OGH 1Ob223/98w

OGH1Ob223/98w27.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Daniel R*****, und der mj Sabina R*****, infolge Revisionsrekurses des Vaters Radomir R*****, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Mai 1998, GZ 44 R 180/98s-97, womit infolge Rekurses der Minderjährigen der Beschluß des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 21. Jänner 1998, GZ 3 P 1834/95p-81, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird im Umfang des ab 1. 12. 1997 monatlich S 1.600,-- je Kind übersteigenden Unterhalts die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Der Antrag auf Zuspruch von Revisionsrekurskosten wird abgewiesen.

Text

Begründung

Der aufgrund Beschlusses vom 28. 4. 1997 (ON 62) zuletzt zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von S 3.000 für seinen Sohn und von S 2.600 für seine Tochter verpflichtete Vater stellte am 23. 12. 1997 den Antrag (ON 77), seine Unterhaltspflicht ab 1. 12. 1997 auf monatlich S 1.600 je Kind herabzusetzen. Er sei von seinem früheren Arbeitgeber gekündigt worden, weil er nach zu geringer Lohnzahlung in den Krankenstand gegangen sei. Er beziehe derzeit ein monatliches Arbeitslosengeld von S 9.642.

Das Erstgericht sprach daraufhin mit Beschluß vom 21. 1. 1998 (ON 81) aus, daß der Vater für die beiden Minderjährigen ab 1. 12. 1997 nur noch einen Betrag von S 1.600 je Kind zu bezahlen habe. Der Vater beziehe seit 24. 11. 1997 Arbeitslosengeld von monatlich S 9.642. Es treffen ihn keine weiteren Sorgepflichten. Dieser Sachverhalt sei rechtlich dahin zu beurteilen, daß der Vater aufgrund seines derzeitigen Einkommens nicht in der Lage sei, den bisherigen Unterhalt zu leisten. Einem etwaigen Verschulden des Unterhaltspflichtigen am Verlust des Arbeitsplatzes komme nach neuerer Rechtsprechung nur mehr geringe Bedeutung zu. Selbst bei verschuldetem Arbeitsplatzverlust könne nicht weiterhin davon ausgegangen werden, dem Unterhaltsschuldner stehe das zuletzt bezogene Einkommen zur Verfügung. Den Unterhaltspflichtigen treffe nur die Obliegenheit, alle nach den konkreten persönlichen Verhältnissen und den Arbeitsmarktverhältnissen sinnvollen Anstrengungen zu unternehmen, wieder einen Arbeitsplatz mit entsprechender Verdienstmöglichkeit zu finden. Hiezu müsse dem Unterhaltsschuldner entsprechend Zeit eingeräumt werden.

Mit dem angefochtenen Beschluß änderte das Gericht zweiter Instanz diese Entscheidung dahin ab, daß der Antrag des Vaters, seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber den beiden Minderjährigen ab 1. 12. 1997 auf je S 1.600 monatlich herabzusetzen, abgewiesen wurde. Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Aufgrund der im Zwischenverfahren durchgeführten Erhebungen stellte es fest, daß die Auflösung des Dienstverhältnisses durch Dienstgeberkündigung erfolgt sei, weil der Vater den Firmen-LKW für Privatfahrten nach Hause verwendet und das Fahrzeug vorschriftswidrig im Wohngebiet abgestellt habe, sodaß über den Dienstgeber wiederholt Verwaltungsstrafen von insgesamt mehreren tausend Schilling verhängt worden seien. Außerdem habe der Vater Tachometerscheiben nicht herausgegeben, sodaß es zu Schwierigkeiten mit der Finanzbehörde gekommen sei. Der Vater sei deshalb mehrmals verwarnt worden. Schließlich habe der Vater einen Unfall verschuldet, sodaß sein Dienstgeber mit der Bezahlung des Schadens belastet worden sei. Hätte der Vater sich ordnungsgemäß verhalten, hätte er ohne weiteres seinen Arbeitsplatz beibehalten können. Auch habe sich der Vater krank gemeldet, ohne eine ärztliche Bestätigung für das Vorliegen einer tatsächlichen Erkrankung beizubringen.

Rechtlich folgerte das Rekursgericht, daß der aus § 140 ABGB abgeleitete Anspannungsgrundsatz auch die Verpflichtung umfasse, sich so zu verhalten, daß der Arbeitsplatz nicht verlorengehe. Betriebsbedingte Auflösungen von Dienstverhältnissen könnten zwar nicht vermieden werden, wohl aber solche, mit denen ein Dienstnehmer rechnen und die er leicht vermeiden könne. Zwar könne dem Vater nicht angelastet werden, daß er einen Unfall verschuldet habe, wohl aber, daß er den Dienstgeber wiederholt mit Verwaltungsstrafen durch Polizei und Finanzbehörde belastet habe. Dies stelle zumindest grob fahrlässiges Verhalten dar, bei dessen Fortsetzung der Vater mit dem zwingenden Verlust des Arbeitsplatzes habe rechnen müssen. Dies sei ein Verstoß gegen den Anspannungsgrundsatz. Bei der Unterhaltsbemessung sei daher vom Fortbezug des Einkommens auszugehen, das der letzten Unterhaltsbemessung zugrundegelegen sei, weshalb das Herabsetzungsbegehren aus rechtlichen Gründen nicht gerechtfertigt sei.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist berechtigt.

Es ist nunmehr gesicherte Rechtsprechung, daß auch bei vom Unterhaltsschuldner verschuldetem Arbeitsplatzverlust - abgesehen von Fällen beabsichtigter Unterhaltsvereitelung - nicht automatisch in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes davon ausgegangen werden kann, dem Unterhaltspflichtigen stehe weiterhin das verlorene Einkommen zur Verfügung. Die Anspannung darf nicht zu einer bloßen Fiktion führen, sondern muß immer auf der Feststellung beruhen, welches reale Einkommen der Unterhaltspflichtige in den Zeiträumen, für die die Unterhaltsbemessung erfolgt, unter Berücksichtigung seiner konkreten Fähigkeiten und Möglichkeiten bei der gegebenen Arbeitsmarktlage zu erzielen in der Lage wäre (ÖA 1996, 96; ÖA 1998, 171; ÖA 1999, 33 ua). Nach verschuldetem Verlust des Arbeitsplatzes kommt es bei Ermittlung der Unterhaltsbemessungsgrundlage ganz maßgeblich auf das weitere Verhalten des Unterhaltspflichtigen an, erlangt doch ein solcher Verlust des Arbeitsplatzes als Grundlage einer allfälligen Anspannung des Unterhaltsschuldners auf erzielbares Einkommen erst dann Bedeutung, wenn dieser sein Verhalten gerade darauf angelegt hat, sich seiner Unterhaltspflicht zu entziehen (ÖA 1995, 88; ÖA 1996, 62; ÖA 1998, 172).

Obwohl das Erstgericht diese Rechtsprechung, von der abzugehen sich der erkennende Senat trotz der vom Rekursgericht angestellten Überlegungen nicht veranlaßt sieht, in den Grundzügen richtig wiedergegeben hat, hat es jedoch übersehen, daß die bloße Anmeldung als Arbeitssuchender im allgemeinen nicht als ausreichend erkannt wird, eine sich aus dem Verlust des Arbeitsplatzes ergebende Unterhaltsherabsetzung zu rechtfertigen. