OGH 10ObS255/02a

OGH10ObS255/02a27.8.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Gleitsmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Walter Benesch (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anna N*****, vertreten durch Dr. Johannes Grund und Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18. April 2002, GZ 12 Rs 85/02k-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 6. Februar 2002, GZ 9 Cgs 210/01z-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin bezieht von der Beklagten Pflegegeld der Stufe 1. Mit Bescheid vom 26. 3. 2001 lehnte die Beklagte ihren Antrag vom 24. 1. 2001 auf Erhöhung des Pflegegeldes ab.

Mit der dagegen gerichteten Klage begehrt die Klägerin, die Beklagte zu verpflichten, ihr ab 1. 2. 2001 Pflegegeld der Stufe 2 zu gewähren.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging von folgenden Feststellungen aus:

Die Klägerin leide unter immer wiederkehrenden Schwindelattacken, sei jedoch in der Lage, sich zu Hause in der Wohnung ohne Gehbehelf sicher zu bewegen. Es sei ihr jedoch nicht möglich, den Haushalt zu führen. Sie bedürfe bei der Pflege der Leib- und Bettwäsche, der Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände, beim Aufsuchen eines Arztes und beim Einkaufen und Herbeischaffen von Nahrungsmitteln, bei der Zubereitung einer einfachen warmen Mahlzeit und bei der gründlichen Körperpflege in Form eines Bades fremder Hilfe. Wegen einer Harninkontinenz trage sie Windeleinlagen, die sie selbständig in der Früh und am Abend wechsle. Sie gebe die Windeln in einen kleinen Papiersack, der von ihrem Sohn jeden Tag entsorgt werde. Die Klägerin könne die Windeln nicht selbst entsorgen. Eine Entsorgung der anfallenden Windeln einmal am Tag genüge. Das Erstgericht ging bei der Ermittlung des monatlichen Pflegebedarfs von der Notwendigkeit der Hilfestellung bei folgenden Verrichtungen aus:

Zubereitung von Mahlzeiten 30 Stunden,

gründliche Körperpflege in Form eines Bades 4 Stunden, Herbeischaffung von Nahrungsmitteln und Medikamenten 10 Stunden, Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände 10 Stunden,

Pflege der Leib- und Bettwäsche 10 Stunden,

Mobilitätshilfe im weiteren Sinn 10 Stunden,

Gesamtbedarf 74 Stunden.

Die Klägerin wechsle die Windeln selber. Die Entsorgung der Windeln sei kein Betreuungsaufwand, sondern unter die Hilfsverrichtung "Reinigung der Wohnung" zu subsumieren. Der Zeitaufwand hiefür sei mit 10 Stunden im Monat festgelegt. Da der monatliche Pflegebedarf nicht durchschnittlich mehr als 75 Stunden betrage, stehe ein Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 2 nicht zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin, in der geltend gemacht wurde, die Entsorgung der Windeleinlagen sei ein Betreuungsaufwand, der täglich 5 Minuten erfordere, nicht Folge. Nach § 12 Abs 1 der Richtlinien des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger für die einheitliche Anwendung des Bundespflegegesetzes sei unter Wohnungsreinigung die laufend notwendige Wohnungsreinigung, allenfalls unter Verwendung zumutbarer technischer Hilfsmittel, das Aufbetten der Schlafstelle und das Staubabwischen zu verstehen. Daraus sei erkennbar, dass nicht nur in größeren Abständen zu erledigende, sondern auch täglich durchzuführende Arbeiten zur Hilfsverrichtung der "Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände" gehören. Auch die Entsorgung eines (kleinen) Papiersackes mit gebrauchten Windeln sei eine solche tägliche Reinigungsarbeit mit ohnehin nur geringem Zeitaufwand, der nicht gesondert zu veranschlagen sei. Es handle sich um einen Teil der Hilfsverrichtung der Wohnungsinstandhaltung, der, wie etwa auch das Aufbetten oder das sonstige Entsorgen geruchsintensiver Abfälle, täglich zu erledigen sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beteiligte sich nicht am Revisionsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin argumentiert in ihren Revisionsausführungen dahin, dass allein der fixe Zeitwert von 10 Stunden monatlich für die Hilfsverrichtung "Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände" zeige, dass nicht tägliches Erbringen der Hilfe für notwendig erachtet werde. Das Aufbetten einer Schlafstelle und auch das Staubwischen, sollte es täglich erfolgen, nehme bereits die Hälfte des Fixwertes in Anspruch. Für eine gründlichere Wohnungsreinigung sei kaum mehr Zeit. Hiefür 5 Stunden monatlich zu bemessen, sei viel zu wenig. Die Entsorgung von gebrauchten Windeln sei der Entleerung eines Leibstuhls gleich zu halten und stelle daher einen Betreuungsaufwand dar, der mindestens 2,5 Stunden im Monat betrage.

