OGH 10ObS192/02m

OGH10ObS192/02m18.6.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Eveline Umgeher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Alfred Klair (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerald B*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 21. Februar 2002, GZ 10 Rs 16/02z-121, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. September 2001, GZ 34 Cgs 88/98z-113, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Sache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 23. 11. 1957 geborene Kläger bezog vom 1. 8. 1993 bis 31. 7. 1995 von der beklagten Partei auf Grund des Bescheides vom 8. 4. 1994 eine befristete Invaliditätspension. Mit Bescheid vom 21. 12. 1995 wurde sein Antrag auf Weitergewährung abgelehnt.

Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Weitergewährung der Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß. Das Erstgericht wies im zweiten Rechtsgang das Begehren des Klägers ab. Es ging im Wesentlichen davon aus, dass der Kläger im maßgebenden Beobachtungszeitraum vom 1. 8. 1978 bis 31. 7. 1993 unstrittig 90 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe. Vom 1. 8. 1978 bis 15. 10. 1981 (38 Versicherungsmonate) habe der Kläger den erlernten Beruf eines Fernmeldebaumonteurs bei der Firma S***** AG ausgeübt. In der Folge habe der Kläger in der Zeit vom 19. 10. bis 30. 11. 1981 bei der Firma G***** Cafe Restaurant einen Monat, vom 1.

2. (richtig wohl: 11. 12.) 1981 bis 4. 2. 1982 im Restaurantbetrieb Peter B***** drei Monate, vom 10. 3. 1982 bis 5. 3. 1983 und vom 23. 3. 1984 bis 4. 4. 1985 in der Diskothek Friedrich T***** insgesamt 23 Monate und vom 6. 4. bis 30. 6. 1985 im Servus Cafe Restaurant Kurt K***** GmbH drei Monate der Pflichtversicherung erworben. Von September 1985 bis April 1986 habe der Kläger an einer Umschulung teilgenommen (7 Versicherungsmonate für AMFG-Ausbildung). Zusätzlich habe der Kläger am 16. 1. 1986 die Lehrabschlussprüfung im Lehrberuf Kellner mit Erfolg absolviert. Der Kläger habe in der Folge vom 12.

5. bis 26. 5. 1986 als Kellner für die Old E***** R***** GmbH und vom 23. 6. bis 1. 8. 1986 für die P***** Strandcafe GesmbH gearbeitet. Am 26. 5. 1988 habe der Kläger in der D***** Catering Gastronomie GmbH und vom 21. bis 23. 8. 1989 bei der Ingeborg W***** GmbH-Personalbeistellung gearbeitet. Weiters sei der Kläger vom 5. 10. 1989 bis 28. 5. 1990 (8 Versicherungsmonate) bei der Firma J*****-Industrieanlagen Montagen beschäftigt gewesen. Bei der Firma Leopold S***** KG sei der Kläger vom 14. 1. bis 31. 3. 1991 als Kellner und im Weinhaus Otto K***** vom 4. bis 24. 5. 1991 (richtig wohl: 1992) beschäftigt gewesen. Im Gasthaus Günther G***** habe der Kläger vom 8. 2. bis 19. 2. 1993 gearbeitet.

Der Kläger könne auf Grund verschiedener Leidenszustände noch leichte - zur Hälfte der Arbeitszeit auch mittelschwere - Arbeiten, nicht überwiegend im Gehen unter Ausschluss von Arbeiten in gehäuft gebückter Haltung (d.h. unter Tischhöhe) verrichten. Ausgeschlossen sind Arbeiten an erhöht exponierten Stellen sowie das Heben und Tragen von mehr als 15 kg schweren Lasten. Dieser Zustand besteht seit Antragstellung. Durch eine medizinische Rehabilitation kann dieses Leistungskalkül nicht mehr verbessert werden. Der Kläger sei auf Grund dieser Einschränkungen im Leistungskalkül nicht mehr in der Lage, den Beruf eines Fernmelde(bau)monteurs, der berufstypisch mit Arbeiten an erhöht exponierten Stellen sowie Hebe- und Trageleistungen von mehr als 15 kg verbunden ist, oder den Beruf eines Kellners (ausgesprochener Gehberuf) auszuüben, da es dabei immer wieder zu Kalkülsüberschreitungen komme. Als mögliche Verweisungstätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kämen für den Kläger beispielsweise Tischarbeiten in der Leichtwarenbranche (Einschlichten und Einsortieren von Erzeugnissen in der Größe und mit dem Gewicht von Telefonapparaten, Plastikgeschirr, Taschenradios udgl in bereits vorbereitete Kartons und Schachteln) sowie Tätigkeiten als Hilfskraft in der Werbemittelbranche (Zusammenstellen und Verpacken von Werbeaussendungen) in Betracht. Es handle sich dabei um körperlich leichte Tätigkeiten (bis 10 kg) vorwiegend im Stehen und Sitzen. Solche Tätigkeiten stünden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl zur Verfügung.

