OGH 8ObA10/02g

OGH8ObA10/02g19.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Rohrer und die fachkundigen Laienrichter Friedrich Heim und Wolfgang Neumeier als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Werner D*****, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner ua, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Dr. Rainer H. Schuster, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 12.621,93 brutto sA abzüglich EUR 3.206,25 netto (Revisionsinteresse EUR 11.078,11 brutto abzüglich EUR 3.206,25 netto sA) infolge der Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 28. September 2001, GZ 7 Ra 248/01v-16, mit dem infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 3. April 2001, GZ 30 Cga 208/00b-10, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden, soweit sie nicht bereits in Rechtskraft erwachsen sind (Zuspruch von EUR 1.543,82 brutto sA) - also im Umfang von EUR 11.078,11 brutto sA abzüglich EUR 3.206,25 netto - aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur allfälligen Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war seit 18. 2. 1975 als Vertragsbediensteter bei der Republik Österreich beschäftigt und im Personalstand der österreichischen Post- und Telegraphenverwaltung geführt. Er war während der gesamten Zeit im Zustelldienst tätig, seit 1982 im Paketzustelldienst. Mit Inkrafttreten des Poststrukturgesetzes (PTSG) wurden die bisher von der Post- und Telegraphenverwaltung wahrgenommenen Aufgaben einer durch dieses Gesetz errichteten Aktiengesellschaft zur Besorgung übertragen. Diese führte die Firma Post- und Telekom Austria AG. Mit 1. 1. 1999 wurde die beklagte Partei Österreichische Post AG von der Post und Telekom Austria AG durch einen privatrechtlichen Vertrag abgespalten und der Kläger von der Beklagten als Dienstnehmer übernommen. Die Beklagte kündigte den Kläger per 31. 7. 2000, wobei im Kündigungsschreiben vom 3. 2. 2000 eine anstaltsärztlich festgestellte körperliche Nichteignung gemäß § 48 Abs 2 lit b der Dienstordnung festgehalten wurde und der Kläger ab 15. 2. 2000 dienstfrei gestellt wurde.

Der Kläger hat regelmäßig Überstunden geleistet und neben seinem Grundgehalt auch Zulagen erhalten, und zwar ua die streitgegenständliche Erschwerniszulage Paketdienst (Stückgeld für jedes zuzustellende Paket) und das Lenkerpauschale (mit der nicht ein erhöhter Mehraufwand, sondern die höhere Verantwortung als Lenker eines Dienstfahrzeuges abgegolten wurde). Für die Zeit November 1997 bis November 1999 erhielt der Kläger die auf S 6 f des Berufungsurteils detailliert festgestellten Überstundenvergütungen, Erschwerniszulagen für Paketdienst und Lenkerpauschalen.

Der Kläger begehrt zuletzt (einschließlich des bereits rechtskräftig

zuerkannten Teils von S 21.243,44 [= EUR 1.543,82] brutto sA) S

173.881,55 (= EUR 12.621,93) brutto sA abzüglich S 44.118,90 (= EUR

3.206,65) netto, die ihm in Abänderung des Ersturteils zur Gänze zugesprochen worden.

Zwischen den Parteien ist vor allem die den Grund des Anspruchs betreffende Frage strittig, ob die Überstunden sowie die beiden erwähnten Zulagen nach den maßgeblichen Bestimmungen des AngG (so der Kläger) oder nach den Bestimmungen des VBG (so die beklagte Partei) zu ermitteln sind.

