen. Nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0078933) kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass für die Bemessung des Ersatzes nach § 33 JWG (bzw nach den korrespondierenden Bestimmungen der Ländergesetze) die Regelungen des Unterhaltsrechts (§§ 140 f ABGB) maßgeblich sind, wobei, wenngleich es sich beim Kostenersatzanspruch um keinen Unterhaltsanspruch handelt, dieselben Grundsätze wie für die Bemessung des gesetzlichen Unterhalts zu gelten haben (siehe insbesondere 7 Ob 586/95 = ÖA 1996, 135; 4 Ob 147/98s). In den Materialien zum (Bundes-)JWG (RV ErlBem 171 der BlgNR XVII. GP, 28) heißt es ausdrücklich: "Zu § 33...Die Unterhaltspflichtigen bürgerlichen Rechts - nicht der Minderjährige selbst - sollen nunmehr auch dann zum Ersatz der Kosten der vollen Erziehung herangezogen werden, wenn sie - unter Anwendung der sogenannten "Anspannungstheorie" - wenigstens im Zeitpunkt der Durchführung der vollen Erziehung dazu imstande gewesen sind. Damit wird aber klar, dass mit "...soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind ..." nicht, wie vom Rekursgericht angenommen, der Ausschluss, sondern vielmehr die Anwendung der Anspannungstheorie beabsichtigt war. Aufgrund der wörtlichen Übernahme dieser Formulierung ins NÖ Jugendwohlfahrtsgesetz gibt sich kein Anlass zu einer abweichenden Interpretation. Daraus folgt, dass auch im Kostenersatzverfahren nach § 48 Abs 1 NÖ JWG 1991 zu prüfen ist, ob die ersatzpflichtige Person ein solches Einkommen erzielt, welches ihr die Erfüllung ihrer Unterhaltspflichten erlaubt bzw ob sie ohne triftigen Grund die Erzielung eines solchen Einkommens unterlässt. Ausgehend von ihrer, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsauffassung, haben die Vorinstanzen auf entsprechende Feststellungen verzichtet, sodass das Verfahren ergänzungsbedürftig ist.

Sollte das Erstgericht zur Beurteilung kommen, dass eine (teilweise) Kostenersatzpflicht der Mutter besteht, wird noch Folgendes zu beachten sein:

§ 40 JWG in der hier anzuwendenden Fassung sieht zwar vor, dass das Pflegschaftsgericht sowohl über entstandene wie künftig laufend entstehende Kosten, auch vor Fälligkeit des Ersatzanspruches, unabhängig vom Alter des Kindes, zu entscheiden hat; jedoch ist nach der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0033501 insbesondere [T 1]) auch nach der JWG-Novelle 1998 daran festzuhalten, dass die Regelung des § 1418 zweiter Satz ABGB, wonach "Alimente....wenigstens auf einen Monat im Voraus bezahlt" werden müssen, auf den Ersatzanspruch des Jugendwohlfahrtsträgers gemäß §§ 33, 40 JWG nicht anzuwenden ist. Das bedeutet hier, dass bei einer Bejahung der Kostenersatzpflicht wohl die Verpflichtung zum Ersatz erst künftig fällig werdender Kostenersätze ausgesprochen werden kann, als Fälligkeitstermin aber nicht der Erste eines Monats im Vorhinein, sondern jeweils nur ein angemessener Termin im Nachhinein, dh nach der Erbringung der Leistung durch den Jugendwohlfahrtsträger, in Frage kommt (siehe etwa 3 Ob 70/02v in RIS-Justiz RS0033501).

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