OGH 10ObS320/02k

OGH10ObS320/02k21.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle und Dr. Gustav Liebhart (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Herbert P*****, vertreten durch Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1030 Wien, Ghegastraße 1, vertreten durch Dr. Christian Preschitz und Dr. Michael Stögerer, Rechtsanwälte in Wien, wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26. Juli 2002, GZ 12 Rs 118/02p-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. März 2002, GZ 4 Cgs 94/01m-8, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichtes wieder hergestellt wird.

Der Kläger hat auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 8. 10. 1944 geborene Kläger stellte am 7. 5. 2001 bei der beklagten Partei - gestützt auf § 255 Abs 21 BSVG - den Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit. Mit Schreiben vom 23. 5. 2001 teilte die beklagte Partei dem Kläger mit, mangels einer Rechtsgrundlage für die beantragte Pension keine Möglichkeit für eine bescheidmäßige Erledigung des Antrags zu sehen. Mit der daraufhin erhobenen Säumnisklage begehrte der Kläger die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 6. 2001. Der Kläger sei gemäß § 255 Abs 21 BSVG iVm § 122c BSVG zum Zeitpunkt der Antragstellung von der Abschaffung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nicht betroffen gewesen. § 255 Abs 21 BSVG sei in Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes rückwirkend (mit 30. 6. 2000) aufgehoben worden. Diese Bestimmung habe sich nicht nur - ihrem Wortlaut entsprechend - auf weibliche Versicherte bezogen, sondern sei wegen unmittelbarer Diskriminierung der Männer aufgrund des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts gleichermaßen auf männliche Sozialversicherte anzuwenden gewesen. Jeder Versuch, einem Versicherten rückwirkend Ansprüche zu entziehen, die dieser infolge der unmittelbaren Wirkung der in Österreich nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinien 79/7/EWG bereits erworben habe, sei unzulässig. Das europarechtliche Rückwirkungsverbot sei wesentlich strenger als der verfahrensrechtliche Vertrauensschutz, weil es dabei auf keinerlei Sachlichkeitsprüfung oder Interessensabwägung ankomme. Jeder rückwirkende Eingriff des nationalen Gesetzgebers in eine gemeinschaftsrechtlich geschützte Rechtsposition sei verboten. Die beklagte Partei beantragte die Zurückweisung der Säumnisklage. Der Versicherungsträger sei zur Erlassung eines Bescheids nicht verpflichtet gewesen. Durch die rückwirkende Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG entbehre ein darauf gestützter Antrag jeglicher rechtlichen Grundlage.

Das Erstgericht wies die als zulässig erachtete Säumnisklage ab. Die als Anspruchsgrundlage für die beantragte Leistung herangezogenen Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG sei rückwirkend mit Ablauf des 30. 6. 2000 durch die 24. BSVG-Novelle außer Kraft gesetzt worden. Der geltend gemachte Anspruch könne daher auch von weiblichen Versicherten nicht mehr durchgesetzt werden. Die vom Kläger geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken könnten gemäß Art 89 Abs 2 BSVG nur vom Obersten Gerichtshof oder von dem zur Entscheidung in zweiter Instanz berufenen Gericht aufgegriffen werden. Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Berufungsgericht der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge. Es hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Ferner sprach es aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes 10 ObS 411/01s hielt es zunächst fest, dass nach der mit der 23. Novelle zum BSVG (BGBl I 1999/176) geänderten Fassung des § 255 Abs 21 BSVG die Altersgrenze für weibliche Versicherte auf das vollendete 50. Lebensjahr bei Anwendung des § 122c BSVG herabgesetzt worden sei. Damit sei die unmittelbare Diskriminierung männlicher Versicherter nicht nur fortgeschrieben, sondern durch die nunmehrige Erfassung eines wesentlich größeren Kreises von Betroffenen sogar noch verstärkt worden. Auch in Bezug auf Stichtage ab dem 1. 1. 2000 hätten sich Männer daher weiterhin auf die für Frauen geltende (günstigere) Wartezeitregelung berufen können.

Darum gehe es dem Kläger im vorliegenden Fall aber nicht, weil er die erforderliche Wartezeit, auch nach der durch das Strukturanpassungsgesetz 1996 erfolgten Verschärfung, unstreitig erfülle. Nachdem mit § 274 Abs 2 BSVG idF des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000 (SVÄG 2000), BGBl I 2000/43, die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 122c BSVG mit Ablauf des 30. Juni 2000 aufgehoben worden sei, betrachte der Kläger § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl I 1999/176 nicht als Wartezeitregelung, sondern als Anspruchsgrundlage, um auf diese Weise die beantragte Leistung überhaupt erlangen zu können. Er strebe damit einen Leistungsbezug schon vor Vollendung des 57. Lebensjahres, nämlich ab 1. 6. 2001 an. Die Erwerbsunfähigkeitspension nach § 124 Abs 2 BSVG idF SVÄG 2000, für deren Zugang der Berufsschutz (als flankierende Maßnahme zur Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeitspension) wesentlich verbessert worden sei, könne der Kläger hingegen erst ab Vollendung des 57. Lebensjahres (ab 1. 11. 2001) in Anspruch nehmen.

Durch die 24. BSVG-Novelle (BGBl I 2001/101) sei nunmehr auch § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl I 1999/176, rückwirkend mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft gesetzt worden (§ 280 Abs 2 Z 1 BSVG). Diese Novelle sei am 7. 8. 2001, sohin erst nach der Antragstellung des Klägers im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden und seither Bestandteil der Rechtsordnung. Das Erstgericht habe daher zutreffend auf die geänderte Rechtslage Bedacht genommen und diese seiner Entscheidung zugrunde gelegt.

Dass die rückwirkende Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG in eine verfassungsrechtlich und/oder gemeinschaftsrechtlich gewährleistete Rechtsposition des Klägers eingreife, soweit der Anspruchsgrund der beantragten Leistung betroffen sei, könne jedoch nicht schlechthin bejaht werden.

Unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 255 Abs 21 BSVG bis zu dessen Außerkrafttreten sowie der in einem unmittelbaren Zusammenhang damit bestehenden Regelung der bäuerlichen Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung zeige sich nämlich folgendes:

Die mit der 16. BSVG-Novelle normierte Pflichtversicherung in der bäuerlichen Pensionsversicherung habe überwiegend Frauen betroffen. Die noch während der (bis 31. 12. 1993 verlängerten) Befreiungsmöglichkeit eingeführte vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit nach § 122c BSVG sei daher als für die Entscheidung zum Verbleib im Versicherungssystem gerade für ältere Bäuerinnen relevanter Gesichtspunkt im Betracht gekommen, der bei späteren Gesetzesänderungen, anders als bei sonstigen Versicherten, die nicht vor der Entscheidung der Einbeziehung in die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung gestanden seien, beachtenswert geblieben sei. § 255 Abs 21 BSVG habe demnach vor allem ältere Bäuerinnen schützen sollen. Dies komme gerade in der 23. Novelle zum BSVG (BGBl I 1999/176) zum Ausdruck: Die dabei beachtete Vertrauensposition sei anderer Art als die der übrigen in der Pensionsversicherung nach dem ASVG, BSVG und GSVG Pflichtversicherten, weil das Vertrauen in die damalige Rechtslage geeignet gewesen sei, die Entscheidung über den Verbleib in der Pflichtversicherung der Pensionsversicherung nach dem BSVG mitzubestimmen. Eine deshalb gewollte andere Behandlung dieser Pflichtversicherten sei dem Obersten Gerichtshof daher nicht ausgeschlossen erschienen, obgleich § 255 Abs 21 BSVG nicht bloß die älteren Bäuerinnen, sondern überdies auch alle anderen weiblichen Versicherten, die am 1. 9. 1996 das 50. Lebensjahr bereits vollendet hatten, erfasst habe. Der Oberste Gerichtshof habe deshalb in der am 30. 7. 2001 - noch vor der Kundmachung der 24. BSVG-Novelle - ergangenen Entscheidung 10 ObS 220/01b ein dem Gesetzgeber des SVÄG 2000 (mit der Beibehaltung des § 255 Abs 21 BSVG) unterlaufenes Redaktionsversehen nicht mit Sicherheit annehmen können, obgleich dem Höchstgericht ein derartiges Redaktionsversehen auch nicht unplausibel erschienen sei. Die gesamte Begründung dieser Entscheidung, die nunmehr vom Kläger auch in Bezug auf vergleichbare männliche Versicherte als Anspruchsgrundlage für die beantragte Leistung herangezogen werde, sei aber unzweifelhaft - ebenso wie auch alle Folgeentscheidungen - vom Vertrauensschutz zugunsten der dort jeweils betroffenen älteren Bäuerinnen getragen.

Auf dieser Judikatur habe sich der Kläger bei seiner Antragstellung am 7. 5. 2001 zwar noch nicht stützen können; sie biete aber (nachträglich) eine entscheidende Hilfe zur Auslegung der zum Zeitpunkt der Antragstellung noch zum Rechtsbestand gehörenden Bestimmung des § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl I 1999/176. Entscheidend sei, ob der Kläger aus dieser Bestimmung berechtigterweise eine Anspruchsgrundlage auch für männliche Versicherte ableiten und auf den Bestand der damit geschaffenen Rechtslage mit guten Gründen habe vertrauen können. Gerade der rückwirkende Eingriff in erworbene Rechtspositionen könne dann zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffs führen. Habe hingegen kein berechtigtes Vertrauen auf die vom Kläger nunmehr für sich reklamierte Rechtslage vor der rückwirkenden Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG bestanden, habe er als Normunterworfener bei seinen Rechtsdispositionen nicht enttäuscht werden können. Mangels Vollendung des 55. Lebensjahres am 1. 9. 1996 sei der Kläger zunächst nicht in den Anwendungsbereich der Übergangsbestimmungen zum Strukturanpassungsgesetz 1996 gefallen. Aus der ursprünglichen geschlechtsspezifischen Diskriminierung des § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl 1996/201 hätte er daher auch - zum Unterschied von dem im Verfahren 10 ObS 411/01s betroffenen Versicherten - keine Ansprüche ableiten können. Erst durch die Herabsetzung der Altersgrenze auf 50 Jahre mit der 23. Novelle zum BSVG (BGBl I 1999/176) sei der Kläger vom Übergangsrecht betroffen worden. Da diese Regelung aber offenkundig nur jene wenigen (400 bis 600 weiblichen) Versicherten besonders habe schützen wollen, die sich für die "neue Bäuerinnenpension" entschieden und auf eine Befreiungsmöglichkeit verzichtet hatten, habe ein männlicher Versicherter aus der geschlechtsspezifischen Herabsetzung der Altersgrenze vor dem Hintergrund der Richtlinie 79/7/EWG nur insoweit einen Pensionsanspruch ableiten können, als er ebenfalls zu jenem Personenkreis gehört habe, der durch die 16. BSVG-Novelle (BGBl 1991/678) mit 1. 1. 1992 in die Pflichtversicherung einbezogen wurde und auf eine Befreiungsmöglichkeit verzichtet hatte. Nur in diesem Sinn habe sich der Kläger bei seinen Dispositionen grundsätzlich an der neuen Rechtslage orientieren können. Auch wenn § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl I 1999/176 ungeachtet des damit beabsichtigten - den Gesetzesmaterialien unmissverständlich zu entnehmenden - Regelungszwecks nicht bloß die betroffene Frauengruppe, sondern in offenbarer Anlehnung an den Gesetzeswortlaut für die Erfüllung der Wartezeit auch die Gruppe jener weiblichen Versicherten erfasst habe, die schon vor der 16. BSVG-Novelle der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung unterlagen, habe der Kläger als männlicher Versicherer zum Zeitpunkt der Antragsstellung nicht zu Recht darauf vertrauen können, dass die neue Bestimmung - entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut - ausnahmslos auch allen Männern und damit insbesondere jener weitaus überwiegenden Versicherungsgruppe, die schon vor der 16. BSVG-Novelle der Pflichtversicherung unterlegen sei, als Anspruchsgrundlage für eine Leistung dienen solle, die schon seit 1. 7. 2000 grundsätzlich abgeschafft worden war. Vernünftige Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber angesichts der mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 erfolgten Anhebung des Pensionsantrittsalters für Männer auf 57 Jahre schon mit der 23. BSVG-Novelle wieder einen Schritt in die umgekehrte Richtung habe setzen und allen Männern, aber nur im Anwendungsbereich des BSVG, unabhängig von ihrem Versicherungsverlauf den Zugang zur vorzeitigen Alterspension auf einmal habe wesentlich erleichtern und wieder mit Vollendung des 55. Lebensjahres ermöglichen wollen, seien weder für die Zeit vor dem Urteil des EuGH vom 23. 5. 2000 in der Rechtssache Buchner und noch weniger für den anschließenden Zeitraum bis zur Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG zu gewinnen. Jede Auslegung, die den evidenten Sachzusammenhang dieser Bestimmung mit der Neuregelung der Ehegattenpflichtversicherung der Pensionsversicherung (§ 2a BSVG, BGBl 1991/678) und den vom Gesetzgeber seither konsequent verfolgten Vertrauensschutz der von dieser neuen Regelung betroffenen Personengruppe außer Betracht lasse, müsse schon im Ansatz versagen. Für die nicht dieser Personengruppe angehörigen Versicherten habe sich die Rechtslage in Bezug auf den Anspruchsgrund durch § 255 Abs 21 BSVG zu keinem Zeitpunkt geändert. Es wäre völlig unbillig und mit den Grundwerten, insbesondere auch mit dem Gleichheitssatz, nicht zu vereinbaren, aus einer sachlich gerechtfertigten Schutzbestimmung für die kleine Versichertengruppe der von der Einbeziehung gemäß § 2a BSVG idF BGBl 1991/678 betroffenen Personen eine generelle Rechtsposition der gesamten Versichertengemeinschaft abzuleiten, also auch der großen Gruppe der Versicherten, die von der Einbeziehung in die Pflichtversicherung ab 1. 1. 1992 überhaupt nicht betroffen gewesen seien.

