OGH 4Ob256/02d

OGH4Ob256/02d25.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ärztekammer für Steiermark, ***** vertreten durch Dr. Nikolaus Kodolitsch und andere Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Mag. pharm. Günther T*****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 25.435,49 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 9. August 2002, GZ 6 R 92/02z‑14, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. Februar 2002, GZ 10 Cg 92/01t‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2003:0040OB00256.02D.0325.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung wie folgt zu lauten hat:

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei gegenüber der klagenden Partei schuldig, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs die Ankündigung und/oder das Durchführen von Untersuchungen auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Krankheiten, insbesondere auf Untersuchungen der Blutzuckerwerte, Cholesterinwerte und Triglyceridwerte, insbesondere in Verbindung mit der Entnahme von Blut zu unterlassen; der klagenden Partei werde die Ermächtigung erteilt, auf Kosten der beklagten Partei den stattgebenden Teil des Spruches des über die Klage ergehenden Urteils binnen sechs Monaten nach Rechtskraft in der periodischen Zeitschrift "Kleine Zeitung", Ausgabe Steiermark, veröffentlichen zu lassen, und zwar im redaktionellen Teil des Regionalteiles Graz, eingerahmt in einem schwarzen Kasten mit der Überschrift "Im Namen der Republik" in Fettdruck, die Namen der Streitteile in Sperrdruck, den Rest in Normallettern, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.063,03 EUR (darin 843,84 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.320,46 EUR (darin 401,91 EUR Umsatzsteuer und 1.909 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist eine Körperschaft öffentlichen Rechts und zur Wahrung der Interessen der steirischen Ärzteschaft berufen.

Der Beklagte war im Zeitpunkt der beanstandeten Untersuchung Konzessionsinhaber einer Apotheke in Graz. In dort aufliegenden Informationsblättern bot er unter anderem die Messung von Blutdruck, Blutzucker, Cholesterin und Triglyceriden an und führte diese Untersuchungen mit einem vom Pharmaunternehmen Roche zur Verfügung gestellten Messgerät durch. Dabei wurde unter Zuhilfenahme eines kugelschreiberähnlichen Geräts ein Stich in die Fingerkuppe versetzt und der dabei austretende Blutstropfen auf einem Teststreifen aufgebracht. Dieser wurde in ein Messgerät eingeführt, welches die entsprechenden Messwerte automatisch ermittelte, die dann mit den Werten auf einer Tabelle verglichen werden konnten. Die Anweisungen des Geräteherstellers sehen vor, dass der Kunde selbst den Stich in die Fingerkuppe vornimmt, worauf der Beklagte und seine Angestellten anlässlich einer Einschulung auch hingewiesen wurden. Er erhielt auch eine Tabelle, die erkennen lässt, welche Werte jeweils in den "Risikobereich" fallen.

Der Beklagte hielt diese Messungen mit Geräten der Firma Roche für zulässig, weil österreichweit dafür von Apothekern und vom Pharmakonzern Roche Propaganda gemacht wurde. Die Bestimmung von Blutwerten durch ein sogenanntes "Screening" war schon Thema einer Tagung der selbständigen Apotheker Ende September 1999. Unter Bezugnahme auf diese Tagung erwähnte die Österreichische Apothekerzeitung die von Ärzten im Zusammenhang mit "Screening" in Apotheken vorgebrachten Bedenken. Ein Rundschreiben des Österreichischen Apothekerverbandes vom 18. 10. 1999 informierte über Gespräche mit Anbietern von derartigen Tests sowie darüber, dass ein Startpaket mit Screening‑Set, Schulungen, Schulungsunterlagen und einer Patientenbroschüre in Zusammenarbeit mit der Apothekerkammer vorbereitet werde. Im Mai und Juni 2001 fand eine gemeinsame Vorsorgeaktion der Wiener Apothekerkammer und der Wiener Ärztekammer statt, in deren Rahmen ein "Vor‑Screening" von Blutdruck, Cholesterin und Blutzucker in den Apotheken angeboten wurde. Eine Information der Apothekerkammer Wien bezeichnete diese Vorsorgeaktion als "eine hervorragende Gelegenheit, ohne dass Friktionen mit den Ärzten zu erwarten sind".

