OGH 1Ob2194/96w

OGH1Ob2194/96w26.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Verfahrenshilfesache des Antragstellers Peter Hans L*****, vertreten durch Dr.Roland Gabl, Dr.Josef Kogler und Mag.Harald Papesch, Rechtsanwälte in Linz, wider die Antragsgegnerin Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Bewilligung der Verfahrenshilfe infolge Rekurses der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 16.November 1995, GZ Nc 314/95-2, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Antragsteller begehrte die Bewilligung der Verfahrenshilfe „im vollen Umfang“ für eine Amtshaftungsklage gegen die Republik Österreich aufgrund eines dem Antrag beigelegten Klageentwurfs. Danach behauptete der Verfahrenshilfewerber, am 10.April 1986 von Beamten der Kriminalpolizei Linz verhaftet und mit rechtskräftigem Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Linz vom 31.März 1987 wegen des Verbrechens des Mordes zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Jahren verurteilt worden zu sein. Er habe jedoch in Wahrheit nie einen Mord begangen. Die inhaltlich unrichtige Verurteilung habe sich auf die unwahre Aussage einer Zeugin gestützt, die „dazu durch Folterungen des Beamten der Kriminalpolizei Linz, insbesondere durch Schläge und Drohungen, genötigt“ worden sei. Er habe daher die Wiederaufnahme des Strafverfahrens beantragt. Diesem Begehren sei mit Beschluß des Oberlandesgerichts Linz vom 8.Juli 1992 entsprochen und das Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Linz vom 31.März 1987 aufgehoben worden. Am 23.Juni 1992 sei er dann aus der Strafhaft entlassen worden. Durch die Wiederaufnahmeentscheidung sei „manifestiert, daß das Verfahren, welches dem Urteil des Geschworenengerichts beim Landesgericht Linz vom 31.März 1987 zugrunde“ gelegen sei, in wesentlichen Punkten nicht dem Gesetz entsprochen habe. Organe der Rechtsprechung hätten „Rechtsbrüche“ begangen, die ebenso wie das Verhalten von „Beamten der Bundespolizeidirektion Linz“ für die Verurteilung kausal gewesen seien. Die „Kronzeugin“ der Anklage habe mittlerweile erklärt, daß ihre damalige Aussage „nicht dem tatsächlichen Geschehnisablauf“ entsprochen habe. Außerdem sei es „zufolge Säumigkeit des Landesgerichts Linz bis dato nicht zu einem neuerlichen Prozeß gekommen“. Wäre „das neuerliche Verfahren“ in angemessener Frist durchgeführt worden, wäre schon längst ein freisprechendes Erkenntnis ergangen. Er hätte dann „auch die Chancen und Möglichkeiten gehabt, wiederum zu einer Beschäftigung zu kommen“. Es sei ihm jedenfalls bisher trotz intensiver Bemühungen seit seiner Enthaftung nicht gelungen, eine „Anstellung“ zu finden. Er hätte von August 1993 bis einschließlich Juli 1995 als selbständiger Kaufmann ein Nettoeinkommen von zumindest 40.000 S monatlich erzielt, wäre er „nicht schuldlos in Haft genommen worden“. Das ergebe einen Leistungsanspruch von insgesamt 960.000 S, der mit Klage geltend gemacht werden müsse, weil die Finanzprokuratur in Wien „eine Liquidierung des Schadens abgelehnt“ habe.

Das Landesgericht Linz legte den Verfahrenshilfeantrag zur Delegierung gemäß § 9 Abs 4 AHG dem Oberlandesgericht Linz vor, das das Landesgericht Steyr zur Entscheidung über diesen Antrag bestimmte. Dabei erwog es in rechtlicher Hinsicht, die Voraussetzungen einer Delegierungsentscheidung gemäß § 9 Abs 4 AHG seien erfüllt, weil der Antragsteller den behaupteten Amtshaftungsanspruch auch auf ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten der „(richterlichen) Organe des Landesgerichts Linz“ stütze. Zu delegieren sei aber bereits die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, weil darüber gemäß § 65 Abs 2 ZPO stets das Prozeßgericht erster Instanz zu entscheiden habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Antragsgegnerin ist nicht berechtigt.

