OGH 2Ob78/03i

OGH2Ob78/03i8.5.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Robert S*****, vertreten durch Dr. Hermann Rieger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei D***** AG, ***** vertreten durch Schuppich, Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 3.633,64 samt Anhang und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2002, GZ 35 R 604/02m-20, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 14. August 2002, GZ 34 C 410/01z-16, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 333,12 (darin EUR 55,52 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Kläger wurde 1990 bei einem Verkehrsunfall, an dem auch ein bei der Beklagten haftpflichtversicherter PKW beteiligt war, verletzt. In einem seit 1995 rechtskräftig beendeten Vorprozess wurde ihm ausgehend von einer Verschuldensteilung von 2 : 1 zu seinen Lasten ein Betrag von S 75.131,90 zugesprochen; sein Feststellungsbegehren wurde abgewiesen, weil künftige Schäden nicht zu erwarten seien.

Nunmehr begehrt der Kläger in seiner am 13. 4. 2001 eingebrachten Klage ein (weiteres) Schmerzengeld von S 50.000 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten zu einem Drittel für alle künftigen Unfallsfolgen (beschränkt auf die Versicherungssumme).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren (nachdem das Vorliegen des Prozesshindernisses der Rechtskraft rechtskräftig verneint worden war) wegen Verjährung ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge, sprach ihm EUR 2.636,66 samt Anhang zu, wies das Mehrbegehren von EUR 996,98 samt Anhang ab und gab dem Feststellungsbegehren statt. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 4.000, nicht aber EUR 20.000 übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil eine Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage des Verjährungsbeginnes bei Folgeschäden im Falle der rechtskräftigen Abweisung des Feststellungsbegehrens im Vorprozess auf Grund der unzutreffenden Annahme der Unmöglichkeit des Eintrittes dieser Folgeschäden nicht vorliege.

Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die ordentliche Revision des Beklagten; das Rechtsmittel ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberin wendet sich im Wesentlichen gegen das Verständnis des Berufungsgerichts von der Vorhersehbarkeit der Folgeschäden. Dieses Kriterium ist im vorliegenden Fall von entscheidender Bedeutung: Waren die Folgeschäden vorhersehbar, so bildeten Primärschaden und Folgeschaden verjährungsrechtlich eine Einheit (RIS-Justiz RS0087613, RS0034618; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 15/13; M. Bydlinski in Rummel II/33 § 1489 ABGB Rz 3 S 621 mwN: "Gemäßigte Einheitstheorie"); die Klagsforderung wäre verjährt. Für nicht vorhersehbare neue Wirkungen eines Schadensfalles beginnt hingegen vom Zeitpunkt der Kenntnisnahme an (bzw sobald nach einem Primärschaden künftige Schäden wahrscheinlich werden) die Verjährungsfrist neu zu laufen (RIS-Justiz RS0034527; M. Bydlinski aaO S 622 mwN).

Zutreffend weist die Rechtsmittelwerberin darauf hin, dass es auf die "objektive" Vorhersehbarkeit ankommt; ein subjektiver Irrtum des Geschädigten ist nicht zu berücksichtigen (1 Ob 246/01k; 1 Ob 82/00s; 2 Ob 93/95 = JBl 1996, 321; 2 Ob 1002/91). Das heißt allerdings nicht, dass auf die Vorhersehbarkeit für Sachverständige bei einer ex-post-Betrachtung im Sinne einer "absoluten Wahrheit" abzustellen wäre. Maßgebend ist vielmehr, ob dem Geschädigten objektiv alle für das Entstehen des Anspruches maßgebenden Tatbestände bekannt gewesen sind (4 Ob 46/83 = JBl 1984, 270). Dies war im Vorprozess auf Grund des damals eingeholten und von beiden befassten Instanzen übernommenen Sachverständigengutachtens, demzufolge künftige Schäden nicht zu erwarten waren, zweifellos nicht der Fall, weshalb das Berufungsgericht von einem - für den Geschädigten - nicht vorhersehbaren Folgeschaden ausgehen durfte; auf die Vorhersehbarkeit für den Sachverständigen des Vorprozesses kommt es nicht an. Im Hinblick auf eine neue Klagsführung ausreichende Kenntnis von der Unfallskausalität seiner neuen Beschwerden und der im Jahr 2000 vorgenommenen Operation sowie von der Möglichkeit von Spätfolgen erlangte der Kläger als Laie erst aus einem 2001 kurz vor Klagseinbringung eingeholten Privatgutachten, weshalb das Berufungsgericht den eingewendeten Verjährungseintritt verneinte (vgl RIS-Justiz RS0034603, RS0034366; 1 Ob 648/86 = WBl 1987, 66; M. Bydlinski aaO S 618 f).

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts ist durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs gedeckt (zur ergänzenden Schmerzengeldbemessung bei nicht vorhersehbaren Schmerzen vgl noch RIS-Justiz RS0031235 sowie die Nachweise bei Reischauer in Rummel II2 § 1325 ABGB Rz 49 und bei Danzl in Danzl/Gutierrez-Lobos/Müller, Das Schmerzengeld7 166 f). Die Vorhersehbarkeit künftiger Schäden und das Ausmaß der Erkundigungspflicht des Geschädigten sind im Übrigen Fragen, die nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu lösen sind (RIS-Justiz RS00111272, RS0113916).

Da es also der Lösung erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht bedurfte, war die Revision - ungeachtet des den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts - als unzulässig zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Stichworte