OGH 7Ob586/95

OGH7Ob586/958.11.1995

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Floßmann, Dr.Tittel und Dr.I.Huber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Wolfgang F*****, infolge Revisionsrekurses der Bezirkshauptmannschaft W***** als Jugendwohlfahrtsträger gegen den Beschluß des Landesgerichtes Wels als Rekursgericht vom 7.Juni 1995, GZ 21 R 242/95-31, womit infolge der Rekurse der Bezirkshauptmannschaft W***** und der Mutter Josefine G*****, vertreten durch Dr.Hans Rieger, Rechtsanwalt in Bad Ischl, der Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 13.April 1995, GZ 1 P 178/91-22, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs der Bezirkshauptmannschaft W***** wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der mj Wolfgang stammt aus der am 1.12.1982 geschiedenen Ehe der Josefine und des Helmut F*****. Die Obsorge stand zunächst vereinbarungsgemäß der Mutter zu. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 13.11.1992 wurde die Obsorge dem Vater übertragen. Seit 1.6.1994 ist Wolfgang mit Zustimmung des Vaters im Rahmen einer Maßnahme der vollen Erziehung bei Ingeborg E***** untergebracht. Die Kosten der Unterbringung werden vom Sozialhilfeverband W***** getragen. Das Pflegegeld betrug 1992 S 4.255,-- 14 x jährlich. Zusätzlich wurde eine Bekleidungshilfe von S 5.260,-- gewehrt. 1995 beträgt das Pflegegeld S 4.475,-- 14 x jährlich und die Bekleidungshilfe S 5.780,--. Im Monatsdurchschnitt ergibt dies für das Jahr 1994 Kosten von S 5.519,-- und für das Jahr 1995 Kosten von S 5.702,--. Der mj Wolfgang leistet hiezu einen als "Kostgeld" bezeichneten Beitrag von S 1.150,-- sodaß ein entsprechend geringerer Pflegegeldbetrag angewiesen wird. Der Vater Helmut F***** verpflichtete sich in der am 21.11.1994 mit der Bezirkshauptmannschaft W***** getroffenen Vereinbarung zu einem monatlichen Kostenersatz von S 300,-- ab 1.6.1994. Die Bezirkshauptmannschaft W***** ging hiebei davon aus, daß der selbständig erwerbstätige Vater nach dem Einkommensteuerbescheid hohe Verluste erwirtschaftet habe, hoch verschuldet sei und weiters für seine Ehegattin und ein eheliches Kind sorgepflichtig sei.

Wolfgang ist seit August 1992 als Großhandelkaufmannlehrling bei der Firma K***** AG in W***** beschäftigt. Er erzielte im zweiten Lehrjahr eine monatliche Lehrlingsentschädigung von S 4.640,70 netto 14 x jährlich. Seit 3.8.1994 ist er im dritten Lehrjahr. Seine monatliche durchschnittliche Lehrlingsentschädigung betrug in der Zeit vom 1.8.1994 bis 31.1.1995 S 7.969,24,-- netto. Einmal wöchentlich besucht er die Berufsschule in W*****.

Die Mutter Josefine G***** hat wieder geheiratet und wohnt im Haus ihres Ehegattin in B*****. Die Wohnung hat eine Wohnfläche von etwa 120 m2 und ist mittleren Einkommensverhältnissen entsprechend eingerichtet. Sie besitzt einen PKW Fiat Uno, Baujahr 1988, sowie eine Eigentumswohnung in M*****, die sie derzeit vermietet hat. Die monatlichen Mieteinnahmen betragen S 5.500,--. Sie werden von der Mutter zur Rückzahlung von offenen Darlehensverbindlichkeiten bei der B*****sparkasse W***** und zur Abdeckung eines Gehaltsvorschusses verwendet. Sie hat auch Schulden bei ihrem geschiedenen Ehegatten Helmut F***** in Höhe von rund S 350.000,-- für die Ablöse der Eigentumswohnung. Die monatlichen Rückzahlungsraten betragen S 2.500,--. Josefine G***** ist Volksschullehrerin und erhält ein monatliches durchschnittliches Nettoeinkommen von rund S 21.000,--. Weiters bezieht sie die Familienbeihilfe für ihren ehelichen Sohn Christian F*****, geboren am 5.7.1982, den sie in ihrem Haushalt versorgt. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Vater Helmut F***** zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrages für den mj Christian von S 1.100,--. Bezüglich dieses Kindes ist beim Bezirksgericht B***** ein Verfahren auf Unterhaltserhöhung anhängig.

