OGH 7Ob173/02w

OGH7Ob173/02w30.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria G*****, vertreten durch Dr. Werner Ungeringer, Rechtsanwalt in Mattighofen, gegen die beklagte Partei Andreas G*****, vertreten durch Mag. Michaela Speer, Rechtsanwältin in Mattighofen, wegen Räumung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 4. Juni 2002, GZ 6 R 123/02h-10, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 18. Februar 2002, GZ 1 C 70/02p-6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 2. 11. 2000 verstorbene Maria R***** ist die Mutter der Klägerin und die Großmutter des Beklagten. Die Klägerin ist die Mutter des Beklagten. Maria R***** hinterließ zwei letztwillige Verfügungen, nämlich vom 9. 1. 1990 und vom 12. 8. 1990. Die letztwillige Verfügung vom 12. 8. 1990 lautet wie folgt:

"Testamtent! Von R***** Maria. Das Haus gehört der Tochter G***** Maria, unter nachstehenden Bedingungen den zwei Söhnen Othmar und Andreas muss jeder S 50.000,-- ausgezahlt bekommen, und zwar nach dem Nimand mehr im Haus ist. Solte das Geld nicht voll ausgezahlt werden Dann haben Beide das volle ebenerdige Nutzungsrecht mit der forderen Hälte vom Garten für immer, und können Vermieten. Solte der Andreas im Haus bleiben, dann kan Er das Obgenannte volle Nutzungsrecht mit der forderen Hälfte Garten übernehmen muß aber dem Bruder Othmar die 50.000,-- Schl. Innerhalb von 2 Jahren ausbezahlen. Solte das Haus verkauft werden muß jeder 120.000,-- Schl. Bekommen Othmar 120.000,-- Sch. und Andreas 120.000,-- nach dem verkauf des Hauses, R***** Maria."

Maria R***** setzte links unten (nach der Unterschrift) noch folgende Zusätze: "Andreas kan im Hause bleiben, solang er will" und "Sohn Ludwig kan nichts mehr fordern".

Die Klägerin beantragt nun, den Beklagten schuldig zu erkennen, das Haus binnen 14 Tagen der Klägerin geräumt von eigener Fahrnis zu übergeben. Sie sei auf Grund der letztwilligen Verfügung ihrer Mutter vom 9. 1. 1990 Alleinerbin. Die letztwillige Verfügung vom 12. 8. 1990 mit Ausnahme der nicht unterfertigten beiden Zusätze stelle eine Ergänzung des Testaments vom 9. 1. 1990 dar. Dem Beklagten stünde ein Nutzungsrecht an der Wohnung im Erdgeschoss nur zu, wenn sie ihm den Betrag von S 50.000 nicht bezahlen würde. Die Klägerin sei jederzeit bereit, den nach der letztwilligen Verfügung erst nach Räumung des Hauses fälligen Betrag zu leisten. Der Beklagte weigere sich aber, das Haus zu räumen.

Der Beklagte beantragte Klagsabweisung im Wesentlichen mit der Begründung, dass sich aus der letztwilligen Verfügung vom 12. 8. 1990 eindeutig der Wille der Erblasserin ergebe, dass der Beklagte solange im Haus wohnen könne, solange er wolle. Darüber hinaus habe ihm die Verstorbene schon zu Lebzeiten ein obligatorisches Wohnrecht eingeräumt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Während der Text des Vermächtnisses unklar lasse, in wessen Ermessen es gestellt werde, ob und für wie lange die Enkelsöhne in dem der Tochter vermachten Haus wohnen bleiben dürften, werde dies durch den Nachsatz der Beklagten, dass Andreas so lange im Hause bleiben könne, wie er wolle, eindeutig präzisiert. Die Klägerin könne den Beklagten daher nicht zur Räumung veranlassen, solang dieser sich in der Wohnung aufhalten wolle. Das Berufungsgericht verwarf die Nichtigkeitsberufung (ohne dies im Spruch entgegen §§ 473 Abs 1, 471 Z 5 ZPO beschlussmäßig zum Ausdruck zu bringen) und gab der Berufung im Übrigen nicht Folge. Es verneinte das Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO und den aus demselben Sachverhalt geltend gemachten Verfahrensmangel. Die Tatsachen- und Beweisrüge gegen die "implizite" Feststellung, es sei der Wille der Erblasserin gewesen, dem Beklagten das Recht einzuräumen, im Haus zu bleiben, behandelte das Berufungsgericht mit der Begründung nicht, dass eine derartige Feststellung nicht getroffen worden sei, da das Erstgericht die letztwillige Verfügung lediglich ausgelegt habe und in diesem Falle nur eine Rechtsrüge zu erheben sei. In rechtlicher Hinsicht gelangte es zu dem Ergebnis, dass das Testament vom 9. 1. 1990 durch die letztwillige Verfügung vom 12. 8. 1990, die mangels Erbseinsetzung ein Kodizill sei, ergänzt worden sei, sodass beide letztwilligen Anordnungen gültig seien. Die nicht unterfertigten Zusätze auf der letztwilligen Anordnung vom 12. 8. 1990 seien infolge Formmangels kein Teil des Kodizills. Da diese Zusätze eben nicht als letztwillige Verfügung aufgefasst worden seien, sei es auch unerheblich, dass das Erstgericht keine Feststellungen darüber getroffen habe, dass diese Zusätze mit einem anderen Kugelschreiber bzw zeitlich nach dem vorstehenden Text geschrieben worden seien. Diese Zusätze seien aber zur Auslegung der letztwilligen Verfügung heranzuziehen, da der subjektive Wille des Erblassers maßgeblich sei und zur Erforschung desselben auch Umstände außerhalb der letztwilligen Verfügung, somit auch diese schriftlichen Äußerungen der Erblasserin, zu berücksichtigen seien. Unter Berücksichtigung des nachträglichen Zusatzes sei davon auszugehen, dass die Erblasserin dem Beklagten ein unbefristetes (obligatorisches) Wohnungsgebrauchsrecht zu vermachen beabsichtigt habe. Der Beklagte habe aus diesem Grund einen Anspruch auf Benützung des Hauses, weshalb das Räumungsbegehren der Klägerin unberechtigt sei.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass hier keine erhebliche Rechtsfrage zur Entscheidung vorliege und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag, in eventu wurde ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt nach Freistellung der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichtes zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass sowohl Nichtigkeitsgründe als auch Verfahrensmängel in der Revision nicht noch einmal geltend gemacht werden können, wenn das Berufungsgericht diese bereits geprüft und verneint hat (RIS-Justiz RS0042925, RS0042981; RS0042963, RS0041588; Kodek in Rechberger2, § 503 ZPO Rz 3). Insofern ist auf das Vorbringen in der Revision nicht weiter einzugehen.

