OGH 2Ob70/01k

OGH2Ob70/01k24.4.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Peter W*****, vertreten durch Mag. Franz Galla, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei W***** AG, ***** vertreten durch Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 21.019,16 sA und Feststellung (Streitwert EUR 1.453,46) über die außerordentlichen Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 17. Jänner 2001, GZ 11 R 121/00w-88, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 20. März 2000, GZ 25 Cg 249/94k-84, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

1. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508a Abs 2 Satz 3 ZPO abgewiesen.

2. Der Revision der beklagten Partei wird teilweise Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird in ihrem Ausspruch über das Leistungsbegehren und hinsichtlich der Kostenentscheidung bestätigt. Im Übrigen wird die Entscheidung im Ausspruch über das Feststellungsbegehren dahin abgeändert, dass dieser Entscheidungsteil wie folgt zu lauten hat:

"Es wird festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für weitere aus dem Verkehrsunfall vom 4. Mai 1988 in Zukunft eintretende Schäden an Gesundheit, Einkommen und Vermögen zu einem Drittel haftet, dies beschränkt mit dem auf die im Unfallszeitpunkt geltenden Haftungshöchstbeträge gemäß § 15 EKHG.

Das Mehrbegehren, es werde festgestellt, dass die beklagte Partei der klagenden Partei für weitere aus dem Verkehrsunfall vom 4. Mai 1988 in Zukunft eintretende Schäden an Gesundheit, Einkommen und Vermögen unbeschränkt haftet, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 204,78 (darin EUR 22,14 USt und EUR 71,95 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 4. 5. 1988 ereignete sich in Wien 11 auf der Kreuzung Geiselbergstraße/Geiereckstraße ein Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger als Fußgänger von einem vom Versicherungsnehmer der beklagten Partei gelenkten PKW niedergestoßen und verletzt wurde. Der Kläger begehrt von der beklagten Partei Zahlung von S 289.230,-- (Schmerzengeld, Ersatz für Sachschäden, Ersatz aufgewendeter Fahrtspesen, Trinkgelder, Pflege- und Haushaltshilfekosten, Verdienstentgang von S 57.200) sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für künftige Schäden. Den Lenker des bei der beklagten Partei versicherten Fahrzeuges treffe das Alleinverschulden, weil er die im Bereich der Straßenbahnhaltestelle gebotene Sorgfalt missachtet, mit relativ überhöhter Geschwindigkeit gefahren sei, nicht auf das Verkehrsgeschehen geachtet und zu spät reagiert habe.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens; den Kläger treffe das Alleinverschulden am Zustandekommen des Unfalles, weil er nach seinen eigenen Angaben schnell und eilig, ohne ausreichend auf den Verkehr zu achten, über die Straße gegangen sei. Bereits in der Klagebeantwortung (AS 12) wurde auch darauf hingewiesen, dass sich der Kläger die an ihn ergangenen Zahlungen der Sozialversicherungsträger auf einen allfälligen Verdienstentgang anrechnen lassen müsse; das Feststellungsbegehren sei auf die vereinbarte Versicherungssumme der Höhe nach zu beschränken. Das Erstgericht wies - im zweiten Rechtsgang - das Klagebegehren ab. Es traf folgende für das Verständnis des Revisionsverfahrens erforderlichen Feststellungen:

Die Unfallstelle ist die Kreuzung in 1110 Wien, Geiselbergstraße/Geiereckstraße. Die Fahrbahn war zum Unfallszeitpunkt trocken; es herrschte Tageslicht. An der Kreuzung befindet sich in der Geiselbergstraße eine Haltestelle der Linie 6, in der damals um 17.30 Uhr ein in Richtung Simmering fahrender Straßenbahnzug gehalten hat. Dabei handelte es sich um ein modernes Fahrzeug, bei dem ein unteres Trittbrett nach Schließen der Türe eingezogen wird. Nachdem der Aus- und Einstieg der Fahrgäste beendet war, also die Türen geschlossen waren, löschte der Straßenbahnfahrer die Freigabetaste. In diesem Moment sah er, dass der Kläger von links kommend die Kreuzung der Geiselbergstraße in einem Abstand von ca 1 m vor der Zugspitze überquerte. Obwohl dieser sodann nach rechts schaute und das vom Versicherungsnehmer der beklagten Partei gelenkte Fahrzeug herannahen sah, ging er, ohne Anstalten zu machen, stehen zu bleiben, flotten Schrittes weiter. Als der Kläger erstmals am Straßenbahnzug gerade vorbeischauen konnte, also etwa 3 m vor der Kollisionstelle war, befand sich der vom Versicherungsnehmer der beklagten Partei gelenkte PKW noch 17 m entfernt. Der Versicherungsnehmer der beklagten Partei fuhr mit seinem Fahrzeug auf der Geiselbergstraße und wollte die Kreuzung mit der Geiereckstraße in gerader Richtung übersetzen, wobei er eine Geschwindigkeit von ca 30 km/h einhielt. In Annäherung an diese Kreuzung beobachtete er den in der Haltestelle stehenden Straßenbahnzug, sowie das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste und das Schließen der Türe. Er erkannte den Kläger, der vor der noch immer in der Haltestelle stehenden Straßenbahn plötzlich als Fußgänger die Fahrbahn von links nach rechts überquerte. Obwohl er mit einer Bremsung reagierte, konnte er einen Zusammenstoß nicht mehr verhindern. Der Kläger wurde von der linken vorderen Fahrzeugecke streifend erfasst und weggeschleudert. Das Erstgericht hielt noch fest, dass unter Voraussetzung eines "eiligen Schrittes" des Klägers die Kollision innerhalb der Vorbremszeit erfolgte und der PKW-Lenker keine Möglichkeit hatte, vor der Kollision noch wirksam zu bremsen. Die Bremsung wurde praktisch erst im Kollisionsmoment wirksam. Um den Unfall zu vermeiden, hätte der PKW-Lenker eine Geschwindigkeit von 20 km/h einhalten müssen; andererseits hätte der Kläger den Unfall vermeiden können, wenn er innerhalb der 3 m, also noch vor Erreichen der Querungslinie des PKWs, stehen geblieben wäre und bei einem ausreichenden Blick nach rechts das Vorbeifahren des PKWs abgewartet hätte.

Das Erstgericht stellte noch die unfallsbedingten Verletzungen des Klägers fest und hielt weiters fest, dass der Kläger am 5. September 1988 wieder arbeitsfähig gemeldet wurde. Der Kläger war zum Unfallszeitpunkt in einer Diskothek als Hausarbeiter beschäftigt und bezog ein monatliches Nettoeinkommen von S 5.880. Auf Grund des Unfalles bezog er im Monat Juni ein um S 232 geringeres Einkommen, in den Monaten Juli und August kein Einkommen und im Monat September ein um S 1.665 geringeres Einkommen, zusammen sohin S 13.657. Welche Bezüge an Krankengeld er von der Krankenkasse erhalten hat, konnte nicht festgestellt werden. Das Erstgericht bezifferte den Verdienstentgang gemäß § 273 ZPO mit S 5.000. Festgehalten wurde weiters, dass dem Kläger mit Bescheid der AUVA vom 9. November 1988 eine Gesamtvergütung von S 7.560,70 für den Zeitraum vom 5. September 1988 bis 31. März 1989 für die Minderung der Erwerbstätigkeit von 20 % gewährt wurde. Der Schade des Klägers einschließlich des Schmerzengeldes betrage S 138.528,--. Rechtlich erörterte das Erstgericht, dass den Lenker des bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten Fahrzeuges kein Verschulden treffe, wohl aber den Kläger selbst, der gegen die Bestimmung des § 76 Abs 4 lit b StVO verstoßen habe.

Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht gab seiner Berufung teilweise Folge und verpflichtete die beklagte Partei zur Zahlung von S 46.176 samt Anhang, wies das Mehrbegehren von S 243.064 ab und stellte die Haftung der beklagten Partei für weitere künftige Schäden aus dem Verkehrsunfall an Gesundheit, Einkommen und Vermögen zu einem Drittel fest. Das Feststellungsmehrbegehren wies es ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes zum Unfallshergang mit Ausnahme, dass sich der vom Versicherungsnehmer der beklagten Partei gelenkte PKW noch 17 m entfernt befand, als der Kläger erstmals am Straßenbahnzug vorbeischauen konnte und teilte die Rechtsmeinung des Erstgerichtes, dass dem Lenker des PKWs kein Verschulden am Zustandekommen des Unfalles anzulasten sei. Dieser habe prompt auf das Auftauchen des Fußgängers reagiert, der Schutzzweck der Norm des § 17 Abs 2 StVO sei auf ein in einer Haltestelle stehendes Schienenfahrzeug ein- oder aussteigender Personen beschränkt. Dem PKW-Lenker sei weder eine relativ überhöhte Geschwindigkeit noch eine Reaktionsverspätung vorzuwerfen. Er habe auch darauf vertrauen können, dass ein Fußgänger, der die Fahrbahn zulässigerweise im Kreuzungsbereich vor der Straßenbahn queren wollte, infolge der für ihn ein Sichthindernis darstellenden Straßenbahn nur so weit aus dem Lichtraumprofil der Straßenbahn heraustreten werde, um sich einen Überblick über die Möglichkeit der Verkehrslage zur weiteren Querung der Fahrbahn zu verschaffen. Der beklagten Partei sei jedoch der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen. Ein verkehrswidriges Verhalten von Fußgängern stelle für den Lenker eines Kraftfahrzeuges dann ein unabwendbares Ereignis dar, wenn er nach den konkreten Umständen damit nicht zu rechnen habe brauchen und er den Unfall auch bei Anwendung der Vorsicht und Aufmerksamkeit eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers nicht verhindern habe können. Von einem besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrer könne ohne Überspannung seiner Sorgfaltspflicht vorausgesetzt werden, dass er an einer in der Haltestelle stehenden Straßenbahn, die, obwohl der Ein- und Ausstieg von Fahrgästen bereits abgeschlossen, jedoch nicht aus der Haltestelle losgefahren, sondern weiter in dieser Stillstandsposition verblieben sei, nicht mit einer solchen Geschwindigkeit vorbeifahre, dass ihm das Anhalten vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis nicht mehr möglich sei. Ein solcher hätte im Hinblick darauf, dass die Straßenbahn vor dem Kreuzungsbereich mit der Geiereckstraße gestanden sei und er den Kreuzungsbereich nicht zur Gänze überblicken habe können, sehr wohl mit die Fahrbahn querenden Fußgängern gerechnet und die Sichtbehinderung durch die Straßenbahn in Rechnung gestellt. Ein besonders umsichtiger Kraftfahrer wäre in einer solchen Situation nicht mit einer Geschwindigkeit von 30 km/h an der Straßenbahn vorbei gefahren. Die beklagte Partei habe somit für die vom PKW ausgehende Betriebsgefahr einzustehen. Eine Haftungsteilung sei im Ausmaß von 2 : 1 zu Lasten des Klägers vorzunehmen. Ausgehend von den der Höhe nach unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes gebühre dem Kläger ein Drittel seines geltend gemachten Schadens. Die ordentliche Revision sei nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung nicht zu entscheiden gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Zur außerordentlichen Revision des Klägers:

Der Kläger strebt mit seinem Rechtsmittel die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend an, dass seinem Leistungsbegehren zur Gänze stattgegeben werde. Eine Frage von erheblicher Bedeutung wird aber im Rechtsmittel des Klägers nicht aufgeworfen, weil Fragen der Haftungsteilung regelmäßig nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen sind und daher über den konkreten Fall hinaus grundsätzlich nicht hinausreichen (vgl Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 502). Eine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung liegt hier nicht vor. Die Kostenentscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf § 508a Abs 2 Satz 3 ZPO. Entgegen den Ausführung in der Revisionsbeantwortung wurde lediglich dem Kläger freigestellt, die Revision der beklagten Partei zu beantworten, nicht aber der beklagten Partei, die Revision des Klägers zu beantworten.

