OGH 3Ob149/01k

OGH3Ob149/01k24.10.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Christine F*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar und Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OEG in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Dipl. Ing. Harald F*****, vertreten durch Dr. Ernst Schmerschneider ua, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ehescheidung infolge außerordentlicher Revision der klagenden und widerbeklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 20. April 2001, GZ 37 R 115/01i-59, womit infolge Berufung der klagenden und widerbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom 30. November 2000, GZ 1 C 373/98k-50, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung einschließlich des unangefochten gebliebenen Ausspruchs über die Scheidung lautet:

Die zwischen den Parteien am 24. Februar 1968 vor dem Standesamt Wien-Innere Stadt-Mariahilf zu Zl 119/1968 geschlossene Ehe wird aus dem Verschulden des Mannes mit der Wirkung geschieden, dass sie mit Rechtskraft des Urteils aufgelöst ist.

Das Widerklagebegehren wird abgewiesen.

Die beklagte und widerklagende Partei ist schuldig, der klagenden und widerbeklagten Partei die mit S 86.099,76 (darin enthalten S 12.864,96 Umsatzsteuer und S 8.910 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 24. 2. 1968 die für beide Teile erste Ehe, der zwei inzwischen volljährige Kinder entstammen.

Zum Ehescheidungsverfahren kam es wegen eines Vorfalls, dessentwegen der Beklagte und Widerkläger (in der Folge nur noch Beklagter) strafgerichtlich rechtskräftig wegen gefährlicher Drohung verurteilt wurde. Im Zuge dieses Streits beschimpfte er die Klägerin und Widerbeklagte (in der Folge nur noch Klägerin) mit den Worten "Sau" oder "Schwein", nahm sie bei den Ohren, beutelte sie hin und her und spuckte sie auch mehrmals an. Dabei sagte er auch: "Wenn du so weiter machst, dann bringe ich dich noch um!". Danach hielt er ihr noch vor, durch Einkäufe mit ihrer VISA-Karte einen Kontominusstand von S 50.000 bis S 60.000 herbeigeführt zu haben, entnahm aus ihrer Tasche die VISA-Karte und warf sie weg.

In der Ehe der Streitteile gab es aber auch schon zuvor immer wieder Konflikte, wobei sich im Laufe der Zeit eine lautstarke "Streitkultur" entwickelte. Manchmal wurde der Beklagte auch handgreiflich, jedoch nie im Beisein der Kinder.

Es fing damit an, dass die Parteien gleich nach der Eheschließung im selben Stockwerk mit der Mutter des Beklagten lebten, die einen "großen Einblick" in die Ehe hatte. "Aus dieser Situation heraus" wurde die Klägerin von der Schwiegermutter des öfteren "allgemein kritisiert", wobei der Beklagte meistens zu seiner Mutter hielt. 1971 zog die Mutter dann in eine eigene Wohneinheit "am selben Grundstück". Im Haus der Streitteile wohnte im Sommer auch der Bruder des Beklagten mit seiner Frau. Auch zwischen dieser und der Klägerin war das Einvernehmen schlecht.

Die "Ehefinanzen" betreffend hielt der Beklagte seiner Frau erstmals im Jahr 1972 vor, "Unterschlagungen vom gemeinsamen Konto" zu machen, worauf sie ein eigenes Konto eröffnete. Zu dieser Zeit begann sie auch wieder, als Bilanzbuchhalterin zu arbeiten.

1972 erkrankte der damals vierjährige Sohn an Krebs. Im Jahr 1973 verbrachte der Beklagte einen gemeinsamen Schiurlaub mit dem erkrankten Sohn, an dem auch eine "Freundin namens Ulla" teilnahm, von der der Beklagte noch in den 90er-Jahren ein Foto in seinem Büro aufbewahrte. "Zwischen ihr und dem Beklagten bestand lediglich eine gute Freundschaft, aber keine sexuelle Beziehung."

