OGH 10ObS392/01x

OGH10ObS392/01x15.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Engelmann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Böhm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anton P*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Dr. Josef Klaunzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 5. September 2001, GZ 23 Rs 44/01v-38, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 28. Februar 2001, GZ 42 Cgs 228/99t-29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 19. 3. 1947 geborene Kläger hat den Beruf eines KFZ-Mechanikers erlernt. Nachdem er zunächst in seinem erlernten Beruf und als Kraftfahrer gearbeitet hatte, war er ab 1973 zunächst als Arbeiter und ab 1975 als Betonmischmeister (im Angestelltenverhältnis) beschäftigt. Seit 1997 ist der Kläger arbeitslos.

Mit Bescheid vom 29. 11. 1999 lehnte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 10. 6. 1999 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab. Das Erstgericht wies das dagegen erhobene und auf die Gewährung der beantragten Leistung ab dem Stichtag gerichtete Klagebegehren ab. Es traf im Wesentlichen noch folgende Feststellungen.

Der Kläger hatte als Betonmischmeister die Fertigbetonmischanlage zu bedienen und zu betreuen, wobei zunächst bei halbautomatischem Betrieb dieser Anlage der Kläger Zusatzmittel händisch beizumischen hatte, während er zuletzt bei vollautomatischem Betrieb eine reine Kontrolltätigkeit zu verrichten hatte. Weiters musste der Kläger in einem näher beschriebenen Umfang Reparaturarbeiten (Auswechseln von Verschleißteilen, Erneuern der Förderbänder und Walzen usw) durchführen. Größere Reparaturarbeiten wurden in der Regel im Winter durchgeführt. Für die Verrichtung der Tätigkeit als Betonmischmeister ist der Abschluss einer Kfz-Mechanikerlehre nicht erforderlich. Notwendig sind jedoch genaue Kenntnisse über Betontechnologie (Zusammensetzung, Rezepturen, Eigenschaften, Verhalten, Prüfung des Betons).

Neben dieser Tätigkeit als Betonmischmeister übte der Kläger bei seinem Dienstgeber gleichzeitig auch eine Disponententätigkeit aus. Der Kläger war für die Einteilung des Fuhrparks (ca 10 Betonmischfahrzeuge) und der Fahrer zuständig und hatte für eine reibungslose Abwicklung der eingegangenen Aufträge zu sorgen. Administrative Erledigungen im Zusammenhang mit der Disponententätigkeit betrafen vor allem das Eintragen eingehender Aufträge und deren Eingabe im Wege der EDV.

Der Kläger kann noch leichte Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen mit der Möglichkeit zu einem gelegentlichen Wechsel der Körperhaltung ohne bestimmten Rhythmus verrichten. Die Arbeiten können sowohl in geschlossenen Räumen als auch im Freien erbracht werden und zwar ganztägig mit nicht mehr als den üblichen gesetzlich vorgeschriebenen Unterbrechungen. Vermieden werden müssen das Tragen von Lasten über 10 kg, häufiges Bücken, Arbeiten auf Leitern oder Gerüsten sowie an sonstigen exponierten Stellen, weiters das Arbeiten in längerer Zwangshaltung der Wirbelsäule, häufiges Treppensteigen sowie Arbeiten unter übermäßiger Stressbelastung. Hinsichtlich des Anmarschweges zur Arbeitsstätte und der Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels bestehen keinerlei Einschränkungen. Krankenstände von mehr als sieben Wochen pro Jahr sind nicht zu erwarten.

Die Tätigkeit des Klägers erforderte unter Berücksichtigung der von ihm händisch auszuführenden Wartungs- und Reparaturarbeiten teilweise auch mittelschwere Arbeiten. Ohne diese Reparaturarbeiten waren nur leichte Arbeiten zu verrichten. Die Tätigkeit erfolgte zu 40 % im Sitzen, sonst im Gehen und Stehen. Als Mischmeister ist zwischendurch öfters ein Heben und Tragen von Lasten von 20 kg und mehr erforderlich. Die Tätigkeit als Disponent erfolgt zeitweise unter Stress.

