OGH 9ObA195/02w

OGH9ObA195/02w4.9.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Hradil sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Helmut Szongott und Univ. Doz. Mag. Dr. Michaela Windischgrätz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Beatrice F*****, Angestellte, *****, vertreten durch Saxinger, Chalupsky, Weber & Partner, Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei D***** AG, *****, vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 5.485,25 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 7. Mai 2002, GZ 11 Ra 81/02i-13, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. Dezember 2001, GZ 11 Cga 100/01t-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 884,14 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 147,36 Umsatzsteuer) und die mit EUR 1.029,39 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 83,23 Umsatzsteuer und EUR 530,- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war in Deutschland bei der Beklagten vom 1. 7. 1988 bis zum 30. 6. 1994 beschäftigt. Das (deutschem Arbeitsrecht) unterliegende Arbeitsverhältnis wurde durch Arbeitnehmerkündigung beendet. Mit 15. 7. 1994 schloss die Klägerin einen (nach österreichischem Arbeitsrecht zu beurteilenden) neuen Arbeitsvertrag mit der Beklagten, der eine Tätigkeit in der Zweigniederlassung in Österreich vorsah. Bereits am 6. 6. 1994 hatten die Vertragsparteien vereinbart, dass die Vordienstzeiten der Klägerin bei "unserer Gesellschaft" vom 1. 7. 1988 bis 30. 6. 1994 für die Berechnung verschiedener Ansprüche, nicht aber für die Abfertigung und die betriebliche Zusatzversorgung in Österreich angerechnet werden. Am 1. 7. 2000 trat ein neuer Arbeitgeber gemäß § 3 AVRAG in das Arbeitsverhältnis ein. Auf Grund einer zwischen der Beklagten und ihrem Betriebsrat getroffenen Vereinbarung hatte die Klägerin aber das Recht, die Auszahlung der ihr auf Grund des Gesetzes gegen die Beklagte erwachsenen Ansprüche zu verlangen. Die Klägerin machte von diesem Recht Gebrauch und erhielt eine Abfertigung in der Höhe von zwei Monatsentgelten ausgezahlt.

