OGH 9Ob3/04p

OGH9Ob3/04p11.2.2004

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang P*****, vertreten durch Dr. Raoul Troll, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei G***** GmbH, ***** wegen Wiederaufnahme (Streitwert EUR 24.551,19), infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht vom 24. November 2003, GZ 2 R 182/03g-5, mit dem der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 6. Oktober 2003, GZ 16 Cg 206/03d-2, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach ständiger Judikatur ist eine Wiederaufnahmsklage bereits im Vorprüfungsverfahren zurückzuweisen, wenn sich das Verschulden des Klägers im Sinne des § 530 Abs 3 ZPO schon aus den Klagebehauptungen ergibt oder wenn in der Klage jede Behauptung fehlt, dass die Geltendmachung des als Wiederaufnahmsgrund angeführten Beweismittels im Vorprozess ohne Verschulden unmöglich gewesen wäre (JBl 1979, 268, 9 ObA 253/01y, 1 Ob 258/02a, RIS-Justiz RS0044558). Der Wiederaufnahmskläger hat schon in der Klage darzulegen, dass und aus welchen Gründen er ohne sein Verschulden außerstande war, die neuen Tatsachen bzw Beweismittel noch vor Schluss der Verhandlung geltend zu machen (8 Ob 565/92, 1 Ob 270/98g, 6 Ob 319/00f uva). Ein Verschulden des Wiederaufnahmsklägers liegt regelmäßig nur dann nicht vor, wenn er trotz sorgsamer Prozessvorbereitung von der neuen Tatsache bzw dem neuen Beweismittel erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses Kenntnis erlangte (RIS-Justiz RS0044533).

Die Beurteilung, ob die Klageangaben geeignet sind, ein mangelndes Verschulden im Sinn des § 530 Abs 2 ZPO darzulegen, ist stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass sich im Regelfall erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO nicht stellen. Die anzuwendende prozessuale Diligenzpflicht findet ihre Grenze in der Anwendung der zumutbaren Sorgfalt, wobei sich die Zumutbarkeit nach den Umständen des Einzelfalls richtet (2 Ob 357/98h); ob ein Vergessen als Verschulden zu werten ist, ist von den Umständen abhängig (EvBl 1967/439). Das Rekursgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Eine grobe Fehlbeurteilung, die vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufgegriffen werden müsste, ist ihm dabei nicht unterlaufen.

Nach den Klagebehauptungen hat der Kläger darauf vergessen, dass die nunmehr namhaft gemachte Zeugin Wahrnehmungen über wesentliche Vorgänge im Zusammenhang mit der Geschäftsbeziehung der Streitteile gemacht haben könnte. Wenn das Rekursgericht die Auffassung vertreten hat, unter den weiters geschilderten Umständen hätte der Kläger darzulegen gehabt, warum ihn an der fehlenden Erinnerung kein Verschulden trifft, kann darin eine bedenkliche Fehlbeurteilung nicht gesehen werden. Nach den nunmehrigen Behauptungen soll die Zeugin nicht nur im maßgeblichen Zeitraum für das vom Kläger geführte Unternehmen gearbeitet und oft in den Geschäftsräumlichkeiten, in denen die beklagte Partei Leistungen erbrachte, anwesend gewesen sein, wo sie Planungsgespräche mitverfolgt habe und Wahrnehmungen über von der Bestellung abweichende Lieferungen sowie Reklamationsgespräche zwischen den Streitteilen gemacht habe. Sie habe auch ein Telefonat, welches der Kläger mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei über die Freisprechenlage geführt habe, mitgehört, das der Kläger deshalb geführt habe, weil sich die beklagte Partei geweigert hätte, eine Zahlungsbestätigung über eine erhaltene Anzahlung auszustellen. Da Telefongespräche "über eine Freisprechanlage" regelmäßig deshalb geführt werden, um einem anwesenden Dritten das Mithören zu ermöglichen, hätte es tatsächlich einer besonderen Begründung dafür bedurft, warum der Kläger ungeachtet dessen die Anwesenheit der nunmehrigen Zeugin bei diesem Telefonat ohne Verschulden vergessen haben sollte.

