OGH 7Ob51/01b

OGH7Ob51/01b22.5.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Theresia S*****, vertreten durch Dr. Hans Widerin, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagte Partei Raimund S*****, vertreten durch Dr. Adolf Concin und Dr. Heinrich Concin,

Rechtsanwälte in Bludenz, wegen Feststellung (Streitwert S 55.000 =

EUR 3.997,01) und Herausgabe (Streitwert S 30.000 = EUR 2.180,19),

über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgericht vom 28. November 2000, GZ 2 R 362/00a-24, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 15. August 2000, GZ 2 C 1382/99v-16, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird, soweit sie Nichtigkeit geltend macht, verworfen. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 442,32 = S 6.086,40 (darin EUR 73,72 = S 1.014,40 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO). Das Berufungsgericht hat die ordentliche Revision für zulässig erklärt, weil es an einer oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine einheitliche Streitgenossenschaft auch dann vorliege, wenn kein einheitliches Urteilsbegehren gestellt werden könne bzw wenn der eine Anspruch des Beklagten (Ausgedingeleistungen) von einem anderen Anspruch (Wohnrecht) abhängig sei. Damit wird nicht aufgezeigt, worin hier tatsächlich die Erheblichkeit der Rechtsfrage liegen sollte. Da aber auch die Revision (wie noch zu zeigen sein wird) keine erheblichen Rechtsfragen darlegt ist sie - entgegen dem nicht bindenden (RIS-Justiz RS0042392) Ausspruch des Berufungsgerichtes - nicht zulässig.

Die in der Revision behaupteten Nichtigkeiten (Begründungsmängel) und Aktenwidrigkeiten der Berufungsentscheidung sind - wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat - nicht gegeben, weshalb insoweit keine Rechtsfragen nach § 502 Abs 1 ZPO zu beantworten sind. Ein Urteil steht nämlich nur dann im Sinn des § 477 Abs 1 Z 9 zweiter Fall ZPO mit sich selbst in Widerspruch, wenn sich der Widerspruch aus dem Urteilsspruch selbst ergibt (Kodek in Rechberger² Rz 12 zu § 477 ZPO); und auch davon, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung so mangelhaft sei, dass ihre Überprüfung nicht möglich wäre (vgl dazu die Judikaturhinweise bei Kodek aaO), kann, wie schon die mehrseitigen Revisionsausführungen, die sich gegen die Rechtsbeurteilung des Berufungsgerichtes wenden, zeigen, keine Rede sein (vgl auch RIS-Justiz RS0007484; RS0042133 und RS0042206, wonach eine mangelhafte Begründung keine Nichtigkeit darstellt). Die aus dem Grund der Nichtigkeit erhobene Revision war daher zu verwerfen. Da die Beurteilung, dass die geltend gemachte Mangelhaftigkeit oder Aktenwidrigkeit nicht vorliegt, gar keiner Begründung bedürfte (§ 510 Abs 3 dritter Satz ZPO), ist der Revision hier nur kurz zu erwidern, dass selbst in der tatsächlich oder vermeintlich unrichtigen Wiedergabe des Prozessvorbringens einer Partei nach ständiger Rechtsprechung keine Aktenwidrigkeit liegen kann (RIS-Justiz RS0041814).

Nur soweit die Revisionswerberin in ihrer Rechtsrüge geltend macht, das Berufungsgericht hätte bei richtiger Bewertung des Entscheidungsgegenstandes aussprechen müssen, dass die Berufungsentscheidung "zur Gänze revisibel" sei, kommt ihren Ausführungen - freilich ohne Auswirkung auf das Ergebnis - Berechtigung zu:

Nach § 502 Abs 3 ZPO (in der hier noch anzuwendenden Fassung) ist die Revision - außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO - jedenfalls unzulässig, wenn der Entscheidungsgegenstand (= Streitgegenstand, über den das Berufungsgericht entschieden hat [§ 502 Abs 2 ZPO]), an Geld oder Geldeswert zwar S 52.000, nicht aber insgesamt S 260.000 (bei zweitinstanzlichen Entscheidungen nach dem 31. 12. 2001: EUR 4.000 bzw EUR 20.000 [Art 96 Z 6 und 14 des 2. Euro-JuBeG]) übersteigt (MGA JN-ZPO15 Anm zu § 502 ZPO), und das Berufungsgericht die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt hat. Im Sinn der Verweisung gemäß § 500 Abs 3 ZPO sind auf die Bewertung des Streitgegenstandes die §§ 54 Abs 2 und 55 Abs 1 bis 3 JN sinngemäß anzuwenden (nach § 55 Abs 5 JN sind überdies die Abs 1 bis 4 dieser Bestimmung auch für die Zulässigkeit von Rechtsmitteln maßgebend). Gemäß § 55 Abs 1 JN sind aber das Begehren auf Feststellung eines Rechtsverhältnisses und der Anspruch auf die aus diesem Rechtsverhältnis abgeleiteten Leistungen zusammenzurechnen (Gitschthaler in Fasching I² Rz 16 zu § 55 JN mwN). Der Wert des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht hier insgesamt entschieden hat (§ 502 Abs 2 ZPO), übersteigt demnach S 52.000, nicht aber S 260.000. Dies ergibt sich daraus, dass das Berufungsgericht das Leistungsbegehren mit einem S 52.000 nicht übersteigenden Betrag und das Feststellungsbegehren mit einem S 52.000, nicht aber S 260.000 übersteigenden Betrag bewertete, wobei es von der Bewertung durch die Klägerin, also einem Gesamtstreitwert von S 85.000 (S 30.000 für das Herausgabebegehren und S 55.000 für das Feststellungsbegehren) ausgegangen ist, die teilweise nicht dem Gesetz entspricht.

Es liegt daher aufgrund des Zulassungsausspruches des Berufungsgerichtes auch hinsichtlich der Abweisung des Herausgabebegehrens eine ordentliche Revision der Klägerin vor. Für ihren Standpunkt ist daraus jedoch nichts zu gewinnen, weil sie in ihrem Rechtsmittel - wie bereits ausgeführt - keine erheblichen Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt. Fragen der Einzelfallgerechtigkeit dürfen vom Obersten Gerichtshof nämlich nur überprüft werden, wenn dem Berufungsgericht bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnormen ein grober Fehler unterlaufen ist, der im Interesse der Rechtssicherheit korrigiert werden muss; so bei einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage, einer unvertretbaren Rechtsansicht, einem grundsätzlichen Rechtsirrtum oder einer krassen Fehlbeurteilung (MGA JN-ZPO15, E 29 zu § 502 ZPO mwN). Dass diese Voraussetzungen erfüllt wären, wird in der Revision nicht einmal behauptet und ist auch nicht zu erkennen:

Die von der Klägerin bekämpfte Beurteilung, dass ihrem Herausgabeanspruch durch die - unstrittige - Aushändigung der Schlüssel die Grundlage entzogen sei, begegnet nämlich wie auch jene, dass das Berufungsgericht (im Rahmen seiner allseitigen Prüfung der erstgerichtlichen Rechtsbeurteilung infolge gesetzmäßig ausgeführter Rechtsrüge in der Berufung des Beklagten [vgl dazu jüngst: 10 ObS 221/01z mwN]) auch auf die Frage der Passivlegitimation der beklagten Partei eingehen durfte, keinen derartigen Bedenken. Gleiches gilt für die vom Berufungsgericht verweigerte Zulassung der mit der Berufung vorgetragenen (und daher gegen das Neuerungsverbot des § 482 Abs 1 ZPO verstoßenden) als "Modifizierung" des Herausgabebegehrens bezeichneten Klageänderung.

Aber auch die Frage, ob - ungeachtet der vom Beklagten im Lauf des Prozesses zu Gunsten der Klägerin (im Schriftsatz ON 4) abgegebenen Erklärung (wonach der Beklagte das Fortbestehen der Verpflichtung der beklagten Partei gegenüber der Klägerin entsprechend Punkt III. Abs 2 des Übergabevertrages vom 4. 3. 1970, wenn auch mit einer Einschränkung, ausdrücklich "anerkennt") - der Fortbestand des Festellungsinteresses - wie die Klägerin meint - bejaht werden kann, lässt sich nur nach den Umständen des Einzelfalles beurteilen (MGA JN-ZPO15 E 222 zu § 228 ZPO) und stellt daher keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar. Eine solche wäre nämlich auch bei der Auslegung von Verträgen nur dann zu lösen, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen ist (MGA JN-ZPO15 E 59 ff zu § 228 ZPO).

Ein tauglicher Zulassungsgrund wird somit nicht aufgezeigt, weshalb die Revision mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Beklagte hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Er hat daher Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Beteiligung am Revisionsverfahren.

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