Auf Ersuchen des Klagevertreters suchte eine namentlich bekannte Frau im Juni 2001 die Apotheke des Beklagten auf und bat die pharmazeutisch‑kaufmännische Angestellte, die Messung von Blutzucker, Cholesterin und Triglyceriden vorzunehmen. Die Angestellte des Beklagten versetzte der Kundin Stiche mit dem kugelschreiberähnlichen Gerät an drei Fingerkuppen, brachte die dabei austretenden Blutstropfen auf Teststreifen auf und führte diese in ein Messgerät ein. Die vom Messgerät ermittelten Werte teilte sie der Kundin mit. Auf ihre Frage verglich sie die Werte mit der Tabelle und erklärte, der Cholesterinwert liege etwas über dem Grenzwert. Sie beriet die Kundin dahin, sie solle beim Essen aufpassen, insbesondere auf Butter verzichten, es wäre auch nicht schlecht, Fischölkapseln einzunehmen. Sollten sich die Werte trotz dieser Maßnahmen in einer Woche nicht bessern, wäre ein Besuch beim Arzt erforderlich.

Die Klägerin begehrt die Verurteilung des Beklagten zur Unterlassung, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Untersuchungen auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Krankheiten, insbesondere auf Untersuchungen der Blutzucker‑, Cholesterin‑ und Triglyceridwerte insbesondere in Verbindung mit der Entnahme von Blut durchzuführen; sie stellt auch ein Veröffentlichungsbegehren. Der Beklagte nehme eine Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen von körperlichen Krankheiten oder Störungen in Verbindung mit dem operativen Eingriff der Blutentnahme vor. Der damit verwirklichte Eingriff in den ärztlichen Tätigkeitsbereich verschaffe dem Beklagten einen Wettbewerbsvorteil.

Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die vorgenommene Messung bedürfe keiner spezifischen Ausbildung. Die Stechhilfe zur Abnahme eines Bluttropfens werde vom Kunden selbst bedient, eine Diagnose nicht gestellt. Der Kunde erhalte nur die vom Gerät automatisch ermittelten Messwerte sowie die entsprechenden Höchst‑ und Mindestwerte und werde auf ratsame Vorsorgeuntersuchungen beim Arzt hingewiesen. Die Dienstleistung des Apothekers bestehe nur darin, die Geräte dem Kunden zur Verfügung zu stellen, ihn nötigenfalls anzuleiten und ihm das Testergebnis mitzuteilen. Ein allfälliger Normenverstoß sei ihm subjektiv auch nicht vorwerfbar, weil er in der begründeten Überzeugung gehandelt habe, zur Durchführung der Messungen berechtigt zu sein. Schon im Oktober 1999 sei er auf die Möglichkeit, Screening‑Aktivitäten anzubieten, aufmerksam gemacht worden. Er sei darüber auch in einer Reihe von Publikationen für österreichische Apotheker darüber informiert worden, sodass er keinen Anlass gehabt habe, an der Rechtmäßigkeit der Durchführung von Screening‑Untersuchungen zu zweifeln.

