OGH 8ObA189/01d

OGH8ObA189/01d29.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter MR Mag Dr. Martha Seböck und Mag. Christa Marischka als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Ferhat T*****, vertreten durch Dr. Georg Josef Reich, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B***** HandelsgesmbH, ***** vertreten durch Dr. Markus Ch. Weindl, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 135.563,84 brutto sA (Revisionsinteresse S 101.297,16 sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. April 2001, GZ 9 Ra 33/01s-74, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 21. November 2000, GZ 1 Cga 8/98x-63, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 21.362,-- (darin enthalten S 1.352,-- Umsatzsteuer und S 13.250,-- Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Ferner hat die klagende Partei der Wirtschaftskammer Wien für das Berufungsverfahren einen Aufwandersatz in Höhe von S 4.100,-- binnen vierzehn Tagen zu leisten.

Text

Entscheidungsgründe:

Der aus der Türkei stammende, im Zeitpunkt seiner Entlassung im Dezember 1997 erst 36jährige Kläger verfügt über ausreichende Deutschkenntnisse, um Alltagsgespräche zu führen. Er wurde von der beklagten Glasverarbeitungsfirma 1985 als Hilfsarbeiter aufgenommen und unter anderem für das Tragen von Glasplatten, Zerlegen von Kisten, Streichen von Fenstern sowie einfache Montagetätigkeiten eingesetzt. Als er dann mehr verdienen wollte, wurde er auch als Fahrer beschäftigt. Er hatte allerdings nur die Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen mit dem höchstzulässigen Gewicht von 14,5 Tonnen. Insgesamt verlief das Dienstverhältnis in den ersten Jahren relativ unproblematisch, jedoch schlichen sich dann verschiedene Ungenauigkeiten und Schlampereien des Klägers, insbesondere auch Unpünktlichkeiten ein, die dazu führten, dass ganz Arbeitspartien aufgehalten wurden. Dies änderte sich auch nach schriftlichen und mündlichen Verwarnungen nicht. 1996 spitzte sich die Situation zu und es kam zu einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen den Streitparteien. Der Kläger forderte ständig Lohnerhöhungen und drohte mit Krankenständen. Er wollte die Auflösung des Dienstverhältnisses durch die Beklagte erzwingen, nicht aber seinen Anspruch auf Abfertigung verlieren. So behauptete er gegenüber der Beklagten mehrmals, dass er eine Kündigung provozieren werde und er sich dazu vor allem durch Angabe von schwer diagnostizierbaren Krankheiten von seinem Arzt krankschreiben lassen könne. So kündigte er auch immer wieder Krankenstände an. Im Jahre 1997 war er vom 7. 1. bis 24. 1., vom 17. 3. bis 28. 3., vom 2. 6. bis 13. 6., vom 1. 9. bis zum 5. 9., vom 1. 10. bis 10. 10. und vom 24. 10. bis 9. 11. in Krankenstand.

Am 9. 12. sollte der Kläger Gipskartonplatten mit einem Gewicht von ca 25 kg in eine Wohnung im dritten Stock tragen. Nachdem er dies bei drei Platten gemacht hatte, brach er seine Arbeit ab und ging ins Büro. Dort erklärte er, dass er die Arbeit nicht machen werde, weil er davon Kreuzschmerzen bekommen könnte. Er wollte zu einem Arzt gehen. Er wurde von der Beklagten darauf hingewiesen, dass die Arbeitsverweigerung einen Entlassungsgrund darstelle. Darauf reagierte er gleichgültig und meinte nur, dass er zum Arzt gehen werde, worauf der Geschäftsführer die Entlassung aussprach. Bei seinem neuen Arbeitgeber verrichtet der Kläger nunmehr ebenfalls schwere Arbeiten so etwa das Heben und den Transport von LKW-Reifen.