In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass dem Kläger ein Berufsschutz nicht zukomme. Der Kläger habe im Beobachtungszeitraum unstrittig 90 Beitragsmonate zur Pflichtversicherung erworben. Ein Überwiegen der berufsschutzerhaltenden Tätigkeiten würde daher dann vorliegen, wenn der Kläger mehr als 45 Beitragsmonate in seinem erlernten (angelernten) Beruf erworben hätte. Der Kläger habe zwar zunächst Berufsschutz als Kellner geltend gemacht, er habe dieses Vorbringen jedoch im Verfahren ausdrücklich zurückgezogen und nur noch einen Berufsschutz als Fernmelde(bau)monteur behauptet. Auf Grund dieser Prozesserklärung des Klägers sei das Gericht nicht mehr verpflichtet gewesen, amtswegig weitere Erhebungen über den Berufsschutz des Klägers als Kellner anzustellen. Der Kläger habe lediglich 38 Monate der Pflichtversicherung in seinem erlernten Beruf Fernmelde(bau)monteur) erworben. Die Tätigkeiten für die Firma J***** (8 Monate) seien nicht als berufsschutzerhaltend zu werten, sodass eine überwiegende Tätigkeit als Fernmelde(bau)monteur nicht vorliege. Selbst eine Berücksichtigung des vom Kläger erlernten Berufes als Kellner würde zu keinem für den Kläger günstigeren Prozessergebnis führen. Dabei müsste nämlich berücksichtigt werden, dass der Kläger seine Lehrabschlussprüfung erst im Jänner 1986 absolviert habe und daher nur jene Zeiten als qualifizierte Tätigkeiten anzurechnen wären, die nach diesem Lehrabschluss erworben worden seien. Würde man die vom Kläger nach 1986 erworbenen Versicherungszeiten als Kellner zu den 38 Beitragsmonaten als Fernmelde(bau)monteur dazuzählen, würden sich insgesamt 45 Beitragsmonate ergeben, womit ein Überwiegen ebenfalls nicht vorläge. Daraus folge, dass der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger nicht invalid im Sinne der für ihn maßgebenden Bestimmung des § 255 Abs 3 ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und teilte insbesondere dessen Auffassung, das Erstgericht sei auf Grund des Vorbringens des Klägers nur verpflichtet gewesen, Feststellungen zur Frage des Berufsschutzes als Fernmelde(bau)monteur, nicht jedoch hinsichtlich seines Kellnerberufes zu treffen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne der beschlossenen Aufhebung berechtigt. Zunächst ist vorauszuschicken, dass nach ständiger Rechtsprechung im Falle der befristeten Gewährung einer Invaliditätspension der Anspruch auf Weitergewährung davon abhängt, ob der Versicherte nach Ablauf der Frist, für die sie zuerkannt wurde (noch, erstmals oder wieder) invalid im Sinn des § 255 ASVG ist. Ein - wie hier - fristgerechter Weitergewährungsantrag löst im Falle des lückenlosen Weiterbestehens von Invalidität keinen neuen Versicherungsfall der Invalidität aus und ebenso auch keinen neuen Stichtag im Sinn des § 223 Abs 2 ASVG (vgl SSV-NF 10/98; 8/46 ua); dieser ist daher weiterhin der 1. 8. 1993.

Hat ein Versicherter während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag mehrere erlernte (oder angelernte) Berufe ausgeübt, wird nach ständiger Rechtsprechung Berufsschutz auch dann erlangt, wenn die Summe der dadurch erworbenen Beitragsmonate die Zahl der Beitragsmonate, während der im Beobachtungszeitraum unqualifizierte Tätigkeiten verrichtet wurden, übersteigt; wenn der Versicherte in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag in mehreren erlernten Berufen tätig war, liegt Invalidität dann vor, wenn seine Arbeitsfähigkeit nicht nur im zuletzt ausgeübten oder überwiegend ausgeübten, sondern in jedem dieser Berufe auf weniger als die Hälfte der eines gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist (SSV-NF 10/98; 8/119 mwN ua). Im vorliegenden Fall hat der Kläger bereits in der Klage vorgebracht, dass er die Berufe eines Fernmeldemonteurs und eines Kellners erlernt habe. Diese Tatsache wurde vom Erstgericht ausdrücklich festgestellt und es wurde außerdem festgestellt, dass der Kläger beide erlernten Berufe im maßgebenden Beobachtungszeitraum auch tatsächlich ausgeübt hat und dadurch Beitragsmonate erworben hat. Insoweit ist der vorliegende Sachverhalt mit dem in der Entscheidung SSV-NF 13/23 beurteilten Fall nicht vergleichbar, da der damalige ebenfalls qualifiziert vertreten gewesene Kläger einerseits die Prozessbehauptung der beklagten Partei, er sei in den letzten 15 Tagen vor dem Stichtag (ausschließlich) als Hilfsarbeiter tätig gewesen, nie bestritten hatte, andererseits sogar nach Durchführung des Beweisverfahrens auf Befragen durch den Vorsitzenden ausdrücklich erklärt hatte, keinen Berufsschutz geltend zu machen. Im gegenständlichen Fall sind jedoch nicht nur die Parteien übereinstimmend davon ausgegangen, dass der Kläger die beiden erwähnten Berufe erlernt und im maßgebenden Beobachtungszeitraum ausgeübt und dadurch Beitragsmonate erworben hat, sondern es hat auch das Erstgericht über die Tätigkeit des Klägers in beiden erlernten Berufen bereits Beweise aufgenommen und dazu entsprechende Feststellungen getroffen. Abgesehen davon, dass aus dem von den Vorinstanzen zitierten Vorbringen des Klägers keinesfalls zweifelsfrei ein Zugeständnis (§§ 266, 267 ZPO) dahin abgeleitet werden könnte, dass auch nach dem Prozessstandpunkt des Klägers bei der Frage, ob er im Beobachtungszeitraum überwiegend qualifizierte (erlernte) Tätigkeiten ausgeübt habe, die Zeiten seiner Beschäftigung als Kellner nicht zu berücksichtigen seien, da die von ihm dabei verrichteten Tätigkeiten nicht berufsschutzerhaltend gewesen seien, handelt es sich bei der Frage, ob bestimmte Tätigkeiten berufsschutzerhaltend waren, um eine Rechtsfrage, die - sofern nicht offenkundig - in jedem Einzelfall aufgrund der Feststellungen über Inhalt und Qualifikation der erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der Teiltätigkeit von Amtswegen zu prüfen ist (vgl 10 ObS 414/01g; 10 ObS 154/01x mwN ua).

