OGH 10ObS134/02g

OGH10ObS134/02g28.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Dr. Elmar Peterlunger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rosalia M*****, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Kriegsgefangenenentschädigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. Jänner 2002, GZ 7 Rs 3/02v-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 16. Oktober 2001, GZ 37 Cgs 146/01y-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt zu lauten haben:

"Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin ab 1. 1. 2002 eine Entschädigung für Kriegsgefangene im Betrag von monatlich 21,80 EUR zu zahlen.

Das Mehrbegehren auf Gewährung einer Kriegsgefangenenentschädigung im gesetzlichen Ausmaß im Zeitraum 1. 1. 2001 bis 31. 12. 2001, wird abgewiesen."

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 333,12 EUR (darin 55,52 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 20. 7. 1935 geborene Klägerin lebte von Geburt an in der Vojvodina (heutiges Serbien). Sie ist Donauschwabin und war ursprünglich jugoslawische Staatsangehörige. 1941 erhielt sie die ungarische Staatsbürgerschaft. Am 31. 3. 1945 wurde die Klägerin von Partisanen in ihrem damaligen Wohnort Philipowo festgenommen und in das Lager Gakovo verbracht, wo sie bis April 1947 interniert war. Danach hielt sie sich ein Jahr in Ungarn auf. Im April 1948 kam sie nach Österreich. Sie war nie Angehörige der deutschen Wehrmacht. Seit 1948 ist sie österreichische Staatsbürgerin.

Die Klägerin stellte am 19. 3. 2001 an die Beklagte den Antrag auf Gewährung der Kriegsgefangenenentschädigung. Mit Bescheid vom 23. 3. 2001 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin sei nicht - wie vom Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz gefordert - während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politischen oder militärischen Gründen in Österreich festgenommen und in mittelost- oder osteuropäischen Staaten angehalten worden.

Das Erstgericht wies das von der Klägerin gegen diesen Bescheid erhobene und auf die Gewährung der beantragten Leistung ab dem 1. 1. 2001 gerichtete Klagebegehren ab, weil die Klägerin nicht zu dem in § 1 KGEG näher umschriebenen anspruchsberechtigten Personenkreis gehöre.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und schloss sich der Rechtsansicht des Erstgerichts an. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die Beklagte beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

§ 1 des im Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl I 2000/142, als Art 70 enthaltenen Bundesgesetzes, mit dem eine Entschädigung für Kriegsgefangene eingeführt wird (Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz - KGEG), lautet - Z 1 in der Stammfassung, Z 2 in der Fassung Art 8 Z 2 Versorgungsrechts-Änderungsgesetz 2002 - VRÄG 2002, BGBl 2001/70, und Z 3 in der Fassung Art 8 Z 3 dieses Gesetzes, wie folgt:

"§ 1. Österreichische Staatsbürger, die

1. im Verlauf des Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft mittelost- oder osteuropäischer Staaten (wie Albaniens, Bulgariens, Polens, der ehemaligen Sowjetunion, Rumäniens, der ehemaligen Tschechoslowakei, des ehemaligen Jugoslawiens) gerieten, oder

2. während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politischen oder militärischen Gründen in Österreich festgenommen und durch mittelost- oder osteuropäischen Staaten angehalten wurden, oder

3. sich aufgrund politischer Verfolgung oder drohender politischer Verfolgung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes, BGBl Nr 183/1947, außerhalb des Gebietes der Republik Österreich befanden und aus den in Z 2 angeführten Gründen von einer ausländischen Macht festgenommen und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges durch mittelost- oder osteuropäische Staaten angehalten wurden,

haben Anspruch auf eine Leistung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Wie schon die Vorinstanzen darstellten, fällt die Zivilinternierung der Klägerin bei wörtlicher Auslegung der Bestimmung nicht unter eine der drei aufgezählten Alternativen, insbesondere nicht unter den Begriff der Kriegsgefangenschaft, mag die Klägerin auch unter vergleichbaren, wenn nicht schlechteren Bedingungen angehalten worden sein wie Kriegsgefangene. Im Hinblick auf den klaren Gesetzeswortlaut und die Gesetzesmaterialien, aus denen eine bewusst enge Abgrenzung des anspruchsberechtigten Personenkreises hervorgeht, versagt auch eine Ausdehnung des Begriffs durch Analogie. Dass zivilinternierte Personen, die - wie die Klägerin - außerhalb Österreichs festgenommen wurden, nach dem Willen des Gesetzgebers ursprünglich nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis des § 1 KGEG gehörten, zeigt auch der Umstand, dass sich der Gesetzgeber mittlerweile veranlasst sah, diese Personengruppe in den Kreis der anspruchsberechtigten Personen nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz einzubeziehen (vgl EBzRV 944 BlgNR 21. GP 2). Der Gesetzgeber hat § 1 KGEG durch das Bundesgesetz BGBl I 2002/40 dahin novelliert, dass § 1 (Personenkreis) mit Wirkung vom 1. 1. 2002 lautet:

"§ 1. Österreichische Staatsbürger, die

1. im Verlauf des Ersten oder Zweiten Weltkrieges in Kriegsgefangenschaft gerieten, oder

2. im Verlauf des Zweiten Weltkrieges oder während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer ausländischen Macht aus politischen oder militärischen Gründen festgenommen und angehalten wurden, oder

3. sich aufgrund politischer Verfolgung oder drohender politischer Verfolgung im Sinne des Opferfürsorgegesetzes (BGBl Nr 183/1947) außerhalb des Gebietes der Republik Österreich befanden und aus den in Z 2 angeführten Gründen von einer ausländischen Macht festgenommen und nach Beginn des Zweiten Weltkrieges angehalten wurden, haben Anspruch auf eine Leistung nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Nach den bereits erwähnten maßgebenden EBzRV 944 BlgNR 21. GP 3 sollen durch die vorgesehene Gesetzesänderung auch Kriegsgefangene der Westalliierten, zivilinternierte Personen, die außerhalb Österreichs festgenommen wurden, sowie Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, einen Entschädigungsanspruch nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz erhalten.

Die ursprünglich (bis 31. 12. 2001) in § 1 Z 1 KGEG vorgesehene Differenzierung zwischen Kriegsgefangenen der mittelost- und osteuropäischen Staaten einerseits und Kriegsgefangenen der Westalliierten andererseits wurde zwischenzeitig zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit an den Verfassungsgerichtshof herangetragen. In seinem Erkenntnis vom 8. 3. 2002, G 308, 312/01, wies der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Gesetzesprüfungsanträge des Oberlandesgerichtes Innsbruck ab. Der Gerichtshof führte im Wesentlichen aus, dem Gesetzgeber komme in der Frage, in welchem Umfang er die unterschiedlichen Erscheinungsformen kriegs- und verfolgungsbedingter Haft und Anhaltung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als entschädigungswürdig erachte, ein weiter - letztlich wohl auch von politischen Bewertungen geprägter - Beurteilungsspielraum zu. In welchem Ausmaß die der zur Prüfung gestellten Entschädigungsregelung allenfalls zugrundeliegende politische Bewertung geteilt werde, sei jedenfalls keine Frage der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Es könne dem Gesetzgeber daher aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegengetreten werden, wenn er vorweg - mit Blick auf die Entschädigung für die Sklaven- und Zwangsarbeit des nationalsozialistischen Regimes (vgl hiezu AB 255 BlgNR 21. GP, Allgemeiner Teil, zum Versöhnungsfonds-Gesetz) - nur jenen Kriegsgefangenen eine Entschädigung zukommen lassen wollte, die typischer Weise unter vergleichbaren menschenunwürdigen Bedingungen angehalten worden seien. Es lasse sich auch nicht sagen, dass der Gesetzgeber die historischen Gegebenheiten grob verkannt hätte, wenn er davon ausgegangen sei, dass eine derartige Vergleichbarkeit in erster Linie mit den ehemaligen Kriegsgefangenen der ost- und mittelosteuropäischen Staaten bestehe. Für welchen Zeitraum es dem Gesetzgeber unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten gestattet wäre, eine Begünstigung der hier zu beurteilenden Art für bloß eine Gruppe der ehemaligen Kriegsgefangenen zu gewähren, müsse aus Anlass dieses Verfahrens nicht abschließend geklärt werden, weil mittlerweile die Entschädigungszahlungen mit Wirkung vom 1. 1. 2002 auf alle Kriegsgefangenen ausgeweitet worden seien und der Gesetzgeber durch diese Art der stufenweisen Einführung seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum keinesfalls überschritten habe. Es begegne daher auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn der Gesetzgeber eine Regelung getroffen habe, die - ohne Bedachtnahme auf die besonderen Bedingungen der Anhaltungen in jedem Einzelfall - nur daran anknüpfe, von welchem Staat der Betroffene als Kriegsgefangener angehalten worden sei, weil es nämlich mit dem Gleichheitssatz vereinbar sei, wenn der Gesetzgeber von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehe und dabei auch eine pauschalierende Regelung treffe. Es werde ein solches Gesetz nicht schon deshalb gleichheitswidrig, weil dabei Härtefälle entstünden. Aus dieser durch den Verfassungsgerichtshof vorgenommenen Beurteilung, wonach dem Gesetzgeber in der Frage, in welchem Umfang er die unterschiedlichen Erscheinungsformen kriegs- und verfolgungsbedingter Haft und Anhaltung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg als entschädigungswürdig erachtet, ein weiter - letztlich auch vom politischen Bewertungen geprägter - Beurteilungsspielraum zukommt, folgt, dass auch die bis 31. 12. 2001 bestandene Differenzierung zwischen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten keinen Bedenken hinsichtlich ihrer Verfassungsgemäßheit begegnet.