"Zwischenzeitlich" lernte der Beklagte Christa E***** beim Heilfasten im Waldviertel kennen und besuchte sie später auch in Kärnten; geschlechtliche Beziehungen unterhielt er aber auch mit ihr nicht. Bereits 1965 hatte er Johanna K***** in dem Unternehmen kennen gelernt, in dem er arbeitete. Seitdem die Klägerin keine Hemden mehr für ihn bügelte und da auch die Mutter des Beklagten verstorben ist, "bügelte Johanna K***** drei- bis viermal im Monat für den Beklagten". "In diesem Zeitraum "bestand eine gute Freundschaft zwischen diesen beiden", zu "geschlechtlichen Aktivitäten" kam es aber erst im Sommer 1999. "Seither dauert dieses Verhältnis an."

Ein weiterer großer "Konfliktpunkt" in der Ehe war die "finanzielle Haushaltsführung" der Klägerin. Beginnend im Jahr 1972 überwies der Beklagte der Klägerin bereits Kostgeld auf ihr neu eröffnetes Konto, auf das er keinen Zugriff hatte. Auch in den 80er-Jahren zahlte er Kostgeld, doch die Klägerin kam selten damit aus. Sie erhielt ein monatliches Haushaltsgeld von S 15.000. Davon hatte "sie die Kinder und die Haustiere" zu versorgen. In den letzten Jahren bezahlte sie davon monatlich etwa S 2.500 für eine Haushaltshilfe und die Benzinkosten, um die Maturaschule in Wien zu besuchen.

Für die Betriebskosten des Hauses inklusive Telefonrechnung, Autoversicherung sowie Reparatur- und Servicekosten für den PKW der Beklagten und für "freiwillige monatliche Zahlungen" an die beiden Kinder von je S 10.000, seitdem diese das Elternhaus 1988 und 1989 verlassen hatten, kam "ausschließlich" der Beklagte auf. Er leistete darüber hinaus weitere Zahlungen: so im Jahr 1997 etwa S 80.000 für Urlaube und Zahnarztkosten. Über die "Neben-VISA-Karte" des Beklagten bezog die Klägerin in diesem Jahr zusätzlich etwa S 55.000. Seit 1993 oder 1994 war sie im Besitz dieser Zweitkarte zu einem Konto des Beklagten. Diese Kreditkarte war dafür gedacht, dass sie die Klägerin im Urlaub und in Notfällen benutzen könne. Die Klägerin kam mit diesem "Unterhalt" nicht aus und forderte vom Beklagten "zusätzliches Geld, vor allem für Kleidung".

Mit ihrer am 19. 3. 1998 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten. Dieser bedrohe sie ständig, er tobe und beschimpfe, bespucke und misshandle sie. Sie sei dadurch psychisch erkrankt. Ein weiteres Zusammenleben sei ausgeschlossen. Er habe sie zuletzt am 16. 12. 1997 gefährlich bedroht, weshalb auch die Gendarmerie eingeschritten sei.

In der Folge warf die Klägerin dem Beklagten auch noch vor, er habe im Jahr 1977 und 1978 eine ehewidrige Beziehung zu einer Frau unterhalten. Schließlich machte sie in der Verhandlung vom 14. 2. 2000 geltend, der Beklagte unterhalte seit mehr als einem Jahr ein ehewidriges Verhältnis zu einer anderen Frau.

Der Beklagte beantragte zunächst die Abweisung des Klagebegehrens und bestritt die unheilbare Zerrüttung der Ehe. Er habe seine Frau niemals bedroht. Am 16. 12. 1997 habe er bemerkt, dass die Klägerin über einen längeren Zeitraum und, ohne ihn darüber zu informieren, Zahlungen mit der ihr zur Verfügung gestellten Kreditkarte getätigt habe, wodurch das Gehaltskonto einen Minusstand von S 50.000 aufgewiesen habe. Sie habe zuvor sämtliche Überweisungsbelege verheimlicht. Er habe sie in einer lautstarken Auseinandersetzung zur Rede gestellt und sie gefragt, ob sie ihn finanziell ruinieren wolle. Darauf sei die Klägerin unbegründet in Panik geraten und habe die Gendarmerie verständigt.

