OGH 1Ob165/01y

OGH1Ob165/01y7.8.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Caroline S*****, geboren am *****, infolge ordentlichen Revisionsrekurses des Kindes, vertreten durch Dr. Karl Krückl und Dr. Kurt Lichtl, Rechtsanwaltspartnerschaft in Linz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom 18. April 2001, GZ 21 R 117/01g-105, womit infolge Rekurses des Kindes der Beschluss des Bezirksgerichts Bad Ischl vom 6. März 2001, GZ 1 P 1348/95s-101, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Vater war für seine am ***** geborene Tochter zuletzt zu einer Unterhaltsleistung von 11.000 S monatlich verpflichtet. Mit Beschluss vom 12. 1. 2000 wies das Erstgericht den Antrag des Vaters, den Unterhalt auf 9.300 S monatlich herabzusetzen, ab. Dieser Entscheidung lag ein - unter Einrechnung der Sonderzahlungen - festgestelltes monatliches Nettoeinkommen des Vaters von 54.887 S zugrunde. Der Vater war bei einem Unternehmen als Leiter der Rechtsabteilung beschäftigt. Sein Arbeitsverhältnis wurde zum 31. 1. 2000 einvernehmlich aufgelöst. Seither ist er arbeitslos. Im Jahr 2000 erzielte er ein monatliches Nettoeinkommen von 15.318 S. Seit 2001 bezieht er 15.063 S monatlich netto. Als Abfertigung flossen ihm 155.100 S netto zu. Abgesehen von seiner "Vormerkung beim AMS" bemühte sich der nunmehr 55-jährige Vater bisher erfolglos auch selbst, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Er beteiligte sich überdies an einer "Wiedereingliederungsmaßnahme" des AMS. Dabei wurden Kontakte mit verschiedenen Unternehmen hergestellt. Derzeit ist "einiges in Schwebe". Der Vater ist teilweise auch für seine Ehegattin sorgepflichtig, die - unter Einrechnung der Sonderzahlungen - ein monatliches Nettoeinkommen von 4.836 S hat.

Der Vater beantragte die Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht auf 3.100 S monatlich ab 1. 4. 2000. Er brachte vor, er beziehe nur Arbeitslosengeld und sei nach einer Auskunft des AMS wegen seines Alters nicht vermittelbar. Dennoch bemühe er sich ernsthaft und nachhaltig, einen neuen Arbeitsplatz zu finden.

Das Kind wendete ein, der Vater sei auf das Einkommen aus seinem letzten Dienstverhältnis anzuspannen, sei dieses doch einvernehmlich aufgelöst worden. Er hätte seine Weiterbeschäftigung im Falle einer Kündigung gemäß § 105 ArbVG erzwingen können.

Das Erstgericht traf - abgesehen vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt - noch folgende Feststellungen:

Der vorherige Dienstgeber des Vaters habe dessen Arbeitsplatz "im Zuge einer Reorganisation ersatzlos gestrichen". Die "gewählte Vorgangsweise (einvernehmliche Lösung)" habe "die Chancen des Kindesvaters am Arbeitsmarkt" wahren sollen.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltspflicht des Vaters für Mai 2000 auf 8.700 S und ab 1. 6. 2000 auf 3.100 S monatlich herab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Es sei nicht entscheidungswesentlich, ob der vorherige Arbeitgeber "die Position des Vaters ... ersatzlos gestrichen" habe, seien doch für die Anspannung eines Unterhaltspflichtigen auf ein fiktives Einkommen als Unterhaltsbemessungsgrundlage - selbst nach einem verschuldeten Arbeitsplatzverlust - nur dessen Bemühungen, wiederum einen Arbeitsplatz zu erlangen, von Bedeutung. Das gelte jedenfalls dann, wenn der Verlust des Arbeitsplatzes nicht auf eine "Unterhaltsverkürzungsabsicht" schließen lasse. Eine "vorsätzliche Unterhaltsflucht" des Vaters habe das Kind gar nicht behauptet. Der Vater habe sich durch die einvernehmliche Auflösung seines Dienstverhältnisses wohl "einer allfälligen Anfechtungsmöglichkeit nach § 105 ArbVG begeben", ein für die Ermittlung des Unterhaltsanspruchs relevantes Verschulden wäre ihm aber selbst dann nicht anlastbar gewesen, "wenn der Verlust seiner Arbeitsstelle nicht mit einer ersatzlosen Streichung seiner Position einhergegangen wäre". Einerseits sei lediglich das dem Arbeitsplatzverlust nachfolgende Verhalten des Unterhaltspflichtigen maßgebend, andererseits sei dem Vater nicht zumutbar gewesen, sich mit seinem Arbeitgeber auf einen Rechtsstreit ungewissen Ausgangs einzulassen. Ein solcher Prozess hätte "negative Auswirkungen in Bezug auf den Erhalt einer neuen Stelle" haben können. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs "zur Anspannungsobliegenheit älterer - voraussichtlich schwer vermittelbarer - Dienstnehmer mit beträchtlichen Einkommensverlusten" mangle. Präjudiziell sei, ob schon die Einwilligung in die einvernehmliche Auflösung eines Dienstverhältnisses als Verschulden des Unterhaltspflichtigen zu qualifizieren sei, das dessen Anspannung auf das vorherige Arbeitseinkommen als Unterhaltsbemessungsgrundlage rechtfertige.

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Der erkennende Senat sprach zuletzt in seinen Entscheidungen 1 Ob 58/00m und 1 Ob 223/98w unter Berufung auf eine "gesicherte Rechtsprechung" aus, bei einem vom Unterhaltsschuldner verschuldeten Arbeitsplatzverlust sei nach dem Anspannungsgrundsatz - abgesehen von Fällen beabsichtigter Unterhaltsvereitelung - nicht einfach zu unterstellen, dass ihm weiterhin das verlorene Einkommen zur Verfügung stehe. Die Anspannung beruhe nicht auf einer reinen Fiktion, sondern auf realen Einkommenserwartungen des Unterhaltspflichtigen vor dem Hintergrund seiner beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten und der konkreten Arbeitsmarktlage im Zeitraum der Unterhaltsbemessung. Bei verschuldetem Verlust des Arbeitsplatzes sei für die Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage das weitere Verhalten des Schuldners maßgebend, obliege es diesem doch in einem solchen Fall, alles zu unternehmen, um einen neuen - seiner geistigen und körperlichen Veranlagung sowie seiner Ausbildung und seinem Können entsprechenden - Arbeitsplatz zu finden. Dafür reiche die bloße Anmeldung bei Arbeitsvermittlungsstellen allein nicht aus, sondern der Schuldner habe zur Erzielung eines angemessenen Einkommens auch Eigeninitiativen zu entfalten; dabei habe er zu behaupten und zu beweisen, dass er das frühere Einkommen nicht mehr erzielen könne. Misslinge ihm dieser Beweis, so könne er dennoch nicht ohneweiteres auf sein früheres Einkommen angespannt werden, sondern es komme dann auf seine konkreten Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt an. In der Entscheidung 1 Ob 58/00m wurde ferner ausdrücklich festgehalten, dass ein unselbständig Erwerbstätiger, der aus seinem Verschulden eine Stellung mit gutem Einkommen verlor, auch nur auf ein nach seinen konkreten Erwerbschancen auf dem aktuellen Arbeitsmarkt erzielbares Einkommen aus einer weiteren unselbständigen Tätigkeit angespannt werden könne.

An diesen Grundsätzen ist festzuhalten.