Mit ihrer Klage begehrt sie die Zahlung weiterer sechs Monatsentgelte an gesetzlicher Abfertigung. Für die Berechnung der Abfertigung seien nämlich gemäß § 23 AngG die beiden Arbeitsverhältnisse mit der Beklagten zusammenzurechnen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Die Zusammenrechnung der beiden Arbeitsverhältnisse komme nicht in Betracht, weil die Klägerin das erste Arbeitsverhältnis selbst durch Kündigung beendet habe und das zweite Arbeitsverhältnis überdies nicht lückenlos an das erste angeschlossen habe. Zudem habe die Klägerin auf die Anrechnung der Vordienstzeiten für die Abfertigung, die ihr nach deutschem Recht für das erste Arbeitsverhältnis nicht zugestanden wäre, verzichtet.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Oberste Gerichtshof habe zwar in seiner Entscheidung 9 ObA 30/89 in einem völlig vergleichbaren Fall die aufeinander folgenden Arbeitsverhältnisse für die Berechnung der Abfertigung zusammengerechnet. Diese Rechtsprechung sei aber durch den Beitritt Österreichs zur Europäischen Union überholt. Nach EU-Recht dürfe nämlich die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nicht behindert werden. Müsse aber der Arbeitgeber im Inland Leistungen für Auslandszeiten erbringen, die er für die im Ausland geleistete Dienstzeit nicht erbringen müsse, wäre der Wechsel der betroffenen Arbeitnehmer nach Österreich erschwert. Zur Berechnung der Abfertigung nach § 23 Abs 1 AngG könnten daher nur solche Vordienstzeiten aus dem EU-Ausland herangezogen werden, die auch im EU-Ausland Anspruch auf Abfertigung oder auf ähnliche Leistungen vermittelt hätten. Es sei davon auszugehen, dass bei der Gehaltsvereinbarung im EU-Ausland der Umstand, dass keine Abfertigung zustehe, berücksichtigt worden sei, wie auch bei der neuen Gehaltsvereinbarung in Österreich die Möglichkeit des Bezugs einer Abfertigung grundsätzlich einbezogen werde. Würden daher die deutschen Vordienstzeiten der Klägerin bei der Berechnung ihrer Abfertigung aus dem in Österreich abgeschlossenen Arbeitsverhältnis berücksichtigt, erhielte sie für ihre deutschen Vordienstzeiten sowohl das damals als adäquat vereinbarte Gehalt und zusätzlich auch auf diesen Zeitraum bezogene Abfertigungsleistungen. In diesem Sinne habe der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung 9 ObA 8/01v im Zusammenhang mit § 3 AVRAG entschieden.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die beiden Arbeitsverhältnisse zusammenzurechnen seien und der Klägerin daher der behauptete Anspruch zustehe. Die Voraussetzungen des § 23 Abs 1 AngG seien gegeben. Wie der Oberste Gerichtshof in 9 ObA 30/89 ausgesprochen habe, gehe es nicht um die Zusammenrechnung von Abfertigungsansprüchen im Ausland und im Inland oder um die Kombination arbeitsrechtlicher Ansprüche aus mehreren Rechtsordnungen, sondern um die Ermittlung der Höhe des im Inland erworbenen Abfertigungsanspruchs. Dafür enthalte § 23 Abs 1 AngG einen Mechanismus, der zur Anrechnung von Vordienstzeiten unabhängig davon führe, ob für diese Zeiten eine Abfertigung gebührt hätte oder nicht. Dies entspreche auch - wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls schon in der Vorentscheidung ausgeführt habe - § 11 Z 1 des auch hier anzuwendenden Kollektivvertrages für die Angestellten und sonstigen Arbeitnehmer der ausländischen Luftverkehrsgesellschaften in Österreich, der ausdrücklich auf § 23 AngG verweise, ohne zwischen nicht abfertigungspflichtigen und abfertigungspflichtigen Vordienstzeiten zu differenzieren. Es sei systemwidrig, in das Sachrecht territoriale Beschränkungen hineinzulesen, die der Gesetzgeber nicht vorgesehen habe, wenn der Grund hiefür nur darin gesehen werde, dass die Verweisung des Gesetzgebers im Rahmen des IPRG bzw. des EVÜ im Ergebnis nicht akzeptabel erscheine. Sachgerechte Gründe für eine Differenzierung inländischer und ausländischer Beschäftigungszeiten gebe es nicht. Dieses Ergebnis sei auch nicht gemeinschaftsrechtswidrig, weil von einer Beschränkung der Freizügigkeit des Arbeitnehmers keine Rede sei. Vielmehr mache die Rechtsprechung des EuGH, der wiederholt Vordienstzeiten aus dem EU-Ausland als anrechenbar erachtet habe, die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung geradezu notwendig.

Die Entscheidung 9 ObA 8/01v betreffe einen Betriebsübergang und sei mit der hier zu beurteilenden Konstellation nicht vergleichbar. Die Vereinbarung, mit der die Klägerin auf die Berücksichtigung der Zeit des ersten Arbeitsverhältnisses für die Abfertigung verzichtet habe, sei nicht wirksam.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Entscheidung 9 ObA 30/89 vereinzelt geblieben sei und überdies einen Sachverhalt betreffe, der vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union gelegen sei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionswerberin ist beizupflichten, dass die vor dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union ergangene Entscheidung 9 ObA 30/89 nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.

