Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss wie folgt zu lauten hat:
"Einstweilige Verfügung
Zur Sicherung des mit der Klage geltend gemachten Unterlassungsanspruchs wird der beklagten Partei geboten, es ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils zu unterlassen, zu Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr die Analytik von Blut- und/oder Harnproben, sei es entgeltlich oder unentgeltlich, anzubieten und/oder zu erbringen."
Die klagende Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen vorläufig, die beklagte Partei hat die Kosten des Sicherungsverfahrens aller drei Instanzen endgültig selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die Klägerin betreibt ein Institut für medizinische und chemische Labordiagnostik. Die Beklagte ist auf dem Gebiet der Entsorgung als Fachunternehmen tätig und Inhaberin ua einer Gewerbeberechtigung zum Betrieb eines chemischen Laboratoriums (§ 103 GewO). Im September 2003 bewarb die Beklagte ihre Leistungen in einem Rundschreiben an rund 30 arbeitsmedizinische Zentren unter der Überschrift '10 Jahre R*****-Analytik - jetzt gratis für sie!" ua mit folgender Ankündigung: "Das chemische Labor für Umwelt und Gesundheit der R***** AG besteht seit nunmehr 10 Jahren und ist in dieser Zeit zu einer wichtigen Anlaufstelle und fixen Größe für AMZ's und Arbeitsmediziner(innen) aus ganz Österreich geworden. Aus diesem Anlass möchten wir Ihnen ein einmaliges Angebot zum Kennenlernen machen, das sie bestimmt gerne annehmen werden: Schicken Sie uns ihre gesammelten Blut/Harnproben, und unser Institut erledigt für sie die von Ihnen gewünschte Analytik gemäß VGÜ völlig kostenlos (dieses Angebot gilt einmalig bis zum 31. 12. 2003 nur in Verbindung mit und gemäß beiliegendem Analysenanforderungsblatt)." Dem Rundschreiben war ein Anforderungsblatt angeschlossen, in welches in Tabellenform einzutragen war, auf welche Elemente (wie zB Blei, Quecksilber, Chrom, Mangan, Arsen uä) die Proben zu untersuchen sind. Beigelegt war auch ein Zertifikat, in dem der Beklagten bescheinigt wird, 2003 an einem Ringversuch für arbeits-/umweltmedizinisch- toxologische Analysen teilgenommen zu haben. Die Beklagte nimmt weder Blut- noch Harnproben selbst ab, sondern führt chemische Analysen von ihr übermittelten Proben durch, ohne eine Diagnose zu stellen. Die Klägerin begehrt zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung zu gebieten, es ab sofort bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils zu unterlassen, zu Zwecken des Wettbewerbs im geschäftlichen Verkehr die Analytik von Blut- und/oder Harnproben, sei es entgeltlich oder unentgeltlich, anzubieten und/oder zu erbringen. Die Beklagte führe Blut- und Harnuntersuchungen durch und bewerbe diese Tätigkeiten, ohne dazu gewerberechtlich oder sonst berechtigt zu sein. Die genannten Tätigkeiten seien dem fachärztlichen Gebiet der medizinischen und chemischen Labordiagnostik vorbehalten und dürften nur von Ärzten, allenfalls unter Zuhilfenahme von nichtärztlichem medizinischen Personal mit entsprechender qualifizierter Ausbildung, ausgeübt werden. Die Beklagte verstoße durch ihr Verhalten gegen gesetzliche Bestimmungen, wie § 2 ÄrzteG oder die einschlägigen Vorschriften des KAG, und verschaffe sich einen sittenwidrigen Wettbewerbsvorsprung gegenüber gesetzestreuen Mitbewerbern (§ 1 UWG).
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Sicherungsantrags. Sie sei auf Grund ihrer Gewerbeberechtigung gem § 103 GewO befugt, Blut und Harn chemisch zu analysieren. Sie nehme selbst keine Proben der genannten Flüssigkeiten und ziehe auch keine diagnostischen Schlussfolgerungen aus ihrer Analyse. Sie übe keine medizinisch-wissenschaftliche, sondern eine chemisch-wissenschaftliche Tätigkeit aus. Ihre Auffassung sei vom Gesetz so weit gedeckt, dass sie mit gutem Grund vertreten werden könne.
Das Erstgericht wies den Sicherungsantrag ab. Ein Verstoß der Beklagten gegen den Ärztevorbehalt des § 2 ÄrzteG liege nicht vor, weil sie weder medizinisch-wissenschaftlich, noch beurteilend oder diagnostisch tätig sei, sondern sich viel mehr im Rahmen ihrer Gewerbeberechtigung halte.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig sei. Wenn sich die Klägerin in ihrem Rekurs erstmals (und ausschließlich) darauf berufe, dass die Gewerbeberechtigung der Beklagten die Analyse von Blut und Harn nicht decke, weil die Gewerbeordnung nicht für medizinisch-technische Dienste gelte, mache sie einen neuen Rechtsgrund geltend und verstoße gegen das - auch im Sicherungsverfahren geltende - Neuerungsverbot. Davon abgesehen verstoße die Beklagte aber auch nicht gegen das Gesetz über die medizinisch-technischen Dienste (MTD-G), weil sie sich auf die chemische Analyse beschränke und weder Proben ziehe, noch in die Beratungstätigkeit oder Diagnose eines Arztes eingebunden sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist entgegen der Meinung der Beklagten jedenfalls unzulässig, war doch das Sicherungsverfahren zweiseitig (§ 402 Abs 1 EO); er ist zulässig, weil das Rekursgericht das MTD-G in einer die Rechtssicherheit gefährdenden Weise unrichtig ausgelegt hat; das Rechtsmittel ist auch berechtigt.
