OGH 10ObS337/02k

OGH10ObS337/02k22.10.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und DI Walter Holzer (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Alfred G*****, vertreten durch Dr. Martin Wiedenbauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84 - 86, 1051 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. Mai 2002, GZ 10 Rs 67/02z-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23. Oktober 2001, GZ 9 Cgs 21/01w-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 26. 8. 1925 geborene Kläger wohnt mit seiner Ehefrau in einer Gemeindewohnung im Erdgeschoß, zu der acht Stufen zu bewältigen sind. In der Wohnung sind Warmwasser, Gasherd, Kühlschrank, Waschmaschine und Toilette vorhanden. In der Küche befindet sich eine Badewanne. Die Wohnung wird mit Fernwärme beheizt. Gekocht wird von der Ehefrau des Klägers. Das nächste Lebensmittelgeschäft ist von der Wohnung etwa 500 m entfernt, die nächste Apotheke 1000 m und auch der praktische Arzt etwa 1000 m.

Der Kläger hat eine kognitive Störung, die ihn daran hindert, die Fähigkeiten zu erwerben, die erforderlich sind, damit er sich eine Mahlzeit zubereiten kann. Der Kläger hat nie gekocht und ist nicht in der Lage, diese Tätigkeit noch zu lernen. Er kann zwar vorbereitete Speisen aufwärmen; es ist aber aufgrund der kognitiven Störung auch möglich, dass er das Gas nicht abdreht, nachdem er sich beispielsweise Kaffee zubereitet hat. Selbstgefährdung besteht allerdings keine.

Insgesamt ist der Kläger nicht in der Lage, sich warme Mahlzeiten zuzubereiten, wenn er auch vorbereitete Speisen aufwärmen kann. Er bedarf der Hilfe bei der Wohnungsreinigung, bei der Pflege der Leib- und Bettwäsche sowie beim Einkaufen. Außerdem benötigt er Mobilitätshilfe im weiteren Sinn, da er nicht in der Lage ist, ohne Begleitperson Strecken auf der Straße zu gehen. Er kann die oberflächliche und gründliche Körperreinigung durchführen, bedarf jedoch der Hilfe beim Besteigen der Badewanne. Eine Aufsichtsperson muss einmal täglich nach dem Kläger sehen.

Mit Bescheid vom 29. 11. 2000 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 10. 10. 2000 auf Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 2 ab.

Das Erstgericht sprach dem Kläger Pflegegeld der Stufe 2 zu, da der erforderliche Pflegeaufwand 75 Stunden monatlich übersteige. Der Bedarf des Klägers umfasse die Hilfe beim Kochen, bei der Wohnungsreinigung, bei der Durchführung der Wäsche, beim Einkaufen, die Mobilitätshilfe im weiteren Sinn sowie die Hilfe beim Wannenbad. Ein weiterer Bedarf entstehe dem Kläger auch noch dadurch, dass - wegen seiner kognitiven Störung - einmal täglich eine Aufsichtsperson nach dem Kläger sehen müsse. Dieser Bedarf bestehe zusätzlich zu dem bereits beschriebenen Aufwand und werde „daher" ebenfalls mit 10 Stunden monatlich berechnet, sodass sich ein insgesamt 75 Stunden monatlich übersteigender Pflegebedarf ergebe, der die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 2 rechtfertige.

Über Berufung der beklagten Partei änderte das Berufungsgericht im Sinne einer (von der beklagten Partei nicht bekämpften) Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 1 ab. Bei der Notwendigkeit, dass einmal täglich eine Aufsichtsperson nach dem Kläger schaut, handle es sich nicht um eine Anleitung oder Beaufsichtigung iSd § 4 Abs 1 EinstV, weil kein Zusammenhang mit einer der in den §§ 1 und 2 EinstV angeführten Verrichtungen zu erkennen sei. Für diese Nachschau sei im Übrigen weder im BPGG noch in der EinstV ein Zeitwert angeführt. Überdies könne die Nachschau mit anderen Hilfsverrichtungen verbunden werden, sodass praktisch kein zu berücksichtigender zeitlicher Mehraufwand entstehe. Bestehe die Notwendigkeit der Betreuung bei der Zubereitung von Mahlzeiten nach § 1 Abs 4 EinstV, müsse ohnedies einmal täglich eine Pflegeperson mit dem Kläger Kontakt aufnehmen, wobei sie ohne zeitlichen Mehraufwand auch die Nachschau durchführen könne. Somit bestehe keine gesetzliche Grundlage für eine Anrechnung von 10 Stunden monatlich für die tägliche Nachschau durch eine Pflegeperson. Der durchschnittliche Pflegebedarf betrage daher nicht mehr als 75 Stunden monatlich, sodass dem Kläger nur Pflegegeld in der Höhe der Stufe 1 gebühre.

