OGH 9Ob32/03a

OGH9Ob32/03a8.10.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 1. August 2002 verstorbenen Dipl. Ing. Alois W*****, geb. am 21. September 1910, zuletzt wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs der Tochter des Erblassers Heidemarie L*****, Pensionistin, *****, vertreten durch Prof. Dr. Kurt Dellisch ua, Rechtsanwälte in Klagenfurt, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 6. Februar 2003, GZ 1 R 15/03f, 1 R 17/03z-13, mit dem der Rekurs der Heidemarie L***** gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 17. Oktober 2002, GZ 4 A 332/02p-7, zurückgewiesen und über Rekurs der Heidemarie L***** der Beschluss des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 10. Dezember 2002, GZ 4 A 332/02p-9, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird aufgetragen, die Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten.

Text

Begründung

Gesetzliche Erben des Erblassers sind seine Ehegattin und seine drei großjährigen Kinder. In einem von ihm selbst ge- und unterschriebenen Testament setzte er seine Ehegattin zur Alleinerbin ein. In der Todfallsaufnahme ist als einziges Aktivum ein Guthaben auf dem Pensionskonto des Erblassers von EUR 2.696,15 ausgewiesen. Ferner ist eine Pflegekostenforderung der Witwe in Höhe von EUR 35.000,-

angeführt. Die vorhandenen Fahrnisse seien wertlos. Aus einer Mitteilung des Magistrats der Landeshauptstadt Klagenfurt ergibt sich, dass ein Pensionsguthaben von EUR 927,37 in die Verlassenschaft fällt.

Ohne weitere Erhebungen durchzuführen, sprach das Erstgericht auf Grund dieser Aktenlage mit Beschluss vom 17. 10. 2002 aus, dass "mangels eines Nachlassvermögens über EUR 3.000,-" eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfindet. Gleichzeitig ordnete es die Verständigung des das Pensionskonto des Erblassers führenden Kreditinstituts sowie des Magistrats der Landeshauptstadt Klagenfurt an, dass die Witwe über die Guthaben des Erblassers "allein verfügungsberechtigt ist, da diese die Todfallskosten bezahlt hat". Gegen diesen Beschluss erhob eine der Töchter des Erblassers (die nunmehrige Revisionsrekurswerberin) Vorstellung an das Erstgericht mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das ordentliche Verlassenschaftsverfahren durchzuführen. Sollte der angefochtene Beschluss in Wahrheit keine formell anfechtbare Entscheidung sein, werde die gesetzmäßige Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens beantragt. Schon nach den (unüberprüften) Angaben in der Todfallsaufnahme ergebe sich, dass die Aktiven des Erblassers die Wertgrenze von EUR 3.000,- übersteigen. Vor allem aber sei unbeachtet geblieben, dass der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes Eigentümer eines Liegenschaftsanteils gewesen sei. Mit Beschluss vom 10. 12. 2002 wies das Erstgericht die Vorstellung ab. Zwar sei es richtig, dass der Erblasser als Eigentümer von 8/41710tel Anteilen einer Liegenschaft einverleibt sei und dass daher zwingend eine Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten gewesen wäre. Durch den angefochtenen Beschluss hätten jedoch Dritte (nämlich die Witwe des Erblassers) Rechte erlangt, sodass er nicht von der ersten Instanz abgeändert werden könne. Die Antragstellerin sei auf die Möglichkeit der Rekurserhebung zu verweisen.

Gegen diesen Beschluss und auch gegen den Beschluss vom 17. 10. 2002 erhob die nunmehrige Revisionsrekurswerberin Rekurs mit dem Antrag, die angefochtenen Beschlüsse iS der Anordnung der gesetzmäßigen Durchführung des Verlassenschaftsverfahrens unter ihrer Beiziehung als Noterbin abzuändern. Sie wiederholte ihr schon in erster Instanz erstattetes Vorbringen und machte überdies geltend, dass nicht bei Abänderung, sondern bei Aufrechterhaltung der erstgerichtlichen Beschlüsse in die Rechte der Erbin (also der Witwe) eingegriffen werde, da diese nur im Wege eines Verlassenschaftsverfahrens Eigentümerin der in den Nachlass fallenden Fahrnisse werden könne. Ein solches Verfahren hätte schon wegen des Liegenschaftsvermögens des Erblassers sogar von Amts wegen eingeleitet werden müssen. Im Übrigen hätte über die Vorstellung gar nicht mit Beschluss entschieden werden dürfen, weil die Verständigung, dass mangels eines Nachlassvermögens eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfinde, nicht in Beschlussform zu erfolgen habe und nichts daran ändere, dass über Antrag eines dazu Berechtigten die Abhandlung einzuleiten sei. Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss hat das Rekursgericht den Rekurs gegen den Beschluss vom 17. 10. 2002 zurückgewiesen und dem Rekurs gegen den Beschluss vom 10. 12. 2002 nicht Folge gegeben. Ferner sprach es aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000,- nicht übersteige und dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Personen, die noch keine Erbserklärung abgegeben haben, seien von jeder Einflussnahme auf den Gang der Verlassenschaftsabhandlung ausgeschlossen. Einem berufenen Erben sei zwar in besonders gelagerten Fällen, etwa beim Streit, ob eine Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten sei, auch schon vor Abgabe der Erbserklärung Parteistellung und Rekurslegitimation zuzuerkennen, wenn er bereits aktiv, eindeutig und rechtzeitig sein Interesse am Erbantritt bekundet habe und das Fehlen einer förmlichen Erbserklärung auf Fehler im Verfahren beruhe. Die Rekurswerberin habe aber keine Erbserklärung abgegeben und auch kein Interesse am Erbantritt bekundet. Vielmehr bezeichne sie sich als Noterbin. Es fehle ihr daher die Antrags- und die Rekurslegitimation, sodass ihr Rekurs gegen den Beschluss vom 17. Oktober 2002 zurückzuweisen sei. Aus eben diesem Grund sei ihrem Rekurs gegen den Beschluss vom 10. 12. 2002 nicht Folge zu geben.

Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil zur Frage, ob einem Noterben Parteistellung und Rekurslegitimation zukomme, wenn zweifelhaft sei, ob eine Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten sei, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Der Rekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig. Er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, dass nach ständiger Rechtsprechung mit dem Rekurs gemäß § 9 Abs 4 AußStrG nicht nur die Entscheidung über die Vorstellung sondern auch der dieser zugrunde gelegene, mit der Vorstellung angefochtene Beschluss bekämpft werde kann, und zwar binnen 14 Tagen vom Zeitpunkt der Zustellung des Beschlusses über die Vorstellung (SZ 26/9; JBl 1953, 663; EvBl 1957/422; zuletzt 7 Ob 535/93). Der von der nunmehrigen Revisionsrekurswerberin erhobene Rekurs war daher auch insoweit rechtzeitig, als er gegen den erstgerichtlichen Beschluss vom 17. 10. 2002 gerichtet ist.

In der Sache selbst ist auszuführen:

Gemäß § 72 Abs 2 AußStrG hat das Gericht - wenn der Nachlass nach den allenfalls durch das Gericht ergänzten Feststellungen der Todfallsaufnahme ohne Abzug der Schulden den Betrag von EUR 3.000,-

nicht übersteigt und Liegenschaften dazu nicht gehören - die letzwilligen Anordnungen kundzumachen, jedoch eine Verlassenschaftsabhandlung nicht einzuleiten. Hievon hat das Gericht die zur Erbschaft Berufenen und die Noterben mit dem Beisatz zu verständigen, dass es ihnen freisteht, die Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung zu begehren. Inwiefern die Kosten einer auf einen solchen Antrag eingeleiteten Verlassenschaftsabhandlung von allen oder nur von einzelnen Beteiligten zu tragen oder zu ersetzen sind, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen. Das Gericht kann die nach dem Inhalt der Todfallsaufnahme oder einer in gehöriger Form errichteten letztwilligen Anordnung zur Erbschaft Berufenen ermächtigen, die in den Nachlass gehörigen Rechte, insbesondere Forderungen, Pfandrechte, Ansprüche aus Einlagebüchern, Versicherungspolizzen u.dgl. geltend zu machen.

Nach dieser Bestimmung ist daher bei Vorliegen der darin genannten Voraussetzungen von der sonst normierten amtswegigen Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung abzusehen. Allerdings stellt das Gesetz den zur Erbschaft Berufenen und den Noterben frei, das zur Einantwortung führende Verfahren fortzusetzen. Ist die Verlassenschaftsabhandlung unterblieben, ist gemäß § 179 Abs 2 dennoch die Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten, wenn sich nachträglich herausstellt, dass unter Berücksichtigung eines später zum Vorschein gekommenen Nachlasses die im § 72 AußStrG für das Unterbleiben der Abhandlung bestimmten Voraussetzungen nicht zutreffen (Bajons, Der Erbschaftserwerb bei geringfügigen Nachlässen, JBl 1970, 169ff [172]).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund stellt die Revisionsrekurswerberin in Frage, ob es sich bei der Verständigung, dass von Amts wegen kein Verlassenschaftsverfahren eingeleitet wird, überhaupt um einen Beschluss handelt. Dies wurde allerdings in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs EvBl 1963/435 bejaht, nach der eine derartige Anordnung mit einem Rechtsmittel angefochten werden kann. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Frage ist hier nicht erforderlich, weil der vom Erstgericht gefasste Beschluss vom 17. 10. 2002 - der keinerlei Begründung enthält und auch die ihm zugrunde gelegte Rechtsgrundlage nicht erkennen lässt - jedenfalls anfechtbar ist. Die darin ausgesprochene Anordnung, dass eine Verlassenschaftsabhandlung nicht stattfindet, geht nämlich über die Verständigung nach § 72 Abs 2 AußStrG, dass die Abhandlung nicht von Amts wegen sondern nur über Antrag eingeleitet wird, hinaus und bringt nach seinem Wortlaut die Absicht des Gerichtes zum Ausdruck, die Durchführung der Abhandlung endgültig abzulehnen. Eine wie immer geartete Bedachtnahme auf ein Antragsrecht der berufenen Erben und der Noterben ist der vom Erstgericht gewählten Formulierung nicht zu entnehmen. Gerade vor diesem Hintergrund ist auch die angeordnete Verständigung des Kreditinstituts und des Magistrats von der Berechtigung der Witwe, über die Guthaben des Erblassers zu verfügen, zumindest nicht zweifelsfrei in das System des § 72 Abs 2 AußStrG einzuordnen. Im Zusammenhalt mit der bedingungslosen Ablehnung der Durchführung einer Verlassenschaftsabhandlung könnte darin allenfalls auch eine Überlassung des Nachlasses an Zahlungsstatt zur Berichtigung der von der Witwe getragenen (im Beschluss ausdrücklich angesprochenen) Begräbniskosten erblickt werden. Insgesamt erweckt der erstgerichtliche Beschluss daher den Eindruck einer unbedingten (das in § 72 Abs 2 AußStrG normierte Antragsrecht auch des Noterben nicht berücksichtigenden) Ablehnung der Einleitung eines Verlassenschaftsverfahrens verbunden mit einer Verfügung über die vorhandenen Aktiven. Es handelt sich damit um eine normativ wirkende Anordnung, die als anfechtbare Entscheidung zu werten ist. Die Parteistellung (und auch die Rechtsmittellegitimation) der Revisionsrekurswerberin muss unter den hier gegebenen Umständen - ungeachtet der von der zweiten Instanz zitierten Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0006398; zuletzt 3 Ob 229/02a; siehe auch RIS-Justiz RS0006544; zuletzt 6 Ob 10/02t) - jedenfalls bejaht werden. Das Gesetz erlaubt dem Gericht lediglich, von der amtswegigen Einleitung einer Verlassenschaftsabhandlung abzusehen und die Fortsetzung des Verfahrens von einem Antrag der berufenen Erben oder der Noterben abhängig zu machen. Es räumt daher (auch) dem Noterben das Recht ein, trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 72 Abs 2 AußStrG die Durchführung der Verlassenschaftsabhandlung zu bewirken. Damit kann aber seine Legitimation, einen Beschluss anzufechten, der dieses Recht nicht beachtet und die Einleitung der Verlassenschaftsabhandlung definitiv ablehnt, nicht zweifelhaft sein. Die mit der angefochtenen Rekursentscheidung vorgenommene Zurückweisung des Rekurses gegen den Beschluss vom 17. 10. 2002, aber auch die Bestätigung des Beschlusses vom 10. 12. 2002 erweisen sich daher als verfehlt.

Zwar ist es dem Obersten Gerichtshof grundsätzlich verwehrt, die Zurückweisung eines Rechtsmittels durch die zweite Instanz in eine Sachentscheidung abzuändern. Hier umfasst aber - wie oben bereits ausgeführt - die Anfechtung des Beschlusses vom 10. 12. 2002 auch die Bekämpfung des Beschlusses vom 17. 10. 2002. Da das Rekursgericht insofern eine Sachentscheidung gefällt hat, ist der Oberste Gerichtshof berechtigt, ohne Zurückverweisung der Sache an die zweite Instanz zur Entscheidung über das zurückgewiesene Rechtsmittel sofort die Beschlüsse der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des Verlassenschaftsverfahrens aufzutragen, zu dessen Durchführung das Erstgericht im Hinblick auf den Antrag der Noterbin und vor allem auch wegen des in den Nachlass fallenden Liegenschaftsanteils verpflichtet ist.

Stichworte