Der Kläger hatte eine geringe Wirbelsäulenfehlhaltung aber auch Abnützungserscheinungen des Stütz- und Bewegungsapparates ohne wesentliche funktionelle Einschränkungen. Ferner hatte er beginnende Spreizfüße und eine angedeutete Winkelzehe. Es waren ihm aber im Dezember 1997 sämtliche Arbeiten, darunter auch Hebe- und Trageleistungen ohne Gewichtsbegrenzung, zumutbar. Krankenstände waren nicht indiziert. Es ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass der Kläger am 9. 12. 1997 beim Heben der Gipsplatten Schmerzen verspürte. Die Fortführung der Arbeiten war ihm zumutbar. Er ging jedoch nach seiner Entlassung zur praktischen Ärztin und gab an, dass er Schmerzen in der Lendenwirbelsäule und der Brustwirbelsäule spüre. Die Ärztin untersuchte ihn, schrieb ihn wegen "Dorsallumbalgie" krank und überwies ihn an einen Orthopäden. Ein klinischer Untersuchungsbefund wurde nicht erstellt. Der Orthopäde, der bereits im Mai 1997 eine Verspannung der gesamten Lendenwirbelsäule und eine teilweise Überbeweglichkeit festgestellt und eine Behandlung mit lokalen Infiltrationen und Mieder durchgeführt hatte, diagnostizierte ein Vertikalsyndrom ohne Wurzelreizerscheinungen, einen Tennisarm links sowie eine Lumbalgie. Auch beim Orthopäden wurde ein klinischer Befund nicht erstellt.

Der Kläger begehrte neben verschiedenen im Wesentlichen bereits rechtskräftig zugesprochenen Ansprüchen aus Abrechnungsdifferenz die hier noch maßgebliche Abfertigung im Ausmaß von vier Monatsentgelten, und zwar S 101.297,15. Er stützt sich dabei darauf, dass die Entlassung unberechtigt sei. Er sei nur selten zu spät gekommen und dies sei entschuldigt worden. Die Arbeit habe er nicht verweigert und auch nicht angedroht, dass er in Krankenstand gehen werde. Beim Tragen der Platten habe er aber Schmerzen gehabt.

Die Beklagte beantragte auch insoweit die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, dass die Entlassung berechtigt sei. Der Kläger sei nicht nur wiederholt zu spät gekommen und habe die Arbeit verweigert, sondern auch Krankenstände angedroht. Dies alles trotz Ermahnungen. Jedenfalls sei von einem Mitverschulden des Klägers auszugehen.

Das Erstgericht gab zwar - insoweit bereits rechtskräftig - dem Klagebegehren über die noch offene Abrechnungsdifferenz statt, wies jedoch das hier noch maßgebliche Klagebegehren auf die Abfertigung ab. Insoweit ging es von der Berechtigung der Entlassung nach § 82 lit f GewO aus, da der Kläger den Krankenstand nur vorgeschützt habe, um seine Entlassung zu provozieren. Er habe unbefugt die Arbeit verlassen und sich geweigert, die ihm angemessenen Hilfstätigkeiten durchzuführen.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab. Es übernahm zwar ausdrücklich unter anderem die Feststellung, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen sei, dass der Kläger am 9. 12. 1997 beim Heben der Gipsplatten Schmerzen verspürt habe und ihm die Arbeit jedenfalls zumutbar gewesen wäre. Es folgerte aber rechtlich, dass das Fernbleiben eines Arbeitnehmers vom Dienst auch dann als entschuldigt anzusehen sei, wenn objektiv dazu keine Veranlassung bestanden habe, der Arbeitnehmer aber auf die ihm ausgestellte ärztliche Bestätigung vertrauen durfte. Selbst ein Laie, der sich selbst für arbeitsfähig halte, könne nach der fachlichen Beurteilung des Arztes arbeitsunfähig sein. Hier habe der Orthopäde des Klägers bereits im Mai 1997 eine Verspannung und teilweise Überbeweglichkeit der Lendenwirbelsäule festgestellt. Der Kläger habe daher hinsichtlich der am Tag der Entlassung wegen der Dorsallumbalgie erfolgten Krankschreibung durch die praktische Ärztin sowie der Feststellung des Cervikal-Syndroms ohne Wurzelreizerscheinung, Tennisarms links und der Lumbalgie durch den Orthopäden gutgläubig sein können. Insgesamt sei daher die Entlassung des Klägers nicht berechtigt erfolgt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG jedenfalls zulässig und auch berechtigt.

Nach § 82 lit f GewO stellt es unter anderem einen Entlassungsgrund dar, wenn der Arbeiter die Arbeit unbefugt verlassen hat oder beharrlich seine Pflichten vernachlässigt. Hier wurde nun die Entlassung deshalb ausgesprochen, weil sich der Kläger trotz Ermahnung durch die Beklagte geweigert hat, die ihm aufgetragene Arbeit zu verrichten, mit der Begründung, dass er davon Kreuzschmerzen bekommen könnte und in weiterer Folge einen Arzt aufsuchen wollte. Er hatte davor mehrfach angekündigt, durch Angabe von schwer diagnostizierbare Krankheiten bei einem Arzt die Krankschreibung zu erreichen, um im Ergebnis eine Kündigung zu provozieren.