Dagegen richtet sich die Revision der klagenden Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne eines Zuspruchs von Pflegegeld der Stufe 2 abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Im Revisionsverfahren allein strittig ist die Frage, ob beim Kläger ein über 75 Stunden hinausgehender Pflegebedarf besteht oder nicht. Unter Außerachtlassung eines möglichen Aufwands für die tägliche Nachschau sind die Vorinstanzen offensichtlich entsprechend den in der EinstV vorgesehenen Werten (soweit solche vorhanden sind) von folgendem Zeitaufwand ausgegangen:

Zubereitung von Mahlzeiten (Mindestwert) 30 Stunden/Monat Reinigung der Wohnung (Fixwert) 10 Stunden/Monat

Pflege der Leib- und Bettwäsche (Fixwert) 10 Stunden/Monat

Herbeischaffung von Nahrungsmitteln etc (Fixwert)

10 Stunden/Monat

Mobilitätshilfe im weiteren Sinn (Fixwert) 10 Stunden/Monat Dazu kommt die Hilfe beim Wannenbad, hinsichtlich derer ein (tatsächlicher) Zeitaufwand nicht festgestellt ist. Zu Recht hat das Berufungsgericht keinen gesonderten Zeitaufwand für die tägliche Nachschau durch eine Aufsichtsperson angesetzt. Im Zusammenhang mit der Notwendigkeit der Betreuung bei der Zubereitung von Mahlzeiten muss ohnedies zumindest einmal täglich eine Pflegeperson mit dem Kläger Kontakt aufnehmen. Ein ins Gewicht fallender Mehraufwand an Zeit und Mühe ist daher mit der „täglichen Nachschau" nicht verbunden (vgl RIS-Justiz RS0086671). Maßgebliche Bedeutung dafür, ob der Kläger eines monatlichen Pflegeaufwands von mehr als 75 Stunden bedarf, kommt daher der Frage zu, welcher Zeitaufwand für die Unterstützung beim Besteigen der Badewanne (allenfalls Duschwanne laut AS 31) anzunehmen ist. Der Kläger geht in der Revision davon aus, dass die Hilfe, derer der er bedarf, um in die Wanne hinein und aus der Wanne heraus geleitet zu werden, täglich mehr als 10 Minuten in Anspruch nehme. Die EinstV sieht für die tägliche Körperpflege in § 1 Abs 4 einen zeitlichen Mindestwert von 2 x 25 Minuten vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fällt allerdings die Notwendigkeit der Hilfe beim Baden, Duschen und Haarewaschen sowie bei der Pediküre und Maniküre nicht unter den Begriff der "täglichen Körperpflege" iSd § 1 Abs 4 EinstV, sondern unter die (sonstige)

Körperpflege nach § 1 Abs 2 EinstV (10 ObS 89/01p = ARD 5334/30/2002;

in diesem Sinn auch beispielsweise SZ 67/117 = SSV-NF 8/67 uva). Der

hiefür erforderliche Hilfsbedarf bleibt jedoch nicht unberücksichtigt, sondern ist als "sonstige" Körperpflege angemessen nach dem tatsächlichen Aufwand zu berücksichtigen (vgl RIS-Justiz RS0058447 [T4]). In einer Reihe von Entscheidungen wurde zum Ausdruck gebracht, dass mangels gegenteiliger medizinischer Indikation ein zweimaliges Wannenbad oder Duschen pro Woche als ausreichend anzusehen ist, ohne dass der Betroffene damit der Gefahr der Verwahrlosung ausgesetzt wäre (10 ObS 356/99x = ARD 5229/25/2001 uva; RIS-Justiz RS0058447). Die Rechtsprechung hat sich bei der Bewertung dieses Betreuungsaufwandes an den in § 1 Abs 4 EinstV für die tägliche Körperpflege angeführten Mindestwerten von 2 x 25 Minuten pro Tag orientiert und ein Wannenbad mit einem Betreuungsaufwand von etwa 25 Minuten bewertet, woraus sich ein monatlicher Aufwand von etwa 3,5 bis 4 Stunden ergibt (SSV-NF 8/55, 8/74, 8/104, 12/83 ua). Ginge man von dem vom Kläger in der Revision angeführten Wert von "mehr als 10 Minuten" pro Badegang aus, käme man überhaupt nur zu einem monatlichen Aufwand von rund 1,5 Stunden.

Zu Recht ist somit das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger keines monatlichen Pflegeaufwands von mehr als 75 Stunden bedarf.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kostenersatzanspruch aus Billigkeit besteht, sind neben den Einkommens- und Vermögensverhältnissen auch die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Falles zu beachten. Tatsächliche Schwierigkeiten scheiden im Revisionsverfahren schon deshalb aus, weil der Tatsachenbereich in diesem Verfahrensstadium nicht überprüft werden kann. Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen im Hinblick auf die zitierte ständige Rechtsprechung nicht vor (SSV-NF 13/61). Ein Kostenersatz aus Billigkeit hat daher nicht stattzufinden.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte