OGH 10ObS381/02f

OGH10ObS381/02f10.12.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Karlheinz Kux (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Johannes Denk (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Helmut F*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen vorzeitiger Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juli 2002, GZ 8 Rs 171/02d-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. März 2002, GZ 8 Cgs 326/00b-25, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 6. 12. 1942 geborene Kläger hat eine Dreherlehre absolviert. Anschließend war er von 2. 9. 1960 bis 31. 7. 1973 als Dreher und von 1. 8. 1973 bis 31. 1. 1994 als technischer Angestellter bei der Firma S***** beschäftigt. Seit 1993 bekleidet der Kläger das Amt des Bürgermeisters der Gemeinde H*****, ohne in einem Dienstverhältnis zu stehen.

Vom 1. 11. 1989 bis 31. 1. 1994 war der Kläger im Bereich Hauptlager als selbständiger Lagerbuchhalter eingesetzt. Seine Aufgaben betrafen das Buchen von Warenausgängen aus den diversen Lagern für die Produktion (manuelle Kontrolle der termin- und transportgerechten Materialbeistellung), Warenumlagerungen, Korrekturen (aufgrund von Inventuren), Anlegen von Lagerstammdaten für die physische Einlagerung von Waren (Lagerplätze und Lagerorte), Verschrottungsbuchungen und/oder Retouren bei fehlerhaften Teilen. In den letzten Jahren wurden diese Aufgaben mittels EDV unterstützt. Der Kläger hatte neben seinen administrativen Tätigkeiten (Schreibtischarbeiten) Tätigkeiten im Lager durchzuführen, die mit dem Anheben und Tragen von mittelschweren und schweren Gegenständen verbunden waren. Gewisse Elemente konnten ein Gewicht bis zu 60 kg aufweisen; so schwere Gegenstände wurden von zwei Personen angehoben. Dem Kläger waren im Lager sechs Personen unterstellt. Der Kläger hat Hebe- und Tragearbeiten nicht delegiert, sondern diese jeweils bei Bedarf selbst ausgeführt. Insbesondere beim Suchen von gewissen Posten war erforderlich, sich körperlich zu bücken bzw schwere Gegenstände anzuheben bzw zu tragen oder zur Seite zu schieben. Materialbedarfsplaner und Lagerbuchhalter verrichten an sich körperlich leichte Arbeiten hauptsächlich im Sitzen, immer wieder unterbrochen durch Stehen und Gehen, wobei der Haltungswechsel meistens vom Zeitpunkt her selbst bestimmt werden kann. Ein Gehör für die Umgangssprache von 1 bis 2 m ist noch ausreichend. „Bezogen auf den konkreten Arbeitsmarkt" hat der Kläger gewisse Arbeiten nicht delegiert, sondern selbst mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten ausgeführt.

Das letzte Arbeitsverhältnis des Klägers endete am 31. 1. 1994. Der Kläger weist für die Pensionsberechnung insgesamt 484 Versicherungsmonate auf.

