OGH 9ObA15/98s

OGH9ObA15/98s20.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Hradil sowie durch die fachkundigen Laienrichter Mag Werner Dietschy und Dr.Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Josef W*****, Angestellter, ***** vertreten durch Dr.Gustav Teicht und Dr.Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei A***** registrierte Genossenschaft mbH, ***** vertreten durch Dr.Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 1,247.227 und Feststellung (Streitwert S 500.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 9.Juli 1997, GZ 9 Ra 185/97k-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 13.Dezember 1996, GZ 20 Cga 172/95z-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 24.742,80 (darin S 4.123,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Berufungsgericht hat die Frage, ob die Entlassung des Klägers berechtigt war, zutreffend bejaht. Es reicht daher insofern aus, auf die Richtigkeit der eingehenden Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Ergänzend ist den Ausführungen des Revisionswerbers entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Das Risiko der Entlassung trägt grundsätzlich der Dienstgeber; er hat im Streitfall nachzuweisen, daß ein gesetzlich zulässiger Entlassungsgrund vorlag (RIS-Justiz RS0028971). Nach § 27 Z 4 erster Fall AngG ist es ein wichtiger Entlassungsgrund, wenn der Angestellte ohne einen rechtmäßigen Hinderungsgrund während einer den Umständen nach erheblichen Zeit die Dienstleistung unterläßt. Was den Arbeitgeber hier zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, ist das Nichteinhalten der durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Einzelarbeitsvertrag festgesetzten Arbeitszeit, also eine Verletzung der vom Angestellten durch den Abschluß des Arbeitsvertrages übernommenen Pflicht zur Arbeitsleistung (EvBl 1978/145). Ist ein solches Arbeitsversäumnis allerdings im Einzelfall als gerechtfertigt anzusehen, weil sich der Angestellte auf einen rechtmäßigen Hinderungsgrund berufen und das Unterlassen der Dienstleistung daher nicht als pflichtwidrig angesehen werden kann, dann ist eine Entlassung nach § 27 Z 4 erster Fall AngG ausgeschlossen. Es ist jedoch Sache des Dienstnehmers, den Beweis für jene besonderen Umstände zu führen, die sein Fernbleiben von der Arbeit im konkreten Fall rechtfertigen sollen (RIS-Justiz RS0029398, 0029534). Entschuldigt ist das Fernbleiben eines Arbeitnehmers vom Dienst insbesondere dann, wenn er - objektiv betrachtet - arbeitsunfähig war, also infolge einer Erkrankung nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig war, seiner bisher ausgeübten - oder sonst einer nach dem Arbeitsvertrag zu verrichtenden - Arbeitstätigkeit nachzukommen, aber auch dann, wenn er von einem zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit berufenen Arzt in Krankenstand genommen wurde, obwohl objektiv dazu keine Veranlassung gegeben war, er aber auf die Richtigkeit der ausgestellten ärztlichen Bescheinigung vertrauen durfte (Arb 10.004). Dem Arbeitnehmer muß in dieser Situation in aller Regel (aber eben nicht ausnahmslos!) der gute Glaube zugebilligt werden, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zur Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit gelangt. Dies gilt schon deshalb, weil die Entscheidung dieser Frage praktisch stets in die fachliche Kompetenz des Arztes fällt. Auch ein Laie, der sich selbst für arbeitsfähig hält, kann nach der fachlichen Beurteilung des Arztes arbeitsunfähig sein (Arb 10.004). Bei diesen Regeln handelt es sich aber um Erfahrungssätze im Sinne der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, die dem Arbeitgeber nicht das Recht nehmen, gegenüber diesem prima-facie-Beweis den Gegenbeweis dafür anzutreten, daß der Arbeitnehmer trotz Vorlage einer entsprechenden Krankenstandsbsecheinigung arbeitsfähig war und davon auch Kenntnis hatte oder nach den Umständen des Falles offenbar haben mußte (RIS-Justiz RS0028875, insbesondere Arb 10.004, ecolex 1995, 505, SZ

69/79; ARD 4817/11/97 = ecolex 1997, 180 [Mazal] = WBl 1997, 167

[Grillberger] = RdW 1997, 289 = DRdA 1997, 392 [Resch] = Arb 11.518).