Das Berufungsgericht vertrat unter Berufung auf zweitinstanzliche Entscheidungen (die in der Zwischenzeit alle vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden) die Rechtsauffassung, dass vom Entgeltbegriff nach dem AngG auszugehen sei, sodass bei der Berechnung der Abfertigung sowie im Krankheits- und Urlaubsfall auch die Mehrleistungs- und Überstundenzahlungen zu berücksichtigen und die Dienstzulagen, die unzweifelhaft Entgeltcharakter hätten, in die Entgeltbemessungsgrundlage auch dann einzubeziehen seien, wenn für die Dienstnehmer eine Vertragsschablone (hier VBG) als “lex contractus" maßgebend sei, die solches nicht vorsehe; dies sei zugunsten der Arbeitnehmer zwingendes Recht und könne nicht durch anderweitige Vorteile, die die beklagte Partei ihren Dienstnehmern gewährt habe, außer Kraft gesetzt werden.

Rechtliche Beurteilung

Diese Rechtsauffassung ist zutreffend, sodass es diesbezüglich genügt, auf die angefochtene Entscheidung zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Den Revisionsausführungen der beklagten Partei, die zusammengefasst meint, dass sich aus dem PTSG der Vorrang der aus dem VBG übernommenen Bestimmungen, deren Weitergeltung gesetzlich angeordnet werde, vor anderen Bestimmungen des privaten Arbeitsrechts mit gleichem Regelungsgegenstand ergebe, sodass sowohl hinsichtlich der Entgeltfortzahlung im Krankheits- und Urlaubsfall als auch hinsichtlich der Berechnung der Abfertigung die entsprechenden Bestimmungen des VBG zur Anwendung kämen, ist zu erwidern:

Der erkennende Senat hat zwischenzeitig die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung 10 Ra 50/01y mit seiner Entscheidung vom 18. 4. 2002, 8 ObA 162/01h, betreffend den Urlaubsanspruch von Bediensteten einer ebenfalls aus der Post- und Telegraphenverwaltung ausgegliederten Gesellschaft, die auf der selben Rechtsgrundlage wie die hier beklagte Partei (Poststrukturgesetz BGBl 201/1996 [PTSG]) beruht, mit ausführlicher Begründung (weitere Nachweise siehe dort) bestätigt und dort zusammengefasst ausgeführt:

Es trifft zwar zu, dass in den letzten 10 Jahren zahlreiche Organisationseinheiten des Bundes ausgegliedert und eigene Einrichtungen mit unterschiedlichen Rechtsformen geschaffen wurden und dass die dabei getroffenen Regelungen unterschiedlich formuliert wurden.

Im hier zu beurteilenden Fall wurde im Zuge der Ausgliederung durch das Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl 201/1996, Art 95 - Bundesgesetz über die Errichtung und Aufgaben der Post und Telekom Austria AG (Poststrukturgesetz - PTSG) - die Form einer Kapitalgesellschaft gewählt und das Aktiengesetz, soweit das Ausgliederungsgesetz keine abweichenden Vorschriften enthält, für anwendbar erklärt (§ 1 Abs 1 PTSG). Nach § 19 Abs 1 dieses Gesetzes unterliegen die Dienstverhältnisse der neueintretenden Bediensteten dem AngG und dem Kollektivvertrag für die Post und Telekom AG. Gemäß § 18 Abs 1 dieses Gesetzes werden die bei der Post- und Telegraphenverwaltung beschäftigten Vertragsbediensteten mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes Arbeitnehmer der Post und Telekom Austria AG oder eines Unternehmens, an dem die Post und Telekom Austria AG zumindest mehrheitlich beteiligt ist. Die genannten Dienstnehmer unterliegen dem Kollektivvertrag gemäß § 19 Abs 4; der Bund haftet für Entgeltansprüche ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Entstehung dieser Ansprüche in dem Ausmaß, auf das die Arbeitnehmer als Vertragsbedienstete des Bundes Anspruch gehabt hätten. Die Erläuterungen (RV 72 BlgNR 20. GP) stellen klar, dass die Arbeitsverhältnisse zum neuen Unternehmen in Hinkunft nurmehr auf privatrechtlichem Vertrag beruhen. Die Konsequenz für den Bereich des Individualarbeitsrecht ist daher, dass das allgemeine Arbeitsrecht gilt, soweit nicht sondergesetzliche Regelungen im Ausgliederungsgesetz vorhanden sind. Für die ehemaligen Vertragsbediensteten hat dies im Rahmen der Personalüberleitung die Konsequenz, dass sie zu Angestellten bzw Arbeitern mit einem neuen privaten Arbeitgeber übergeleitet werden und das VBG als lex contractus Vertragsinhalt der Einzelarbeitsverträge wurde; es dient als Vertragsschablone.

