OGH 12Os72/02

OGH12Os72/025.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat am 5. September 2002 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Teffer als Schriftführerin, in der beim Landesgericht für Strafsachen Graz zum AZ 10 Hv 45/02z anhängigen Strafsache gegen Alois M***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz vom 27. Juni 2002, AZ 11 Bs 267/02, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Alois M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem (nicht rechtskräftigen) Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 7. Juni 2002 (ON 77) wurde der Angeklagte Alois M***** (aufgrund des einstimmigen Wahrspruchs der Geschworenen) des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 3 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Antrag der Staatsanwaltschaft, gegen den Angeklagten einen Haftbefehl zu erlassen und ihn wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft zu nehmen, wurde abgelehnt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Graz der dagegen erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge gegeben, den Beschluss (ON 78) aufgehoben und dem Erstgericht "bei unveränderter Sachlage" die Erlassung eines Haftbefehls und die Verhängung der Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr aufgetragen.

Aufgrund des am 27. Juni 2002 erlassenen Haftbefehls wurde Alois M***** am 28. Juni 2002 verhaftet. Am 29. Juni 2002 wurde über ihn aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr die Untersuchungshaft (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) verhängt.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Angeklagten gegen die kassatorische Entscheidung des Oberlandesgerichtes erhobene Grundrechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Verhängung der Untersuchungshaft (sowie die vorangehende Verhaftung) - mangels Veränderung der Tatsachengrundlage - im Ergebnis beschwerdegerichtlich effektuiert wurde (vgl 14 Os 22, 31/02).

Die Beschwerde ist allerdings nicht im Recht.

Das Oberlandesgericht hat die angenommene Fluchtgefahr damit begründet, dass durch das nicht rechtskräftige Urteil die vorläufige Suspendierung des Angeklagten zu erwarten ist, für den mit 100.000 EUR relativ hoch verschuldeten Beschwerdeführer weitere Schadenersatzforderungen der Privatbeteiligten absehbar sind und die ihm angelasteten strafbaren Handlungen einer besonderen sozialen Ächtung unterliegen, sodass durch den Schuldspruch seine soziale Integration nachhaltig erschüttert ist.

Die dagegen erhobenen Einwände, wonach die vorläufige Suspendierung bereits am Tag der Urteilsverkündung ausgesprochen wurde und der Angeklagte vor seiner Verhaftung drei Wochen keine Fluchtanstalten getroffen hätte, sind nicht geeignet, die Auffassung des Oberlandesgerichtes zu widerlegen, dass für Alois M***** wegen der Höhe der in erster Instanz ausgesprochenen Freiheitsstrafe, seiner schwierigen Vermögensverhältnisse und der tatbedingten Belastung seiner gesellschaftlichen Integration ein besonders hoher Fluchtanreiz besteht (vgl 14 Os 113/95, 15 Os 22/00). Die Beschwerde, "ein nicht rechtskräftiges Urteil, das nebenbei noch gesagt an schwersten Verfahrensfehlern leidet, kann nicht genügend Anlass für die Verhaftung eines unbescholtenen Staatsbürgers sein", bestreitet die Dringlichkeit des Tatverdachts mit dem Verweis auf - entgegen § 3 Abs 1 GRBG - nicht präzisierte "unzählige eklatante" Widersprüche in der Darstellung der Belastungszeugin und ist daher schon aus formalem Grund verfehlt. Im Übrigen hat der Gerichtshof zweiter Instanz mit Bezug auf den nach Durchführung des (kontradiktorischen) Beweisverfahrens (vgl S 43 ff/I und ON 9) ergangenen (wenngleich noch nicht rechtskräftigen) Schuldspruch, der sich auf den einstimmigen Wahrspruch der Geschworenen stützt, den "dringenden" Tatverdacht zureichend begründet (15 Os 146/00). Die Behauptung im Erkenntnisverfahren unterlaufener Mängel ist darauf zu verweisen, dass deren Prüfung den Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens übersteigt. Die Beurteilung, ob das angefochtene Urteil des Geschworenengerichtes mangelhaft und eine dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde (deren Gleichschrift mit der Äußerung gemäß § 35 StPO zur Stellungnahme der Generalprokuratur vorgelegt wurde) berechtigt ist, bleibt dem Nichtigkeitsverfahren vorbehalten (Hager/Holzweber GRBG § 2 E 20 f).

Soweit sich der Angeklagte dadurch im Grundrecht auf persönliche Freiheit aus der Sicht des § 2 Abs 2 GRBG dadurch beschwert wähnt, dass das Oberlandesgericht die Verhaftung zu spät angeordnet habe, verkennt er, dass die im Anspruch genommene Anfechtungsmöglichkeit nach der zitierten Gesetzesstelle bloß aus Anlass einer die Freiheitsbeschränkung beendeten Entscheidung oder Verfügung eröffnet ist.

Der Einwand, wonach der Angeklagte am 4. Juli 2002, somit nach der angefochtenen Entscheidung, eine Kaution von 70.000 EUR angeboten hat, muss als unzulässige Neuerung (vgl 15 Os 75/01, 11 Os 93/01, 11 Os 120/00) unberücksichtigt bleiben.

Alois M***** wurde somit im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

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