OGH 10ObS18/02y

OGH10ObS18/02y12.2.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Leopold Smrcka (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz R*****, vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. September 2001, GZ 9 Rs 86/01k-60, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20. November 2000, GZ 33 174/98i-56, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 17. 3. 1946 geborene Kläger hat den Beruf eines Sandformers erlernt. Von 15. 7. 1981 bis 31. 3. 1998 war er bei der O***** beschäftigt, wobei er ab 1. 1. 1988 im Lager L***** als Rangierer im Verschub tätig war. Dabei führte er als Werksbahn-Führer auf einem Betriebsgelände Rangierfahrten mit einer Diesellok durch. Voraussetzung für diese Tätigkeit war zwar der Abschluss (irgend)einer Lehrausbildung; dies hatte allerdings nur Bedeutung für das Erreichen einer Gehaltsgruppe.

Die Anlernzeit des Klägers für die Tätigkeit als Triebfahrzeugführer dauerte etwa neun Monate. Der Kläger hatte eine Prüfung beim Bundesministerium für Verkehr zu absolvieren, die auf den Bereich des Werksverkehrs bzw den Rangierverkehr der O***** mit Anschlussstelle beschränkt war. Diese Ausbildung umfasste auch den Erwerb von Kenntnissen aus dem Bereich des sonstigen technischen Aufbaues und des Motors der Lokomotive.

Der Kläger führte Verschubfahrten durch, bei denen Geschwindigkeiten von etwa 30 km/h gefahren werden. Diese Tätigkeit des Klägers bei der O***** ist nicht gleichwertig mit der Tätigkeit eines Triebfahrzeugführers bei den ÖBB. Eine solche Tätigkeit würde eine weitere Ausbildung bedingen. Zu der Zeit, als der Kläger begann, als Werksbahn-Führer bei der O***** zu arbeiten, war für die Grundausbildung eines qualifizierten Lokomotivführers bei den ÖBB eine etwa zweijährige Schulung zu durchlaufen, begleitet von mehreren Prüfungen. Der Lokführer bei den ÖBB hat einen wesentlich größeren Verantwortungsbereich, wird auch innerbetrieblich verstärkt ausgebildet und muss über die Streckenführung über die gesamten Verkehrssicherheitszonen des gesamten Bundesgebiets Bescheid wissen. Aufgrund seines Leistungskalküls ist der Kläger nicht mehr in der Lage, die Tätigkeit eines Werksbahn-Führers auszuüben. Hingegen ist er in der Lage, Aufsichtsberufe in Form von Tagportier-Berufstätigkeiten in öffentlichen Institutionen, Dienstleistungs- und größeren Gewerbebetrieben zu verrichten, weiters optische Werkstück- und Produktkontrollen in der Elektronikbranche. Dabei sind zumeist unter Verwendung von Prüfautomaten elektronische Erzeugnisse auf ihre Fehlerhaftigkeit hin zu überprüfen. Mit Bescheid vom 4. 6. 1998 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers vom 2. 4. 1998 auf Gewährung einer Invaliditätspension ab. Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Der Kläger sei als ungelernter Arbeiter zu qualifizieren; seine Tätigkeit als Werkbahn-Führer mit einer Diesellok auf einem Betriebsgelände entspreche nicht der Wertigkeit eines Lehrberufs. Der Kläger sei daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und könne mit seinem Leistungskalkül vereinbare Tätigkeiten ausüben. Für eine Anwendung der in § 255 Abs 3 ASVG enthaltenen Zumutbarkeitsformel bestehe bei billiger Berücksichtigung aller vom Versicherten bisher im Bereich des ASVG ausgeübten Tätigkeiten kein Anwendungsbereich, da diese Bestimmung eine Verweisung auf Tätigkeiten, die den bisher ausgeübten unähnlich seien, nicht hindere.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und bestätigte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei.

Dagegen richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts ist zutreffend, sodass es genügt, auf deren Richtigkeit zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zu ergänzen ist, dass die in § 255 Abs 3 ASVG enthaltene Zumutbarkeitsformel eine Verweisung auf Tätigkeiten, die den bisher ausgeübten unähnlich sind, nicht hindert; vielmehr soll sie nur in Ausnahmefällen eine Verweisung verhindern, die bei Berücksichtigung der vom Versicherten - nicht nur während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag - ausgeübten Tätigkeiten als unbillig bezeichnet werden müsste (RIS-Justiz RS0084991; SSV-NF 2/34, 3/4, 6/12 ua). Nach einem in der Lehre (Grillberger, Österreichisches Sozialrecht5 77) vertretenen Standpunkt soll durch die Zumutbarkeitsformel vor allem verhindert werden, dass sich der Versicherte höher qualifizierte Berufe oder gar selbständige Erwerbstätigkeiten entgegenhalten lassen muss, die er bei seinem Gesundheitszustand noch ausüben könnte, obwohl hiefür eine grundlegende Umschulung nötig wäre, die er oft gar nicht absolvieren könnte (10 ObS 140/99g ua).

Der am 17. 3. 1946 geborene Kläger, der den Beruf eines Sandformers erlernt hat, war von 15. 7. 1981 bis 31. 3. 1998 bei der O***** beschäftigt; dabei war er ab 1. 1. 1988 im Lager L***** als Rangierer im Verschub tätig. Unter diesen Umständen kann nicht gesagt werden, dass dem Kläger - selbst unter Berücksichtigung seiner langjährigen Tätigkeit als Rangierer im Verschub - die Verweisung etwa auf die Tätigkeit etwa eines Tagportiers in öffentlichen Institutionen, Dienstleistungs- und größeren Gewerbebetrieben oder in der optischen Werkstück- und Produktkontrolle in der Elektronikbranche nicht mehr zugemutet werden könnte (vgl SSV-NF 6/12 ua). Die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer Invaliditätspension liegen daher nicht vor. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht dargetan und sind nach der Aktenlage auch nicht ersichtlich.

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