Der Kläger kann auf Grund seines medizinischen Leistungskalküls noch die Tätigkeit als technisch-kaufmännischer Angestellter im Einkauf (zB Einholen von Angeboten, Preis- und Qualitätsvergleichen, Festsetzen von Zahlungs- und Lieferfristen sowie Kontrollen, Warenbedarfserhebungen in Abteilungen und im Materiallager) oder im Verkauf (Erstellen von Angeboten, Auftragsabwicklung, Koordinationsaufgaben) verrichten. Es ist dafür eine betriebliche Einarbeitung in der Dauer von drei bis sechs Monaten notwendig. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Kläger - ausgehend von einer überwiegenden Tätigkeit als Disponent - als Angestellter zu qualifizieren sei. Auf Grund seines Leistungskalküls könne er sowohl eine Disponententätigkeit als auch Verweisungstätigkeiten im Einkauf und Verkauf weiterhin ausüben. Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 ASVG liege daher nicht vor. Wenn man davon ausgehe, dass der Kläger überwiegend eine Tätigkeit als Betonmischmeister ausgeübt habe, habe er keinen Berufsschutz erlangt, da die Kfz-Mechanikerlehre keine Berufsvoraussetzung sei. In diesem Fall wäre der Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar und könnte nach dem Leistungskalkül noch verschiedene Berufe ausüben.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge und verneinte im Hinblick auf die dem Kläger noch zumutbare Verweisungstätigkeit eines technisch-kaufmännischen Angestellten im Ein- und Verkauf das Vorliegen einer Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 ASVG.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des Eventualantrages berechtigt. Der Kläger macht als sekundären Feststellungsmangel das Fehlen einer Feststellung geltend, wonach er von seinem Dienstgeber nur deshalb als Mischmeister im Fertigbetonwerk angestellt worden sei, weil er eine abgeschlossene Berufsausbildung als Mechaniker habe. Sein Dienstgeber habe dadurch sicherstellen wollen, dass sämtliche durchzuführenden Wartungs- und Reinigungsarbeiten sowie auch Reparaturarbeiten an der Mischanlage vom Kläger als Mischmeister durchgeführt werden können, damit diese Arbeiten nicht von anderen Arbeitern erledigt werden müssen. Dies bedeute, dass dem Kläger Berufsschutz zukomme und er daher nicht auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden dürfe.

Der erkennende Senat hat dazu folgendes erwogen:

Der Eintritt des Versicherungsfalles der geminderten Arbeitsfähigkeit ist ausschließlich nach der tatsächlichen Tätigkeit des Versicherten zu beurteilen. Es kommt daher nicht darauf an, ob er als Arbeiter oder Angestellter eingeordnet war, sondern ob er Arbeiter- oder Angestelltentätigkeiten verrichtet hat (SSV-NF 2/71, 3/99, 4/10, 6/20 ua). Für die Entscheidung über das vorliegende Klagebegehren auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ist daher ausschlaggebend, ob der Kläger Angestelltentätigkeiten im Sinn des § 1 Abs 1 AngG verrichtet hat (SSV-NF 12/101). Werden sowohl Tätigkeiten als Angestellter als auch Tätigkeiten als Arbeiter verrichtet, entscheidet im Allgemeinen das zeitliche Überwiegen. Haben jedoch die höher qualifizierten Tätigkeiten für den Arbeitgeber die ausschlaggebende Bedeutung, dann kommt es nicht auf das zeitliche Überwiegen an (SSV-NF 6/20 mwN ua).

Die Vorinstanzen haben lediglich festgestellt, dass der Kläger im maßgebenden Beobachtungszeitraum der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag gleichzeitig als Mischmeister und Disponent tätig war. Für eine Beurteilung der für den Umfang des in Betracht kommenden Verweisungsfeldes wesentlichen Frage, ob diese Tätigkeit des Klägers als Angestellten- oder als Arbeitertätigkeit zu qualifizieren ist, fehlen daher Feststellungen darüber, welche dieser beiden Tätigkeiten zeitlich oder inhaltlich das Schwergewicht gebildet hat. Sollte von einem zeitlichen Überwiegen oder zumindest von einer überwiegenden Bedeutung der Tätigkeit des Klägers als Disponent auszugehen sein, wäre die Berechtigung des Klagebegehrens unter Zugrundelegung des Berufsunfähigkeitsbegriffes des § 273 Abs 1 ASVG zu prüfen. Dass der Kläger gleichzeitig im Betrieb Arbeitertätigkeiten verrichtet hat, könnte ihm die Qualifikation als Angestellter nicht nehmen. Es wird aber auch vom Kläger nicht in Zweifel gezogen, dass eine Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Gesetzesstelle nicht vorliegt, weil er nach den Ausführungen des Erstgerichtes sowohl die Tätigkeit als Disponent als auch zumutbare Verweisungstätigkeiten als Angestellter im Ein- und Verkauf noch ausüben könnte.