Im Sinn dieser Ausführungen ist somit ein Anspruch der Klägerin auf Kriegsgefangenenentschädigung für den Zeitraum bis 31. 12. 2001 zu verneinen, während die Klägerin ab 1. 1. 2002 unter den anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 1 Z 2 KGEG idF BGBl I 2002/40 fällt. Die Klägerin wurde nämlich im Verlauf des Zweiten Weltkrieges von jugoslawischen Partisanen aus politischen Gründen (wegen ihrer Zugehörigkeit zur deutschen Volksgruppe) festgenommen und angehalten. Das Gesetz lässt nicht erkennen, dass die Festnahme und Anhaltung durch formelle rechtsstaatliche Akte einer Staatsgewalt erfolgt sein muss. Voraussetzung ist lediglich, dass die Festnahme und Anhaltung im Verlauf des Zweiten Weltkrieges oder während der Besetzung Österreichs durch die Alliierten Mächte von einer "ausländischen Macht" aus politischen oder militärischen Gründen erfolgt ist. Damit sind aber nicht nur Festnahmen und Anhaltungen durch fremde Staaten, sondern auch durch Organisationen von Partisanen, Aufständischen udgl erfasst (vgl dazu die Ausführungen von Marschall, Historische Haftzeiten als Ersatzzeiten 14 f in Tomandl [Hrsg], Wiener Beiträge zum Arbeits- und Sozialrecht Bd 14 zum Begriff der "Freiheitsbeschränkung" in § 228 Abs 1 Z 4 ASVG). Es wäre im Sinn des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes auch höchst bedenklich, wenn man privilegierte und diskriminierte Gruppen von Betroffenen schüfe, indem man darauf abstellt, ob der Betreffende von jugoslawischen Partisanen oder von regulären russischen Gruppen festgenommen und angehalten wurde. Es ist daher nicht entscheidungswesentlich, ob den Partisanen, die die Klägerin festgenommen haben, völkerrechtlich der Status von Kombattanten im Sinn der Haager Landkriegsordnung zukommt.

Nach der ständigen Rechtsprechung hat das Rechtsmittelgericht auf eine Änderung der Rechtslage Bedacht zu nehmen, sofern die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das umstrittene Rechtsverhältnis anzuwenden sind (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 482 Rz 11 mwN uva; RIS-Justiz RS0031419). Insbesondere sind Änderungen des zwingenden Rechts, sofern nicht Übergangsrecht etwas anderes bestimmt, vom Rechtsmittelgericht ohne weiteres von Amts wegen seiner Entscheidung zugrundezulegen, auch wenn der zu beurteilende Sachverhalt bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts verwirklicht wurde (SZ 71/89; SZ 69/238 ua).

Nach § 23 Abs 3 KGEG tritt § 1 KGEG idF des BGBl I 2002/40 mit 1. 1. 2002 in Kraft. Nach § 21 KGEG gebühren Leistungen nach dem KGEG frühestens mit dem Inkrafttreten. Gemäß § 21a KGEG idF Z 3 BGBl I 2002/40 ist die Leistung nach diesem Bundesgesetz, wenn die durch die Novelle (BGBl I 2002/40) begünstigten Personen bis zum 31. 12. 2002 einen Antrag stellen, bei Vorliegen der Voraussetzungen frühestens ab 1. 1. 2002 zu erbringen. Dies gilt auch für Anträge, die vor dem 1. 1. 2002 eingebracht wurden, unabhängig davon, ob über sie bereits rechtskräftig entschieden wurde oder nicht.

Der Klägerin, die nach den Feststellungen am 31. 3. 1945 festgenommen wurde und bis April 1947 interniert war, gebührt daher ab 1. 1. 2002 eine monatliche Geldleistung in der Höhe von 21,80 EUR (§ 4 Abs 1 KGEG), weil ihre Gefangenschaft mindestens zwei Jahre, aber weniger als vier Jahre andauerte.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

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