OGH 7Ob253/03m

OGH7Ob253/03m17.12.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Veronika N*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Themmer und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Adolf N*****, vertreten durch Dr. Heide Strauss, Rechtsanwältin in Gänserndorf, wegen Ehescheidung (hier wegen einstweiliger Verfügung nach § 382b EO) über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Beklagten und Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 10. Juni 2003, GZ 25 R 214/02a-61, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Gänserndorf vom 18. Juli 2002, GZ 5 C 13/02d-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Beklagte und Gegner der gefährdeten Partei ist schuldig, der Klägerin und gefährdeten Partei die mit EUR 399,74 (darin enthalten EUR 66,62 USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Über Antrag der klagenden und gefährdeten Partei (im Folgenden nur mehr Klägerin genannt) trug das Erstgericht im Rahmen des zwischen den Streitteilen anhängigen Ehescheidungsverfahrens dem Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei (in der Folge Beklagter) - ohne ihn vorher anzuhören - mit einstweiliger Verfügung gemäß § 382b EO auf, die Ehewohnung zu verlassen und verbot ihm die Rückkehr in die Wohnung und deren unmittelbare Umgebung; weiters wurde dem Beklagten aufgetragen, jedes Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit der Klägerin zu vermeiden. Das Erstgericht befristete diese einstweilige Verfügung mit der rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens "bzw eines an das Scheidungsverfahren anschließenden Aufteilungsverfahrens".

Das Gericht zweiter Instanz gab dem vom Beklagten (gemeinsam mit einem Widerspruch) erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil eine Rechtsfrage von der in § 528 Abs 1 ZPO geforderten Qualifikation nicht vorliege.

Der erkennende Senat hat am 10. 11. 2003 der Klägerin die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung freigestellt, da die Kritik des Beklagten zwar nicht in der Hauptsache, jedoch am Ausspruch über die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung für berechtigt erachtet wurde.

In der in weiterer Folge fristgerecht erstatteten Revisionsrekursbeantwortung wies die Klägerin ua darauf hin, dass das Erstgericht die gegenständliche einstweilige Verfügung über Antrag des Beklagten inzwischen aufgehoben habe und legte den betreffenden Beschluss in Kopie vor.

Der erkennende Senat hat erhoben, dass das Erstgericht tatsächlich - ohne den Obersten Gerichtshof, dem die Akten vorgelegt waren bzw sind, davon zu unterrichten - über Antrag des Beklagten, dem die Klägerin nicht entgegentrat, mit Beschluss vom 7. 11. 2003 die gegenständliche einstweilige Verfügung aufgehoben hat. Dieser Beschluss ist am 30. 11. 2003 in Rechtskraft erwachsen.

Damit ist aber der Beklagte durch die gegenständliche Entscheidung nicht mehr beschwert, zumal er allfällige ihm dadurch verursachte Vermögensnachteile nach § 394 Abs 1 dritter Fall EO geltend machen kann (6 Ob 546/93 ua).

Rechtliche Beurteilung

Mangels aufrechter Beschwer ist der Revisionsrekurs aber unzulässig: Nach stRsp und hL setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer, also ein Anfechtungsinteresse, voraus; es ist nicht Sache der Rechtsmittelinstanzen, rein theoretische Fragen zu entscheiden (SZ 49/22; SZ 53/86; SZ 61/6; 7 Ob 250/99m uva; Heller/Berger/Stix Komm E4 648; Fasching Komm IV 13 f; ders Zivilprozessrecht Rz 1710 f). Die Beschwer muss zur Zeit der Erhebung des Rechtsmittels gegeben sein und zur Zeit der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen (SZ 61/6 mwN; RIS-Justiz RS0041770; Heller/Berger/Stix aaO). Das bloße Interesse am Kostenersatz begründet nach hM kein rechtliches Interesse an der Entscheidung über eine bedeutungslos gewordene Hauptsache (SZ 61/6 uva).

Da im vorliegenden Fall einer Entscheidung über die Berechtigung der einstweiligen Verfügung nur mehr theoretisch-abstrakte Bedeutung zukäme, muss das Rechtsmittel des Beklagten zurückgewiesen werden (vgl RIS-Justiz RS0002495 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen).

Da das Rechtschutzinteresse aber erst nach Einbringung des Revisionsrekurses, also iSd § 50 Abs 2 ZPO, der gemäß § 402 Abs 4 iVm § 78 EO auch im Provisorialverfahren Anwendung findet (7 Ob 239/99v ua) "nachträglich" (RIS-Justiz RS0106007) wegfiel, ist dieser Umstand nach dieser Gesetzesstelle für die Kostenentscheidung allerdings nicht zu berücksichtigen; vielmehr ist dazu hypothetisch zu prüfen, ob der Revisionsrekurs des Beklagten erfolgreich gewesen wäre.