In der Folge machte der Beklagte nachfolgende negative "Eigenheiten" der Klägerin geltend, führte dazu aber aus, er habe darin niemals auch nur den Ansatz einer Zerrüttung der Ehe gesehen: einen Hang zur Unpünktlichkeit, Vernachlässigung der Haushaltsführung in den letzten Jahren, Missbrauch der ihr zur Verfügung gestellten Kreditkarte und unkontrollierter Geldverbrauch. Auch nach der Zustellung der Scheidungsklage und selbst nach der Streitverhandlung sei das Zusammenleben mit der Klägerin wie vorher. Die Ehe sei nicht unheilbar zerrüttet.

Nachdem der Kläger im Strafverfahren in erster Instanz verurteilt worden war, brachte er am 2. 9. 1998 eine Widerklage ein, in der er im Wesentlichen geltend machte, die Klägerin habe über den Vorfall am 15. 12. 1997 unwahre Angaben gemacht und auf seiner Bestrafung bestanden. Dieses Verhalten habe ihn der Klägerin zunehmend entfremdet. Es sei ihm nunmehr klar geworden, dass ein weiteres Zusammenleben mit ihr nicht mehr möglich sei. Daher sei nun die Ehe tief und unheilbar zerrüttet.

Im weiteren Verlauf des Verfahrens warf der Beklagte der Klägerin noch vor, ihre Provokationen, mit denen sie Situationen herbeiführen wolle, aus denen sie Vorteile für das Scheidungsverfahren ziehen könnte, nähmen laufend zu. Geltend gemacht wurden auch provokante und bewusst in die Länge gezogene Telefongespräche, spätes Aufstehen, praktisches Fehlen von Arbeitsleistungen für den gemeinsamen Haushalt, Anziehen der schönen Berghose des Beklagten und Weigerung, diese auszuziehen. Ergänzend machte der Beklagte noch geltend, in den letzten Jahren habe die Klägerin zunehmend ohne den Beklagten, der aus beruflichen Gründen hiezu nicht in der Lage gewesen wäre, ausgedehnte Urlaubsreisen unternommen, bei denen sie mit den erheblichen, ihr zur Verfügung stehenden Beträgen nicht ausgekommen sei. Ab Anfang 1997 habe sie ihn immer häufig provokant aufgefordert, mehr Geld zu verdienen, und ihm Faulheit vorgeworfen. Sie habe ihm bewusst Kontoauszüge vorenthalten, um einen Streit zu provozieren. Zuletzt rufe sie wiederholt die Gendarmerie, wenn er ihr Geldverschwendung vorwerfe. Es verschwänden persönliche Erinnerungsstücke, die Post werde offensichtlich durchsucht; es fehlten Küchengeräte und sein Diktiergerät. Ganz offensichtlich werde das Haus in seiner Abwesenheit durchsucht.

Das Erstgericht schied die Ehe und sprach aus, dass das Verschulden an der Scheidung beide Parteien zu gleichen Teilen treffe.

Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es unter anderem noch fest: Da der Beklagte gewünscht habe, dass sich die Klägerin um den (erkrankten) Sohn kümmere und nicht arbeiten gehe und sie dem Wunsch nicht entsprochen habe, sei es zu einem tiefen Bruch in der Beziehung gekommen. Zusätzlich mache er sie für die Krankheit des Sohnes verantwortlich, weil dieser infolge unzureichender Pflege durch die Klägerin vor seinem Krebsleiden infolge ihrer Berufstätigkeit ein geschwächtes Immunsystem gehabt haben solle. 1978 habe die Klägerin erklärt, sie wünsche keine intimen Kontakte mehr mit dem Beklagten. Er habe diesem Wunsch entsprochen, weil ihm die Weiterführung der Gemeinschaft wegen der Kinder wichtiger als die sexuelle Beziehung erschienen sei. Er habe bis 1980 ohne Erfolg wieder eine derartige Beziehung herzustellen versucht. 1978 habe also der letztliche eheliche Geschlechtsverkehr stattgefunden. Weitere Probleme seien dadurch entstanden, dass der Beklagte auch berufsbedingt gesellschaftliche Kontakte zu pflegen gehabt habe, ihn die Klägerin dabei aber nicht unterstützt, sondern seinem Image durch Unpünktlichkeit geschadet habe. Auf Vorschlag des Beklagten habe die Klägerin die gemeinsame Tochter bei der Erziehung der Enkeltochter unterstützen sollen, um der Tochter die Beendigung ihres Veterinärstudiums zu ermöglichen. Wegen der Unpünktlichkeit der Klägerin sei dieses Vorhaben aber nicht von Erfolg gewesen. Vor allem in den 90er-Jahren habe sie den gemeinsamen Haushalt nicht mehr so, wie vom Beklagten erwünscht geführt und nur mehr hin und wieder gekocht. Auch die Hemden habe der Beklagte zuerst von seiner Mutter und später von Bekannten bügeln lassen müssen.

In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zur Auffassung, die Klägerin habe die Ehe unter anderem schuldhaft durch fortgesetzten Vertrauensbruch deshalb, weil sie nicht habe nachweisen können, wo der vom Ehemann mehr als ausreichend geleistete Unterhalt "hingekommen" sei, durch "regelmäßige" Verletzung ihrer Pflicht zur Haushaltsführung und Verweigerung des ehelichen Verkehrs zerrüttet. Dem Beklagten sei dasselbe vorzuwerfen, weil er seiner Frau des öfteren nicht anständig begegnet sei und sie wegen der Entwicklung der Ehe auf der "geistig-seelischen Ebene" immer mehr vernachlässigt habe. Letztlich habe er sogar gefährliche Drohungen ausgesprochen. Es seien somit die Kriterien des § 49 EheG für beide Parteien erfüllt. An dieser Wertung ändere auch der sexuelle Verkehr des Beklagten mit einer anderen Frau nichts, weil diese Eheverfehlung lange nach erfolgter Zerrüttung begangen worden sei. Zuvor sei schon die eheliche Gesinnung völlig erloschen gewesen. Der Ehebruch habe sich somit nicht mehr auf das Scheitern der Ehe auswirken können.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, die Vernachlässigung der Klägerin sei in erster Instanz nicht als Scheidungsgrund geltend gemacht worden. Da nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs ein freundschaftlicher, jedoch harmloser Verkehr mit Personen des anderen Geschlechts keine schwere Eheverfehlung sei, wenn er sich im Rahmen der Sitte und des Anstands halte, überschreite das bloße Kennenlernen einer Frau anlässlich eines Kuraufenthalts und ein späterer Kurzbesuch im Zusammenhang mit einer Dienstreise ohne Übernachtung die Grenze des objektiv als ehewidrig zu betrachtenden Verhaltens nicht. Ebensowenig könne ein beruflicher Kontakt zu einer Person des anderen Geschlechts, etwa einer Arbeitskollegin, als ehewidrige Beziehung qualifiziert werden. Die Mitnahme einer anderen Frau auf einen Schiurlaub überschreite freilich diese Grenze. Die Beziehung des Beklagten zu der Arbeitskollegin habe aber erst 1999, als die Ehe der Streitteile bereits unheilbar zerrüttet gewesen sei, einen objektiv als Eheverfehlung zu wertenden Charakter angenommen. Nach ständiger Rechtsprechung dürften Eheverfehlungen, die zu einer Zeit gesetzt wurden, zu der die gänzliche Zerrüttung der Ehe bereits eingetreten war und keiner der Ehegatten eine Rettung der Ehe erhoffen konnte, nicht derart schwer beurteilt werden, wie dies bei gleichartigen Verfehlungen in einer Ehe wäre, die zumindest von einem Teil als intakt empfunden wird. Eheverfehlungen, die in den Zeitraum nach der völligen Zerrüttung der Ehe fallen, spielten bei der Verschuldensabwägung keine entscheidende Rolle. Soweit es um die Verweigerung des ehelichen Verkehrs gehe, sei festzustellen, aus dem bloßen Umstand, dass sich ein Partner dem Willen des anderen fügt, weil er an der Ehe festhalten will, könne keineswegs bereits geschlossen werden, dass sein Einverständnis vorliege. Bei den Tätlichkeiten und dem zum Strafverfahren führenden Vorfall sei zu beachten, dass Anlass für die Auseinandersetzungen jeweils die Geldgebarung der Klägerin gewesen sei. Zweifellos handle es sich dabei um über den Rahmen des Zulässigen hinausgehende Verhaltensweisen, die dem Beklagten als Verfehlungen vorzuwerfen seien. Das Erstgericht habe aber zutreffenderweise auch Eheverfehlungen der Klägerin in Anschlag gebracht, so den wiederholten Vertrauensbruch im Zusammenhang mit der finanziellen Gebarung, die mangelnde Unterstützung des Beklagten in seinem beruflichen Fortkommen, sogar Verhaltensweisen, die ihm schädlich waren, und zuletzt insbesondere in der Zeit seit Aufgabe ihrer eigenen Berufstätigkeit auch eine Vernachlässigung der Haushaltsführung in Verfolgung eigener Interessen.

