OGH 15Os135/02

OGH15Os135/029.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Jänner 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kaller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Markus B***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. Juli 2002, GZ 042 S Hv 37/02w-93, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen A I 1 und II 1 sowie demgemäß auch im Ausspruch über die Unrechtsfolgen aufgehoben. Die Sache wird in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die durch den erfolglos gebliebenen Teil seines Rechtsmittels verursachten Kosten des Verfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Markus B***** der Verbrechen der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 1 und 15 StGB (A I 1 a bis c und A II 1) und der teils vollendeten, teils versuchten Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 2 und 15 StGB (A I 2 und A II 2) sowie der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB (B), der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (C) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (D) schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien

A) die nachstehend angeführten Personen

I. genötigt

1. mit schwerer, gegen sie gerichteter Gewalt zur Duldung (zu ergänzen: des Beischlafes und) von dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen

a) am 6. September 2001 Leopoldine M***** durch Versetzen von Faustschlägen, durch Würgen, durch Zubodenstoßen und Zubodendrücken sowie durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib und Leben, nämlich die Äußerung er würde ein Messer herausholen, wenn sie lügen sollte, zur Duldung eines Anal- und Oralverkehrs sowie zur Duldung des Beischlafes,

b) am 13. September 2001 die Katica K***** durch Würgen, durch Versetzen von Faustschlägen, durch Festhalten und durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib und Leben, nämlich die Äußerung, er werde sie töten, wenn sie nicht machen sollte, was er wolle, zur Duldung eines Anal- und eines Oralverkehrs sowie zur Duldung eines Beischlafes,

c) am 5. Oktober 2001 Doris D***** durch Versetzen von Schlägen, durch Würgen und durch Festhalten zur Duldung einer Fingerpenetration;

2. am 19. September 2001 Chengfen C***** mit Gewalt durch Versetzen von Schlägen gegen den Körper und durch Festhalten zur Duldung eines Oralverkehrs sowie des Beischlafes;

II. zu nötigen versucht

1. mit schwerer gegen sie gerichteter Gewalt Doris D***** durch die zu A I 1 c angeführten Handlungen zur Duldung eines Oralverkehrs;

2. am 18. September 2001 Edith H***** mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes, indem er sie zu Boden stieß und festhielt;

B) im Anschluss an die zu A I 1 a angeführte Straftat versucht,

Leopoldine M***** durch die Äußerung, er werde sie erstechen, falls sie schreien sollte, mithin durch gefährliche Drohung zu einer Unterlassung, nämlich zur Abstandnahme von der Erstattung einer Strafanzeige wegen der angeführten Straftat zu nötigen;

C) durch die zu A II 2 angeführte Straftat Edith H***** vorsätzlich

am Körper verletzt, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung, nämlich einen Bruch des rechten Oberarmes zur Folge hatte;

D) am 28. September 2001 Romana J***** durch Versetzen von Schlägen

und Stößen sowie durch Würgen, wodurch diese Hautabschürfungen an der Brust, am Oberbauch und an der rechten Hand sowie Würgemale am Hals erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Schuldsprüche A, B und C gerichtete, auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a, 10 und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist teilweise im Recht.

Entgegen der Mängelrüge (Z 5) bedurfte der Umstand, dass die Zeugin Edith H***** den Angeklagten anhand von Lichtbildern nicht wiederzuerkennen vermochte, keiner Erörterung. Das Erstgericht hat die betreffenden Schuldsprüche (A II 2 und C) mit den Hinweisen auf die Ähnlichkeit der Tatmodalitäten mit jenen bei den weiteren dem Angeklagten angelasteten Sexualangriffen sowie auf die Auffindung eines (eine Flasche Remy-Martin beinhaltenden) Koffers, der vom Angeklagten nach den Bekundungen der Zeugen im Tatortbereich liegen gelassen worden war und DNA-Spuren des Genannten aufwies (insbesondere S 217, 305 jeweils I), mängelfrei begründet (US 13f). Auch die Tatsachenrüge (Z 5a) versagt.

Divergenzen in den Angaben der Zeugin Chengfen C***** bezüglich des Tatortes hat das Erstgericht ohnedies in den Kreis seiner Erwägungen miteinbezogen, diesen jedoch nicht die im Rechtsmittel beigemessene Bedeutung zuerkannt.

Wenn der Beschwerdeführer mit dem Hinweis auf diese Widersprüchlichkeiten und auf das sonstige tatrelevante Verhalten der Zeugin ihre Glaubwürdigkeit insgesamt in Zweifel zu ziehen und ihr "großteils Freiwilligkeit" zu unterstellen sucht, kritisiert er lediglich in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer Schuldberufung.