Das Erstgericht gab dem Unterlassungs‑ und Urteilsveröffentlichungsbegehren statt. Vom eingangs festgestellten Sachverhalt ausgehend bejahte es einen Verstoß gegen den Ärztevorbehalt des § 2 Abs 2 Z 1, 2, 3 und 4 ÄrzteG iVm § 1 UWG. Das Messen von Blutwerten sei vom Ärztevorbehalt umfasst, weil der Arzt erst aufgrund seiner medizinischen Ausbildung und der Vermittlung medizinisch‑wissenschaftlicher Erkenntnisse die Qualifikation erlange, Menschen auf das Vorliegen von Krankheiten oder Störungen hin zu untersuchen. Daran ändere auch die einfache Bedienung des verwendeten Messgeräts nichts. Die Bewertung des Messergebnisses als über einen Grenzwert liegend und der Therapievorschlag vermittle dem durchschnittlichen Apothekenkunden den Eindruck, Diagnose und Therapie würden bereits in der Apotheke erstellt, ein Arztbesuch sei nicht mehr erforderlich. Im Übrigen bedeute die Entnahme von Blut jedenfalls einen Eingriff in den Vorbehaltsbereich der Ärzte, wobei es auf eine besondere Erheblichkeitsschwelle des Eindringens in die körperliche Substanz des Menschen nicht ankomme. Angesichts des klaren Wortlauts des § 2 Abs 2 ÄrzteG sei der Normverstoß dem Beklagten auch subjektiv vorwerfbar.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die von einer Angestellten des Beklagten vorgenommene Bestimmung der Blutwerte durch Entnahme von Blut aus der Fingerkuppe, Beurteilung des Messergebnisses als über dem Grenzwert liegend und Beratung hinsichtlich des Verzichts auf Butter und der Einnahme von Fischölkapseln sei als Untersuchung und Therapie im Sinn des § 2 Abs 2 ÄrzteG zu werten. Ausschlaggebend sei, dass im vorliegenden Fall ein Nichtarzt die Bewertung eines gesundheitlichen Zustands vorgenommen und einen Therapievorschlag erstattet habe. Der Normenverstoß sei dem Beklagten auch vorwerfbar. Seine Rechtsauffassung stehe im Gegensatz zum eindeutigen Gesetzeswortlaut und finde weder in der offenkundigen Absicht des Gesetzgebers noch in höchstgerichtlicher Rechtsprechung Deckung. Die hier gewählte allgemeine Fassung des Unterlassungsbegehrens sei schon deshalb erforderlich, um Umgehungen nicht allzu leicht zu machen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig, weil das Berufungsgericht von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur subjektiven Vorwerfbarkeit eines Normenverstoßes abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Der Beklagte macht geltend, seine Auffassung, der zur Selbstanwendung angebotene, mit einem laiengerecht standardisierten Gerät vorzunehmende Test verstoße nicht gegen den Ärztevorbehalt, sei aufgrund zahlreicher Berichte, Informationen und Rundschreiben, darunter auch der Apothekerkammer, soweit gedeckt, dass sie mit gutem Grund vertreten werden könne.

Sittenwidriges Handeln im Sinn des § 1 UWG scheidet dann aus, wenn die Auffassung des Beklagten über die Auslegung der angeblich verletzten Norm durch das Gesetz soweit gedeckt ist, dass sie mit gutem Grund vertreten werden kann (stRsp ÖBl 2001, 63 ‑ Teppichknoten; ÖBl 2001, 261 ‑ Hausdruckerei je mwN; 4 Ob 170/02g).

Dem Ärztevorbehalt des § 2 Abs 2 iVm § 3 ÄrzteG unterliegt jede auf medizinisch‑wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird, insbesondere die Untersuchung auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen körperlicher oder psychischer Krankheiten oder Störungen (Z 1), die Beurteilung von in Z 1 angeführten Zuständen bei Verwendung medizinisch‑diagnostischer Hilfsmittel (Z 2), die Behandlung solcher Zustände (Z 3) und die Vornahme operativer Eingriffe einschließlich der Entnahme oder Infusion von Blut (Z 4).

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Erstellung einer Diagnose eine den Ärzten vorbehaltene Tätigkeit (4 Ob 14/00p = ÖBl‑LS 2000/33 ‑ Auspendeln; 4 Ob 50/01h = ÖBl‑LS 01/109 ‑ Bachblüten; 4 Ob 170/02g mwN). Ob zur Selbstanwendung durch Kunden bestimmte laiengerechte Geräte in Apotheken aufgestellt werden dürfen, war noch nicht Gegenstand höchstgerichtlicher Rechtsprechung.