Betrachte man die vom Erstgericht festgestellten Verhaltensweisen beider Parteien im Lichte der Rechtsprechung zu § 60 Abs 2 EheG, so seien die Voraussetzungen für den Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens nicht gegeben. Es könne keineswegs gesagt werden, dass das Verhalten eines der beiden Streitteile bei der Verschuldensabwägung völlig zurücktrete.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass auf die vorliegenden Klagen § 49 EheG idF des Eherechtsänderungsgesetzes 1999 (BGBl I 1999/125) anzuwenden ist. Da jedoch keine der Parteien der anderen Ehebruch oder Verweigerung der Fortpflanzung vorgeworfen hat, weshalb die Ausnahmeregelung des Art VII Z 3 der genannten Novelle nicht zum Tragen kommt, wirkt sich die Änderung nur insofern aus, als (anders als im Berufungsurteil) wegen Aufhebung der Überschrift vor § 49 EheG und Änderung des Satzes 1 dieser Bestimmung nicht mehr von einer "anderen" oder "sonstigen" schweren Eheverfehlung zu sprechen ist. Die bisherige Rechtsprechung zu § 49 EheG bleibt daher weiterhin relevant.

Zu Recht hebt die Klägerin hervor, nach einhelliger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs könnten Umstände, die nicht ausdrücklich oder doch wenigstens in schlüssiger Weise als Scheidungsgrund (in Klage, Widerklage oder Mitschuldantrag) geltend gemacht werden, in einer Entscheidung über das Scheidungsbegehren nicht verwertet werden können (EFSlg 18.309; 31.713; 41.278; 84.590).

Soweit der Beklagte in der Revisionsbeantwortung geltend macht, (auch) die Klägerin habe kein konkretes Vorbringen über das Vorliegen von relevanten Scheidungsgründen erstattet, ist ihm einerseits zu erwidern, dass er selbst die Scheidung aus seinem Verschulden unbekämpft gelassen hat, weshalb insofern Teilrechtskraft eingetreten ist. Demnach käme es auf ein ausreichendes Vorbringen der Klägerin insoweit ohnehin nicht mehr an. Andererseits ist die Behauptung aktenwidrig, die Klägerin habe den Vorfall vom 15. 12. 1997 nicht als Scheidungsgrund herangezogen. Gerade darauf bezieht sich ausdrückliches Vorbringen (wenn auch fälschlich mit dem Datum 16. 12. 1997) in der Scheidungsklage, in der auch weitere Misshandlungen und sonstige Eheverfehlungen geltend gemacht wurden. Darüber hinaus hat die Klägerin ihrem Mann auch in der Folge ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen vorgeworfen. Einzuräumen ist jedoch, dass ein konkretes Vorbringen im Hinblick auf den Vorfall im Jahr 1973 nicht erstattet wurde.