Völlig zutreffend weist diese Entscheidung darauf hin, dass es in Fällen wie dem hier zu beurteilenden nicht um die Zusammenrechnung von in- und ausländischen Abfertigungsansprüchen oder um die Kombinierung arbeitsrechtlicher Ansprüche aus mehreren Rechtsordnungen geht, sondern um die Ermittlung der Höhe des im Inland erworbenen Abfertigungsanspruchs, für den § 23 Abs 1 AngG maßgebend ist. Ebenso richtig ist, dass diese Bestimmung, die die Zusammenrechnung der Zeiten unmittelbar aufeinander folgender Arbeitsverhältnisse mit dem selben Arbeitgeber anordnet, nach ihrem Wortlaut zwischen in- und ausländischen Arbeitsverhältnissen nicht differenziert.

Es kann aber nicht unbeachtet bleiben, dass sich seit der damaligen Entscheidung der für die hier vorzunehmende Auslegung des § 23 Abs 1 AngG maßgebende wirtschaftliche Hintergrund durch den seither erfolgten Fortschritt der europäischen Integration radikal geändert hat. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer, die mittlerweile den europäischen Arbeitsmarkt zunehmend prägt, führt im Arbeitsrecht zu einer rasanten Steigerung grenzüberschreitender Konstellationen, die für den Gesetzgeber bei Schaffung des § 23 Abs 1 AngG in keiner Weise vorhersehbar waren und demgemäß nicht bedacht wurden. Aus heutiger Sicht und im Wissen um diese Entwicklung kann aus dem Schweigen des Gesetzgebers zum Problem der unmittelbaren Aufeinanderfolge von abfertigungspflichtigen und nicht abfertigungspflichtigen Arbeitsverhältnisses nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber Arbeitszeiten, die in einem ausländischen Staat zurückgelegt wurden, der keine der Abfertigung vergleichbaren Rechtsinstitute kennt, für die Berechnung der Abfertigung den inländischen Arbeitszeiten gleich stellen wollte. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber dieses Problem überhaupt nicht bedacht und daher auch nicht regeln wollte.

Dass - wie das Berufungsgericht meint - kein sachlicher Grund für eine Differenzierung in- und ausländischer Arbeitszeiten bestehe, trifft nicht zu.

