OGH 13Os19/04

OGH13Os19/047.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. April 2004 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rouschal, Hon. Prof. Dr. Ratz, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Siegfried L***** wegen der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 27. November 2003, GZ 8 Hv 151/03z-35, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Staatsanwalt Dr. Nordmeyer, des Angeklagten Siegfried L***** und seines Verteidigers Mag. Reinhard Prugger, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem freisprechenden Teil, damit auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung, (nicht aber im Umfang des Einziehungserkenntnisses) und die Widerrufsbeschlüsse nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Siegfried L***** der Verbrechen nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster und zweiter Fall SMG (A.I.), des (richtig: der) Vergehen nach § 27 Abs 1 erster, zweiter und sechster Fall SMG (A.II.), des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs 1 StGB (B.) sowie des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 2 WaffenG (C.) schuldig erkannt. Danach hat er

A. den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift

I. in einer großen Menge gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ein- und ausgeführt, indem er

a) am 12. Oktober 2001 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit dem abgesondert verfolgten Johann F***** 200 Gramm Kokain und

b) Ende Oktober 2001 im Auftrag des Johann F***** 200 Gramm Kokain von den Niederlanden über Deutschland nach Österreich schmuggelte und II. in Graz und an anderen Orten mit Ausnahme der zu I. angeführten Mengen erworben, besessen und anderen überlassen, indem er

1. im Zeitraum Oktober bis Dezember 2001 insgesamt 30 Gramm Kokain in mehreren Angriffen von Johann F***** kaufte und in der Folge teils alleine, teils gemeinsam mit bislang unbekannten Personen konsumierte, wobei er das Suchtgift zur Verfügung stellte,

2. im Zeitraum Dezember 2001 bis 28. August 2003 unbekannte Mengen Kokain und Speed in zahlreichen Angriffen von bislang unbekannten Personen kaufte und in der Folge konsumierte;

B. im Zeitraum 8. August 2002 bis 28. August 2003 in Pieberschlag dadurch, dass er für seine am 1. Juli 1996 geborene Tochter Marlene L***** keinerlei Unterhaltszahlungen leistete, seine im Familienrecht begründete Unterhaltspflicht gröblich verletzt und dadurch bewirkt, dass der Unterhalt oder die Erziehung der Unterhaltsberechtigten ohne Hilfe von anderer Seite gefährdet gewesen wäre;

C. seit einem nicht näher bekannten Zeitpunkt bis zu seiner Verhaftung am 29. August 2003 in Pieberschlag und an anderen Orten des Bundesgebietes, wenn auch nur fahrlässig, eine verbotene Waffe, nämlich einen Schlagring unbefugt besessen.

Von der weiteren wider ihn erhobenen Anklage, er habe Ende Oktober 2001 in Graz den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge gewerbsmäßig und als Mitglied einer kriminellen Vereinigung in Verkehr gesetzt, indem er 188 Gramm Kokain dem Johann F***** übergab, wurde Siegfried L***** gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Freispruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, der Berechtigung zukommt.

Zum Freispruch hielt das Erstgericht fest, dass der Angeklagte zusammen mit Johann F***** und einem Dritten eine kriminelle Vereinigung zum Zweck eines fortgesetzten Suchtgiftschmuggels und -handels gebildet hatte (US 6). Ende Oktober 2001 übergab der Angeklagte einen Teil der von ihm über Anordnung des Johann F***** aus den Niederlanden ausgeführten und über Deutschland nach Österreich eingeführten Kokainmenge (Schuldspruch A.I.b.) an seinen Auftraggeber (US 9). Einen "Vorsatz" gewerbsmäßigen Handelns bei dieser Suchtgiftweitergabe konnten die Tatrichter nicht feststellen (US 9); sonstige Konstatierungen zur subjektiven Tatseite betreffend dieses Geschehen unterblieben (vgl US 8 f, 13).

In der rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass das vom Angeklagten (objektiv) bewirkte Inverkehrsetzen eines Suchtmittels durch Übergabe an ein anderes Mitglied der kriminellen Vereinigung in dem zuvor als Mitglied eben dieser kriminellen Vereinigung begangenen grenzüberschreitenden Suchtgifttransport nach § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall, Abs 3 zweiter Fall SMG "aufgehe", weil mit dem Schmuggel die Verfügungsgewalt über das eingeführte Suchtgift der kriminellen Vereinigung in ihrer Gesamtheit verschafft werden sollte, sodass eine eigenständige Strafbarkeit der Weitergabe dieses Suchtgifts nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG ausscheide.