Am 2.1.1995 stellte die Bezirkshauptmannschaft W***** den Antrag, die Mutter Josefine G***** ab 1.6.1994 zur Leistung eines monatlichen Kostenbeitrages von S 4.000,--, zahlbar am 1. eines jeden Monats im vorhinein bis auf weiters, längstens jedoch bis zur Beendigung der Maßnahme der vollen Erziehung zu verpflichten.

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus, weil Wolfgang selbsterhaltungsfähig sei.

Mit Beschluß vom 13.4.1995 verpflichtete das Erstgericht die Mutter zum Kostenersatz in Höhe von S 1.700,-- monatlich für die Zeit vom 1.6.1994 bis 31.12.1994 und von S 500,-- monatlich ab 1.1.1995 und wies das Mehrbegehren ab.

Das Gericht zweiter Instanz änderte diesen Beschluß dahin ab, daß es die Mutter für die Zeit vom 1.6.1994 bis 31.8.1994 zu monatlichen Ersatzleistungen von S 2.700,--, für die Zeit vom 1.9.1994 bis 31.12.1994 zu Leistungen von S 1.400,-- und ab 1.1.1995 "bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Beendigung der vollen Erziehung" zu solchen von S 1.600,-- verpflichtete und das Mehrbegehren abwies. Es sei einem Lehrling zumutbar, einen finanziellen Beitrag von rund 50 % seiner Lehrlingsentschädigung an die ihn in ihrem Haushalt betreuende Person zu leisten. Dies ergebe im vorliegenden Fall eine Kostenbeitragspflicht des mj Wolfgang von S 2.500,-- monatlich für das zweite Lehrjahr und von S 3.800,-- monatlich für das dritte Lehrjahr. Daß der Jugendwohlfahrtsträger die Ersatzpflicht des Minderjährigen nur im beschränkten Umfang ausnütze, rechtfertige es nicht, andere Ersatzpflichtige über das gesetzlich bestimmte Maß in Anspruch zu nehmen. Unterstelle man diese entsprechenden Beiträge des Minderjährigen, so ergebe sich bei Berücksichtigung der Beitragsleistung des Vaters von S 300,-- monatlich eine noch zu deckende Differenz auf die Kosten der vollen Erziehung (S 5.519,-- bis Ende 1994 und S 5.780,-- ab 1995) von S 2.700,-- monatlich für das zweite Lehrjahr bzw bis Ende August 1994, weil die höhere Lehrlingsentschädigung erst am Monatsende ausbezahlt worden sei, und von S 1.400,-- bzw S 1.600,-- für den folgenden Zeitraum. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den Grundsätzen der Kostenersatzpflicht der Eltern im Sinne des § 47 Oö JWG 1991 und des § 33 JWG 1989 fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Bezirksverwaltunsbehörde ist zulässig, weil der Gegenstand der Rekursentscheidung S 50.000,-- übersteigt (vgl ÖAV 1993, 113; ÖAV 1994, 31) und das Gericht zweiter Instanz zutreffend das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG bejaht hat. Der Rekurs ist aber nicht berechtigt.

Da der Jugendwohlfahrtsträger von der Möglichkeit der Anzeige an die Mutter im Sinn des § 34 JWG (§ 48 Oö JWG) keinen Gebrauch gemacht hat, stellt der geltendgemachte Anspruch zwar keinen im Wege der Legalzession auf den Jugendwohlfahrtsträger übergegangenen Unterhaltsanspruch des Minderjährigen dar. Dessen ungeachtet kann kein Zweifel bestehen, daß die Höhe der gemäß § 33 JWG (47 Oö JWG) geltendgemachten Kostenersatzforderung von der Unterhaltsverpflichtung der in Anspruch genommenen Eltern abhängt (vgl ÖAV 1992, 163; 7 Ob 506/94; Ent-Frischengruber, Jugendwohlfahrtsrecht, Anm 1 und 8 zu § 33 JWG; BlgNR 171 XVII GP, Seite 28 zu § 33 JWG, Seiten 29 ff zu § 40 JWG). Das Bestehen und der Umfang der Unterhaltspflicht richtet sich nach den in § 140 ABGB genannten Kriterien. Der Kostenersatzanspruch gegen jenen Elternteil, mit dem keine Vereinbarung im Sinn des § 39 JWG über das Tragen oder den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung mit dem Jugendwohlfahrtsträger zustandekommt und der daher gemäß § 40 JWG gerichtlich geltend zu machen ist, kann somit im Gegensatz zu der im Revisionsrekurs vertretenen Ansicht nicht davon abhängen, in welchem Umfang sich der Minderjährige zur Kostentragung bereit gefunden hat und welcher Kostenersatzbeitrag mit dem anderen Elternteil vereinbart wurde, wenn der noch offene Differenzbetrag den Umfang der Unterhaltspflicht des betreffenden Elternteils übersteigt.

