OGH 4Ob198/01y

OGH4Ob198/01y25.9.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edeltraud R*****, vertreten durch Dr. Götz Schattenberg, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei L*****, vertreten durch Dr. Heimo Fürlinger und Mag. Klaus Michael Fürlinger, Rechtsanwälte in Linz, wegen 208.628,65 S samt Anhang, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 29. März 2001, GZ 6 R 29/01d-22, womit das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 10. Oktober 2000, GZ 4 Cg 165/99y-15, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 12.043,80 S (darin 2.007,30 S Umsaztsteuer bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Am 9. 5. 1996 wurde die Klägerin in den Betriebsräumlichkeiten der Beklagten durch einen von einem Bediensteten der Beklagten gezogenen Hubstapler schwer verletzt. Die Haftpflichtversicherung der Beklagten ersetzte Schmerzengeld und Sachschäden im Ausmaß von 80 %. Die Beklagte anerkannte die Haftung für 80 % aller künftigen unfallskausalen Schäden.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 3. 3. 1997 wurde der Klägerin eine Berufsunfähigkeitspension ab 1. 10. 1996 zuerkannt.

Die Klägerin begehrt nun Verdienstentgang von zuletzt 208.952,88 S samt Zinsen. Sie sei vor dem Unfall aufrecht beschäftigt gewesen und habe wegen eines unfallfremden Leidens in der Zeit vom 4. 3. 1995 bis 31. 12. 1995 und vom 1. 1. 1996 bis 2. 12. 1996 Krankengeld erhalten. Durch die beim Unfallsgeschehen erlittenen Verletzungen sei sie nun außerstande, ihre bisherige Berufstätigkeit weiter auszuüben. Sie habe daher am 2. 9. 1996 eine Berufsunfähigkeitspension beantragt; diese sei ihr ab 1. 10. 1996 auch zuerkannt worden, betrage 11.861,20 S monatlich und liege damit erheblich unter dem bisher bezogenen Krankengeld bzw ihrem sonstigen Einkommen. Die Berufsunfähigkeitspension sei sowohl wegen der Unfallsfolgen als auch wegen unfallsfremder Leiden zuerkannt worden. Trotz ihrer Vorleiden hätte die Klägerin ihrer Beschäftigung bis zum 60. Lebensjahr nachkommen wollen. Da die schon vor dem Unfall bestehende Erwerbsminderung bei Berechnung des Schadenersatzes für Verdienstentgang außer Betracht zu bleiben habe, wenn der Verletzte erst durch die Unfallsfolgen gänzlich erwerbsunfähig werde, stehe der gesamte Verdienstentgang bis zum 60. Lebensjahr zu. Beginnend mit 1. 1. 1997 (dem Wegfall des Krankengeldes) bis (vorläufig) Oktober 2000 sei dies der eingeklagte Betrag.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Sie bestritt die Erwerbsunfähigkeit der Klägerin nicht, machte aber geltend, die Kläger sei schon seit mehr als einem Jahr vor dem Unfall keiner Arbeit mehr nachgegangen, sie sei daher nicht erst durch die Unfallsfolgen erwerbsunfähig geworden. Vielmehr sei anzunehmen, dass sie aufgrund der vorhandenen Vorschädigungen auch ohne den erlittenen Unfall zur gleichen Zeit um Berufsunfähigkeitspension angesucht hätte, jedenfalls hätte sie ihre berufliche Tätigkeit nicht bis zum 60. Lebensjahr fortsetzen können. Davon abgesehen betrage die unfallskausale Minderung der Erwerbsfähigkeit lediglich 25 %, weshalb ein allfälliger Verdienstentgang nur zu einem Viertel der Beklagten zugerechnet werden könne. Dass die Klägerin im Zeitraum der Inanspruchnahme der Berufsunfähigkeitspension erwerbsfähig gewesen wäre, hat die Beklagte in erster Instanz ebensowenig behauptet wie eine allfällige Verletzung der Schadensminderungspflicht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte noch fest, die Klägerin habe als Kind einen Impfschaden mit Lähmungen im Bereich beider Beine erlitten. Unabhängig vom Unfallsgeschehen weise sie ein hochgradig gestörtes Gangbild durch Fußfehlstellung und Beinfehlstellungen beiderseits auf. Eine Reihe von Korrekturoperationen im Bereich der unteren Extremitäten hätten stattgefunden, es bestünden ua Lähmungen Wadenmuskulatur, Zeichen einer Fehlbelastung beider Füße, eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung der Sprunggelenke beidseits, eine Verschmächtigung der Wadenmuskulatur links, eine scoliotische Fehlhaltung der Brustwirbelsäule, eine Hyperlordose der Lendenwirbelsäule, eine beiderseitige Iliosacralgelenksarthrose, eine chronisch intermittierende Lumbalgie und eine Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule. Die Klägerin sei über viele Jahre beim selben Arbeitgeber beschäftigt gewesen und habe sich - bedingt durch ihr Vorleiden - insgesamt 12 Operationen unterziehen müssen, sei jedoch vom Arbeitgeber trotz langer Krankenstände nicht gekündigt worden. Zur Durchführung von Operationen habe sie sich vom 14. 2. 1995 bis 12. 3. 1995 und wieder ab 21. 4. 1995 in Krankenstand befunden. Sie habe in der Zeit zwischen 4. 3. und 31. 12. 1995 und vom 1. 1. bis 2. 12. 1996 Krankengeld bezogen. Sie habe nie vorgehabt, bis zum 60. Lebensjahr berufstätig zu bleiben und hätte jedenfalls mit 55 Jahren in Pension gehen wollen.