Das Erstgericht hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf verwiesen, das das im Bereich eines Staates gegebene System der Entlohnung als Einheit gesehen und mit anderen Entgeltsystemen nur in seiner Gesamtheit verglichen werden kann. In Österreich bestehende Entgeltbestandteile wie Abfertigung - auch bei ihr handelt es sich um Entgelt (Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz, AngG7 441 f; Arb 10.683; zuletzt 9 ObA 178/01v; vgl auch EuGH 14. 9. 1999 RS C 249/97 = ARD 5061/8/99) - oder Sonderzahlungen sind Bestandteil des österreichischen Entgeltsystems und haben daher Auswirkungen auf seine sonstige Ausgestaltung, wie auch das Fehlen vergleichbarer Rechtsinstitute in anderen Entgeltsystemen Auswirkungen auf die Ausgestaltung dieser Systeme - also auf die Höhe des laufenden Entgelts - hat. Schon deshalb ist es problematisch, für die Bemessung der Abfertigung die im deutschen Entgeltsystem zurückgelegten Arbeitszeiten den inländischen Arbeitszeiten gleichzusetzen, weil das zur Folge hätte, dass der Arbeitnehmer im Verhältnis zu ein- und demselben Arbeitgeber für einen Teil der bei ihm zurückgelegten Arbeitszeit in den Genuss der Vorteile beider Entgeltsysteme kommen würde. Dazu kommt, dass der Arbeitgeber während der Zeit des ausländischen Arbeitsverhältnisses mit Abfertigungsansprüchen nicht rechnen und daher auch keine Rücklagen anlegen konnte. Dies führt - wie das Erstgericht ebenfalls richtig erkannt hat - naturgemäß dazu, dass durch die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung des § 23 Abs 1 AngG für die in Betracht kommenden Arbeitnehmer ein Arbeitsplatzwechsel wie der hier zu beurteilende erheblich erschwert wäre, weil der Arbeitgeber, der mit dem Entstehen von Abfertigungsansprüchen für bisher nicht abfertigungspflichtige Zeiten rechnen müsste, dazu wohl kaum seine Zustimmung geben würde. Derartige Überlegungen liegen auch der von der Revisionswerberin zu Recht ins Treffen geführten Entscheidung 9 ObA 8/01v = DRdA 2001, 563 zugrunde. Diese Entscheidung betraf einen grenzüberschreitenden Betriebsübergang, der für den bisher (nach liechtensteinischem Recht) in Liechtenstein tätigen Kläger einen Wechsel zu einer dem österreichischen Arbeitsrecht unterliegenden Tätigkeit in Österreich zur Folge hatte. Auch in dieser Entscheidung vertrat der Oberste Gerichtshof die Rechtsauffassung, dass die (nicht abfertigungspflichtige) Zeit des Arbeitsverhältnisses in Liechtenstein bei der Beurteilung des nach österreichischem Recht geschuldeten Abfertigungsanspruchs des Klägers nicht zu berücksichtigen sei, weil die Betriebsübergangsrichtlinie und - ihr folgend - § 3 AVRAG die Wahrung der dem Arbeitnehmer gegenüber dem Veräußerer des Betriebs erwachsenen Rechte anstrebe, nicht aber bezwecke, dem Arbeitnehmer durch den Betriebsübergang Rechte aus der bisherigen Tätigkeit zu verschaffen, die ihm gegenüber dem Veräußerer nicht entstanden sind und auch bei Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses nie entstanden wären. Es wäre daher ein nicht zu rechtfertigender Wertungswiderspruch, wollte man im hier zu beurteilenden Fall, in dem es um die (durchaus vergleichbare) Berücksichtigung eines nicht abfertigungswirksamen Arbeitsverhältnisses im Wege der Zusammenrechnung nach § 23 Abs 1 AngG geht, die im Ausland zurückgelegte (nicht abfertigungswirksame) Dienstzeit bei der Beurteilung des Abfertigungsanspruchs der Klägerin berücksichtigen.

Der Oberste Gerichtshof vertritt daher die Auffassung, dass § 23 Abs 1 AngG teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass er die Zusammenrechnung nur solcher unmittelbar aufeinanderfolgender Arbeitsverhältnisse zum selben Arbeitgeber normiert, in denen der Arbeitnehmer nach dem darauf anzuwendenen Recht Ansprüche auf Abfertigung (oder auf vergleichbare Leistungen des Arbeitgebers) erwerben konnte. Im hier zu beurteilenden Fall, in dem die Klägerin im ersten Arbeitsverhältnis in Deutschland keine Abfertigungsansprüche erwerben konnte, ist demgemäß die in diesem ersten Arbeitsverhältnis zurückgelegte Dienstzeit bei der nunmehr nach österreichischem Recht zu erfolgenden Beurteilung ihres Abfertigungsanspruchs nicht zu berücksichtigen.

Aus dem anzuwendenden Kollektivvertrag ist für die Klägerin nichts zu gewinnen, weil er lediglich auf die Bestimmung des § 23 AngG verweist, die aber den behaupteten Anspruch der Klägerin nicht rechtfertigt.

Die vom Berufungsgericht ins Treffen geführten Entscheidungen des EuGH (23. 2. 1994, C-419/92 = DRdA 1994, 436 und 27. 1. 2000, C-195/98 = ARD 5102/1/2000) stellen die Richtigkeit dieses Ergebnisses nicht in Frage. Sie betreffen die Anrechnung von im maßgebenden Zusammenhang vergleichbaren Vordienstzeiten und erlauben daher keine Rückschlüsse auf die hier zu lösende Rechtsfrage. In Stattgebung der Revision war daher die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des das Klagebegehren abweisenden Ersturteils abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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