OGH 1Ob95/03g

OGH1Ob95/03g29.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Dkfm. Gunno A*****, wider die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen Amtshaftung infolge Revisionsrekurses des Antragstellers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekursgericht vom 10. März 2003, AZ 5 R 7/03v, womit aus Anlass des Rekurses des Antragstellers der Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 16. Dezember 2002, GZ 21 Nc 1/02a-11, als nichtig aufgehoben und das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz gemäß § 9 Abs 4 AHG als zuständig bestimmt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Antragstellers wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Mit seinem am 28. 12. 2001 beim Erstgericht eingelangten Antrag begehrte der Einschreiter die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Amtshaftungsklage. Von seiner Mutter, die ihm ihre Ansprüche abgetreten habe, seien am 27. 3. 1998 beim Erstgericht mit dem Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe eine Klage und am 3. 7. 1998 sowie am 22. 8. 1998 je ein "Bearbeitungsantrag" eingebracht worden. Bis heute sei noch keine Verständigung über "eine Zuteilung einer Geschäftszahl" eingelangt; die Klage werde einfach ignoriert. Durch die Säumigkeit des Gerichts und die Unterdrückung dieser Klage sei großer Schaden erwachsen, der gegen die Republik Österreich geltend gemacht werde. "Da der vorliegende Rechtsnotstand mit den daraus folgenden Vermögensschäden vermutlich infolge persönlicher und privat-eigennütziger Intervention von Seiten der Präsidentschaft des LG Klagenfurt zustande gekommen ist und somit schwerer Amtsmissbrauch vorliegen könnte, der auch eine persönliche In-Haftung-Nahme von Richtern des LG Klagenfurt sowie des OLG Graz ermöglichen würde", werde beantragt, " den Gerichtssprengel des OLG Graz für befangen zu erklären und die hiermit beantragte Sache an einen anderen Gerichtssprengel bzw. Gerichtshof zu überweisen". Es werde darauf hingewiesen, "dass es auch andere Fälle gibt, bei denen das LG Klagenfurt und das OLG Graz wegen amtsmissbräuchlicher Einflussnahme von Seiten der Präsidentschaft und Verabredung unter Richtern zum Schaden einer Streitpartei für befangen und damit als unzuständig erkannt worden ist".

Der erkennende Senat wies mit Beschluss vom 30. 4. 2002, 1 N 2/02, den Ablehnungsantrag zurück, weil der Antragsteller keine konkreten Ablehnungsgründe gegen bestimmte Richter vorgebracht habe.

Das Erstgericht wies daraufhin mit Beschluss vom 16. 12. 2002 (ON 11) den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ab, weil die Angaben des Antragstellers "insgesamt als unvollständig und unbestimmt angesehen werden müssen und schon auf Grund dieser Umstände einer positiven Erledigung des Antrages nicht entsprochen werden konnte".

Aus Anlass des dagegen erhobenen Rekurses des Antragstellers hob das Gericht zweiter Instanz den angefochtenen Beschluss und das diesem beim Landesgericht Klagenfurt in der Hauptsache - also nicht, soweit über den Ablehnungsantrag entschieden wurde, - vorangegangene Verfahren als nichtig auf. Zur Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sowie für die allfällige Verhandlung und Entscheidung über eine Amtshaftungsanklage bestimmte es gemäß § 9 Abs 4 AHG das Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz als zuständig. Werde der Ersatzanspruch aus einer Entscheidung eines Richters des gemäß § 9 Abs 1 AHG zuständigen Gerichts abgeleitet, sei gemäß Absatz 4 der Gesetzesstelle ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen. Richter eines Gerichtshofs sollten nicht über Amtshaftungsansprüche erkennen, die ein Verhalten irgendeines Mitglieds desselben Gerichtshofs zum Gegenstand haben. Das dennoch durchgeführte Verfahren sei in sinngemäßer Anwendung des § 477 Abs 1 Z 1 ZPO nichtig.

Dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Antragstellers, mit dem er die Delegierung eines Gerichts außerhalb des Sprengels des Rekursgerichts anstrebt, kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, dass das Oberlandesgericht nicht in einem Verfahren nach Aktenvorlage gemäß § 9 Abs 4 AHG ausschließlich erstinstanzlich entschieden hat, sondern als Rechtsmittelgericht - zulässigerweise (vgl zuletzt: 1 Ob 233/02z) - auch seine funktionelle Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß der genannten Gesetzesstelle wahrgenommen hat. Dass es dennoch, wie bei nicht aus Anlass eines Rechtsmittelverfahrens vorgenommener Delegierung, seine Entscheidung selbst zustellte, vermag wegen der Doppelnatur des angefochtenen Beschlusses dem Rechtsmittelwerber nicht zu schaden, sodass sein beim Rekursgericht eingebrachter Revisionsrekurs ebenso als fristwahrend anzusehen ist, wie wenn das Gericht nur über die Delegierung entschieden hätte (RIS-Justiz RS0046243).

