OGH 7Ob217/02s

OGH7Ob217/02s27.11.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schenk, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Theresia S*****, vertreten durch Held-Berdnik-Astner-Held, Rechtsanwaltskanzlei Graz OEG, gegen die beklagten Parteien 1. V***** Allgemeine Versicherungs AG, ***** 2. G***** Versicherungs AG, ***** 3. R***** Versicherungs AG, ***** 4. H*****-Versicherungs AG, ***** 5. N***** Versicherungs AG, ***** die erst- bis fünftbeklagte Partei vertreten durch Dr. Jörg Herzog, Rechtsanwalt in Graz, 6. D*****versicherungs AG, ***** vertreten durch Gstirner, Siegl & Choc Rechtsanwälte OEG in Graz, wegen EUR 1,293.576,45 sA über die außerordentlichen Revisionen der erst- (Revisionsinteresse EUR 145.345,66 sA), dritt- (Revisionsinteresse EUR 363.364,17 sA), viert- (Revisionsinteresse EUR 145.345,66 sA), fünftbeklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 72.672,84 sA) und der sechstbeklagten Partei (Revisionsinteresse EUR 293.210,47 sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 23. Mai 2002, GZ 3 R 49/02d-117, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 27. November 2001, GZ 23 Cg 193/97g-109, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die von der sechstbeklagten Partei als Zulassungsgrund geltend gemachte Nichtigkeit und Aktenwidrigkeit liegen nicht vor. Das Berufungsgericht (3 R 150/99k-99) und der Oberste Gerichtshof (7 Ob 38/00i-108) haben im ersten Rechtsgang dem Erstgericht folgende der ständigen Rechtsprechung entsprechende Rechtsansicht überbunden (§§ 499 Abs 2, 511 Abs 1 ZPO):

Der Versicherte oder Anspruchswerber muss zum Nachweis des Versicherungsfalles Umstände dartun, die die Möglichkeit eines Unfalles naheliegend erscheinen lassen. Wenn es aber dem Versicherer gelingt, Umstände darzutun, die für einen Freitod sprechen, muss der Versicherte bzw der Anspruchswerber beweisen, dass sich dessen ungeachtet der Unfall unfreiwillig ereignet hat. Er muss eine Beweislage schaffen, aus der sich nachvollziehen lässt, dass den für einen Selbstmord des Versicherten sprechenden Argumente andere gewichtige Argumente, aus denen sich das Gegenteil ableiten lässt, gegenüberstehen. Das Erstgericht habe aber keine klaren Feststellungen dazu getroffen, aus denen gefolgert werden könnte, dass der Tod des Versicherten auf einem Arbeitsunfall beruhe. Es habe vielmehr ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht, dass die Feststellung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausreichen würde, sich damit begnügt, festzustellen, dass die überwiegende Wahrscheinlichkeit für den Unfalltod spreche. Im vorliegenden Rechtsfall sei aber im Gegensatz zur Rechtsansicht des Erstgerichtes davon auszugehen, dass die beklagten Versicherungen Umstände dargelegt haben, die für einen Freitod sprechen, sodass das Erstgericht - im Sinne der obigen Ausführungen - dazu Feststellungen treffen müsse, ob nun ein hoher, der Gewissheit gleichkommender Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass kein vernünftiger, die Lebensverhältnisse klar überschauender Mensch an einem Unfalltod zweifeln könne.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Vorentscheidung dargelegt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Erstgericht auch ausgehend von der (richtigen) Rechtsansicht eine negative Feststellung zu der Frage, ob nun ein unfreiwilliger Unfalltod beim Versicherten eingetreten sei, getroffen hätte.

Dem Erstgericht stand es daher nach der überbundenen Rechtsansicht des Berufungsgerichtes und des Obersten Gerichtshofes frei, auf Grund des bereits durchgeführten Beweisverfahrens oder auf Grund einer Ergänzung des Beweisverfahrens ausgehend von der Rechtsansicht, dass es den Versicherern gelungen ist, Umstände darzutun, die die Möglichkeit eines Selbstmords naheliegend erscheinen lassen, Feststellungen darüber zu treffen, ob nun ein hoher, der Gewissheit gleichkommender Grad von Wahrscheinlichkeit für einen Unfalltod spricht. Dazu wurden vom Berufungsgericht (lediglich zur Unterstützung des Erstgerichtes) eine Reihe von Feststellungen über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten aufgetragen. Diese Feststellungen sollten (wenn nötig) als Indizien dienen, die eine Beweiswürdigung und darauf fußend Feststellungen ermöglichen könnten. Im zweiten Rechtsgang, ohne Ergänzung des Beweisverfahrens aber ausgehend von der überbundenen Rechtsansicht, ergänzte das Erstgericht seine Feststellungen zum Unfallshergang und stellte fest, dass der Tod des Versicherten am 4. 12. 1996 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf einem Arbeitsunfall beruhte und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ohne eigenen Willen des Genannten und somit unfreiwillig erfolgt sei. Die Schnitte im Oberschenkelbereich seien unkontrolliert erfolgt, der Versicherte hätte keine Möglichkeit gehabt, die Todesfolge zu verhindern, es sei unmöglich, mit einer Motorsäge mit entsprechender Kettenumlaufgeschwindigkeit gezielt einen Selbstmord in Form eines derartig dynamischen Ablaufes "dosiert" als Arbeitsunfall zu simulieren.

