OGH 6Ob215/01p

OGH6Ob215/01p29.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Wiener Neustadt zu FN ***** eingetragenen B***** mit dem Sitz in *****, wegen Verhängung von Zwangsstrafen nach § 283 HGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder Wolfgang W***** und Geza A*****, alle ***** alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 26. März 2001, GZ 28 R 241/00t-8, womit der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 24. August 2000, GZ 1 Fr 2947/00w-3, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass über die Vorstandsmitglieder Wolfgang W***** und Geza A***** Zwangsstrafen von je 10.000 S verhängt werden.

2. Der Antrag der Revisionsrekurswerber auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß § 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht forderte die Vorstandsmitglieder der Aktiengesellschaft mit Beschluss vom 13. 4. 2000 vergeblich auf, den Jahresabschluss zum 28. 2. 1999 einzureichen und verhängte mit weiterem Beschluss vom 24. 8. 2000 die angedrohten Zwangsstrafen von je 50.000 S. Anträge der Gesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder auf Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs hatte das Erstgericht davor bereits zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 19. 9. 2000 (ON 5) wies das Erstgericht die Anträge, dem Rekurs gegen die Verhängung der Zwangsstrafe aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und die Beugestrafe auf je 2.000 S herabzusetzen, ab.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs gegen die Verhängung der Zwangsstrafe (ON 3) nicht Folge und wies - im Revisionsrekursverfahren unbekämpft - den gegen die Abweisung des Aufschiebungsantrags und gegen die Zurückweisung des Gesetzesprüfungsantrags gerichteten Rekurs zurück; es hob die Entscheidung des Erstgerichts über den Herabsetzungsantrag als nichtig auf. Seine Entscheidung folgte der oberstgerichtlichen Rechtsprechung zur Unbedenklichkeit der österreichischen Offenlegungsvorschriften der §§ 277 ff HGB. Das Rekursgericht erachtete die Ausschöpfung des gesetzlichen Strafrahmens für zulässig.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Aktiengesellschaft und ihrer Vorstandsmitglieder richtet sich gegen die Bestätigung der Zwangsstrafen. Die Revisionsrekurswerber vertreten nach wie vor den Standpunkt, die Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien durch die österreichischen Rechnungslegungsvorschriften sei grundrechtswidrig, die Richtlinien selbst stünden mit verschiedenen Grundrechten in Widerspruch. Sie beantragen die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens über die Verfassungswidrigkeit der Bestimmungen des § 277 Abs 1 und 4 HGB beim Verfassungsgerichtshof und regen überdies neuerlich die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs an. Gleichzeitig beantragen sie eine Herabsetzung der verhängten Zwangsstrafe, weil es den Rechtsmittelwerbern um ein erstes (gemeint wohl: ernstes) Anliegen des Gemeinschaftsrechts gehe, das nicht durch überhöhte Beugestrafen effektiv behindert werden dürfe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs berührt nur zur Frage der Höhe der Zwangsstrafen eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 14 Abs 1 AußStrG und ist nur in diesem Punkt berechtigt.

Das Rechtsmittel ist als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln. Firmenbuchsachen sind im Regelfall keine rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten, die das Rekursgericht gemäß § 13 Abs 2 AußStrG iVm § 15 FBG zu bewerten hat. Eines Ausspruchs des Rekursgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstandes bedurfte es damit nicht.

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mittels Zwangsstrafen als verfassungskonform und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend beurteilt und in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (erste Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 - Publizitätsricht- linie; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom 25. 7. 1978 - Bilanzrichtlinie) unter Hinweis auf mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vor allem der Entscheidung vom 4. 12. 1997 Slg 1997 I-6843 - Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte der MRK oder Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft erblickt (RIS-Justiz RS0113282). Die Rekurswerber bekämpfen diese Auffassung überwiegend mit Argumenten, die der Senat schon behandelt und abgelehnt hat. So wurden auch die gesetzlichen Offenlegungspflichten nach dem Bezügebegrenzungsgesetz BGBl 1997/64 und die zu diesem Gesetz vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen in dem anhängig gemachten Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung der Vereinbarkeit der Offenlegung von Gehältern mit dem Datenschutz als nicht vergleichbar beurteilt. Für diese Beurteilung ist die Verschiedenheit der Materien und der Umstand entscheidend, dass nur im Falle der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien eine die Umsetzung dieser Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits vorliegt (6 Ob 54/01m; zuletzt 6 Ob 101/01y, 6 Ob 172/01i). Gleiches gilt für den von den Revisionsrekurswerbern für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Schlussantrag des Generalanwalts in einem beim EuGH anhängigen Verfahren, in dem die Einschränkung von Wirtschaftsgrundrechten durch die Tabakwerberichtlinie insbesondere im Hinblick auf das Recht der freien Meinungsäußerung zu prüfen ist (6 Ob 215/00m).