Ob diese Rechtslage durch andere Formulierungen mit der Konsequenz hätte umgangen werden können, dass auschließlich das VBG weitergilt, kann hier - als nicht entscheidungswesentlich - dahingestellt bleiben.

Der von der beklagten Partei angestrebten Auslegung des hier zu beurteilenden Ausgliederungsgesetzes (PTSG) dahin, dass das VBG für alte und neue Dienstnehmer (für diese via Nachbildung des VBG im Kollektivvertrag) für gesetzlich anwendbar erklärt und als lex specialis gegenüber dem Urlaubsgesetz anzusehen sei und auch dessen zwingende Bestimmungen ausschließe, kann nicht gefolgt werden. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass weder durch Einzeldienstvertrag, mag auch die betreffende Regelung (hier VBG) durch Vertragsschablone in diesen eingeflossen sein, noch durch einen Kollektivvertrag zwingende Regelungen umgangen werden können. Dass das in § 6 UrlG verankerte Ausfallprinzips eine solche ist, ist einhellige Rechtsprechung und Lehre, ebenso, dass auch regelmäßig geleistete Überstunden in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind.

§ 6 UrlG ist daher, ebenso wie alle anderen zwingenden Bestimmungen des allgemeinen Arbeitsrechts etwa betreffend Abfertigung, Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung einzuhalten, soweit sie günstiger sind als die als lex contractus in den Einzelvertrag übernommenen Bestimmungen des VBG. Eine Gesamtbeurteilung dahingehend, ob insgesamt die als Vertragsschablone in die Einzelverträge eingeflossenen Bestimmungen des VBG günstiger als die allgemeinen arbeitsvertraglichen Regelungen sind, hat insofern jedenfalls nicht stattzufinden, als die dem Arbeitnehmer eingeräumten gesetzlichen Mindestansprüche nicht durch andere vertraglich eingeräumte günstigere Bestimmungen beschränkt werden können. Eine Kompensation zwingender gesetzlicher Ansprüche mit vertraglich eingeräumten Ansprüchen kommt nicht einmal, wenn sie dem selben Regelungsbereich angehören, in Betracht.

Im gleichen Sinn hat der Oberste Gerichtshof zwischenzeitig auch in den anderen vom Berufungsgericht zitierten Fällen (7 Ra 140/01p [richtig wohl 7 Ra 143/01b] und 7 Ra 120/01w) in seinen Entscheidungen vom 19. 9. 2001, 9 ObA 188/01i und 9 ObA 196/01s entschieden, die den Abfertigungsanspruch der ehemaligen Vertragsbediensteten der Wasserstraßendirektion betreffen, die nunmehr in ein Dienstverhältnis zur Österreichischen Donau-Betriebs-AG überführt wurden, das eine gleichartige gesetzliche Anordnung, nämlich dass ehemaligen Vertragsbediensteten ihre “bestehenden Rechte gewahrt bleiben", enthält.