2. Die Rechtsmittelwerberin rügt als Feststellungsmangel, dass im Verfahren zweiter Instanz nicht geklärt worden sei, ob der Arbeitsplatz des Vaters - wie vom Erstgericht festgestellt - "im Zuge einer Reorganisation ersatzlos gestrichen" worden sei. In Wahrheit seien für "das Ausscheiden" des Vaters "wirtschaftliche Aspekte des Unternehmens" ausschlaggebend gewesen. Unter solchen Voraussetzungen wäre aber eine allfällige Kündigung des Vaters gemäß § 105 (Abs 1 Z 2) ArbVG erfolgreich anfechtbar gewesen. Die Einwilligung in die einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses sei daher als "grob schuldhaftes Verhalten des Unterhaltsschuldners" anzusehen, sei doch für einen älteren Arbeitnehmer mit hohem Einkommen erkennbar, dass er nach der Auflösung seines Dienstverhältnisses wahrscheinlich keine gleich gut bezahlte andere Arbeitsstelle bekommen werde. Der Vater hätte daher nur dann in die Auflösung seines Dienstverhältnisses einwilligen dürfen, wenn er sich schon eine adäquate andere Beschäftigungsmöglichkeit gesichert gehabt hätte. Es wäre ihm aber auch zumutbar gewesen, eine Kürzung seiner Bezüge bei seinem bisherigen Arbeitgeber hinzunehmen.

Nach diesen Ausführungen vertritt auch die Rechtsmittelwerberin nicht den Standpunkt, der Vater habe mit der Einwilligung in die einvernehmliche Auflösung seines gut bezahlten Dienstverhältnisses die Herbeiführung einer (teilweisen) Unterhaltsvereitelung beabsichtigt, sie geht vielmehr selbst davon aus, dass wirtschaftliche Erwägungen des Unternehmers den Ausschlag gaben. Damit kommt aber eine Anspannung des Vaters auf sein früheres Einkommen als unveränderte Unterhaltsbemessungsgrundlage schon nach der unter 1. referierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht in Betracht. Andernfalls wäre die von der Rechtsmittelwerberin geforderte Anspannung des Vaters auf sein früheres Einkommen gleichsam als Bestrafung eines älteren Arbeitnehmers anzusehen, der dem Drängen seines Arbeitgebers auf Auflösung eines gut bezahlten Dienstverhältnisses nachgab, obgleich er in diesem Zeitpunkt die Erlangung einer gleich gut bezahlten anderen Arbeitsstelle nicht erwarten konnte. Der erkennende Senat sieht sich nicht veranlasst, die Grundsätze der Unterhaltsbemessung durch solche "Altersstrafen" zu ergänzen. Somit hätte aber der Vater nur auf das nach seinen konkreten Erwerbschancen auf dem aktuellen Arbeitsmarkt erzielbare Einkommen aus einer weiteren unselbständigen Tätigkeit angespannt werden können, hat doch der Unterhaltsberechtigte keinen Anspruch auf einen gleichbleibend hohen, sondern gemäß § 140 Abs 1 ABGB nur Anspruch auf den nach den "Kräften" des Unterhaltspflichtigen möglichen Unterhaltsbeitrag. Dass der Vater auf Grundlage der soeben erläuterten rechtlichen Gesichtspunkte auf ein höheres als sein tatsächliches Einkommen angespannt werden könnte, wird von der Rechtsmittelwerberin gar nicht behauptet. Eine solche Konsequenz trügen auch die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen nicht.

3. Gemäß § 16 Abs 3 AußStrG ist der Oberste Gerichtshof bei der Prüfung der Zulässigkeit des Revisionsrekurses an einen Ausspruch des Rekursgerichts nach § 13 Abs 1 Z 2 AußStrG nicht gebunden. Wie sich aus den voranstehenden Erwägungen ergibt, hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage gemäß § 14 Abs 1 AußStrG ab, beruht doch die Rekursentscheidung auf der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, die keiner Weiterentwicklung in dem von der Rechtsmittelwerberin angestrebten Sinn bedarf. Das führt zur Zurückweisung des Revisionsrekurses.

Stichworte