Was nun den Beklagten betrifft, hat sich das Berufungsgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit das der Klägerin vorgeworfene Verhalten überhaupt Gegenstand seines Vorbringens war. Wie dargelegt, wurde lediglich (zutreffend) erkannt, dass die Klägerin eine Vernachlässigung durch den Beklagten nie behauptet habe. Dazu ist allerdings auch zu bemerken, dass das Vorliegen überschießender Feststellungen von der klagenden Partei erstmals in der außerordentlichen Revision geltend gemacht wurde.

Völlig berechtigt ist zunächst schon der Einwand der Klägerin, der Beklagte habe ihr niemals die Beendigung der geschlechtlichen Beziehungen zum Vorwurf gemacht. Dass das Berufungsgericht (anders als das Erstgericht) die Stattgebung des Widerklagebegehrens nicht auch auf die Verweigerung des ehelichen Verkehrs seit 1978 gestützt hätte, kann dem Berufungsurteil nicht eindeutig entnommen werden, setzt sich doch das Gericht zweiter Instanz sowohl im Tatsachenbereich als auch in der rechtlichen Beurteilung mit dieser Frage auseinander und lässt darin auch anklingen, dass ein relevantes Einverständnis des Beklagten mit Beendigung der Geschlechtsbeziehungen nicht vorliege. Im Hinblick auf die vom erkennenden Senat gebilligte Rechtsprechung, nur geltend gemachte Scheidungsgründe dürfen berücksichtigt werden, kann dieses Verhalten der Klägerin nicht als schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG berücksichtigt werden.

Nach § 56 Abs 2 EheG besteht das Recht auf Scheidung wegen Verschuldens unter anderem dann nicht, wenn sich aus dem Verhalten des verletzten Ehegatten ergibt, dass er die Verfehlung des anderen nicht als ehezerstörend empfunden hat. Ob ein Verhalten als ehezerstörend empfunden wird, betrifft einen inneren Vorgang, der in freier Beweiswürdigung festzustellen ist, also die Tatsachenebene, deren Überprüfung dem Obersten Gerichtshof verwehrt ist (RIS-Justiz RS0043450). Ob dies der Fall ist, ist ohne entsprechendes Vorbringen nicht von Amts wegen zu prüfen (Hopf/Kathrein, Eherecht 240 mwN). Nach Lehre und Rechtsprechung obliegt die Beweislast dafür dem Ehegatten, der die Verfehlung gesetzt hat (Hopf/Kathrein, aaO und Gruber in Schwimann, ABGB I2 Rz 11 zu § 56 EheG, je mN). Wie die Klägerin zu Recht hervorhebt, hat der Beklagte in seiner ersten ausführlichen Stellungnahme zur Klage (Schriftsatz ON 10), verlesen in der Verhandlungstagsatzung vom 2. 7. 1998, der Klägerin zwar Vorwürfe wegen eines Verhaltens gemacht, das als schwere Eheverfehlung nach § 49 EheG qualifiziert werden könnte, jedoch ausdrücklich nicht nur behauptet, dass die Ehe bis Ende 1997 harmonisch verlaufen sei, sondern auch, dass er in den dargestellten Verhaltensweisen der Klägerin niemals auch nur den Ansatz einer Zerrüttung der Ehe gesehen habe; die Ehe sei daher auch (zum damaligen Zeitpunkt) noch nicht unheilbar zerrüttet. Daraus muss aber abgeleitet werden, dass der Beklagte diese Verfehlungen der Klägerin nicht als ehezerstörend im Sinn des § 56 EheG empfunden hat, weshalb sich entsprechendes Vorbringen und die Beweisführung durch die beweispflichtige Klägerin erübrigte. Auch aus dem weiteren Vorbringen des Beklagten kann nicht abgeleitet werden, dass er dieses Zugeständnis widerrufen hätte. Schließlich hat er erstmals in der am 2. 9. 1998 beim Erstgericht eingelangten Widerklage seinerseits das Vorliegen einer unheilbaren Zerrüttung behauptet, allerdings darin auch vorgebracht, dass sich für ihn in Bezug auf die Ehe auch Monate nach dem Vorfall vom 15. 12. 1997 nichts geändert habe. Eine Änderung sei erst eingetreten, als er von der Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn Kenntnis erlangt habe. Erkennbar macht der Beklagte als Scheidungsgrund einerseits unwahre Angaben der Klägerin über den betreffenden Vorfall und andererseits den Umstand geltend, dass sie ungeachtet ihres Wissens um seinen gesundheitlichen Zustand um ihres eigenen Vorteils willen auf seiner Bestrafung bestanden habe.