Dieses Verständnis der Gesetzgebung bekräftige, dass es sich bei § 255 Abs 21 BSVG um eine Sonderbestimmung handle, die nur die Erfüllung der Wartezeit (§ 111 BSVG) betreffe, was dem Obersten Gerichtshof (10 ObS 120/01b) durchaus plausibel erschienen sei, wenn auch in der Beibehaltung des § 255 Abs 21 BSVG (trotz Abschaffung der Leistung) ein Redaktionsversehen nicht mit der erforderlichen Sicherheit habe angenommen werden können. Mittlerweile habe auch der Gesetzgeber mit der an die Stelle des § 255 Abs 21 BSVG getretenen Neuregelung des § 280 Abs 3 BSVG unmissverständlich klargestellt, dass es sich dabei um eine spezielle Wartezeit für die durch § 2a BSVG neu in die Pflichtversicherung einbezogenen Personen handle, und zwar unabhängig von ihrem Geschlecht. Nur als Angehöriger dieser Personengruppe habe der Kläger die Vorgängerbestimmung aber im Sinne der oberstgerichtlichen Judikatur auch als spezielle im Rechtsbestand verbliebene Anspruchsgrundlage für die schon mit 1. 7. 2000 grundsätzlich abgeschaffte Leistung auffassen können. Nur in diesem Sinn habe der Kläger einen Vertrauensschutz erwerben können und auf dieser Grundlage durch die unmittelbare Wirkung der Richtlinie 79/7/EWG einen Anspruch auf die vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit mit 55 Jahren (und verkürzter Wartezeit) erlangen können. Diesfalls wäre § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl I 1999/176 nämlich das einzig gültige Bezugssystem für die Gleichbehandlung, sodass es insoweit auch nicht der Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens bedürfe.