Der Rechtsmittelausschluss des § 528 Abs 1 Z 4 ZPO ("über die Verfahrenshilfe") kommt in dem hier zu beurteilenden Fall schon deshalb nicht zum Tragen, weil Gegenstand der angefochtenen Entscheidung nicht die Bewilligung oder Versagung der Verfahrenshilfe ist, sondern die Frage der Zuständigkeit zur Verhandlung und Entscheidung über die Verfahrenshilfe und (bei Bewilligung) auch im weiteren Amtshaftungsverfahren; die angefochtene Entscheidung erfolgte somit nur aus Anlass eines Verfahrenshilfeantrags (1 Ob 2194/96w; 1 Ob 325/98w mwN). Der anwaltlichen Fertigung bedurfte das Rechtsmittel zufolge § 72 Abs 3 erster Satz ZPO nicht. Um "zumindest praktische, wenn nicht gar logische Friktionen auszuschließen", ist in Verfahrenshilfefragen keinerlei Anwaltspflicht vorgesehen (Fucik in Rechberger², § 72 ZPO Rz 3). Auch die nach § 9 Abs 4 AHG zu lösende Frage, welches Gericht zur Bewilligung oder Versagung der Verfahrenshilfe und zu einem allfälligen weiteren Verfahren zu delegieren ist, zählt zu den von der Anwaltspflicht befreiten "Verfahrenshilfefragen". Ein Wertungswiderspruch zur Nichtanwendung des § 528 Abs 1 Z 4 ZPO besteht zufolge des unterschiedlichen Regelungscharakters nicht (1 Ob 325/98w).

Die Regelung des § 9 Abs 4 AHG ist ein Fall notwendiger und der Parteiendisposition entzogener Delegierung (JBl 1999, 613; RZ 1990/108 u.a.). Der rechtspolitische Grund des § 9 Abs 4 AHG liegt darin, dass alle betroffenen Gerichte, aus deren Verhalten ein Amtshaftungsanspruch abgeleitet wird, von der Entscheidung über den Anspruch ausgeschlossen sein sollen. Eine der Voraussetzungen der amtswegigen Delegierung ist somit, dass der Amtshaftungsanspruch aus einer Entscheidung (Verfügung, Beschluss) abgeleitet wird. Ohne Vorliegen einer solchen Entscheidung darf, soweit - wie hier - § 9 Abs 4 AHG auch nicht sinngemäß anzuwenden ist, kein Richter und kein Gericht von der Entscheidung über Amtshaftungsansprüche ausgeschlossen werden. Es hat dann bei der Geltung der allgemeinen Grundsätze über die Befangenheit zu verbleiben (Schragel, AHG³ Rz 257).

Der Antragsteller hat aber einen derartigen vom Gesetz geforderten Anknüpfungspunkt für seinen Amtshaftungsanspruch im Verfahren nicht behauptet, sondern nur allgemein auf die Möglichkeit einer Haftung auch von Richtern des Rekursgerichts verwiesen. Über seinen darauf gestützten Ablehnungsantrag wurde bereits vom erkennenden Senat entschieden. Auch in dem mit Antrag vom 27. 3. 1998 eingeleiteten Verfahren 26 Nc 1/98d des Erstgerichts, das den Angaben des Antragstellers zur Anspruchsbegründung zugeordnet werden kann, findet sich keine Entscheidung oder sonstige Verfügung des Rekursgerichts. Letztlich enthält auch die Rechtsmittelschrift nur Vermutungen, wie etwa, dass das Oberlandesgericht "ziemlich wahrscheinlich ... als verantwortlich und haftend zu sehen" sei.

War aber das Rekursgericht mangels Vorliegens eines Ausschließungsgrundes gemäß § 9 Abs 4 AHG zur Bestimmung eines anderen Erstgerichts als zuständig berufen, konnte es dies nur innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs tun. Für die vom Antragsteller begehrte Bestimmung eines Gerichts außerhalb dieses Oberlandesgerichtssprengels fehlt es bei der gebenen Sachlage an einer gesetzlichen Grundlage.

Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

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