Gelangt man auf Grund der noch zu treffenden Feststellungen hingegen zu dem Ergebnis, dass die Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers inhaltlich nach dem Invaliditätsbegriff des § 255 ASVG zu beurteilen sei, bedarf es zunächst noch ergänzender Feststellungen zu dem nach den Behauptungen des Klägers durch die Ausübung einer Teiltätigkeit des von ihm erlernten Berufes als KFZ-Mechaniker aufrecht erhaltenen Berufsschutz nach dem § 255 Abs 1 ASVG. Wie der erkennende Senat bereits mehrfach dargelegt hat, geht der Berufsschutz nicht verloren, wenn in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nur mehr Teiltätigkeiten des erlernten Berufes ausgeübt werden, sofern diese quantitativ und qualitativ nicht ganz unbedeutend waren (SSV-NF 14/38, 9/40 mwN ua; RIS-Justiz RS0084497). Fordert die ausgeübte Tätigkeit nämlich auch Kenntnisse und Fähigkeiten, die Gegenstand der Ausbildung im erlernten Beruf und darüber hinaus auch nicht nur ganz unbedeutend sind, dann kann man davon ausgehen, dass der Versicherte den erlernten Beruf, wenn auch mit einer gewissen Spezialisierung, weiter ausgeübt hat, sodass die Qualifikation im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG nicht verloren geht. Entscheidend ist, ob ein Kernbereich der Ausbildung auch bei Ausübung der Teiltätigkeit verwertet werden muss (SSV-NF 14/38 mwN ua). So hat der erkennende Senat in der zuletzt zitierten Entscheidung SSV-NF 14/38 die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass der damalige Kläger als gelernter KFZ-Mechaniker seinen Berufsschutz durch die während etwa eines Drittels seiner Arbeitszeit ausgeübten Mechanikertätigkeiten (Wartungs- und Reparaturarbeiten an Lastkraftwagen) erhalten konnte, mit der Begründung geteilt, dass die vom Kläger durchgeführten Wartungs- und Reparaturarbeiten qualifizierte Teiltätigkeiten des erlernten Berufes eines KFZ-Mechanikers darstellen und der Kläger somit, wenn auch im Verhältnis zu seiner überwiegenden Tätigkeit als Kraftfahrer in geringerem zeitlichen Umfang, weiterhin als KFZ-Mechaniker gearbeitet hat. Es sind daher auch im vorliegenden Fall noch genauere Feststellungen darüber erforderlich, in welchem konkreten zeitlichen Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit der Kläger im Beobachtungszeitraum qualifizierte Teiltätigkeiten seines erlernten Berufes als KFZ-Mechaniker verrichtet hat. In diesem Zusammenhang kann auch der vom Kläger ergänzend gewünschten Feststellung, dass er von seinem Dienstgeber nur deshalb als Mischmeister im Fertigbetonwerk angestellt worden sei, weil er eine abgeschlossene Berufsausbildung als Mechaniker habe, Bedeutung zukommen. Sollte auf Grund dieser ergänzend zu treffenden Feststellungen ein Berufsschutz des Klägers nach § 255 Abs 1 ASVG zu verneinen sein, wird noch zu prüfen sein, ob dem Kläger Berufsschutz nach § 255 Abs 2 ASVG zukommt. Nach dieser Gesetzesstelle liegt ein angelernter Beruf im Sinn des Abs 1 vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Nach der Rechtsprechung kann ein angelernter Beruf auch dann vorliegen, wenn es keinen gleichartig gesetzlich geregelten Lehrberuf gibt, die vom Versicherten verrichtete Tätigkeit nach den für sie in Betracht kommenden Voraussetzungen im Allgemeinen jedoch eine ähnliche Summe besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordert, wie die Tätigkeiten in einem erlernten Beruf (vgl SSV-NF 1/70 ua). Im bisherigen Verfahren fehlen auch Feststellungen darüber, ob die konkrete Tätigkeit des Klägers als Betonmischer bzw Mechaniker in ihrer Gesamtheit Kenntnisse und Fähigkeiten erforderte, die in ihrem Umfang einem Lehrberuf entsprechen.

Schließlich bedarf die Feststellung des Erstgerichtes, Krankenstände "von mehr als sieben Wochen" sind nicht zu erwarten, einer weiteren inhaltlichen Konkretisierung, weil nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senates ein Ausschluss vom Arbeitsmarkt auch bereits dann anzunehmen ist, wenn die maßgebliche Gesamtdauer der voraussichtlichen Krankenstände mit hoher Wahrscheinlichkeit sieben Wochen jährlich (oder mehr) beträgt (SSV-NF 10/14, 7/76 ua; RIS-Justiz RS0084429, RS0084898).

Da es offenbar einer Verhandlung in erster Instanz bedarf, um die Sache spruchreif zu machen, waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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