Es kann daher von einer diesbezüglich gesicherten einheitlichen oberstgerichtlichen Rechtsprechung ausgegangen werden. Der Revisionswerberin ist jedoch im Sinne ihres hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages zuzustimmen, dass die Rechtssache nicht spruchreif ist:

Zu Recht wendet sich die Revisionswerberin gegen die Einbeziehung des durchschnittlichen Überstundenentgelts in die Abgeltung von Überstunden durch Zeitausgleich, bei dessen Bemessung gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AZG der Überstundenzuschlag entweder zu berücksichtigen oder gesondert auszuzahlen ist. Wird bei Bemessung des Zeitausgleiches der Zuschlag berücksichtigt, gebührt er im Ausmaß der eineinhalbfachen Überstundenleistung, wobei diese Zeit als Normalarbeitszeit gemäß § 10 Abs 3 AZG mit dem Normallohn - einschließlich der üblicherweise sowohl für die Arbeit in der Normalarbeitszeit als auch für die Überstundenarbeit zustehenden Zulagen (siehe Klein in Cerny/Klein/Schwarz Arbeitszeitgesetz 169 ff; Grillberger ArbeitszeitG2 90) - zu honorieren ist; dasselbe gilt dann, wenn der Zeitausgleich nur im Ausmaß der einfachen Überstundenleistung gewährt und der Überstundenzuschlag gesondert ausgezahlt wird. Das “durchschnittliche Überstundenentgelt" ist daher weder in die Bemessung der Überstundenvergütung noch in die Ausmessung und Bezahlung des an ihre Stelle tretenden Zeitausgleiches einzubeziehen. Weiters ist das Jubiläumsgeld, das dem Kläger nach 25 Jahren Dienstzeit einmalig zusteht, nicht und zwar auch nicht teilweise - wie dies das Berufungsgericht, dem Kläger folgend, getan hat - in die Berechnungsgrundlage für die Bemessung der Abfertigung einzubeziehen, weil es sich nicht um regelmäßig wiederkehrende Bezüge handelt (Schwarz/Löschnigg aaO 358; Arb 9.942).

Schließlich fehlt es zwar nicht an detaillierten Feststellungen hinsichtlich der erhaltenen Entgelte für Überstunden, Erschwerniszulage und Lenkerpauschale sowie Zeiten des Urlaubs, des Krankenstandes oder des Zeitausgleichs (Ersturteil S 5 bis 7). Es bestehen auch trotz der Äußerung des Klagevertreters in der mündlichen Streitverhandlung vom 3. 4. 2001 (ON 9, S 5) keine Bedenken für die Berechnung des während der Dienstfreistellung (Mitte Februar bis Ende Juli 2000) zustehenden Betrages von den letzten drei Monaten, in denen der Kläger tatsächlich gearbeitet hat (September bis November 1999) auszugehen und es ist auch durchaus folgerichtig, die in diesem Zeitraum gelegenen Krankenstands- und Urlaubstage herauszurechnen, da feststeht, dass die beklagte Partei während des Krankenstandes und des Urlaubes die strittigen Entgeltbestandteile nicht gezahlt hat, obwohl sie nach den obigen Ausführungen heizu verpflichtet gewesen wäre: Der Durchschnitt der bezahlten strittigen Leistungen ist daher nur an Hand der Zeiten zu berechnen, in denen der Kläger tatsächlich gearbeitet hat, was auch die beklagte Partei - ausgehend von der von ihr abgelehnten Grundprämisse - nicht beanstandet (Revisionsbeantwortung S 6).

Der Revisionswerberin ist aber dahin zu folgen, dass die konkrete detaillierte Berechnung des Klägers trotz der Aufgliederung in ON 6 nicht bzw nur mit einem ganz erheblichen rechnerischen Aufwand nachvollziehbar ist, weshalb gemäß § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO die Entscheidung der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache an das Erstgericht zur allfälligen Ergänzung des Verfahrens (nähere rechnerische Erläuterungen des Klägers, allenfalls Einholung eines Sachverständigengutachtens) und neuerlichen Entscheidung zurückzuverweisen ist; umfangreiche Berechnungen sollen dem Obersten Gerichtshof, selbst wenn er sie aufgrund der Aktenlage vornehmen könnte, nämlich erspart bleiben (Kodek in Rechberger Komm ZPO2 Rz 3 zu § 510).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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