OGH 10ObS425/02a

OGH10ObS425/02a14.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Thomas Albrecht (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Walter A*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Stütz, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. Juli 2001, GZ 11 Rs 239/01y-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. Februar 2001, GZ 31 Cgs 165/00t-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen mit 196,87 EUR (davon 32,81 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Verfahrens erster Instanz, einen mit 215,00 EUR (davon 35,83 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Berufungsverfahrens und einen mit 166,54 EUR (davon 27,76 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG-Nov BGBl I 2002/1).

Der am 25. 9. 1945 geborene Kläger stellte am 2. 6. 2000 bei der beklagten Partei den Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit.

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 1. 8. 2000 wurde dieser Antrag des Klägers abgelehnt, da § 253d ASVG gemäß § 587 Abs 2 ASVG idF des SVÄG 2000 mit Ablauf des 30. 6. 2000 außer Kraft getreten sei, sodass ein Leistungsanspruch ab 1. 7. 2000 nicht mehr festgestellt werden könne.

Das Erstgericht wies das auf die Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß ab 1. 7. 2000 gerichtete Klagebegehren ab und folgte dabei dem von der beklagten Partei im angefochtenen Bescheid vertretenen Rechtsstandpunkt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, in der ausschließlich verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Bedenken gegen den gänzlichen Wegfall der erwarteten Pensionsleistung geltend gemacht wurden, nicht Folge, weil es diese Bedenken nicht teilte. Gegen dieses Urteil erhebt der Kläger Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass seinem Begehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen primär die Verfassungswidrigkeit der rückwirkenden Beseitigung des Anspruchs auf eine vorzeitige Alterspension (wegen geminderter Arbeitsfähigkeit) geltend; die Berufsunfähigkeitspension nach § 255 Abs 4 ASVG stelle keinen gleichwertigen Ersatz dar. Damit sei ein unverhältnismäßiger Eingriff in eine vertrauensrechtlich relevante Rechtsposition erfolgt, der einer besonderen Rechtfertigung bedürfte, die aber nicht erkennbar sei. Außerdem widerspreche der Ausschluss von Versicherten vom Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit dem Gemeinschaftsrecht, weil der österreichische Gesetzgeber rückwirkend die Auswirkungen des EuGH-Urteils in der Rechtssache Buchner beseitigen habe wollen.

Im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken gegen die durch Artikel I Z 6 des Bundesgesetzes BGBl I 2000/43 (Sozialversicherungs-Änderungsgesetz 2000 - SVÄG 2000) mit Ablauf des 30. 6. 2000 normierte Aufhebung des § 253d ASVG (vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit) hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 16. 4. 2002, 10 ObS 335/01i, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, Artikel I Z 6 SVÄG 2000 ("§ 253d wird aufgehoben.") und andere, in Artikel I SVÄG 2000 angeführte, mit der Aufhebung des § 253d ASVG im Zusammenhang stehende Wortfolgen aufzuheben.

Mit Erkenntnis vom 11. 12. 2002, G 186/02-10, G 187/02-10, G 202/02-8, veröffentlicht in ARD 5368/17/2002, wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag ab. Eine Verletzung des verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes, der allenfalls durch Übergangs- und Einschleifregelungen begegnet werden hätte müssen, liege nicht vor. Angesichts des EuGH-Urteils vom 23. 5. 2000, Rs C-104/98 , Buchner, sei eine möglichst rasch wirksame Gesetzesänderung zur Beseitigung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit (aufgrund des geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Anfallsalters bei der Pensionsleistung nach § 253d ASVG) erforderlich gewesen. Im Hinblick auf das bereits mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996 auf 57 Jahre erhöhte Anfallsalter habe durch das "Buchner"-Urteil des EuGH keine schutzwürdige Vertrauensposition entstehen können, dass bereits vor Vollendung des 57. Lebensjahres erfolgversprechend ein Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gestellt werden hätte können. Im Übrigen wären auch Übergangsbestimmungen nicht in der Lage gewesen, Härtefälle zu vermeiden.

Nach der Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes war das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen. Die Revisionsausführungen erweisen sich als nicht berechtigt.

Der am 25. 9. 1945 geborene Kläger hat am 2. 6. 2000 bei der beklagten Partei den Antrag auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nach § 253d ASVG gestellt. Diesen Antrag des Klägers hat die beklagte Partei mit Bescheid vom 1. 8. 2000 abgelehnt. Gegenstand des Verfahrens vor dem Arbeits- und Sozialgericht ist somit das vom Kläger gegen diesen ablehnenden Bescheid rechtzeitig erhobene und auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gerichtete Klagebegehren. In der Pensionsversicherung richtet sich die Beurteilung, ob, in welchem Zweig der Versicherung und in welchem Ausmaß eine Leistung gebührt, nach den Verhältnissen am Stichtag. Der Stichtag ist bei Anträgen auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit der Tag der Antragstellung, wenn dieser auf einen Monatsersten fällt, sonst der dem Tag der Antragstellung folgende Monatserste. Im vorliegenden Fall ist somit unbestritten zum Stichtag 1. 7. 2000 das Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen für die vom Kläger begehrte Versicherungsleistung zu prüfen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger jedoch das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet, sodass für ihn die begehrte Leistung nach § 253d ASVG (idF vor dem SVÄG 2000) nicht in Betracht kam. Es entspricht der Judikatur des erkennenden Senates, dass dann, wenn eine Änderung des Gesundheitszustandes, eine Gesetzesänderung oder eine sonstige Änderung in den Anspruchsvoraussetzungen (etwa auch die Erreichung eines bestimmten Lebensalters, wenn dies zur Anwendung geänderter Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung führt) während des Leistungsverfahrens vor dem Versicherungsträger oder während des Sozialgerichtsverfahrens eintritt, die sich daraus ergebende Änderung bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist. Durch diese Änderungen wird, sofern sie für den erhobenen Anspruch von Bedeutung sind, ein neuer Stichtag ausgelöst und es sind die Anspruchsvoraussetzungen zu diesem Stichtag zu prüfen (SSV-NF 3/134 ua; RIS-Justiz RS0085973; zuletzt 10 ObS 328/00h und 10 ObS 32/01f = SSV-NF 15/24 [in Druck]).

Für den Kläger wäre unter Bedachtsame auf sein Geburtsdatum (25. 9. 1945) eine Prüfung der Leistungsvoraussetzungen nach § 253d ASVG (idF vor dem SVÄG 2000) zum Stichtag 1. 10. 2000 in Betracht gekommen. Zu diesem Zeitpunkt existierte die von ihm begehrte Leistung im ASVG jedoch nicht mehr, weil sie aufgrund des Beschlusses des Nationalrats vom 7. 6. 2000, kundgemacht im BGBl am 7. 7. 2000 (SVÄG 2000) rückwirkend beseitigt worden ist. Wie schon dargestellt hat der Verfassungsgerichtshof diese Aufhebung des § 253d ASVG nicht als verfassungswidrig erkannt.

Auch die vom Kläger aufgezeigten gemeinschaftsrechtlichen Bedenken führen nicht zum Erfolg. Wie bereits erwähnt war aufgrund des EuGH-Urteils in der Sache Buchner ehestmöglich ein gemeinschaftsrechtskonformer Zustand des nationalen Rechts herzustellen, wobei der staatliche Gesetzgeber unter dem Blickwinkel der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. 12. 1978 auch befugt ist, die Geschlechtergleichbehandlung dadurch herzustellen, dass das bisher bevorzugte Geschlecht benachteiligt wird.

Zu nach der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Buchner gestellten Anträgen auf vorzeitige Alterspensionen wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum Stichtag 1. 7. 2000 hat der Oberste Gerichtshof in mehreren Entscheidungen (ARD 5284/10/2002, ARD 5294/15/2002, ARD 5312/25/2002; ZAS 2002/22, Winkler) den Standpunkt vertreten, dass durch die vom österreichischen Gesetzgeber verspätet hergestellte Geschlechtergleichbehandlung der dem Versicherten aus der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechtes entstandene Anspruch, die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zum Stichtag 1. 7. 2000 bereits nach Vollendung des 55. Lebensjahres in Anspruch nehmen zu können, nicht wirksam rückwirkend entzogen werden konnte; überdies wurde dem Versicherten die Ausübung der ihm von der Gemeinschaftsrechtsordnung eingeräumten Rechte praktisch unmöglich gemacht.

Diese Rechtsansicht kann jedoch nur auf zumindest 55-, aber noch nicht 57-jährige Versicherte zutreffen, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der EuGH-Entscheidung "Buchner", auf die dadurch klargestellte Rechtslage vertrauend, einen Antrag auf eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gestellt haben; der Erfolg einer solchen Antragstellung wurde aber dann durch den innerstaatlichen Gesetzgeber durch eine zurück wirkende Maßnahme unmöglich gemacht. Es kann keine Rede davon sein, dass die neuen Bestimmungen für Personen mit Stichtag 1. 10. 2000 irgendein aus dem EuGH-Urteil "Buchner" entstandenes subjektives Recht beseitigt hätten (darin liegt der entscheidende Unterschied zum Sachverhalt in der EuGH-Entscheidung "Dilexport"), wie es bei einer Antragstellung ab dem 2. Juni 2000 mit dadurch ausgelöstem Stichtag 1. 7. 2000 der Fall war. Vielmehr hat der Gesetzgeber wie erwähnt die österreichische Rechtsordnung ehestmöglich gemeinschaftsrechtskonform ausgestaltet. Da die begehrte Leistung zu dem in Betracht kommenden Stichtag 1. 10. 2000 nicht mehr existierte, haben die Vorinstanzen das Klagebegehren zu Recht abgewiesen.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Wegen der rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens (die klagende Partei legte in ihrem Rechtsmittel ausführlich - vom Senat geteilte - Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der plötzlichen Aufhebung des § 253d ASVG dar) entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen klagenden Partei die Hälfte der Kosten ihres Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 2/29 ua). Für die Revision gebührt ein Einheitssatz im Ausmaß von lediglich 60 %.

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