Die von der Beklagten dem als Hilfsarbeiter beschäftigten Kläger aufgetragene Arbeit fällt in den Rahmen seines Arbeitsvertrages. Die Anordnung ist daher als gerechtfertigt anzusehen. Es wäre daher am Kläger gelegen, besondere Umstände anzuführen und zu beweisen, die die Weigerung als gerechtfertigt erscheinen lasse (vgl allgemein

RIS-Justiz RS0029534 mzwN; OGH 20. 5. 1998, 9 ObA 15/98s = RdA

1999/16 [Resch] = Arb 11.728 ua). Dabei ist zu beachten, dass die Entlassung hier ja nicht wegen eines unberechtigten Krankenstandes erfolgte, sondern bereits im Dienst, als der Kläger nur ankündigte, dass er eine bestimmte Arbeit nicht verrichten wolle und in weiterer Folge zu einem Arzt gehen werde. Dass der Kläger auch ohne die Entlassung seine Arbeit verlassen hätte und sofort zum Arzt gegangen wäre, wurde nicht festgestellt. Auch für die Berechtigung der Weigerung, eine bestimmte Arbeit durchzuführen, wäre wohl nicht nur darauf abzustellen, ob der Arbeitnehmer - objektiv betrachtet - in der Lage ist, diese zu verrichten, sondern auch darauf, ob ihm von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt mitgeteilt wurde, dass er diese Arbeiten nicht mehr verrichten soll. Ist doch auch zur Verwirklichung dieses Entlassungstatbestandes nicht nur ein pflichtwidriges, sondern auch ein schuldhaftes Verhalten erforderlich (vgl Kuderna, Entlassungsrecht2, 138 iVm 114; RIS-Justiz RS0029518 mwN). Regelmäßig wird dem Arbeitnehmer auf Grund einschlägiger Anweisung seines behandelnden Arztes ein entsprechender guter Glaube zugebilligt werden können, soweit diese Anweisungen nicht auf bewusst unrichtigen Angaben des Arbeitnehmers beruhen (vgl zur Krankenstandsbescheinigung RIS-Justiz RS0028875 mzwN, etwa Art 10.004; OGH 14. 11. 1996, 8 ObA 2302/96d = Arb 11.518 = ASoK 1997, 195 = DRdA 1997/47 [Resch], OGH 20. 5. 1998, 9 ObA 15/98s = Arb

11.728 = DRdA 1999/16 [Resch]; OGH 15. 4. 1998 9 ObA 52/98g = infas 1998 A 115 ua).

Dass für den Kläger im Zeitpunkt seiner Arbeitsverweigerung und des Ausspruches der Entlassung irgendwelche Umstände, etwa ärztliche Anweisungen, Schmerzen oder Ähnliches vorgelegen wären, aus denen er irrtümlicherweise der Ansicht sein konnte, die geforderte Arbeit nicht verrichten zu können, konnte er nicht nachweisen. Die im Wesentlichen auf Grund seiner Angaben von Schmerzzuständen, die er nicht nachweisen konnte, erfolgte spätere Krankschreibung kann gerade bei einem Dienstnehmer, der bereits mehrmals ankündigte, dass er durch Angabe von schwer diagnostizierbaren Krankheiten solche Krankschreibungen erreichen werde, nicht "rückwirkend" ein solches Verschulden ausschließenden, hier einen - gar nicht konkret behaupteten - Irrtum rechtfertigen.

Im Ergebnis war daher davon auszugehen, dass der Kläger unberechtigt die Leistung von im Rahmen seines Arbeitsvertrages liegenden Arbeiten beharrlich verweigerte und daher entsprechend § 82 lit f GewO zweiter Fall berechtigt von der Beklagten entlassen wurde.

Insgesamt war daher der Revision der Beklagten Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 2 ASGG, 50 und 41 ZPO, jene über den Aufwandersatz auf § 58a ASGG, das Aufwandersatzgesetz und die Aufwandersatzverordnung BGBl II 2000/404.

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