Ob dem Vater tatsächlich kein höherer Kostenersatzbeitrag als von S 300,-- monatlich zumutbar ist, blieb in diesem Verfahren ungeprüft. Da sich der Minderjährige im maßgebenden Zeitraum nicht bei ihm, sondern in Drittpflege befand, wäre der Vater ebenso wie die Mutter zur Leistung eines seinen finanziellen Verhältnissen entsprechenden anteiligen Geldunterhaltes verpflichtet. Selbst wenn aber seine Leistungsfähigkeit mit dem vereinbarten Kostenersatz von S 300,-- monatlich erschöpft sein sollte - wogegen allein schon der Umstand spricht, daß er zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 1.100,-- für den jüngeren Sohn Christian verpflichtet ist und in seiner Stellungnahme vom 10.4.1995 zu einem Unterhaltserhöhungsantrag S 2.000,-- geboten hat (vgl ON 23) -, wäre die vom Gericht zweiter Instanz der Mutter auferlegte Kostenersatzpflicht nicht als zu niedrig bemessen anzusehen. Auch die Berücksichtigung des Umstandes, daß der Minderjährige durch die Unterbringung bei einer Pflegemutter und die hiedurch anfallenden Pflegegelder einen gegenüber dem seiner Altersgruppe entsprechenden Durchschnittsbedarf erhöhten Bedarf hat, ändert nichts daran, daß die vom Minderjährigen bezogene Lehrlingsentschädigung in den ersten drei Monaten des hier strittigen Zeitraumes die gesamten Kosten nahezu zur Gänze deckte und ab September 1994 um etwa S 2.500,-- monatlich überstieg. Bei einem Kostenbeitrag von S 2.700,-- monatlich seitens der Mutter und den vom Vater geleisteten Ersatzbeträgen wären dem Minderjährigen, wenn er zum Ersatz der vollen Differenz auf die erbrachten Pflegegeldleistungen für die Monate Juni bis einschließlich August 1994 herangezogen worden wäre, knapp S 3.000,-- monatlich und in der darauffolgenden Zeit etwa S 4.200,-- monatlich zu seiner freien Verfügung verblieben. Diese Beträge stellen für einen 17- oder 18 Jahre alten Jugendlichen, dessen Grundbedürfnisse wie Wohnen, Ernährung, Kleidung usw in dem Haushalt, in dem er betreut wird, zur Gänze abgedeckt werden, einen durchaus nicht kleinlich bemessenen Einkommensteil zur beliebigen Verwendung dar. Die nunmehr festgesetzten Beiträge der Eltern und die Lehrlingsentschädigung des Minderjährigen erreichten bis September 1994 etwa die Höhe des Richtsatzes für die Gewährung einer Ausgleichszulage (§ 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG) und übersteigen ab September 1994 die Höhe dieses Richtsatzes, der nach der Rechtsprechung für einfache Lebensverhältnisse als Richtschnur für die Selbsterhaltungsfähigkeit herangezogen wird (JBl 1993, 238; 10 Ob 537/94 ua). Da die Auslagen des Minderjährigen zur Bestreitung seiner angemessenen Bedürfnisse bei Führung eines eigenen Haushaltes wohl kaum mit einem geringeren Betrag als jenem, der den gewährten Pflegeldern entspricht, anzusetzen sind, besteht kein Anlaß, der Mutter einen höheren Rückersatzbetrag aufzuerlegen.

Die Ansicht des Jugendwohlfahrtsträgers, der Minderjährige sei aus sozialpädagogischen Gründen (§ 47 Abs 2 Oö JWG) zu keiner höheren Kostenersatzpflicht als zu S 1.150,-- heranzuziehen, kann den aufgezeigten Erwägungen nicht entgegenstehen. Die Abstandnahme von der entsprechenden Rückersatzforderung gegenüber dem Minderjährigen geht nicht zu Lasten der Eltern, sondern zu Lasten des Rechtsträgers, der gemäß § 32 JWG verpflichtet ist, zunächst für die Kosten der Maßnahmen der öffentlichen Jugendwohlfahrt aufzukommen.

Der Umstand, daß auch auf den Ersatz künftig fällig werdender Kostenbeiträge erkannt wurde, obwohl auf einen derartigen Ersatzanspruch § 406 Satz 2 ZPO nicht anzuwenden ist (ÖAV 1992, 163; ÖAV 1994, 31), kann vom Obersten Gerichtshof nicht aufgegriffen werden, weil die Mutter den Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz nicht angefochten hat und der Jugendwohlfahrtsträger als Revisionsrekurswerber dadurch nicht beschwert ist.

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