Für die Beurteilung der Frage, ob dem Kläger Berufsschutz nach § 255 Abs 1 ASVG zukommt, ist im Sinne der auch bereits vom Erstgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung entscheidend, ob die Summe der durch die Ausübung der beiden erlernten Berufe erworbenen Beitragsmonate die Zahl der Beitragsmonate, während der im Beobachtungszeitraum unqualifizierte Tätigkeiten verrichtet wurden, übersteigt. Diese Frage kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, gehen beide Streitteile übereinstimmend davon aus, dass der Kläger im maßgebenden Beobachtungszeitraum insgesamt 90 Beitragsmonate erworben hat, sodass ein Berufsschutz für den Kläger nur gegeben ist, wenn er in diesem Zeitraum mehr als 45 Beitragsmonate in seinen beiden erlernten Berufen erworben hätte. Nach den weiteren Ausführungen des Erstgerichtes hat der Kläger neben den (unstrittigen) 38 berufsschutzerhaltenden Beitragsmonaten auf Grund seiner Beschäftigung als Fernmeldebaumonteur bei der Firma S***** AG noch weitere 7 Beitragsmonate (§ 231 ASVG) in seinem erlernten Beruf als Kellner erworben, und zwar ein Monat im Old E*****, zwei Monate im Strandcafe P*****, drei Monate bei der Leopold S***** KG und ein Monat im Weinhaus Otto K*****. Der Kläger macht in seinen Revisionsausführungen geltend, dass er nach den Feststellungen darüber hinaus im Februar 1993 - nach den Feststellungen vom 8. 2. bis 19. 2. 1993 - als Kellner im Gasthaus Günther G***** gearbeitet und dadurch einen weiteren Beitragsmonat der Pflichtversicherung erworben habe. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den im Pensionsakt einliegenden verdichteten Versicherungsverlauf vom 28. 3. 1996, in welchem für den Februar 1993 tatsächlich ein Monat an Pflichtversicherungszeit ausgewiesen ist. Damit habe der Kläger insgesamt 46 Beitragsmonate auf Grund seiner Tätigkeit in den beiden erlernten Berufen erworben und genieße daher Berufsschutz. Dazu ist zunächst zu bemerken, dass die konkrete Anzahl erworbener Beitragsmonate im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auf Grund der im Einzelnen genau festzustellenden Beschäftigungszeiten nach den §§ 231 f ASVG zu ermitteln ist (SSV-NF 11/68 ua). Zur abschließenden Beurteilung sind dafür im Hinblick auf die Berechnungsregel des § 231 Z 1 lit b ASVG für Resttagsmonate und die Zuordnung der einzelnen Versicherungsmonate nach § 232 Abs 1 ASVG auch allfällige in den Beobachtungszeitraum fallende sonstige Versicherungszeiten (Ersatzzeiten ...) maßgeblich. Erst nach Vorliegen dieser bisher fehlenden Feststellungen wird abschließend beurteilt werden können, ob der Kläger in den genannten Beschäftigungen - wie von ihm behauptet - tatsächlich insgesamt 46 Beitragsmonate im Beobachtungszeitraum erworben hat. Sollte dies der Fall sein, werden im Sinne der Ausführungen der beklagten Partei in ihrer Berufungsbeantwortung noch nähere Feststellungen über den jeweiligen Tätigkeitsbereich des Klägers im Rahmen dieser Beschäftigungsverhältnisse zu treffen sein, um beurteilen zu können, ob es sich dabei um berufsschutzerhaltende Teiltätigkeiten des Lehrberufes Kellner gehandelt hat.

Um die Sache spruchreif zu machen, bedarf es daher einer Verhandlung in erster Instanz. Deshalb waren in Stattgebung der Revision die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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