Fehlt Rechtsprechung zur Zulässigkeit eines bestimmten Verhaltens, so ist zur Frage der Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung im Sinn des § 1 UWG auf die von der zuständigen Verwaltungsbehörde vertretene Rechtsmeinung und die ständige Verwaltungspraxis abzustellen (4 Ob 170/02g mwN). Unter entsprechender Berücksichtigung eines Gutachtens des Obersten Sanitätsrates, in dem dieser gegen das Aufstellen elektronischer Blutdruckmessgeräte in Apotheken keinen Einwand erhoben hatte, hat der erkennende Senat bereits ausgesprochen, dass die Auffassung des dort Beklagten, wonach die Messung eines Körperwertes über die Hautoberfläche mit Elektroden ("Venenscreening") unter Zuhilfenahme eines vollautomatischen Geräts, dessen Bedienung einfach sei und keinerlei medizinische Sachwissen voraussetze, nicht unter den Ärztevorbehalt falle, mit gutem Grund vertretbar sei. Die Auslegung, dass die Bedienung eines ohne medizinisches Fachwissen zu handhabenden vollautomatischen Geräts (gleich der Benutzung eines Fieberthermometers) nicht unter § 2 Abs 2 ÄrzteG falle, sei vom Wortlaut dieser Bestimmung gedeckt und widerspreche keiner höchstgerichtlichen Rechtsprechung (4 Ob 170/02g). Nichts anderes kann aber im vorliegenden Fall jedenfalls insoweit gelten, als die Messung der Blutwerte unter Verwendung eines vollautomatischen Gerätes vorgenommen wird, dessen Bedienung kein medizinisches Fachwissen voraussetzt. Dass eine mit diesem Gerät vorzunehmende Blutwertbestimmung keine im Sinn des § 2 Abs 2 ÄrzteG auf medizinisch‑wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit eines Arztes bedeutet, kann daher mit gutem Grund vertreten werden.

Die Klägerin führt überdies ins Treffen, ein Verstoß gegen den Ärztevorbehalt des § 2 Abs 2 Z 4 ÄrzteG sei durch Vornahme einer Blutabnahme verwirklicht. Insoweit sei der Verstoß dem Beklagten jedenfalls auch subjektiv vorzuwerfen. Dem ist zu entgegnen:

Der zur Gewinnung eines Blutstropfens erforderliche Stich in die Fingerkuppe mit einem kugelschreiberähnlichen Gerät ist nach den Anweisungen des Pharmaunternehmens, das diese Messmethode entwickelt hatte, als Vorgang gedacht, den der Kunde selbst vornimmt. Die Hilfe des Apothekers oder seines Angestellten bei diesem Vorgang substituiert die Tätigkeit des Kunden, ohne dass sich der Apotheker an die Stelle des Arztes setzt oder einen diesem vorbehaltenen Eingriff vornimmt. Er darf daher mit guten Gründen auf die Zulässigkeit seiner Hilfestellung vertrauen und muss nicht damit rechnen, dass seine Hilfe als ein Ärzten vorbehaltener operativer Eingriff im Sinn des § 2 Abs 2 Z 4 ÄrzteG gewertet wird. Wollte man den Stich in die Fingerkuppe als operativen Eingriff im Sinn des § 2 Abs 2 Z 4 ÄrzteG beurteilen, dürfte auch der Kunde selbst das kugelschreiberähnliche Gerät nicht bedienen. Dass aber schon dieser vom Kunden selbst vorgenommene Vorgang gegen den Ärztevorbehalt verstieße, behauptet auch die Klägerin nicht.

Ob die Bewertung des Messergebnisses in den Bereich der Diagnose fällt, bedarf ebensowenig einer weiteren Prüfung wie die Frage, ob der von der Angestellten des Beklagten gegebene Rat, Butter zu vermeiden und allenfalls Fischölkapseln einzunehmen, als Behandlung im Sinn des § 2 Abs 2 Z 3 ÄrzteG anzusehen sei, weil ein Verbot einer derartigen Handlungsweise nicht Gegenstand des Unterlassungsbegehrens ist.

Dem Beklagten kann wettbewerbswidriges Handeln durch Rechtsbruch im Sinn des § 1 UWG somit nicht vorgeworfen werden, weil er mit gutem Grund von der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens ausgehen durfte.

Der Revision wird Folge gegeben und das Klagebegehren in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen abgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.

Stichworte