Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom herangezogenen Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die Ehe der Streitteile wurde mit Urteil vom 29. 10. 1984 aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden. Im Zuge des beim Berufungsgericht zu 8 Cg 3836/84 anhängig gewesenen Scheidungsverfahrens schlossen die Streitteile in der Tagsatzung vom 29. 10. 1984 einen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Beklagte, der Klägerin ab November 1984 1.000 S Unterhalt monatlich zu zahlen (Punkt 3.), während sich die Klägerin verpflichtete, die Rückzahlung für die Investitionen in der Ehewohnung (Küche, Waschmaschine und Staubsauger) ab sofort allein zu übernehmen und diesbezüglich den Beklagten schad- und klaglos zu halten (Punkt 4.).
Das vom hier Beklagten gegen seine geschiedene Gattin beim BG Feldkirch zu 1 C 5/92p angestrengte Verfahren auf Feststellung des Erlöschens seiner Unterhaltspflicht mit Rechtskraft des Urteils endete in der Tagsatzung vom 27. 1. 1992 mit einem Vergleich, in dem das unveränderte Fortbestehen der Unterhaltsverpflichtung des hier Beklagten im Sinne des Vergleichs vom 29. 10. 1984 (Punkt 1.) sowie (unter Bezugnahme auf Punkt 4. des Vergleichs vom 29. 10. 1984) die Verpflichtung der nunmehrigen Klägerin vereinbart wurde, dem hier Beklagten als Ausgleich für von ihm geleistete Zahlungen gegenüber Gläubigern 40.000 S in Monatsraten zu je 1.000 S ab Februar 1992 zu zahlen (Punkt 2.).
Die Klägerin begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit der im Scheidungsvergleich vom 15. 11. 1984 (gemeint wohl 29. 10. 1984) unter Punkt 4. enthaltenen Verpflichtung, die mit monatlich 2.500 S bezifferten Rückzahlungen für die Investitionen in der Ehewohnung ab sofort allein zu übernehmen und insoweit den Beklagten schad- und klaglos zu halten, sowie der im Verfahren 1 C 5/92p des Bezirksgerichtes Feldkirch mit Vergleich vom 27. 1. 1992 unter Punkt 2. eingegangenen Verpflichtung, an den Beklagten als Ausgleich für die angeblich von diesem geleisteten Zahlungen einen Pauschalbetrag von 40.000 S in monatlichen Raten zu 1.000 S zu zahlen. Beide Vergleiche seien nicht rechtsgültig zustandegekommen und würden wegen Irrtums, Sittenwidrigkeit und Wucher angefochten. Auch sei die Klägerin bei Abschluss der Vergleiche nicht geschäftsfähig gewesen.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Streitteile seien vor Vergleichsabschluss jeweils ausführlich über die Rechtslage informiert worden.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Das Urteil wurde dem Vertreter der Klägerin am 14. 7. 2000 zugestellt.
Das Berufungsgericht wies die am 29. 8. 2000 zur Post gegebene Berufung der Klägerin als verspätet zurück und verpflichtete die Klägerin, dem Beklagten die Kosten der Berufungsbeantwortung zu ersetzen. Es liege eine Ferialsache gem § 224 Abs 1 Z 4 ZPO (Streitigkeit über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt) vor, weil im Zusammenhang mit der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten getroffene Vereinbarungen als rechtsungültig angefochten würden.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist zulässig (Kodek in Rechberger ZPO2 § 519 Rz 3) und auch berechtigt.
Soweit die Klägerin die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung daraus abzuleiten versucht, dass die Mitglieder des berufungsgerichtlichen Senats befangen seien, ist sie auf die Begründung der mittlerweile in Ablehnungssachen ergangenen Entscheidung des erkennenden Senats vom 14. 5. 2001, GZ 4 Ob 108/01p-104, zu verweisen, die sich mit den dazu vorgebrachten Argumenten eingehend auseinandergesetzt und das Vorliegen einer Befangenheit verneint hat.
Der weiters geltend gemachte Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt infolge ungesetzlichen Vorgangs dann vor, wenn eine Partei tatsächlich nicht säumig war (Kodek aaO § 477 Rz 7); das ist - wie noch auszuführen sein wird - hier der Fall.