Der angefochtene Delegierungsbeschluß ist keine Entscheidung über die Verfahrenshilfe im Sinne des § 528 Abs 2 Z 4 ZPO, sondern eine solche aus Anlaß eines Verfahrenshilfeantrags. Es stellt sich daher hier nicht die Frage der Unzulässigkeit des Rekurses an den Obersten Gerichtshof wie in einem Fall, in dem ein Gericht zweiter Instanz funktionell als erste Instanz über eine Sachmaterie entschied, die der Kognition des Obersten Gerichtshofs entzogen ist (EFSlg 76.505 = SV 1994, 34 [Sachverständigengebühren]). Die Entscheidung des übergeordneten Gerichts über eine gemäß § 9 Abs 4 AHG notwendige Delegierung ist anfechtbar, wenn sich - wie hier - kein Rechtsmittelausschluß aus allgemeinen Rekursbeschränkungen ergibt (Mayr in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 3 zu § 30 JN). Wie die Antragsgegnerin richtig erkannte, ist der Rekurs bei jenem Gericht einzubringen, das über den Delegierungsantrag entschied (EvBl 1987/204; AnwBl 1987, 672 ua).

Nach Ansicht der Rekurswerberin steht das Geschworenengericht weder in organisatorischem noch in funktionellem Zusammenhang mit dem Gerichtshof erster Instanz, bei dem es eingerichtet ist. Da der Antragsteller den behaupteten Amtshaftungsanspruch aus dem gegen ihn geführten Strafverfahren „beim (damals so bezeichneten) Geschworenengericht beim Landesgericht Linz“ ableite, könne der in § 9 Abs 4 AHG geregelte Tatbestand die angefochtene Delegierungsentscheidung nicht tragen. Der Verfahrenshilfewerber wende sich nämlich nicht „gegen einen kollegialen Beschluß eines Gerichtshofs erster Instanz, sondern gegen das Ergebnis eines Strafverfahrens bei einem anderen Gericht“. Es habe daher das Landesgericht Linz „in der gegenständlichen Amtshaftungssache“ zu verhandeln und zu entscheiden.

Die Rekurswerberin übersieht zunächst, daß der Antragsteller den behaupteten Amtshaftungsanspruch nach dem vorgelegten Klageentwurf weder im speziellen noch ausschließlich auf ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten von Organen des Geschworenengerichts gründet, sondern ganz allgemein ua „Organen der Rechtsprechung“, vorwirft, den dargestellten Vermögensschaden durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten in Vollziehung der Gesetze verursacht zu haben. Dafür kommen nicht nur Verhaltensweisen in der Hauptverhandlung bis zur rechtskräftigen Verurteilung durch das Geschworenengericht in Betracht, sondern der Vorwurf schließt - nach Bewilligung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens - auch die behauptete „Säumigkeit des Landesgerichts Linz“ bei der Vorbereitung der neuerlichen Hauptverhandlung ein.

Die Geschworenengerichte werden gemäß § 14 Abs 1 StPO bei den Gerichtshöfen erster Instanz zusammengesetzt. Sie sind zwar nicht Teil dieser Gerichtshöfe, aber auch keine organisatorisch selbständigen Gerichte, sondern treten nach Bedarf beim Gerichtshof erster Instanz zusammen (Foregger/Kodek, StPO6 Anm I zu § 14; Roeder, Lehrbuch des österreichischen Strafverfahrensrechtes2 38). Sie werden im Schrifttum teils als „Gerichte sui generis“ (Lohsing/Serini, Österreichisches Strafprozeßrecht4 96), teils aber auch nur als ein bestimmter „Spruchkörper“ eines Gerichtshofs erster Instanz (Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts4 Rz 139 und 142) angesehen. Nach der klaren Gesetzeslage unterliegt es aber keinem Zweifel, daß der Gerichtshof erster Instanz das Vorverfahren führt und in die Kompetenz des Geschworenengerichts als Erkenntnisgericht nur die Hauptverhandlung und die Entscheidung fällt (Foregger/Kodek aaO; Bertel aaO Rz 140 ff; Lohsing/Serini aaO).