Diese Feststellungen wurden von den beklagten Revisionswerbern wegen Verfahrensmängel und mangelhafter und unzureichender Beweiswürdigung bekämpft.

Wie wohl unstrittig ist, ist dem Obersten Gerichtshof die Überprüfung der Beweiswürdigung der Vorinstanzen entzogen. Nur wenn sich das Berufungsgericht trotz darauf abzielender Rüge mit der Beweisfrage überhaupt nicht befasst hätte, wäre sein Verfahren mangelhaft (RIS-Justiz RS0043371). Das Berufungsgericht hat die Beweiswürdigung des Erstgerichtes überprüft und übernahm die Feststellungen als Ergebnis einer nicht zu beanstandenden Beweiswürdigung. Davon, dass sich das Berufungsgericht mit der Beweiswürdigung überhaupt nicht auseinandergesetzt hat, kann keine Rede sein. Damit sind die Feststellungen der Überprüfung des Obersten Gerichtshofes entzogen und der Entscheidung zu Grunde zu legen.

Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die vom Berufungsgericht verneint wurden, können vom Obersten Gerichtshof nicht mehr geprüft werden (RIS-Justiz RS0043144, RS0041588, RS0042963). Das Berufungsgericht hat sich mit der Frage, ob das Erstgericht ohne Beweiswiederholung die nunmehr getroffenen Feststellungen treffen konnte, auseinandergesetzt. Dadurch ist eine weitere Überprüfung dem Obersten Gerichtshof entzogen (RIS-Justiz RS0043144, RS0042963). Es kann keine Rede davon sein, dass das Berufungsgericht von seiner im Aufhebungsbeschluss enthaltenen Rechtsansicht abgegangen wäre (vgl dazu RIS-Justiz RS0042181). Im vorliegenden Fall geht es nämlich nicht um die überbundene Rechtsansicht, sondern um Beweiswürdigungsprobleme, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist. Kann das Erstgericht die als fehlend erkannten entscheidungsrelevanten Feststellungen, ohne weiterer Hilfstatsachen zu bedürfen, treffen, so schadet es nicht, wenn nicht alle möglichen Hilfstatsachen, die vom Berufungsgericht angesprochen wurden, vom Erstgericht nicht getroffen wurden. Entscheidend war im vorliegenden Fall lediglich die Feststellung über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Unfalltodes. § 496 Abs 1 Z 3 ZPO regelt sogenannte "rechtliche Feststellungsmängel", also die Fälle, in denen das Erstgericht infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung erforderliche Feststellungen nicht getroffen hat. Wird deswegen die Sache an das Erstgericht zurückverwiesen, dann ist eine neuerliche Verhandlung nur dann aufzutragen, wenn sie noch erforderlich ist; andernfalls kann zur bloßen Urteilsfällung zurückverwiesen werden (vgl Kodek in Rechberger ZPO2 § 496 Rz 4 mwN). Kommt das Erstgericht im Rahmen dieses Ergänzungsauftrages des Berufungsgerichtes ohne weitere Beweisaufnahmen zum Ergebnis, das die vorangegangene Beweiswürdigung zu ergänzen bzw zu ändern hat, kann darin kein gesetzwidriger Vorgang erblickt werden, war doch das Erstgericht mit der Aufgabe konfrontiert, gegenüber der ursprünglichen (und vom Berufungsgericht zu Recht als nicht ausreichend beurteilten) Feststellungslage noch zu einer Reihe weiterer Fragen, die eigenen Würdigungsüberlegungen bedurften, Stellung zu nehmen. Dass die Gesamtbeurteilung dieser Fragen zu einer insgesamt anderen Beweiswürdigung führen kann, deckt nur auf, dass die ursprüngliche Wertung eben unzutreffend war. Eine derart nachvollziehbar vorgenommene Änderung der Beweiswürdigung ist im zivilgerichtlichen Verfahren - ohne Verstoß gegen die Bindungswirkung (vgl Feldner, Die Bindung des Zivilgerichts an seine im Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss geäußerte Rechtsansicht, ÖJZ 2002, 221 [223]) - durchaus zulässig. Ausgehend von den erstgerichtlichen Feststellungen wurde daher keine erhebliche Rechtsfrage geltend gemacht.

Stichworte