Zutreffend verweist die Klägerin zunächst darauf, nicht gegen das Neuerungsverbot verstoßen zu haben. Sie hat sich nämlich im Verfahren erster Instanz nicht darauf beschränkt, den von ihr geltend gemachten wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsanspruch mit dem Verstoß gegen eine einzige bestimmte Rechtsnorm allein zu begründen, sondern hat ganz allgemein die fehlende Befugnis der Beklagten behauptet, dabei beispielhaft das ÄrzteG und das KAG angeführt und auch vorgebracht, die in Frage stehenden Tätigkeiten fielen in das fachärztliche Gebiet der medizinischen und chemischen Labordiagnostik. Im Rahmen der gebotenen allseitigen rechtlichen Prüfung (Kodek in Rechberger, ZPO² § 471 Rz 9 mwN) sind daher in die Beurteilung, ob ein Rechtsbruch der Beklagten vorliegt, auch die Bestimmungen des MTD-G einzubeziehen. Zuzustimmen ist der Rechtsmittelwerberin weiters darin, dass medizinisch-technische Dienste vom Anwendungsbereich der Gewerbeordnung ausgenommen sind (§ 2 Abs 1 Z 11 GewO; vgl auch § 4 Abs 1 zweiter Satz MTD-G) und der medizinisch-technische Laboratoriumsdienst unter die gehobenen medizinisch-technischen Dienste fällt (§ 1 Z 2 MTD-G). Er umfasst nach der Legaldefinition des § 2 Abs 2 MTD-G die eigenverantwortliche Ausführung aller Laboratoriumsmethoden nach ärztlicher Anordnung, die im Rahmen des medizinischen Untersuchungs-, Behandlungs- und Forschungsbetriebs erforderlich sind, insbesondere ua klinisch-chemische, hämatologische und immunhämatologische Untersuchungen.
Das MTD-G enthält ua Bestimmungen betreffend die besonderen Qualifikationen für eine Berufsausübung (§ 4), besondere Berufspflichten (§ 11), besondere Auskunfts- (§ 11b) und Verschwiegenheitspflichten (§ 11c) sowie Strafbestimmungen (§ 33). Erkennbarer Zweck dieser Regelungen ist es, die Vornahme besonders verantwortungsvoller Tätigkeiten im medizinisch-technischen Bereich an besondere Qualifikationen zu binden und die Berufsausübung einem (etwa gegenüber der Gewerbeordnung) verschärften gesetzlichen Regime zu unterwerfen, um so die von den geregelten Tätigkeiten Betroffenen besonders zu schützen. Auch die Beklagte stellt in ihrer Revisionsrekursbeantwortung nicht in Frage, dass das MTD-G den Schutz des Patientenwohls im Auge habe.
Nach dem Obersatz des § 2 Abs 2 MTD-G liegt ein medizinisch-technischer Dienst immer dann vor, wenn Laboratoriumsmethoden eigenverantwortlich nach ärztlicher Anordnung im Rahmen des medizinischen Untersuchungs-, Behandlungs- und Forschungsbetriebs ausgeführt werden. Dass auch von einem Arzt im Rahmen seiner medizinischen Tätigkeit in Auftrag gegebene Blut- und Harnanalysen unter diese Bestimmung fallen, ist nicht zweifelhaft. Es kann dann aber - nach dem zuvor dargestellten Gesetzeszweck - keinen Unterschied machen, ob die genannten Analysen von einem Labor innerhalb des organisatorischen Rahmens einer Krankenanstalt oder (wie hier im Rahmen arbeitsmedizinischer Tätigkeit als "außer Haus" gegebener Auftrag) von einem als eigene Rechtsperson betriebenen Labor durchgeführt werden; in beiden Fällen bedarf es der gleichen Mittel, um das vom Gesetzgeber erkennbar angestrebte Ziel des besonderen Schutzes der von diesen Tätigkeiten Betroffenen zu erreichen.
Die Entscheidung 4 Ob 256/02d = ÖBl 2003, 270 - Screening ist für den hier zu entscheidenden Sachverhalt nicht einschlägig, weil es dort nicht um eine wissenschaftliche Blutanalyse unter Laborbedingungen, sondern um die Selbstmessung von Blutwerten unter Verwendung eines vollautomatischen Geräts ging, dessen Bedienung kein medizinisches Fachwissen voraussetzt. Dass nach Auffassung der Beklagten für eine Blut- oder Harnanalyse für sich allein chemisches Fachwissen ausreiche, ändert nichts an der Wertung des Gesetzgebers, wonach diese Tätigkeiten besonderen gesetzlichen Bestimmungen unterliegen sollen, sofern sie eigenverantwortlich nach ärztlicher Anordnung im Rahmen des medizinischen Untersuchungs-, Behandlungs- und Forschungsbetriebs ausgeführt werden.
Bei der Prüfung der Frage, ob mit einer Verletzung einer generellen Norm sittenwidrig im Sinne des § 1 UWG gehandelt wird, kommt es vor allem darauf an, ob die Auffassung des Beklagten über die Rechtmäßigkeit seines Handelns durch die Norm so weit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann (ÖBl 2001, 63 - Teppichknoten; ÖBl 2001, 261 - Hausdruckerei je mwN; wbl 2002/326 - K-Hitradio; ÖBl 2003, 270 - Screening; jüngst etwa 4 Ob 7/03p uva). Im Hinblick auf die unzweideutige Gesetzeslage ist der Beklagten die Überschreitung ihrer Gewerbeberechtigung und der Verstoß gegen das MTD-G auch subjektiv vorwerfbar.
Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.
Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin beruht auf § 393 Abs 1 EO, jene über die Kosten der Beklagten auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.
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