Zutreffend zeigt die von der Staatsanwaltschaft erhobene Nichtigkeitsbeschwerde auf, dass § 28 Abs 2 SMG nur in Ansehung der Aus- und Einfuhr von Suchtgift ein alternatives, im Übrigen dagegen ein kumulatives Mischdelikt beinhaltet, in dem drei selbständige und untereinander nicht austauschbare Tatbilder erfasst werden (vgl Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 28 - 31 Rz 82; ders in WK-StPO § 281 Rz 574 f; Foregger/Litzka/Matzka § 27 Anm VI.2). Suchtgiftschmuggelfahrten müssen auch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung - wie vorliegendenfalls im Schuldspruch A.I.a. dokumentiert - nicht zwangsläufig mit einem Inverkehrsetzen des aus- und eingeführten Suchtgifts oder - im Fall einer unmittelbaren Dealertätigkeit des Schmugglers - auch nicht mit der Weitergabe des Suchtmittels an ein anderes Mitglied der kriminellen Vereinigung einhergehen. Entgegen der Auffassung des Erstgerichtes verdeutlicht gerade die Judikatur des Obersten Gerichtshofes, dass im Fall der Weitergabe eines Suchtmittels nur eine unmittelbare, von Anfang an bestehende gemeinsame Verfügungsmacht über das Suchtgift durch Übergebenden und Empfänger sowohl ein Inverkehrsetzen im Sinne des § 28 Abs 2 vierter Fall SMG als auch ein (inhaltsgleiches) Überlassen dieses Suchtgiftes im Sinne des § 27 Abs 1 sechster Fall SMG ausschließt (vgl JBl 1980, 213 = SSt 50/43; 12 Os 53/01; 13 Os 76/95). Die bloße Bestimmung des vom Angeklagten alleine geschmuggelten Suchtgifts für ein weiteres Mitglied der kriminellen Vereinigung begründet aber noch keinen Mitgewahrsam.

Darüber hinaus betrifft der Unrechtsgehalt des Inverkehrsetzens von Suchtgift das in der tatsächlichen Einräumung von Gewahrsam am Suchtmittel liegende Gefahrenpotenzial einer drohenden schädlichen Einwirkung auf die Gesundheit von Menschen, während jener der Aus- und Einfuhr von Suchtgift das besondere Gefahrenmoment eines grenzüberschreitenden Verkehrs mit Suchtmitteln eigenständig und ungeachtet der Weiterleitung des Suchtgifts an potenzielle Konsumenten erfasst. Die Begehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung aggraviert in beiden Fällen den Tatbestand durch die Steigerung des jeweiligen Gefahrenpotenzials, ohne aber die Unrechtselemente des § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall SMG an jene des § 28 Abs 2 vierter Fall SMG anzugleichen.

Das nach § 28 Abs 3 zweiter Fall SMG qualifizierte Inverkehrsetzen von Suchtgift ist somit weder in allen Tatbestandsvarianten des § 28 Abs 2 zweiter und dritter Fall SMG enthalten, noch decken sich die kriminalpolitischen Ziele, die ausschlaggebend für die Strafbarkeit dieser beiden Deliktsformen sind. Damit kann bei derartigen Fallkonstellationen entgegen der Auffassung des Erstgerichts von keinem Scheinkonkurrenzverhältnis ausgegangen werden. Da das erkennende Gericht (auf der Basis der Annahme einer Gesetzeskonkurrenz überflüssigerweise) zwar eine gewerbsmäßige Tendenz beim inkriminierten Inverkehrsetzen des Suchtgifts an Johann F***** verneinte, andererseits aber keine ausreichenden Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Grundtatbestandes nach § 28 Abs 2 vierter Fall SMG traf, fehlt die Basis für eine abschließende rechtliche Beurteilung des vom Erstgericht mit Freispruch erledigten Sachverhalts.

Das im Übrigen unberührt bleibende Urteil war daher in seinem freisprechenden Teil, demzufolge auch im Strafausspruch, in der Vorhaftanrechnung und im Umfang der Widerrufsbeschlüsse nach § 494a Abs 1 Z 4 StPO (nicht aber im Umfang des Einziehungserkenntnisses) aufzuheben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Gerichtshof erster Instanz zu verweisen. Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf das kassatorische Erkenntnis zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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