Genieße der Kläger aber mangels Zugehörigkeit zu dem durch § 2a BSVG idF BGBl 1991/678 in die Pflichtversicherung einbezogenen Personenkreis keinen Vertrauensschutz, habe durch die rückwirkend erfolgte Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG in keine verfassungsrechtlich gewährleistete Position eingegriffen werden können. Damit erübrige sich im Falle des Klägers aber auch eine Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof zur Anfechtung des § 280 Abs 2 Z 1 BSVG, der die rückwirkende Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG anordne. Vielmehr erscheine die vom Gesetzgeber hier vorgenommen Rückwirkung in einem solchen Fall geboten, um die sonst bestehende Gleichheitswidrigkeit im Bezug auf die nicht durch § 2a BSVG idF BGBl 1991/678 einbezogenen Versicherten zu beseitigen. Habe der Kläger aber § 255 Abs 21 BSVG idF BGBl I 1999/176 bei sachgerechter Auslegung von vornherein nicht als Anspruchsgrundlage für eine vorzeitige Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit auffassen können, vermöge er daraus auch im Lichte der Richtlinie 79/7/EWG nichts für sich zu gewinnen.

Das Klagebegehren sei abgewiesen worden, ohne dass die Zugehörigkeit des Klägers zum Kreis der von § 2a BSVG erfassten Personen geprüft und entsprechende Feststellungen getroffen worden seien. Der Versicherungsverlauf des Klägers und die damit im Zusammenhang stehenden Rechtsfragen seien im Verfahren insbesondere auch nicht mit den Parteien erörtert worden. Schon aus diesem Grund müsse das Urteil des Erstgerichts aufgehoben und das Verfahren im aufgezeigten Sinn ergänzt werden, um dem klageweise geltend gemachten Anspruch abschließend beurteilen zu können.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur hier vorliegenden Problematik fehle.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, in eventu möge der Oberste Gerichtshof der Entscheidungsbegründung des Berufungsgerichts entgegentreten.

Die beklagte Partei beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und im Ergebnis berechtigt. Der Rekurswerber hält daran fest, er habe auf die Rechtslage am Pensionsstichtag, die auch für den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz maßgebend sei, vertrauen dürfen. Ein offensichtlicher Redaktionsfehler des Gesetzgebers könne nicht als Rechtfertigung für eine willkürliche rückwirkend belastende Regelung herangezogen werden; bei rascher Entscheidung der beklagten Partei über den Pensionsantrag hätten die Gesetzesmaterialien zur 24. BSVG-Novelle nämlich noch nicht berücksichtigt werden können. Darauf ist jedoch nicht weiter einzugehen, weil § 255 Abs 21 BSVG schon aus folgenden Gründen nicht als Anspruchsgrundlage für die vom Kläger begehrte Pensionsleistung in Frage kommt:

Mit dem Gesetzesprüfungsanträge des Obersten Gerichtshofes und einiger Oberlandesgerichte erledigenden Erkenntnis vom 10. Oktober 2002, G 42/02 ua, das am 17. 12. 2002 im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde (BGBl I 2002/166), sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass die Wortfolge "rückwirkend mit Ablauf des 30. Juni 2000" in § 280 Abs 2 Z 1 BSVG idF der 24. BSVG-Novelle, BGBl I 2001/101, als verfassungswidrig aufgehoben wird, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, dass sich die Anlassfallwirkung auf näher bezeichnete, beim Obersten Gerichtshof und einigen Oberlandesgerichten anhängige Verfahren (zu denen das vorliegende nicht gehört) erstrecke und dass der Bundeskanzler zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im BGBl I verpflichtet sei. Der Verfassungsgerichtshof erkannte in seiner Begründung die gegen die Rückwirkung der Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken für berechtigt und stellte in diesem Erkenntnis unter anderem auch klar, dass für die Verfassungsgemäßheit der Rückwirkung dieser Aufhebung auch nicht etwa der Gesichtspunkt der Bereinigung eines bloßen Redaktionsversehens spreche, wobei er dazu Folgendes ausführte:

"Vom Vorliegen eines solchen Redaktionsversehens bei Erlassung des SVÄG 2000 kann nach dem erklärten Zweck der Norm (nämlich der bewussten Aufrechterhaltung einer günstigeren früheren Rechtslage für einen bestimmten Personenkreis aus Vertrauensschutzgründen) auch unter Berücksichtigung der Absicht des Gesetzgebers des SVÄG 2000 nicht ausgegangen werden, ...".

Dass die Aufhebung eines Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof nach Art 140 Abs 5 dritter Satz B-VG "am Tage der Kundmachung in Kraft" tritt, bedeutet, dass das aufgehobene Gesetz auf Sachverhalte, die sich bis zum Tag der Kundmachung ereignet haben, weiterhin anzuwenden ist; ausgenommen ist jedenfalls der Anlassfall (Art 140 Abs 7 B-VG; Mayer, B-VG2 Art 140 V.1.). Die vorliegende Rechtssache ist kein "Anlassfall", weil sie nicht tatsächlich "Anlass" für die Einleitung des Normprüfverfahrens war (VfSlg 8.234 ua) und auch nicht beim Verfassungsgerichtshof anhängig war (VfSlg 10.616; 14.304 ua). Daraus folgt, dass § 280 Abs 2 Z 1 BSVG in der für den vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung (der 24. BSVG-Novelle [BGBl I 2001/101], also einschließlich der Wortfolge "rückwirkend mit Ablauf des 30. Juni 2000") in diesem, dem ein Sachverhalt zugrunde liegt, der sich vor der Aufhebung der rückwirkenden Außerkraftsetzung des § 255 Abs 21 BSVG ereignete, weiterhin anzuwenden ist (vgl 10 ObS 206/03x; 10 ObS 209/03p mwN).

Soweit ein vom Verfassungsgerichtshof aufgehobenes Gesetz weiterhin anzuwenden ist, ist eine neuerliche Überprüfung dieses Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof aber ausgeschlossen, weil dieser annimmt, dass Rechtsvorschriften, die von ihm - allenfalls auch unter Fristsetzung - aufgehoben wurden, für die Vergangenheit unangreifbar geworden sind; ein Feststellungsantrag gemäß Art 140 Abs 4 B-VG ist diesfalls unzulässig ("Immunisierung": Mayer, B-VG2 Art 140 I.3.; VfSlg 8.277; 12.564; VfGH 13. 6. 1997, V 41/95). Der Oberste Gerichtshof kann daher die Frage der Verfassungsgemäßkeit der genannten Bestimmung schon aus diesem Grund nicht mehr an den Verfassungsgerichtshof herantragen.

Da die Rückwirkung der Aufhebung des § 255 Abs 21 BSVG (§ 280 Abs 2 Z 1 BSVG) im Fall des Klägers somit beachtlich ist, sodass der geltend gemachte Anspruch - wie bereits das Erstgericht dargelegt hat - auch von einer weiblichen Versicherten nicht mehr durchgesetzt werden könnte, kann zufolge Spruchreife gleich in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des klageabweisenden Ersturteils erkannt werden (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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