Auch aus dem vom Nichtigkeitswerber isoliert betrachteten Umstand, dass ihn die Zeuginnen Leopoldine M***** und Katica K***** bei Gegenüberstellungen nicht als Täter identifizieren konnten, lässt sich für seinen Standpunkt nichts gewinnen. Denn abgesehen davon, dass die beiden Zeuginnen eine auffallende Tätowierung an seinem Körper zutreffend geschildert haben (S 246, 253 jeweils II), hat sich der Angeklagte vor dem Erstgericht hinsichtlich dieser Straftaten durchaus geständig verantwortet und lediglich Modalitäten des jeweiligen Tatgeschehens zu seinen Gunsten in Abrede gestellt (insbesondere S 417 ff, 421 ff und 489 ff jeweils II). Der Rechtsmittelwerber vermag demnach keine sich aus den Akten ergebenden erheblichen Bedenken gegen das den betreffenden Schuldsprüchen zugrunde gelegte entscheidende Tatsachensubstrat aufzuzeigen.

Das Vorbringen des Angeklagten zur Rechtsrüge (Z 9 lit a) beschränkt sich darauf, die Richtigkeit der Schuldsprüche A II 2 und C (betreffend Edith H*****) in Zweifel zu ziehen, indem er sich neuerlich auf die mangelnde Identifizierung seiner Person durch das Tatopfer und einen hinzugekommenen Passanten (S 217, 185 I) beruft und die Bedeutung der Auffindung des bereits erwähnten Koffers mit seinen DNA-Spuren im Tatortbereich sowie die Ähnlichkeit des Geschehensablaufes mit jenem anderer von ihm verübter Taten zu relativieren sucht. Damit ficht er aber bloß die Beweiswürdigung des Schöffengerichtes an und verfehlt damit eine prozessordnungsgemäße Darstellung des geltend gemachten materiellrechtlichen Nichtigkeitsgrundes.

Hingegen kommt der gegen die Schuldsprüche A I 1 a bis c gerichteten Subsumtionsrüge (Z 10) Berechtigung zu. Wie der Rechtsmittelwerber zutreffend geltend macht, sind die ihm insoweit unter Anwendung schwerer Gewalt oder einer Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib und Leben zur Last liegenden Sexualangriffe nicht durch entsprechende Feststellungen gedeckt.

Gewalt ist die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder auch nur erwarteten Widerstandes des Opfers. Als "schwer" im Sinne des § 201 Abs 1 StGB ist sie qualifiziert, wenn sie unter Anlegung eines objektiv-individualisierenden Maßstabes einen höheren Grad an Intensität oder Gefährlichkeit erreicht hat. Dazu gehören brutale oder rücksichtslose Aggressionshandlungen, insbesondere solche, mit denen in der Regel Lebensgefahr verbunden ist oder bei denen gefährliche Waffen verwendet werden oder Gewalt gegen besonders gefährliche oder empfindliche Körperregionen ausgeübt wird. Schwere Gewalt liegt auch vor, wenn die Intensität oder Gefährlichkeit des Angriffes zwar unter diesem Ausmaß bleibt, die Gewaltanwendung aber doch so nachhaltig ist, dass sie durch eine längere Dauer eine gleichartige Wirkung zu entfalten vermag, wie eine an sich schwere Gewalt (Schick in WK2 § 201 Rz 12; Mayerhofer StGB5 E 8a, EGr 9, 10 und 11).

Eine nach § 201 Abs 1 StGB tatbestandsmäßige Drohung mit gegenwärtiger schwerer Gefahr für Leib und Leben besteht in der glaubhaften Androhung des unmittelbar bevorstehenden Eintritts des Todes oder einer im § 106 Abs 1 Z 1 StGB bezeichneten körperlichen Beeinträchtigung oder in der glaubhaften Androhung einer Lebens- oder Gesundheitsschädigung durch die dort genannten oder durch gleichwertige Mittel (Schick aaO Rz 18; Mayerhofer aaO EGr 12 und 13).

Nach den maßgeblichen Urteilsfeststellungen bestanden die vom Angeklagten als Nötigungsmittel eingesetzte Gewaltanwendung und Drohung im Wesentlichen im Versetzen von Schlägen, in Würgen, Festhalten und Niederdrücken der Tatopfer, wobei er im Zuge des Tatgeschehens gegenüber Leopoldine M***** äußerte, er werde ein Messer hervorholen, sollte sie (hinsichtlich der Tatortbeschaffenheit) lügen (US 6 iVm S 245 II) und Katica K***** drohte, er werde sie töten, wenn sie nicht machen sollte, was er wolle (US 7 iVm S 251 II).

Diese Konstatierungen vermögen aber die rechtliche Unterstellung der Taten unter § 201 Abs 1 StGB nicht zu begründen, weil es in all diesen Fällen an der Feststellung einer die Qualität einer schweren Gewalt erreichenden Einwirkung durch den Beschwerdeführer fehlt. Gleiches gilt nach den Urteilskonstatierungen auch hinsichtlich der geäußerten Drohungen, weil diese nicht die vom Gesetz für dieses Nötigungsmittel geforderte Qualität aufweisen.

