OGH 1Ob202/01i

OGH1Ob202/01i17.8.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Nicole Elisabeth K*****, vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang L*****, vertreten durch Dr. Florian Kremslehner, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 18. April 2001, GZ 44 R 107/01p-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 21. September 2000, GZ 5 C 34/00s-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.500,80 (darin S 916,80 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe der Streitteile aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten. Im April 1999 habe sie den damals schon in Strafhaft befindlichen Beklagten über ein Zeitungsinserat kennen gelernt. Im Rahmen von Haftausgängen hätten auch persönliche Kontakte bestanden. Nach der Eheschließung am 18. 11. 1999 habe der Beklagte kein Interesse gezeigt, die Familie der Klägerin kennen zu lernen, und ihr jegliche Kontakte zu seiner Familie verwehrt. Er habe Haftausgänge nicht mit der Klägerin verbracht, weshalb die Ehe auch nie vollzogen worden sei. Seit Weihnachten 1999 lasse er Besuche der Klägerin in der Haftanstalt nicht zu; er habe ihr von einer Sozialarbeiterin mitteilen lassen bzw selbst geschrieben, dass er "seine Traumfrau" gefunden habe und keine Besuche der Klägerin mehr wünsche. Vor und auch nach der Eheschließung habe die Klägerin dem Beklagten erhebliche Geldbeträge zukommen lassen, insbesondere S 70.000 für die Anmietung eines Lokals, das als Investition für eine gemeinsame Zukunft gedacht gewesen sei. Der Beklagte habe der Klägerin nie Rechenschaft über die Verwendung dieses Geldbetrags geleistet; sie müsse annehmen, dass er das Geld vereinbarungswidrig für sich verwendet habe.

Diese Klage und die Ladung zur Verhandlungstagsatzung vom 4. 5. 2000 wurden dem Beklagten in der Justizanstalt Simmering eigenhändig zugestellt. Am 17. 3. 2000 brachte dieser einen von ihm selbst verfassten, als "Stellungnahme" bezeichneten Schriftsatz ein. Am 22. 3. 2000 ersuchte der Beklagte um Vorverlegung der Verhandlungstagsatzung vom 4. 5. 2000 auf 25. 4. 2000 mit der Begründung, dass er am 4. 5. 2000 an einem Malerintensivkurs teilnehmen wolle. Die Vorverlegung des Termins wurde vom Erstgericht nicht bewilligt. Der Beklagte nahm an der Verhandlungstagsatzung vom 4. 5. 2000 nicht teil. Die Ladung zur Verhandlungstagsatzung vom 4. 9. 2000 wurde dem Beklagten zugestellt. Er blieb auch dieser Tagsatzung fern. Hiezu hielt das Gericht erster Instanz fest, dass die Justizanstalt Suben den Vorführungstermin bestätigt habe.

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Dieser habe sich nach der Eheschließung gegenüber der Klägerin lieb- und interesselos verhalten: Er habe ihr Haftausgänge verschwiegen und bei anderen Haftausgängen ohne triftigen Grund "nur kurz Zeit für sie" gehabt; er habe ihr Geld unter Vorspiegelung falscher Tatsachen herausgelockt, sich ab Jänner 2000 geweigert, Besuche der Klägerin zu empfangen, und er habe ihr brieflich seine Liebe zu einer anderen Frau dargelegt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Beklagte habe die Möglichkeit gehabt, an der Verhandlungstagsatzung vom 4. 9. 2000 teilzunehmen; er sei aus eigenem Willen zu diesem Termin nicht erschienen. Schon zur Verhandlungstagsatzung vom 4. 5. 2000 sei der Beklagte erfolglos geladen worden; seine Entschuldigung - Teilnahme an einem Malerintensivkurs - erscheine nicht ausreichend. Zu Recht habe das Erstgericht daher auf den vom Beklagten selbst verfassten Schriftsatz vom 17. 3. 2000 nicht Bedacht genommen. Eine weitere Ladung bzw zwangsweise Vorführung des Beklagten sei nach den Umständen des Falls nicht geboten gewesen. Gegen die Richtigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen bzw die Beweiswürdigung des Erstgerichts bestünden grundsätzlich keine Bedenken, lediglich die überschießende Feststellung, der Beklagte habe der Klägerin unter Vorspiegelung falscher Tatsachen Geld herausgelockt, sei weder durch das Vorbringen der Klägerin noch durch die Ergebnisse des Beweisverfahrens gedeckt.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Gericht zweiter Instanz die Ansicht, es könne grundsätzlich keine Zerrüttung der Ehegemeinschaft eintreten, sofern eine solche Gemeinschaft nie aufgenommen worden sei. Sei aber der Aufnahme einer Ehegemeinschaft ein objektives Hindernis entgegengestanden - hier: Verbüßung einer Haftstrafe durch den Beklagten -, dann müsse es bei teleologischer Interpretation einer Zerrüttung der Ehegemeinschaft gleichzuhalten sein, wenn einer der Ehegatten vor einer möglichen Aufnahme der Ehegemeinschaft durch schwere Eheverfehlungen das Vertrauen des anderen Ehegatten so weit erschüttere, dass dieser zu einer künftigen Begründung der Ehegemeinschaft nach Wegfall des objektiven Hindernisses nicht mehr bereit sei. Die vom Erstgericht festgestellten Eheverfehlungen seien geeignet gewesen, das Vertrauen der Klägerin in diesem Sinne zu erschüttern.

Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist den Ausführungen in der Revisionsbeantwortung entgegenzuhalten, dass die Verfassung und Einbringung der Revisionsschrift durch den dem Beklagten beigegebenen Verfahrenshelfer vom Beschluss über die Bewilligung der Verfahrenshilfe gedeckt ist, wurde die Beigebung des Rechtsanwalts doch für die Erhebung "einer" Berufung gegen das Ersturteil und das weitere Verfahren gewährt (AS 109).

In seiner Revision moniert der Beklagte, das Berufungsgericht habe durch Nichtanberaumung einer mündlichen Verhandlung den Grundsatz des Parteiengehörs missachtet. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Gewiss sind zweifelhafte Parteienerklärungen zu Gunsten der Wahrung des Grundsatzes des Parteiengehörs auszulegen (RdW 2001, 286). Im vorliegenden Fall hat der Beklagte in seiner Berufungsschrift aber keine derart zweifelhafte Parteienerklärung abgegeben, wurde doch die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung überhaupt nicht beantragt. In einem solchen Fall wird aber gemäß § 492 Abs 1 ZPO angenommen, dass die Parteien auf die Anordnung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung verzichten. In dem Umstand, dass der Beklagte in der Berufung (S 3 derselben) seine Vorführung zur neuerlichen mündlichen Verhandlung - nach Aufhebung des Ersturteils - begehrte, kann keinesfalls ein Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung erblickt werden. Der gerügte Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO liegt demnach nicht vor.

Zu der in der Revision ausgeführten Mängelrüge genügt es festzuhalten, dass das Vorliegen der geltend gemachten Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens bereits vom Gericht zweiter Instanz ausdrücklich verneint wurde (S 4 ff des Berufungsurteils). Deren neuerliche Geltendmachung im Revisionsverfahren ist - auch in Ehescheidungssachen - unzulässig (1 Ob 318/97i; SZ 62/157 uva). Dieser Grundsatz wäre nur dann unanwendbar, wenn das Gericht zweiter Instanz infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hätte (Kodek in Rechberger ZPO2 Rz 3 zu § 503 mwN). Beides ist hier nicht der Fall. Die Ansicht des Revisionswerbers, die seiner Meinung nach zu Unrecht erfolgte Verneinung eines Verfahrensmangels erster Instanz durch das Berufungsgericht stelle per se einen Mangel des Berufungsverfahrens dar, wird nicht geteilt.

Voraussetzung für die tiefe Zerrüttung einer Ehe im Sinne des § 49 EheG ist es, dass die geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft zwischen den Ehegatten objektiv und (zumindest) bei einem von ihnen auch subjektiv zu bestehen aufgehört hat (EFSlg 81.624; 69.215 uva). Selbst wenn eine "geistig-seelisch-körperliche Gemeinschaft" nie bestanden haben sollte, genügt ein als schwere Eheverfehlung zu wertendes Verhalten des Ehepartners, um die von § 49 EheG geforderte Zerrüttungswirkung herbeizuführen (Pichler in Rummel ABGB2 Rz 3 zu § 49 EheG; Schwimann in Schwimann ABGB2 Rz 4 zu § 49 EheG). Es kann dem anderen Ehegatten nicht verwehrt werden, ein auf schwere Eheverfehlungen gestütztes Scheidungsbegehren zu erheben, zumal solche Eheverfehlungen - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - nicht mittels Aufhebungsklage nach den §§ 37 bis 39 EheG geltend gemacht werden können. Im Übrigen wird in der vom Berufungsgericht und auch vom Beklagten zitierten Entscheidung eines Rechtsmittelgerichts (EFSlg 81.625) nur dargelegt, die Vorausetzungen für eine Scheidung der Ehe nach § 49 EheG lägen nicht vor, wenn auf beiden Seiten von Anfang an kein Ehewille bestanden habe, wofür es im vorliegenden Verfahren aber schon an entsprechenden Behauptungen mangelt. Im Übrigen ist die Ehe eine überaus komplexe Gemeinschaft, in der einzelne für sie wesentliche Elemente (zB körperliche Gemeinschaft oder gemeinsames Wirtschaften) vorübergehend durchaus fehlen können, ohne dass die Ansicht vertreten werden könnte, es läge eine Ehe überhaupt nicht vor bzw sei eine eheliche Gemeinschaft gar nicht begründet worden. Es bedarf daher im Allgemeinen gar nicht der vom Berufungsgericht angestellten Erwägung, es müsse einer Zerrüttung der Ehegemeinschaft gleichzuhalten sein, wenn einer der Ehegatten schon vor deren möglichen Aufnahme das Vertrauen des anderen durch schwere Eheverfehlungen derart erschüttert habe, dass dieser zu einer solchen Aufnahme nach Wegfall des objektiven Hindernisses (hier Haft) nicht mehr bereit sei; es soll aber nicht verschwiegen werden, dass diese Argumentation vieles für sich hat.

Warum die dem Beklagten angelasteten Eheverfehlungen nicht als Scheidungsgrund zu werten seien, vermag die Revision nicht zu begründen. Die von den Vorinstanzen festgestellten Tatsachen rechtfertigen in jedem Fall die Wertung der verschiedenen Verhaltensweisen des Beklagten als schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG.

Der Revision des Beklagten ist daher ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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