Die Klägerin vertritt die Ansicht, nicht jede Streitigkeit, die im entferntesten mit Unterhalt zu tun habe, sei eine Ferialsache nach § 224 Abs 1 Z 4 ZPO. Hier liege keine Streitigkeit auf Leistung, Herabsetzung oder Einstellung des gesetzlichen Unterhalts oder auf Feststellung des Ruhens eines verglichenen Unterhaltsanspruchs vor. Ob das Klagebegehren einen "familienrechtlichen Charakter" habe, sei im gegebenen Zusammenhang ohne Bedeutung.
Gem § 224 Abs 1 Z 4 ZPO fallen unter die Ferialsachen auch "... sonstige Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt". Die wortgleiche Zuständigkeitsnorm des § 49 Abs 2 Z 2 JN erhielt ihre Fassung durch das EherechtsänderungsG BGBl 1978/280 und durch das FamilienrechtsG BGBl 1985/90. Sie wird vom Obersten Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung weit ausgelegt; darunter fallen auch gegen Unterhaltsvergleiche gerichtete Oppositionsklagen (3 Ob 2084/96h) und Streitigkeiten, in denen zu klären ist, ob die Verpflichtung aus einem Unterhaltsvergleich erloschen ist (EFSlg 87.978). Auch die Anfechtung eines Unterhaltsvergleichs - etwa wegen Irrtums - ist eine Streitigkeit über den gesetzlichen Unterhalt (EFSlg 85.162; ÖA 2000, 145 = EFSlg 90.727). Diese weite Auslegung steht in Einklang mit den Gesetzesmaterialien (RV BlgNR 14. GP 916, 23), wo erläutert wird, dass das Wort "wegen" deshalb durch die - den weitergezogenen Rahmen verdeutlichende - Präposition "über" ersetzt wurde, um die nach der bisherigen Rechtsprechung strittige Frage zu lösen, ob die Anfechtung des Unterhaltsvergleichs und die Klage auf Ersatz eines für ein eheliches Kind geleisteten Aufwandes nach § 1042 ABGB ebenfalls in diesen Zuständigkeitstatbestand fallen.
Diese zu § 49 Abs 2 Z 2 JN entwickelten Grundsätze sind zwar, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, wegen der Wortidentität beider Normen auch der Auslegung des § 224 Abs 1 Z 4 ZPO zugrunde zu legen, führen aber - entgegen dessen Ansicht - nicht zur Zurückweisung der Berufung als verspätet.
Die Besonderheit der vorliegenden Klage liegt darin, dass zwar jeder der beiden angefochtenen Vergleiche (die in mehrere Punkte gegliedert sind) auch unterhaltsrechtliche Fragen der früheren Ehegatten regelt, in der Klage aber jeweils nur solche Vergleichspunkte als unwirksam angefochten werden, die nicht direkt Unterhaltszahlungen zwischen den Vergleichsparteien zum Gegenstand haben. Es kann aber - ohne entsprechende Einwendung des Anfechtungsgegners im Anfechtungsprozess - nicht automatisch davon ausgegangen werden, zwischen den einzelnen Punkten eines - mehrere Punkte umfassenden - Scheidungsvergleichs bestünde ein untrennbarer Zusammenhang dahin, dass mit dem Wegfallen auch nur eines einzigen Vergleichspunkts dem gesamten Vergleich die Grundlage entzogen wäre. Selbst bei Stattgebung des Klagebegehrens wären daher die von der Anfechtung nicht betroffenen übrigen Vergleichspunkte (darunter auch die Einigung über die Unterhaltszahlung) in ihrem Bestand unberührt geblieben.
Daraus ist für den vorliegenden Sachverhalt abzuleiten, dass der Rechtsstreit über die (Teil-)Anfechtung der Vergleiche hier nicht zugleich auch über den Fortbestand der in den Vergleichen vereinbarten (und unangefochten gebliebenen) Unterhaltspflicht entschied. Damit kommt aber eine Einordnung dieses Verfahrens unter den Tatbestand einer sonstigen Streitigkeiten über den aus dem Gesetz gebührenden Unterhalt (§ 224 Abs 1 Z 4 ZPO) nicht in Betracht. Das Rekursgericht hat daher die Berufung der Klägerin unzutreffend als verspätet zurückgewiesen.
Dem Rekurs ist Folge zu geben. Das Berufungsgericht wird die rechtzeitige Berufung inhaltlich zu erledigen haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.
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