OGH 10ObS361/02i

OGH10ObS361/02i4.3.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumay,r sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Wolf (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Nikola M*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Andreas Alzinger, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Rückforderung von Waisenpensionen, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. August 2002, GZ 10 Rs 163/02 t-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 7. November 2001, GZ 24 Cgs 137/00p-29, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a ZPO mangels der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger Nikola M***** und seine am 31. 5. 1986 verstorbene Gattin Stana hatten drei Kinder: Semenika, Smeljana und Radisa. Die Familie übersiedelte 1970 aus Serbien nach Wien, wo der Kläger als Chauffeur arbeitete und seine Frau als Bedienerin und Küchenhilfe. Am 23. 9. 1982 gebar die älteste Tochter Semenika in Wien ihre Tochter Jaqueline. Kindesvater war der in München bei seinen Eltern lebende Slavisa B*****. Semenika M***** lebte und arbeitete in den folgenden Jahren zum Teil in München, zum Teil in Wien. Am 27. 2. 1984 gebar Semenika M***** ihre zweite Tochter Silvia in Wien. Etwa im Jahr 1985 trennten sich Semenika M***** und Slavisa B*****; Semenika M***** zog in der Folge ohne ihre Kinder nach Italien. Bis zur Trennung der Eltern haben die beiden Kinder Jaqueline und Silvia M***** zeitweise bei ihrem Vater und dessen Mutter Stojanka B***** in München, zeitweise bei Stana und Nikola M***** in Wien gewohnt. Ab der Trennung der Eltern verblieben Jaqueline und Silvia M***** auf Dauer bei ihrem Vater und dessen Mutter in München; die väterliche Großmutter wurde auch zum Vormund für die beiden Kinder bestellt. Nach dem Tod seiner Frau (31. 5. 1986) stellte der Kläger bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter einen Antrag auf Zuerkennung einer Witwerpension sowie von Waisenpensionen. Dieser Antrag wurde von einem Bediensteten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter aufgenommen und vom Kläger unterschrieben. Der Kläger gab dabei als seine ehelichen Kinder Smeljana, Radisa, Jaqueline und Silvia M***** unter Anführung ihrer kompletten Sozialversicherungsnummern an, weiters, dass die Waisen bei ihm als Kindesvater wohnen. Dies stimmte nur für die beiden eigenen Kinder, nicht jedoch für die beiden Enkelkinder Jaqueline und Silvia, die zu diesem Zeitpunkt nicht mehr beim Kläger wohnten. Da der Kläger bei diesem Termin nicht alle erforderlichen Urkunden mit hatte, wurde er aufgefordert, unter anderem die Geburtsurkunden der Kinder vorzulegen; dieser Aufforderung kam er auch nach. Der Kläger legte die Geburtsurkunden im Original vor und sie wurden bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter in Kopie zum Akt genommen. Auf den Geburtsurkunden von Jaqueline und Silvia ist Semenika M***** als Mutter angegeben; die Angabe eines Vaters fehlt. Bei der weiteren Bearbeitung des Pensionsantrags fiel dies nicht auf. In der Folge wurde dem Kläger mit Bescheid vom 4. 8. 1986 eine Witwerpension zuerkannt, weiters Smeljana, Radisa, Jaqueline und Silvia M*****, jeweils zu Handen des Klägers, mit Bescheiden vom selben Datum eine Waisenpension ab 1. 6. 1986.

Der Kläger bezog in der Folge durchgehend vom Juni 1986 bis Ende 1999 für Jaqueline und Silvia M***** eine Waisenpension, die anfangs je Waise 1.339,80 S pro Monat betrug. Zuletzt betrug die Waisenpension 1.902,80 S je Waise pro Monat. Im Zeitraum von Februar 1987 bis einschließlich September 1987 sowie von März 1988 bis einschließlich Juni 1988 bezog der Kläger zusätzlich zu den Waisenpensionen jeweils eine Ausgleichszulage. Der Kläger gab in diesem Zusammenhang am 28. 6. 1988 sowie im September 1990 bei der beklagten Partei niederschriftlich an, dass die Kinder Jaqueline und Silvia M***** in Jugoslawien wohnhaft sind. Tatsächlich lebten Jaqueline und Silvia M***** durchgehend bei ihrer väterlichen Großmutter Stojanka B***** in München. Die beiden sahen den Kläger nur vereinzelt im Zuge von Verwandtenbesuchen in Wien. Der Kläger ist für den Unterhalt seiner beiden Enkelkinder in keiner Weise aufgekommen.

Jaqueline M***** ist Anfang Februar 1998 zu einer Cousine von Stojanka B*****, Petrija S*****, nach Wien gezogen. Mit 18. 5. 1999 wurde Jaqueline M***** von Dragoslav und Petrija S***** adoptiert. Als Jaqueline M*****, nunmehr S*****, in Wien auf ihrem Krankenschein die Bezeichnung "Pensionistin" sah, fragte sie diesbezüglich bei der Wiener Gebietskrankenkasse nach, die wiederum bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter am 4. 1. 2000 die Überprüfung der Auszahlung der Waisenpension für Jaqueline M***** anregte. Am 13. 1. 2000 forderte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter bei dem für die Adoption zuständigen Bezirksgericht den Pflegschaftsakt betreffend Jaqueline M***** an; am 1. 2. 2000 wurde der Kläger zum unberechtigten Bezug der Waisenpension niederschriftlich befragt.

Im Zeitraum vom 1. 6. 1986 bis zum 31. 12. 1999 hat der Kläger für Jaqueline und Silvia M***** eine Waisenpension samt zeitweiser Ausgleichszulage in der Höhe von jeweils 320.456,70 S bezogen, zusammen daher 640.913,40 S.