Dem ist zu erwidern:

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die einmal täglich notwendige Entsorgung gebrauchter Windeln eines harninkontinenten Menschen, der die Windeln selbst wechseln und sammeln sowie sich noch selbständig reinigen kann, eine Hilfsverrichtung im Sinn des § 2 EinstV, die im Abs 2 dieser Norm taxativ aufgezählt werden (SSV-NF 13/147; 10 ObS 66/01f ua), oder eine Betreuungsverrichtung im Sinn des § 1 Abs 1 EinstV, die im Abs 2 dieser Norm nur beispielsweise genannt werden (SSV-NF 13/27; 13/76 ua), ist, zutreffend gelöst:

Unter Betreuung sind nach § 1 Abs 1 EinstV alle in relativ kurzer Folge notwendigen Verrichtungen anderer Personen zu verstehen, die vornehmlich den persönlichen Lebensbereich betreffen und ohne die der pflegebedürftige Mensch der Verwahrlosung ausgesetzt wäre. Zu diesen Verrichtungen zählen gemäß Abs 3 ua die Reinigung bei inkontinenten Patienten sowie die Entleerung und Reinigung des Leibstuhls.

§ 2 Abs 1 EinstV definiert Hilfe als aufschiebbare Verrichtungen anderer Personen, die den sachlichen Lebensbereich betreffen und zur Sicherung der Existenz erforderlich sind. Zu den Hilfsverrichtungen zählt gemäß Abs 2 die Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände. "Aufschiebbar" bedeutet, dass die hier betroffenen Verrichtungen eine gewisse zeitliche Planung und Vorschau ermöglichen (SSV-NF 11/5). Dieses Kriterium ist hinsichtlich der täglich einmal notwendigen Entsorgung von Windeln gewiss gegeben. Diese Verrichtung betrifft im Unterschied zur Entleerung und Reinigung des Leibstuhls, die aus hygienischen Gründen zur Hintanhaltung einer Verwahrlosung des pflegebedürftigen Menschen kurz nach der Verrichtung der Notdurft erfolgen muss und sich insofern als persönliche Betreuungsleistung auf den Betroffenen bezieht, nicht vornehmlich den persönlichen, sondern den sachlichen Lebensbereich, nämlich die Abfallentsorgung aus der Wohnung. Die Verrichtung gehört auch nach Auffassung des Obersten Gerichtshofs zur "Reinigung der Wohnung und der persönlichen Gebrauchsgegenstände". Für diese Hilfsverrichtung ist aber nach § 2 Abs 3 EinstV ein - auf einen Monat bezogener - fixer Zeitwert von 10 Stunden anzunehmen, den die Vorinstanzen bei der Ermittlung des zeitlichen Pflegebedarfs auch zu Grunde legten. Wie es dem Wesen einer Pauschalierung entspricht, ist das Bedarfsausmaß hier nicht konkret-individuell zu prüfen (SSV-NF 11/5; 10 ObS 229/01a uva). Für die Zuerkennung des betreffenden pauschalierten Bedarfs ist es also unerheblich, ob im konkreten Fall mit 10 Stunden das Auslangen gefunden werden kann.

Da der Pflegebedarf der Klägerin nicht durchschnittlich mehr als 75 Stunden monatlich beträgt, sind die Voraussetzungen für eine Erhöhung des Pflegegelds auf ein solches der Stufe 2 nach § 4 Abs 2 BPGG nicht gegeben. Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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