Dass ihm die Klägerin durch ihre Unpünktlichkeit auch im beruflichen Fortkommen geschadet und ihn darin überhaupt nicht unterstützt habe, ergibt sich aus seinem Vorbringen nicht.

Aus dem Vorbringen des Beklagten ist somit abzuleiten, dass er die festgestellte Unpünktlichkeit der Klägerin entweder überhaupt nicht als Eheverfehlung geltend gemacht oder zumindest nicht als ehezerstörend empfunden hat. Nichts anderes gilt aber auch dafür, dass die Klägerin mit den ihr zur Verfügung gestellten Geldmitteln nicht auskam und mit der Kreditkarte, die ihr der Beklagte zur Verfügung gestellt hatte, Geld zu Lasten seines Kontos behob. Dasselbe trifft auch auf die Einschränkung der Haushaltsführung seit den 90er-Jahren zu.

Nach der Rechtsprechung kann es zwar eine Eheverfehlung darstellen, wenn gegen den anderen Ehegatten aus feindlicher Einstellung und aus Rachegefühl eine Strafanzeige erstattet wird (JBl 1950, 59 = EFSlg 2243; EFSlg 36.319), das gilt jedoch dann nicht, wenn die Anzeige aus Sorge um die eigene Sicherheit oder zur Wahrung eigener Rechte oder schutzwürdiger Interessen erstattet wird (EFSlg 24.972). Was den Vorfall vom 15. 12. 1997 betrifft, musste der Beklagte die strafrechtliche Verurteilung wegen der gefährlichen Drohung gegen sich gelten lassen (st Rsp seit der Entscheidung eines verstärkten Senats SZ 68/195, RIS-Justiz RS0074219). Es war ihm daher verwehrt, sich darauf zu berufen, dass die Anschuldigungen der Klägerin unrichtig gewesen seien. Es steht auch keineswegs fest, dass ihr in diesem Zusammenhang eine Anzeige aus niedrigen Motiven vorzuwerfen wäre. Berücksichtigt man, dass die Klägerin davor schon öfters Handgreiflichkeiten des Beklagten (wenn auch nicht festgestellt wurde, unter welchen näheren Umständen) ausgesetzt war, so ist ihr weder die Anzeigeerstattung noch das Aufrechterhalten der zur Verurteilung erforderlichen Ermächtigung nach § 107 Abs 4 StGB als schwere Eheverfehlung anzulasten.

Zu prüfen bleiben somit nur noch zwei Vorwürfe des Beklagten, zu welchen Feststellungen von den Tatsacheninstanzen nicht getroffen wurden. Zum einen behauptete der Beklagte, die Klägerin habe ihn ab Anfang 1997 immer häufiger aufgefordert, mehr Geld zu verdienen, und ihm Faulheit vorgeworfen. Soweit es dabei um Vorfälle gehen sollte, die vor dem 2. Juli 1998 liegen, handelt es sich in Wahrheit nur um eine Konkretisierung des Vorbringens über die nach Ansicht des Beklagten unwirtschaftliche Verhaltensweise der Klägerin. Daraus kann nicht abgeleitet werden, der Beklagte habe sein Vorbringen, dass er das Verhalten der Klägerin bis Ende 1997 nicht als ehezerstörend empfunden habe, widerrufen.