Der Kläger hat nach dem Tod seiner Ehefrau keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt. Er lebt von der von der Pensionsversicherungsanstalt (der Arbeiter) bezogenen Witwerpension samt Ausgleichszulage. Der Kläger verfügt über keinerlei Vermögen.

Mit Bescheiden jeweils vom 6. 3. 2000 hat die beklagte Partei gegenüber dem Kläger in Bezug auf Jaqueline und Silvia M***** ausgesprochen, dass das Verfahren über den Anspruch auf Waisenpension wieder aufgenommen und die Bescheide vom 4. 8. 1986 aufgehoben werden, der Antrag auf eine Waisenpension hinsichtlich der beiden Waisen abgelehnt wird und der vom 1. 6. 1986 bis zum 31. 12. 1999 entstandene Überbezug an Waisenpension in der Höhe von jeweils 320.456,70 S rückgefordert wird.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers, die beklagte Partei sei schuldig, für Jaqueline S*****, geborene M*****, und Silvia M***** jeweils eine Waisenpension nach der verstorbenen Versicherten Stana M***** zu gewähren, mit der Begründung zurück, dass die Anspruchsberechtigung auf eine Waisenpension bei den Waisen selber liege. Das Klagebegehren auf Feststellung, der Kläger sei nicht zum Rückersatz des Überbezuges von 640.913,40 S verpflichtet, wies es ab und verpflichtete den Kläger, diesen Betrag in monatlichen Raten à 3.000 S ab 1. 1. 2000 zurückzuerstatten.

Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass der Kläger zur Ratenzahlung ab dem Monatsersten des Folgemonats nach Eintritt der Rechtskraft des Berufungsurteils verpflichtet wurde. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung und führte in rechtlicher Hinsicht unter Berufung auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 6. 11. 1990, 10 ObS 333/90 (ARD 4251/3/91), aus, dass sich § 107 Abs 2 lit a ASVG nur darauf beziehe, inwieweit ein allfälliges Mitverschulden des Versicherungsträgers, egal zu welchem Zeitpunkt es vorgelegen habe, das Recht auf Rückforderung bereits erbrachter Leistungen ausschließe. Im Übrigen habe der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter anhand der vorgelegten Urkunden nicht auffallen müssen, dass Jaqueline und Silvia M***** nicht die Kinder, sondern die Enkelkinder des Klägers seien, weshalb ihnen keine Waisenpension gebühre. Die Pensionsversicherungsanstalt habe nicht damit rechnen müssen, dass der Kläger Enkelkinder als eheliche Kinder angebe; bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit habe sie nicht erkennen müssen, dass in den Geburtsurkunden als Kindesmutter eine Frau mit einem anderen Vornamen angegeben sei und der Vater überhaupt fehle. Aufgrund des gleichen Nachnamens der Kinder mit dem des Klägers in den Geburtsurkunden habe die beklagte Partei davon ausgehen können, dass es sich tatsächlich um die Kinder des Klägers handle, wie von diesem auch angegeben worden sei. Eine genauere Überprüfung der Geburtsurkunden sei bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit nicht erforderlich gewesen. Daraus folge, dass das Recht auf Rückforderung nicht ausgeschlossen sei. Die im März 2000 erlassenen Bescheide seien innerhalb einer angemessenen Frist nach der am 4. 1. 2000 von der Gebietskrankenkasse angeregten Überprüfung der Auszahlung der Waisenpensionen ergangen. Da eine Einzelfallentscheidung vorliege, sei die ordentliche Revision nicht zuzulassen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung erhobene Revision der klagenden Partei ist nicht zulässig.

Ein Verfahren über den Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung gemäß § 65 Abs 1 Z 2 ASGG ist - auch wenn es sich bei jenen Leistungen, deren Rückersatz strittig ist, um wiederkehrende Leistungen gehandelt hat - kein Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen im Sinne des § 46 Abs 3 Z 3 ASGG (10 ObS 353/00k; RIS-Justiz RS085773 [T13]). Die Revision ist daher nach § 46 Abs 1 ASGG nur zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist.

Der Kläger führt zur Zulässigkeit der Revision aus, dass das Berufungsgericht die Sach- und Rechtslage in einer die Rechtssicherheit iSd § 502 Abs 1 ZPO gefährdenden Weise verkannt habe, zumal eine Rückforderung im konkreten Fall im Hinblick auf den Inhalt der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. 3. 1990, 10 ObS 440/89, ausgeschlossen sei. Des Weiteren fehle eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Auslegung der Worte "erkennen musste" in § 107 Abs 2 lit a ASVG.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass die Frage, ob der Kläger den Bezug einer Leistung durch bewusst unwahre Angaben, bewusste Verschweigung maßgebender Tatsachen oder Verletzung der Meldevorschriften herbeigeführt hat oder er jedenfalls erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte, nur nach den besonderen Umständen des Einzelfalls beantwortet werden kann (RIS-Justiz RS0109340 [T1]). Eine Frage des Einzelfalls liegt auch dann vor, wenn zu beurteilen ist, wann der Versicherungsträger erkennen musste, dass eine Leistung zu Unrecht erbracht worden war. Eine grobe Fehlbeurteilung der zu entscheidenden Rechtsfragen durch das Berufungsgericht ist jedenfalls nicht zu ersehen. Da der Revisionswerber daher keine für die Entscheidung des Verfahrens relevante erhebliche Rechtsfrage iSd § 46 Abs 1 ASGG aufzuzeigen vermag, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen. Abschließend ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).

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