Entgegen dem Rechtsmittel und der Stellungnahme der Generalprokuratur ist aber eine abschließende Beurteilung dieser Taten als Verbrechen nach § 201 Abs 2 StGB nicht möglich. Aus dem Akteninhalt ergeben sich nämlich gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die Angriffe des Angeklagten auf besonders gefährdete und empfindliche Körperregionen der Opfer betroffen haben und zu Verletzungen führten. So erlitt Leopoldine M***** Blutungen im Genitalbereich (S 9 und 29 I, 247 II). Katica K***** hatte eine blutende Wunde im Mund und Verletzungen im Scheidenbereich (S 252 f II). Bei Doris D***** wurden Prellungen, Abschürfungen im Gesicht und Schambereich sowie Würgemale am Hals festgestellt (S 43 in ON 4 I, S 242 II). Diese Verletzungen hat das Erstgericht zwar festgestellt, diese jedoch nicht zum Anlass genommen, Konstatierungen zur Intensität oder Gefährlichkeit der körperlichen Attacken zu treffen. Es hat sich auch mit der zeitlichen Komponente der Tathandlungen nicht auseinandergesetzt. Insbesondere der Dauer und der Heftigkeit des jeweiligen Würgevorganges kommt aber entscheidungswesentliche Bedeutung zu, weil die dadurch herbeigeführte Gefahr des Erstickens für die Opfer besonders nachhaltig ist. Auch die Dauer der Angriffshandlungen an sich, welche sich teilweise über mehrere Räume erstreckte, ist nicht in die Überlegungen des Erstgerichts eingeflossen. Damit liegt aber ein Feststellungsmangel vor, welcher eine abschließende rechtliche Beurteilung noch nicht zulässt, sondern vielmehr eine neue Hauptverhandlung erfordert.

Im Hinblick auf die durch Teilaufhebung des Urteils und die erforderliche Kassierung des Strafausspruches erübrigt sich ein Eingehen auf die weitere Rechts- sowie die Strafbemessungsrüge (Z 11). Zu Letzterer ist jedoch anzuführen, dass mit der "Bedachtnahme auf die rücksichtslose und teils ausgesprochen brutale Vorgangsweise des Angeklagten" lediglich auf seine Bereitschaft zu hemmungsloser und exzessiver sexueller Gewalttätigkeit hingewiesen und damit nicht gegen das Doppelverwertungsverbot verstoßen wird. Auch die Strafschärfung infolge Rückfalls nach § 39 Abs 1 StGB erfolgte zu Recht. Die danach zulässige Überschreitung des Strafrahmens um die Hälfte erfordert lediglich das Vorliegen zweier Vorverurteilungen, denen auf gleicher schädlicher Neigung beruhende Straftaten zugrunde liegen, weshalb eine darüber hinausgehende Anzahl solcher Vorverurteilungen (die der Beschwerdeführer irrig mit solchen wegen gleichartiger Straftaten gleichsetzt) sehr wohl als weiterer Erschwerungsgrund gewertet werden darf.

Bleibt anzumerken, dass die Tatfolge des zu A II 2 beschriebenen Vergewaltigungsversuches, nämlich eine schwere Körperverletzung der Edith H*****, nicht der Qualifikation des § 201 Abs 3 StGB unterstellt, sondern (wie bereits in der Anklageschrift) rechtlich verfehlt gesondert als Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 StGB (C) qualifiziert wurde. Diese rechtliche Beurteilung gereicht dem Angeklagten jedoch zum Vorteil, sodass sie mangels Bekämpfung durch die Staatsanwaltschaft auf sich zu beruhen hat.

Das angefochtene Urteil war somit in dem im Spruch angeführten Ausmaß aufzuheben und in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht insbesondere die Intensität, die Dauer und die Gefährlichkeit der Angriffshandlungen des Angeklagten zu klären, entsprechende Feststellungen zu treffen, diese mängelfrei zu begründen und sodann den Sachverhalt neuerlich rechtlich zu qualifizieren haben.

Bei den Angriffen gegen Doris D***** wird es zu beachten haben, dass mehrere zeitlich nicht allzu sehr differierende Ausführungshandlungen, sofern sie von einem einheitlichen (wenngleich im Verlauf der Tat modifizierten) Vorsatz getragen und auf die Vollendung eines und desselben Verbrechens ausgerichtet sind, nur eine Straftat darstellen, und zwar auch dann, wenn eine erste Ausführungshandlung fehlschlägt und ihr eine weitere folgt (14 Os 112/93; 13 Os 5/01).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die teilweise kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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