OGH 14Os113/95

OGH14Os113/954.8.1995

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.August 1995 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Walenta als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ebner und Dr.E.Adamovic als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Pesendorfer als Schriftführer, in der bei dem Landesgericht für Strafsachen Wien zum AZ 26 c Vr 7.790/93 anhängigen Strafsache gegen Dr.Gerhard M***** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 2.Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. Juni 1995, AZ 20 Bs 210,221/95 (= ON 175) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dr.Gerhard M***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Der ehemalige Rechtsanwalt Dr.Gerhard M***** ist dringend verdächtig, Treuhandgelder in der Größenordnung von 23 Mio S veruntreut zu haben sowie in zahlreichen Fällen an der betrügerischen Erlangung von Krediten der Raika P***** im Ausmaß von rund 180 Mio S beteiligt gewesen zu sein.

Wegen aus dem vorliegenden Verfahren ausgeschiedener weiterer Fakten wurde Dr.M***** am 24.Mai 1995 vom Landesgericht für Strafsachen Wien als Schöffengericht zur GZ 12 e Vr 4.516/95-104, bereits rechtskräftig verurteilt (s ON 171).

Dr.M***** war ursprünglich am 1.April 1994 auf Grund eines Haftbefehls festgenommen und über ihn am 3.April 1994 aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO die Untersuchungshaft verhängt worden.

Nach mehreren Haftverlängerungen hatte der Untersuchungsrichter am 3. August 1994 die Enthaftung gegen gelindere Mittel verfügt.

Auf Grund einer von der Staatsanwaltschaft veranlaßten Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichtes (ON 98), die auch Gegenstand einer erfolglosen Grundrechtsbeschwerde war (14 Os 194/94), erließ der Untersuchungsrichter am 31.August 1994 neuerlich einen Haftbefehl gegen den Beschuldigten, der sich daraufhin am 2. September 1994 selbst stellte.

Nach einer Reihe von Haftverhandlungen ordnete das Oberlandesgericht mit Beschluß vom 28.Februar 1995 (ON 150) die Fortsetzung der nur noch aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr aufrecht erhaltenen Untersuchungshaft an und vertrat dabei - wie schon zuvor der Untersuchungsrichter - die Auffassung, daß die Fluchtgefahr durch den Erlag einer noch zu bestimmenden Sicherheitsleistung gebannt werden könne.

Am 28.April 1995 verfügte der Vorsitzende des Schöffengerichtes im ausgeschiedenen Verfahren zunächst die Verlängerung der Untersuchungshaft bis zum 28.Juni 1995 und setzte sodann den Beschuldigten - gegen den Widerspruch der Staatsanwaltschaft - unmittelbar nach dem am 24.Mai 1995 gefällten Urteil auf freien Fuß.

Noch am selben Tag erließ der Untersuchungsrichter im vorliegenden Stammverfahren neuerlich einen Haftbefehl (ON 158), auf Grund dessen Dr.M***** am 26.Mai 1995 festgenommen und über ihn wiederum die Untersuchungshaft aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr verhängt wurde. Das Haftende wurde unter Berücksichtigung der vierzehntägigen Haftfrist des § 181 Abs 2 Z 1 StPO (anstatt, worauf das Oberlandesgericht in ON 175 zu Recht hinwies, der zweimonatigen Frist des § 181 Abs 2 Z 3 StPO) mit 9.Juni 1995 fixiert (ON 161).

In der Haftverhandlung vom 7.Juni 1995 (ON 168) hob der Untersuchungsrichter die Untersuchungshaft gegen die in § 180 Abs 5 Z 1 bis 5 StPO bezeichneten gelinderen Mittel sowie gegen den Erlag einer Sicherheitsleistung von 1 Mio S auf (ON 172).

Diesen Beschluß sowie jenen auf neuerliche Verhängung der Untersuchungshaft (ON 161) bekämpfte der Beschuldigte mit getrennt ausgeführten Beschwerden, in denen er das Vorliegen des weiterhin angenommenen Haftgrundes der Fluchtgefahr bestritt.

Das Oberlandesgericht gab diesen Beschwerden mit Beschluß vom 28.Juni 1995 (ON 175) nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

In der gegen diese Entscheidung des Gerichtshofes zweiter Instanz rechtzeitig erhobenen Grundrechtsbeschwerde macht der Beschuldigte eine Verletzung des Grundrechtes auf persönliche Freiheit durch unrichtige Beurteilung des herangezogenen Haftgrundes der Fluchtgefahr (§ 180 Abs 2 Z 1 StPO) und der in § 194 Abs 3 StPO normierten Voraussetzungen für eine über sechs Monate hinaus aufrechterhaltene Untersuchungshaft geltend.

Die Grundrechtsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Anders als der Untersuchungsrichter ging das Oberlandesgericht der Aktenlage gemäß zutreffend davon aus, daß der Verbleib der dem Beschuldigten anvertrauten Gelder bisher weitgehend nicht aufgeklärt werden konnte. Damit muß aber nach wie vor davon ausgegangen werden (vgl 14 Os 149/94), daß dem Beschuldigten erhebliche finanzielle Mittel in irgendeiner Form zur Verfügung stehen könnten. In Anbetracht der Tatsache, daß Dr.M***** seine berufliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung verloren hat, erscheint Fluchtgefahr sohin weiter gegeben. Daß der Beschuldigte bislang Fluchtmöglichkeiten nicht genützt hat, beseitigt, wie das Beschwerdegericht richtig erkannte, den Haftgrund nicht, schwächt ihn aber in einem Maße ab, daß die Haftzwecke auch durch die aufgetragene Sicherheitsleistung in Verbindung mit den übrigen gelinderen Mitteln des § 180 Abs 5 StPO erreicht werden können.

Die erstmals in der Grundrechtsbeschwerde - und nicht schon im vorangegangenen Rechtszug (§ 1 Abs 1 GRBG) - erhobenen Einwendungen gegen die Höhe der Kaution stellen im übrigen nicht auf das Gewicht der dem Beschuldigten angelasteten strafbaren Handlungen ab und vernachlässigen auch im wesentlichen, daß die Festsetzung der Sicherheitsleistung antragsgemäß erfolgte.

Die Behauptung der Säumigkeit des Untersuchungsrichters bei der Beschaffung der für die Erstellung eines Gutachtens erforderlichen Unterlagen vernachlässigt gleichfalls die fehlende Ausschöpfung des zur Abwendung der angeblichen Verfahrensverzögerung vorgesehenen (§ 113 StPO) Instanzenzuges (§ 1 Abs 1 GRBG).

Schließlich liegt auch die von der Beschwerde reklamierte Verletzung der Vorschrift des § 194 Abs 3 StPO nicht vor, hat doch das Oberlandesgericht im angefochtenen Beschluß die Frage der besonderen Schwierigkeit und des besonderen Umfanges der Untersuchung als Voraussetzung einer über sechs Monate andauernden Haft, deren Höchstfrist nach § 194 Abs 2 StPO vorliegendenfalls zwei Jahre betragen kann, mit zureichender Begründung bejaht.

Von einer Unverhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft wiederum kann, abgesehen von der im Urteil vom 24.Mai 1995 erfolgten Vorhaftanrechnung, in Anbetracht der die zu erwartende Zusatzstrafe bestimmenden Strafdrohung noch keine Rede sein.

Dr.M***** wurde daher durch den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

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