Der im Klageentwurf des Antragstellers ins Treffen geführte Klagegrund umfaßt, wie bereits hervorgehoben, das gesamte durch Organe der Gerichtsbarkeit durchgeführte und nach wie vor anhängige Strafverfahren. Er bezieht sich also auch auf das Vorverfahren. Das ist hier für die Voruntersuchung von Bedeutung. Daß aber die Voruntersuchung jedenfalls durch richterliche Organe des Landesgerichts Linz besorgt wurde und wird, kann nicht ernsthaft bezweifelt werden. Im übrigen besteht das Geschworenengericht gemäß § 300 Abs 1 und 2 StPO aus dem Schwurgerichtshof und der Geschworenenbank. Dabei bilden die drei Berufsrichter des Schwurgerichtshofs und die acht Laienrichter der Geschworenenbank zwei getrennte Spruchkörper (Bertel aaO Rz 119). Die Berufsrichter des Schwurgerichtshofs gehören aber immer jenem Landesgericht an, bei dem das Geschworenengericht zusammengesetzt wurde. Wird aber ein Amtshaftungsanspruch nach dem geltend gemachten Klagegrund aus einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten von Richtern eines Landesgerichts abgeleitet, das über die Amtshaftungsklage nach den Zuständigkeitsvorschriften zu entscheiden hätte, ist vom übergeordneten Gericht gemäß § 9 Abs 4 AHG ein anderes Gericht gleicher Gattung zur Verhandlung und Entscheidung der Rechtssache zu bestimmen. Der erkennende Senat legte diese Gesetzesstelle bereits in der Entscheidung EvBl 1963/211 dahin aus, daß „zur Vermeidung jedes Scheines einer nicht unbefangenen Entscheidung alle Richter jenes Gerichtshofes von der Entscheidung über eine Amtshaftungsklage ausgeschlossen sein sollen, die sich auf ein angebliches rechtswidriges Verhalten eines oder mehrerer Richter desselben Gerichthofes gründet“. Daran ist festzuhalten. Nach diesem Grundsatz ist der Delegierungstatbestand des § 9 Abs 4 AHG aber auch dann verwirklicht, wenn dem Amtshaftungsanspruch - wie hier - auch die Behauptung zugrundeliegt, die Richter eines Schwurgerichtshofs hätten den geltend gemachten Vermögensschaden als ernannte Organe jenes Landesgerichts, das für die Amtshaftungsklage zuständig wäre, durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten mitverursacht.

Entgegen der Ansicht der Rekurswerberin kommt es also auch soweit gar nicht auf die organisatorische Stellung der Geschworenengerichte im System der Strafgerichtsbarkeit an, weshalb die allein organisatorische Gesichtspunkte behandelnden Rechtsmittelausführungen keiner weiteren Erörterung bedürfen.

Eine Delegierungsentscheidung gemäß § 9 Abs 4 AHG ist im übrigen bereits für ein dem Amtshaftungsprozeß vorangehendes Verfahren zu fällen (Schragel AGH3 Rz 261; Vrba/Zechner, Kommentar zum Amthaftungsrecht 232 f je mN aus der Rechtsprechung). Daraus folgt aber, daß das Landesgericht Linz auch nicht über den Antrag des Anspruchswerbers absprechen kann, ihm aufgrund des vorgelegten Klageentwurfs die Verfahrenshilfe für die Einbringung einer Amthaftungsklage zu bewilligen.

Die angefochtene Delegierungsentscheidung ist daher rechtmäßig, weshalb dem Rekurs ein Erfolg zu versagen ist.

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