Im Hinblick auf die weiteren Vorfälle im Verlauf des Scheidungsverfahrens muss davon ausgegangen werden, dass die unheilbare Zerrüttung der Ehe jedenfalls mit Einbringung der Scheidungsklage durch die Klägerin am 19. 3. 1998 eingetreten ist. Soweit also die geschilderten Vorwürfe in einer Zeit danach vorgefallen sein sollten, gelten hiefür ebenso wie für den Vorwurf laufender Provokationen im Scheidungsverfahren folgende Erwägungen, die zur Verneinung eines allfälligen sekundären Feststellungsmangels führen:

Nach nunmehr überwiegender und vom Senat gebilligter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können Eheverfehlungen nach eingetretener Ehezerrüttung berücksichtigt werden, wenn eine weitere Vertiefung der Zerrüttung nicht ausgeschlossen war und der andere Teil das Verhalten des Ehegatten noch als Ehezerrüttung empfinden konnte (Nachweise bei Hopf/Kathrein, Eherecht 209 f und Schwimann in Schwimann, ABGB I2 § 49 EheG Rz 4). Jedenfalls sollen nach der Entscheidung EFSlg 69.223 die Ehegatten auch bei Erreichen eines gewissen Zerrüttungsgrads der Ehe weiterhin zur anständigen Begegnung und auch zu ehelichen Treue verpflichtet sein. Eheverfehlungen nach dem völligen Erlöschen der ehelichen Gesinnung sind nicht mehr zu berücksichtigen, wenn eine Vertiefung der Zerrüttung unmöglich ist (Nachweise aaO). Dieser Grad der Zerrüttung war, wie erwähnt, zumindest mit der Einbringung der Scheidungsklage durch die Klägerin erreicht, weshalb die Vorfälle danach, die auch keineswegs derart schwerwiegend sind, dass sie für sich allein gänzlich ehezerstörend wirken könnten, jedenfalls nicht ins Gewicht fallen, weshalb auch nach der Ansicht von Schwimann (aaO) das Scheidungsbegehren des Beklagten nicht zu rechtfertigen wäre.

Daraus folgt, dass die Vorinstanzen die Scheidung zu Unrecht auch aus dem Verschulden der Klägerin ausgesprochen haben. Demnach war in Stattgebung der außerordentlichen Revision die Widerklage abzuweisen und der Ausspruch eines Mitverschuldens der Klägerin aus dem Urteil auszuscheiden. Die Widerklage ist ungeachtet des Umstands, dass die Klägerin in ihrer Berufung die Stattgebung der Widerklage nicht ausdrücklich bekämpft hat, abzuweisen (EFSlg 48.777). Die in dem vom Berufungsgericht bestätigten Spruch des Erstgerichts implizit enthaltene Stattgebung des Widerklagebegehrens kann ohne ein sie begründendes, für die Entscheidung zu beachtendes Verschulden der Klägerin keinen Bestand haben.

Aus dieser Abänderung folgt, dass der Beklagte der Klägerin gemäß §§ 50, 41 ZPO die gesamten Verfahrenskosten zu ersetzen hat.

Für das Verfahren erster Instanz wurden die Kosten von der Klägerin jedenfalls nicht überhöht verzeichnet; allerdings beträgt bei einer Verdienstsumme von netto S 47.706 die zuzusprechende Umsatzsteuer nur S 9.541,20. Die Pauschalgebühr im Berufungsverfahren beträgt nach Anm 6 zu TP 2 des GGG lediglich S 3.170. Im Übrigen wurden die Kosten richtig angesprochen.

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