Die Klägerin rügt aber zu Recht, dass sich das Berufungsgericht auf Grund unrichtiger Rechtsansicht nicht mit der Beweisrüge auseinandergesetzt hat.

Bei der Auslegung letztwilliger Erklärungen handelt es sich darum, den Bewusstseinsinhalt des Erblassers zu der Zeit, als er seine Verfügungen getroffen hat, und insbesondere seine Willensbestrebungen festzustellen. Erfolgt eine solche Feststellung nicht nur aus dem Inhalt der (letztwilligen) Urkunde, sondern auf Grund (auch) anderer Beweismittel, so ist sie tatsächlicher Art. Was der Erblasser gewollt hat, ist dann eine der Vergangenheit angehörige Tatsache und keine Rechtsfrage (10 Ob 2335/96x mwN; 4 Ob 194/98b; 3 Ob 154/01w; RIS-Justiz RS0043463). Die Auslegung einer dem Wortlaut nach feststehenden Urkunde ist hingegen immer dann eine Frage der rechtlichen Beurteilung, wenn sie allein auf Grund des Urkundeninhalts geschieht (10 Ob 2335/96x mwN; 4 Ob 194/98b; 3 Ob 154/01w; 9 Ob 273/99h: 9 Ob 209/01b; SZ 69/247 mwN; RIS-Justiz RS0043463). Wird also der Wille des Erblassers für den Zeitpunkt, in dem er seine letztwillige Verfügung getroffen hat, nicht ausschließlich aus der letztwilligen Verfügung abgeleitet, sondern werden noch andere Beweismittel herangezogen und damit außerhalb der letztwilligen Verfügung liegende Tatsachen zu Grunde gelegt, liegt eine Tatfrage vor.

Das Berufungsgericht verkennt nun, dass es zu seinem Auslegungsergebnis nicht allein auf Grund der formgültigen letztwilligen Verfügung kommt. Es zieht einen nicht unterfertigten, damit formungültigen und außerhalb der Urkunde liegenden Zusatz (wenn auch auf demselben Blatt Papier) zur Feststellung des Erblasserwillens heran. Damit stellt sich die Ermittlung des Erblasserwillens zumindest zum Teil als Tatfrage dar, wird doch auf Grund von Tatsachen in der Vergangenheit auf den damals erklärten Willlen geschlossen. Es ist daher zutreffend, dass das Erstgericht zur Klagsabweisung nicht auf Grund einer rechtlichen Beurteilung gelangte, sondern auf Grund der von ihm - wenn auch im Rahmen der rechtlichen Beurteilung - getroffenen Feststellungen, dass der Wille der Erblasserin auf die Einräumung eines Wohnungsgebrauchsrechtes an den Beklagten gerichtet war. Diese Feststellungen sind aber noch ergänzungsbedürftig. Im fortzusetzenden Verfahren wird daher die Tatsachengrundlage zu verbreitern sein und Feststellungen über die näheren Umstände der Verfertigung des nicht unterschriebenen Zusatzes und zum Willen der Erblasserin zum Zeitpunkt der Verfassung der letztwilligen Verfügung zu treffen sein. Erst dann kann über die Rechtsssache entschieden werden. Obwohl bei Nichtbehandlung einer Beweisrüge durch das Berufungsgericht zurückzuverweisen wäre, so war doch die Rechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen, da die Ergänzung der Feststellungen jedenfalls notwendig ist. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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