Dies ist, wie im Folgenden erläutert wird, hinsichtlich der Hauptsache zu verneinen und nur hinsichtlich des Ausspruches über die Befristung der einstweiligen Verfügung zu bejahen:

Grundsätzlich richtig hat der Revisionsrekurswerber auf das Erfordernis hingewiesen, dass die betreffende Wohnung (aus der die Ausweisung gemäß § 382b Abs 1 EO erfolgte) der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers dienen muss. Ihrer diesbezüglichen Behauptungslast kam die Klägerin nach. Einer besonderen Bescheinigung ihres Wohnbedürfnisses bedurfte es nicht, weil nach der Aktenlage (insbesondere nach einer festgestellten, von den Streitteilen getroffenen vergleichsweisen Vereinbarung) daran, dass die Klägerin dort mit dem Beklagten wohnte, keinerlei Zweifel bestand. Die vom Beklagten in seinem Rekurs aufgestellte und im Revisionsrekurs wiederholte Behauptung, die Klägerin habe (später) ohnehin eine Mietwohnung benützt (auf die das Rekursgericht meritorisch eingegangen ist) ist unbeachtlich, weil sie dem auch im Rechtsmittelverfahren gegen eine einstweilige Verfügung geltenden Neuerungsverbot unterfällt (Angst/Jakusch/Pimmer, EO13 E 12 zu § 402 mwN). Dies gilt auch dann, wenn - wie hier - der Beschwerdeführer in erster Instanz nicht gehört wurde (WBl 1989, 316 = ÖBl 1990, 32 = RZ 1990, 73/26). Auf diesen Einwand hätte nur im Rahmen des Verfahrens über den - nicht erledigten und zufolge der nun erfolgten Aufhebung des angefochtenen Beschlusses auch nicht mehr zu behandelnden - Widerspruch eingegangen werden können.

Da die Ansicht der Vorinstanzen, durch die festgestellten Drohungen habe der Beklagte der Klägerin das weitere Zusammenleben unzumutbar gemacht, zu billigen gewesen wäre (eine Divergenz zur einschlägigen Judikatur ist diesbezüglich keineswegs erkennbar) hätte sich die Entscheidung der Vorinstanzen in der Hauptsache ("Wegweisung" sowie "Rückkehrverbot" gemäß § 382b Abs 1 Z 1 und 2 EO; Auftrag, Zusammentreffen sowie Kontaktaufnahme mit der Klägerin zu vermeiden gemäß § 382b Abs 2 EO) frei von Rechtsirrtum erwiesen.

Der Vollständigkeit halber sei auch noch zur Mängelrüge des Revisionsrekurswerbers bemerkt, dass mangels eines zulässigen Rechtsmittels auch eine etwa vorhandene Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens nicht wahrgenommen werden könnte (vgl 7 Ob 250/99m). Im Übrigen können angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Rekursgericht verneint wurden (hier die Unterlassung der Anhörung des Beklagten) nach stRsp nicht mehr mit Erfolg neuerlich geltend gemacht werden (RIS-Justiz RS0085853 mit zahlreichen Entscheidungsnachweisen).

Berechtigt wäre hingegen der Einwand des Revisionsrekurswerbers gegen die vom Erstgericht (von Amtswegen) ausgesprochene Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung gewesen. Da zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung über den gegenständlichen Sicherungsantrag lediglich das Scheidungsverfahren, nicht aber auch schon ein Aufteilungsverfahren eingeleitet war, konnte die Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung nur mit der rechtskräftigen Beendigung des Scheidungsverfahrens bestimmt, nicht aber auch bis zur rechtskräftigen Beendigung "eines an das Scheidungsverfahren anschließenden Aufteilungsverfahrens" ausgedehnt werden. Zwar ermöglicht § 382b Abs 4 EO eine einstweilige Verfügung nach Abs 1 und 2 leg cit auch unabhängig vom Fortbestehen der häuslichen Gemeinschaft der Parteien und auch ohne Zusammenhang mit einem Verfahren auf Scheidung, Aufhebung oder Nichtigerklärung der Ehe, einem Verfahren über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse oder einem Verfahren zur Klärung der Benützungsberechtigung an der Wohnung, doch darf, solange ein solches Verfahren nicht anhängig ist, die Zeit, für die eine derartige Verfügung getroffen wird, insgesamt drei Monate nicht überschreiten. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 252 BlgNR 20. GP 8 f) sollen die Opfer von Gewalt oder Bedrohung durch einen nahen Angehörigen nicht zur Einleitung eines Hauptverfahrens gezwungen werden. Als Ausgleich dafür ist die zeitliche Begrenzung der einstweiligen Verfügung vorgesehen (RV). Zutreffend wies nun der Revisionsrekurswerber darauf hin, dass der Anspruch auf Aufteilung ehelichen Gebrauchsvermögen und ehelicher Ersparnisse binnen eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft der Scheidung gerichtlich geltend gemacht werden kann, sodass sich durch die vom Erstgericht ausgesprochene (und vom Rekursgericht bestätigte) Befristung der einstweiligen Verfügung eine Geltungsdauer ergeben könnte, die der Intention des § 382b Abs 4 EO zuwiderläuft; eine Begrenzung der Dauer der einstweiligen Verfügung mit der rechtskräftigen Beendigung eines Aufteilungsverfahrens noch vor Beantragung eines solchen war daher gesetzeswidrig. Erst nach (inzwischen nach dem Vorbringen im Revisionsrekurs bereits erfolgter) Einleitung eines Aufteilungsverfahrens hätte eine Verlängerung der provisorialen Maßnahmen allenfalls erfolgen, bzw bewilligt werden können.

Demnach wäre dem Revisionsrekurs nur teilweise im Sinn einer Abänderung des Ausspruches über die Dauer der Erlassung der einstweiligen Verfügung dahin, dass der Satzteil "bzw eines an das Scheidungsverfahren anschließenden Aufteilungsverfahrens" zu entfallen habe, Folge zu geben gewesen.

Dieser Rechtsmittelerfolg betrifft allerdings nur einen Nebenpunkt, der kostenmäßig nicht ins Gewicht fallen kann. Da Kostenersatz im Verfahren nach § 382b EO gemäß § 393 Abs 2 EO nach den vom Erfolgsprinzip getragenen Regelungen der ZPO zu bestimmen ist (Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, § 393 EO Rz 3), hat der Beklagte der Klägerin die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

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