Zur Revision der beklagten Partei:

In der Revision der beklagten Partei wird beantragt, einen S 44.509,34 übersteigenden Betrag abzuweisen sowie die Haftung mit den Haftungshöchstsummen des EKHG zu begrenzen.

Das Berufungsgericht habe bei der Entscheidung über das geltend gemachte Verdienstentgangsbegehren des Klägers das Quotenvorrecht des Sozialversicherungsträgers missachtet und den Ausspruch über die Haftungsbegrenzung nach den Haftungsgrenzen des EKHG unterlassen, weil es nur eine Gefährdungshaftung im Sinne des EKHG angenommen habe.

Das Rechtsmittel ist nur zum Teil berechtigt.

a) Zum Verdienstentgangsbegehren:

Wie aus den wiedergegebenen Feststellungen ersichtlich, wurde der Kläger am 5. 9. 1988 wieder arbeitsfähig gemeldet (Ersturteil S 14)

Er hat für die Zeit seines Krankenstandes (bis 4. September 1988) Verdienstentgang begehrt. Das Erstgericht hat den Verdienstentgang bis zu diesem Zeitpunkt gemäß § 273 ZPO mit S 5.000 bemessen, das Berufungsgericht hat ausgehend von seiner Haftungsteilung von 2 : 1 zu Lasten des Klägers diesem S 1.666,66 zugesprochen. Die beklagte Partei behauptet, dass der Kläger in diesem Umfang nicht anspruchsberechtigt sei, weil dem die Leistung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (vgl Beilage P) in der Höhe von S 7.560,70 entgegenzuhalten sei. Die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt hat aber dem Kläger für die Zeit vom 5. 9. 1988 bis 31. 3. 1989 eine Gesamtvergütung gemäß § 209 Abs 2 ASVG von S 7.560,70 gewährt. Allein aus der Gegenüberstellung der Zeiträume für den begehrten Verdienstentgang bzw der Gesamtvergütung ergibt sich, dass die Leistung der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt zeitlich nicht kongruent mit dem geltend gemachten Verdienstentgang ist und daher bei diesem nicht zu berücksichtigen ist.

b) zum Feststellungsbegehren:

Berechtigt ist die Revision allerdings insoweit, als vom Berufungsgericht der Ausspruch über die Haftungsbeschränkung nach den Haftungshöchstgrenzen der §§ 15 und 16 EKHG unterlassen wurde. Im Falle einer Haftung nach dem EKHG ist die Beschränkung dieser Haftung auf die Höchstbeträge des EKHG bei einem Feststellungsbegehren von Amts wegen zu beachten (2 Ob 296/99i; Danzl, EKHG6 § 15 E 10). Im Antrag des Haftpflichtversicherers auf Abweisung des Klagebegehrens ist jedenfalls ein Antrag auf Einschränkung ihrer Haftung auf die Höchstbeträge gemäß § 15 EKHG zu sehen. Die Beschränkung der Haftung ist nach ständiger Rechtsprechung im Spruch des Feststellungsurteils auszudrücken (2 Ob 2274/96).

Der von der Revision gerügte Verstoß gegen § 473a ZPO liegt nicht vor. Hat der Kläger in der Berufung ua die Schadensaufteilung angefochten, dann wäre die beklagte Partei auch gehalten gewesen, die ihr nachteiligen Feststellungen über die Schadenshöhe in der Berufungsbeantwortung anzufechten. Fragen des Quotenvorrechts stellen sich mangels zeitlicher Kongruenz der Leistungen des Sozialversicherungsträgers nicht.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 43 Abs 2, 50 ZPO. Bei urteilsmäßiger Begrenzung mit den Haftungshöchstgrenzen nach dem EKHG statt mit der höheren Versicherungssumme für das versicherte Fahrzeug laut Klagebegehren ist kostenmäßig von einem hälftigen Obsiegen und Unterliegen auszugehen (2 Ob 77/01).

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