Die Hinweise des Revisionswerbers auf die Urteile des EuGH vom 3.Juni 1992 (Sammlung der Rechtsprechung 1992 Seite I-3423 "Paletta I") und vom 2.Mai 1996 (Sammlung der Rechtsprechung 1996 Seite I-2357 "Paletta II") sind schon deshalb nicht zielführend, weil dort zu Art 18 Absätze 1 bis 4 (bzw 5) der Verordnung Nr 574/72 ausgesprochen wurde, daß Wanderarbeiter, die ärztliche Bescheinigungen über ihre Arbeitsunfähigkeit vorlegen, die aus einem anderen Mitgliedsstaat als dem stammen, in dem sie ihre auf Arbeitsunfähigkeit gestützten Leistungen in Anspruch nehmen wollen, in Beweisschwierigkeiten kommen könnten, die durch die Gemeinschaftsregelung vermieden werden sollen. Ein derartiger im grenzüberschreitenden Arbeitsverkehr gelegener Grund liegt aber hier nicht vor, so daß das Berufungsgericht zu Recht die Anwendbarkeit dieser Grundsätze auf Arbeitsverhältnisse mit reinem Inlandsbezug verneint hat. Lediglich ergänzend sei darauf hingewiesen, daß nach Gemeinschaftsrecht (Art 18 Abs 5 der zitierten Verordnung) der zuständige Träger (dies ist im Falle der Entgeltfortzahlung zunächst der Arbeitgeber) überdies die Möglichkeit hat, die betreffende Person durch einen Arzt seiner Wahl (neuerlich) untersuchen zu lassen.

Wenngleich dem Arbeitnehmer daher in aller Regel der gute Glaube zugebilligt werden muß, sich für arbeitsunfähig zu halten, wenn der Arzt zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gelangt, steht dem Arbeitgeber dennoch die Möglichkeit offen, den Beweis dafür anzutreten, daß der Arbeitnehmer trotz Vorliegens einer Krankenstandsbestätigung arbeitsfähig war und davon Kenntnis hatte oder nach den Umständen des Falles offenbar haben mußte (RdA 1995/49 [Oberhofer]). Von diesen Grundsätzen weicht das Berufungsgericht nicht ab. Ausgehend von den Feststellungen, daß der Arbeitnehmer schon seit einem ca drei Wochen vor der Entlassung gelegenen Zeitpunkt an wußte, daß er in der Lage war, die bisher ausgeübten Tätigkeiten trotz seiner Arbeitsunfähigkeitsbestätigung auszuüben und auch objektiv betrachtet eine Arbeitsunfähigkeit nicht mehr bestand, erweist sich die vom Berufungsgericht vertretene Rechtsauffassung, daß der Arbeitnehmer verpflichtet gewesen wäre, seine Arbeit (allenfalls nach Konsultierung eines Arztes) wieder aufzunehmen, als zutreffend. Daß sich der Kläger diesbezüglich in einem Rechtsirrtum befunden hätte, wurde von ihm im Verfahren erster Instanz nicht einmal behauptet. Wohl ist der Begriff der "Arbeitsunfähigkeit" infolge Krankheit kein medizinischer, sondern das Ergebnis rechtlicher Würdigung eines bestimmten Sachverhaltes, nämlich die Beurteilung der aufgrund der medizinischen Befunde festzustellenden körperlichen und geistigen Fähigkeiten in Beziehung zur bisherigen Beschäftigung (RIS-Justiz RS0084713), doch vermag nicht erkannt zu werden, inwieweit die Vorinstanzen eine von der bisherigen Judikatur abweichende Interpretation des Arbeitsunfähigkeitsbegriffes vorgenommen hätten. Diese haben nicht nur festgestellt, welche Tätigkeiten der Kläger üblicherweise im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit zu verrichten hatte, nämlich Telefonieren und Schreibarbeiten mit einem PC, die überwiegend auch handschriftlich - mit der gesunden rechten Hand - möglich gewesen wären (AS 143), sondern auch, daß der Kläger - im Hinblick auf von ihm während des Krankenstandes ausgeübte, wesentlich beschwerlichere Tätigkeiten (Gartenarbeiten, wie Steineklauben, Hantieren mit einer Schaufel, Verführen von Erde mit einer Scheibtruhe (AS 147)) - darum wußte, daß er in der Lage war, die mit seinem Beruf verbundenen Tätigkeiten trotz der verletzungsbedingten Behinderung ohne wesentliche Beeinträchtigung auszuführen. Soweit der Revisionswerber - wie schon in der Berufung - die Feststellungen hinsichtlich seiner Fähigkeit, die bisher ausgeübte Tätigkeit wieder aufzunehmen und darüber auch Bescheid gewußt zu haben, bekämpft, handelt es sich um eine auch im Revisionsverfahren unzulässige Neuerung, auf die nicht weiter einzugehen ist. Zusammenfassend kann es daher nicht zweifelhaft sein, daß der beklagten Arbeitgeberin der Beweis dafür gelungen ist, daß der Kläger trotz seiner Verletzungsfolgen seiner bisher ausgeübten Tätigkeit nachkommen konnte und darüber auch Bescheid wußte, sodaß sich dieser auf eine Rechtfertigung für das Unterlassen der Dienstleistung während einer den Umständen nach erheblichen Zeit (§ 27 Z 4 AngG erster Tatbestand) nicht berufen kann, sondern das jedenfalls grobe Verschulden des Klägers der Beklagten eine Weiterbeschäftigung unzumutbar machte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens ist in den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO begründet.

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