Durch den Unfall vom 9. 5. 1996 habe die Klägerin neben einer folgenlos verheilten Gehirnerschütterung einen Kompressionsbruch des 12. Brustwirbelkörpers erlitten, wobei es zu einer mäßigen Fehlstellung der Brustwirbelsäule im Sinne einer Gibbusbildung gekommen sei. Die Behandlung sei am 2. 8. 1996 abgeschlossen worden; eine vom Krankenhaus vorgeschlagene Rehabilitationsbehandlung sei nicht durchgeführt worden. Am 2. 9. 1996 habe die Klägerin bei der PVA der Angestellten einen Antrag auf Berufsunfähigkeitspension gestellt, welche ihr mit Bescheid vom 3. 3. 1997 ab 1. 10. 1996 auch zuerkannt worden sei. Die Pension der Klägerin sei jedenfalls nicht ausschließlich wegen der Unfallsfolgen bewilligt worden. Ausschlaggebend sei der Gesamtzustand der Klägerin gewesen, wobei sie zum Zeitpunkt der Berufsunfähigkeitsuntersuchung noch ein Dreipunktmieder getragen habe. Sie habe noch unter einer hochgradigen Bewegungseinschränkung und einem ausgeprägten Schmerzsyndrom im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule aufgrund des Unfalls gelitten. Der Bruch des 12. Wirbelkörpers sei damals noch nicht ausgeheilt gewesen. Aus dieser Sicht seien die Unfallsfolgen zu ca 20 % für die Pensionierung ursächlich. Bei einer Untersuchung zu einem späteren Zeitpunkt wäre der Pensionsantrag möglicherweise nicht bewilligt worden. Nach etwa acht bis neun Monaten Krankenstand nach dem Unfall und adäquater Rehabilitation wäre die Klägerin wieder arbeitsfähig gewesen. Bezogen auf ihr Berufsbild hätte sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von lediglich ca 15 % ergeben. Aufgrund der Vorschädigung sei der Eintritt der Berufsunfähigkeit bei der Klägerin unabhängig von den Unfallsfolgen mit ihrem 55. Lebensjahr anzunehmen.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht einen Anspruch auf Verdienstentgang. Die Begutachtung durch die PVA habe den Gesamtzustand der Klägerin zugrunde gelegt, wobei zum damaligen Zeitpunkt der Unfall (nur) mit etwa 20 % ursächlich für die Bewilligung der Pension gewesen sei. Tatsächlich wäre es der Klägerin nach einem ca acht bis neun Monate dauernden Krankenstand möglich gewesen, ihren bisherigen Beruf wieder auszuüben. Sie habe daher keinen Anspruch auf Verdienstentgang.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung ab und gab dem Begehren auf Verdienstentgang - bei geringfügiger Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens - statt. Es übernahm die Feststellung des Erstgerichts nicht, wonach die Klägerin nach etwa acht bis neun Monaten Krankenstand nach dem Unfall und Anwendung adäquater Rehabilitation wieder arbeitsfähig gewesen wäre. Demgegenüber stellte es fest, die Klägerin wäre nach dieser Krankenstandsdauer und adäquater Rehabilitationsbehandlung mit einer teilweisen Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (nur) unter der weiteren Voraussetzung arbeitsfähig gewesen, dass ihre tiefgreifenden Vorleiden nicht berücksichtigt würden. In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, der Umstand, dass die Unfallsfolgen nur gemeinsam mit dem Vorleiden zur Arbeitsunfähigkeit geführt hätten, könne an der Haftung der Beklagten nichts ändern. Sie hafte für alle vermögensrechtlichen Auswirkungen des Unfalls, auch wenn das volle Schadensausmaß erst durch die besondere körperliche Beschaffenheit der Verletzten eingetreten sei. Eine Schadensteilung finde nicht statt. Die Haftung sei auch nicht auf jenen Prozentsatz beschränkt, zu welchem die Unfallsfolgen für die Pensionierung ursächlich gewesen seien. Dass die Klägerin acht bis neun Monate nach dem Unfall und entsprechenden Rehabilitationsmaßnahmen hätte wieder arbeitsfähig sein können - woraus sich eine Beschränkung des Verdienstentgangs auf diesen Zeitraum hätte ergeben können - sei aus den Beweisergebnissen gerade nicht ableitbar. Der Standpunkt der Beklagten werde auch nicht durch die zur überholenden Kausalität entwickelten Grundsätze unterstützt. Nach den Feststellungen wäre die Berufsunfähigkeit aufgrund der Vorleiden allein mit dem 55. Lebensjahr eingetreten. Die 1949 geborene Klägerin begehre Verdienstentgang für die ohnehin davor liegenden Jahre 1997 bis 2000.