Es wurde auch bereits ausgesprochen, dass dem vom Landesgericht Wels an den EuGH im Sinn der Rekurswerber gestellten Vorabentscheidungsersuchen für andere Verfahren keine Bindungswirkung zukommt (6 Ob 306/00v = RdW 2001/372; 6 Ob 305/00x; RIS-Justiz RS0114648).

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die EU-Grundrechtscharta zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Diese noch rechtlich unverbindliche Charta der Grundrechte (Schubarth, Die EU-Grundrechtscharta - ein Paradigma- wechsel? JBl 2001, 205) stellt noch keine europäische Verfassung (Hirsch, Grundrechtscharta für Europa-Anspruch-Wirklichkeit, European law Reporter 2001, 2), sondern eine bloße Deklaration der Staaten der Gemeinschaft dar (vgl die Präambel und den Text der Charta abgedruckt in Hummel/Obwexa, Der Vertrag von Nizza, 305 ff) und bringt im hier relevanten Zusammenhang keine neuen Gesichtspunkte. Es ist nicht zweifelhaft, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der Gesetzgeber des Gemeinschaftsrechts Eingriffe in das Grundrecht nach dem vom Europäischen Gerichtshof für Menschenreche klargestellten Kriterien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des gesetzlichen Eingriffs zu rechtfertigen haben und dass dem EuGH die Prüfungskompetenz zukommt. Im Gegensatz zur Auffassung der Rekurswerber ist jedoch von einer schon erfolgten Prüfung des EuGH auszugehen.

Der Revisionsrekurs vermag keine Umstände darzutun, die eine Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung rechtfertigen könnten. Die neben dem Rekursantrag wiederholt gestellten Anregungen auf Einholung einer Vorabentscheidung gemäß § 234 EG und auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG werden nicht aufgegriffen. Der formelle Antrag auf Einleitung eines Normprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof wird zurückgewiesen (6 Ob 54/01m).

Der Revisionsrekurs ist lediglich in Ansehung der Höhe der verhängten Zwangsstrafe teilweise berechtigt.

Die Vorinstanzen haben wegen Verletzung der Offenlegungsvorschriften die in § 283 HGB vorgesehene Höchststrafe verhängt. Diese Gesetzesstelle sieht Zwangsstrafen bis zu 50.000 S vor. Bei weiterer Säumigkeit der Geschäftsführer ist nach § 283 Abs 2 HGB innerhalb von zwei Monaten nach Rechtskraft des Strafbeschlusses eine weitere Zwangsstrafe bis zu 50.000 S zu verhängen und der Beschluss über die Verhängung der Zwangsstrafe zu veröffentlichen. Eine wiederholte Verhängung von Zwangsstrafen ist zulässig. Die Ausmessung der Strafe hängt grundsätzlich von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab (6 Ob 306/00v). Ob eine Ausschöpfung des Höchstmaßes schon anlässlich der Erstverhängung zulässig ist (ablehnend Zehetner, Folgen der Nichtoffenlegung des Jahresabschlusses, ecolex 1998, 482), muss hier nicht abschließend beurteilt werden, setzte jedoch jedenfalls besondere Gründe voraus. Aus dem gebotenen stufenweisen Vorgehen zur Erzwingung der Offenlegung und dem primären, nach Meinung des Verfassungsgerichtshofs (G 60/99 ua) sogar ausschließlichen Beugezweck der Zwangsstrafen ist das Prinzip des gelindesten Mittels abzuleiten (6 Ob 177/00y; 6 Ob 275/00h). In vielen Fällen wird schon die Androhung der Zwangsstrafe genügen, um die Kapitalgesellschaft zur Offenlegung zu veranlassen. Bei ihrer Säumigkeit hat das Firmenbuchgericht eine Strafe innerhalb des gesetzlichen Rahmens so zu bemessen, dass einerseits die Gesellschaft und ihre Geschäftsführer (Vorstandsmitglieder) nicht über Gebühr belastet werden, die Zwangsstrafe aber andererseits doch so hoch bemessen wird, dass eine Erzwingung der Offenlegung wahrscheinlich erscheint. Für die Verhängung der Höchststrafe schon bei erstmaliger Verhängung müssen daher ebenfalls besondere Gründe für die Einschätzung vorliegen, dass nur die sofortige Ausschöpfung des Strafrahmens erforderlich sind, damit der gesetzlichen Offenlegungspflicht entsprochen wird. Derartige Gründe sind derzeit nicht aktenkundig. Die Strafen sind daher zu reduzieren.

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