Der Kläger ist noch in der Lage, ganzzeitig leichte körperliche Arbeiten, bei denen ein Gehörfeld für die Umfangssprache von 1 bis 2 m Hörweite genügt, in jeder Lage zu den üblichen Zeiten mit den üblichen Arbeitspausen zu verrichten. Ausgeschlossen sind Arbeiten in überwiegend gebückter Körperhaltung, Arbeiten, die überwiegend im Gehen zu verrichten sind, Arbeiten im Knien, Arbeiten in der Hocke und Arbeiten an hochexponierten Stellen (höher als Haushaltsleitern). Mit Bescheid vom 20. 6. 2000 hat die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 24. 11. 1999 auf Gewährung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger nach wie vor in der Lage sei, die in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend ausgeübte Tätigkeit als Materialbuchhalter weiterhin auszuüben und daraus wenigstens die Hälfte des Entgelts zu erwerben, das ein körperlich und geistig gesunder Versicherter regelmäßig zu erzielen pflege.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab dem Stichtag 1. 12. 1999 eine vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren und bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Leistung von EUR 250,-- monatlich zu erbringen. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, die von ihm bisher ausgeübte Tätigkeit weiterhin auszuüben, da er neben seiner Tätigkeit am Schreibtisch auch mittelschwere und schwere körperliche Arbeiten verrichtet habe, die ihm nun nicht mehr möglich seien. Die Tätigkeit eines Lagerbuchhalters sei zwar im Kernbereich körperlich leichter Art, sei jedoch mit Nebentätigkeiten verbunden, die körperliche Anforderungen im Sinne von mittelschweren und schweren Arbeiten stellten. Gerade unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Anforderungen könne nicht ausgeschlossen werden, dass im Lagerbereich Tätigkeiten anfallen, die in gebückter Haltung durchzuführen seien oder auch eine besondere körperliche Anstrengung erfordern. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im klagsabweisenden Sinn ab. Es sei notorisch, dass die Tätigkeit eines Lagerbuchhalters mit mehreren (hier sechs) Beschäftigten im Lager, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgefragt werde, in ihrem Kernbereich gerade nicht mit kalkülsüberschreitenden Tätigkeiten verbunden sei. Daran vermöge auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Kläger im konkreten Betrieb gewisse kalkülsüberschreitende Arbeiten nicht delegiert, sondern selbst mittelschwere und fallweise auch schwere Arbeiten ausgeübt habe. Der „Tätigkeitsschutz" des § 253d ASVG erstrecke sich nur auf den „Kernbereich" einer Tätigkeit und dürfe nicht in einen „Arbeitsplatzschutz" ausarten. Kalkülsüberschreitende Hebe- und Trageleistungen würden sich aber gerade als dem Kernbereich eines Lagerbuchhalters nicht immanent erweisen, weshalb sie einen Anspruch des Klägers auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit nicht zu begründen vermögen. Da der Kläger die in den letzten 15 Jahren vor Antragstellung überwiegend ausgeübte (gleiche) Tätigkeit im Kernbereich ohne Überschreitung seines Leistungskalküls noch ausüben könne, bestehe kein Anspruch auf eine Leistung nach § 253d ASVG.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Da die Begründung des Berufungsgerichts zu den Voraussetzungen einer Pensionsleistung nach § 253d ASVG zutreffend ist, genügt es, auf diese Ausführungen zu verweisen (§ 48 ASGG).

Den Ausführungen in der Revision, der Kernbereich der (konkreten) Tätigkeit des Klägers habe nicht nur administrative, sondern auch durch körperlich schwere Arbeit umfasst, ist zu entgegnen, dass § 253d Abs 1 Z 4 ASVG in der zum Stichtag geltenden Fassung nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz abstellt, sondern auf die "Tätigkeit" mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (RIS-Justiz RS0087658; SSV-NF 12/121). In diesem Sinn hat bereits das Berufungsgericht ausgeführt, dass § 253d ASVG keinen Arbeitsplatzschutz, sondern einen Tätigkeitsschutz gewährt.

Die vom Berufungsgericht seiner Entscheidung als offenkundig zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung, dass die Tätigkeit eines Lagerbuchhalters mit mehreren Beschäftigten im Lager, wie sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgefragt werde, in ihrem Kernbereich gerade nicht mit kalkülsüberschreitenden Tätigkeiten verbunden sei, ist vom Obersten Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfbar (RIS-Justiz RS0043061 [T11], zuletzt 10 ObS 184/02k mwN). Eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens aufgrund des Umstands, dass die Heranziehung dieser Tatsache nicht mit der klagenden Partei erörtert wurde (RIS-Justiz RS0040219 [T3]; zuletzt 10 ObS 273/02y), wird in der Revision nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenzuspruch aus Billigkeit rechtfertigen könnten, werden in der Revision nicht aufgezeigt und sind auch aus dem Akt nicht ersichtlich.

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