Das Berufungsgericht sprach - auf Antrag der Beklagten nach § 508 ZPO - aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil der festgestellte Sachverhalt nicht zur Beurteilung ausreiche, dass die Klägerin ihre wirtschaftliche Erwerbsfähigkeit, durch den Unfall mitverursacht, eingebüßt habe. Die Annahme einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit finde im Sachverhalt keine hinreichende Deckung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts - nicht zulässig.

Es steht fest, dass die Klägerin Vorschäden hatte, unfallskausale Schäden erlitt, für die die Beklagte einzustehen hat und diese Unfallsfolgenzu 20 % für ihre Pensionierung ursächlich waren. Dass die Klägerin in Anbetracht der Höhe der Berufsunfähigkeitspension im Vergleich zu ihrem früheren Erwerbseinkommen Einbußen in Höhe des Klagebetrages hinnehmen musste, ist nicht bestritten. Im Verfahren erster Instanz blieb auch der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit als solches unbestritten. Die Beklagte hat nicht bezweifelt, dass die Klägerin erwerbsunfähig geworden ist, sie machte vielmehr geltend, die Klägerin sei nicht erst durch die Unfallsfolgen gänzlich erwerbsunfähig geworden, eine Erwerbsminderung sei bereits vor dem Unfall vorgelegen. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge hätte die Klägerin auch ohne den Unfall und den daraus resultierenden Verletzungen zu gleicher Zeit um Berufsunfähigkeitspension angesucht. Dieser auf eine überholende Kausalität Bezug nehmende Einwand erwies sich aufgrund der - den Obersten Gerichtshof bindenden - Feststellungen als nicht berechtigt. Das Beweisverfahren ergab nämlich, dass die durch den Unfall vom 9. 5. 1996 erlittenen Verletzungen zu 20 % für jenen (Leidens-)Zustand kausal waren, der für die Zuerkennung der Berufsunfähigkeitspension ausschlaggebend war, und dass eine Berufsunfähigkeit aufgrund der Vorleiden allein erst mit dem 55. Lebensjahr eingetreten wäre. Dass die Klägerin auch nach dem Unfall wirtschaftlich erwerbsfähig gewesen oder wieder geworden wäre (worunter Lehre und Rechtsprechung die Fähigkeit verstehen, in einer der Ausbildung, den Anlagen und der bisherigen Tätigkeit entsprechenden Stellung den Lebensunterhalt zu verdienen, Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht II2, 134 mwN, 2 Ob 324/00m; RIS-Justiz RS0030444) oder aber dass sie ihre Schadensminderungspflicht verletzt hätte (weil sie wieder beim früheren Dienstgeber hätte arbeiten können), hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht geltend gemacht. Erst im Rechtsmittelverfahren hat sie - von ihren früheren Behauptungen (wonach schon die Vorleiden für die Pensionierung maßgeblich gewesen seien) abweichend - die Erwerbsunfähigkeit bezweifelt und eine Verletzung der Schadensminderungspflicht geltend gemacht. Der Prüfung dieser Einwände steht das Neuerungsverbot entgegen.

Im Übrigen ergaben die Feststellungen des Berufungsgerichts gerade nicht, dass die Klägerin trotz ihrer Vorleiden nach weiteren acht bis neun Monaten Krankenstand und adäquater Rehabilitation wieder ihrem früheren Beruf hätte nachgehen können. Dass aber der Schädiger - vom hier nicht vorliegenden Fall überholender Kausalität abgesehen - auch solche Auswirkungen der Verletzungshandlung zu vertreten hat, die sich erst deshalb ergeben, weil der Verletzte bereits einen Körperschaden oder eine Krankheitsanlage hat, entspricht der Lehre und ständigen Rechtsprechung (Bydlinski, Vergleichsverhandlungen und Verjährung; Anlageschäden und überholende Kausalität, JBl 1967, 130 ff [135]; Harrer in Schwimann, ABGB2 Rz 12 zu § 1295; SZ 44/169 = EvBl 1972/171; JBl 1967, 144; JBl 1988, 649; ZVR 1979/99; ZVR 1980/151; EvBl 2000/190; RIS-Justiz RS0022600, RS0022684 und RS0022746).

Die vom Berufungsgericht in seinem Zulassungsbeschluss vermissten Feststellungen zur Erwerbsunfähigkeit der Klägerin sind demnach angesichts des festgestellten und des in erster Instanz unbestritten gebliebenen Sachverhalts entbehrlich. Auf Grundlage dieses Sachverhalts steht die Entscheidung des Berufungsgerichts in Einklang mit den dargelegten Grundsätzen der Rechtsprechung; eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzugreifende Fehlbeurteilung ist nicht zu erkennen.

Diese Erwägungen führen zur Zurückweisung der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit hingewiesen, sodass ihre Rechtsmittelbeantwortung der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung diente.

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