2. Das Rekursgericht hat weiters die Auffassung vertreten, die Klage wäre auch im Falle des fehlenden Verschuldens an der seinerzeitigen Namhaftmachung der Zeugin zurückzuweisen, weil der Kläger die vierwöchige Frist des § 534 Abs 2 Z 4 ZPO für die Einbringung der Wiederaufnahmsklage versäumt habe. Wenn er aufgrund eines Vernehmungsprotokolls vom 15. 7. 2003 an die Anwesenheit der Zeugin bei maßgeblichen Vorgängen erinnert worden sei und (erst) am 27. 8. 2003 mit ihr Kontakt aufgenommen habe, erweise sich die am 24. 9. 2003 erhobene Wiederaufnahmsklage als verspätet, weil der Kläger gar nicht behauptet habe, die Niederschrift nicht schon vor dem 27. 8. 2003 durchgelesen zu haben; nicht einmal im Rekurs behauptet der Kläger, das Protokoll erst am 27. 8. 2003 gelesen zu haben. Nach neuerer Judikatur des Obersten Gerichtshofs ist eine Wiederaufnahmeklage im Vorprüfungsverfahren nicht erst bei erwiesener Verspätung, sondern schon mangels Glaubhaftmachung ihrer Rechtzeitigkeit zurückzuweisen, weil dem Gesetz die Vermutung der Rechtzeitigkeit einer Wiederaufnahmeklage fremd ist (SZ 72/31, 7 Ob 766/82). Da der Kläger im gesamten Verfahren nicht behauptet hat, erst am 27. 8. 2003 an die Zeugin erinnert worden zu sein - auch im Revisionsrekurs stellt er nur die theoretische Möglichkeit in den Raum, er könnte das Vernehmungsprotokoll erst am 27. 8. 2003 unmittelbar vor dem Telefonat mit der Zeugin durchgelesen haben -, kann dem Rekursgericht keine erhebliche Fehlbeurteilung vorgeworfen werden, wenn es im Einklang mit der Lebenserfahrung davon ausgegangen ist, der Kläger habe vom Inhalt des Protokolls zumindest einen Tag vor der Kontaktaufnahme mit der Zeugin Kenntnis erlangt. Seinem Einwand, er möge zwar von der Tatsache, dass die Zeugin bei der Skizzenanfertigung durch den Geschäftsführer der beklagten Partei anwesend gewesen sei, schon vor dem 27. 8. 2003 Kenntnis erlangt haben, was aber nicht bedeute, dass der Kläger auch Kenntnis davon erlangt habe, dass die Zeugin auch über andere maßgebliche Umstände Wahrnehmungen gemacht habe, ist entgegenzuhalten, dass er in der Wiederaufnahmeklage lediglich vorgebracht hat, ihm sei nach dem Durchlesen des Vernehmungsprotokolls eingefallen, dass er die darin erwähnte Person, nämlich die nunmehr namhaft gemachte Zeugin, kenne; er habe sie daraufhin angerufen und gefragt, ob sie sich noch an die Vorgänge im Zusammenhang mit dem Geschäftsführer der beklagten Partei erinnern könne. Die Auffassung des Rekursgerichts, bereits mit der (wiedergekehrten) Erinnerung an die Zeugin habe die Klagefrist zu laufen begonnen, kann in Anbetracht der Klagebehauptungen nicht als bedenklich angesehen werden, hat der Kläger durch seine Frage, ob sich die Zeugin noch an die Vorgänge erinnern könne, doch zum Ausdruck gebracht, dass er davon ausgegangen ist, die Zeugin sei bei maßgeblichen Vorgängen anwesend gewesen. Die Auffassung, der Kläger sei somit schon vor dem Telefongespräch mit der Zeugin in der Lage gewesen, zu erkennen, dass die betreffende Person als Zeugin in Betracht kommt, begegnet keinen Bedenken. Entscheidend ist, dass der Kläger - der Aufenthaltsort der Zeugin war ihm offenbar bekannt - bereits vor dem Telefongespräch in der Lage gewesen wäre, einen zweckdienlichen Beweisantrag zu stellen (EvBl 1980/102); dabei ist die Kenntnis davon, ob sich die Zeugin noch an alle Details der seinerzeitigen Geschehnisse erinnern kann, nicht entscheidend.

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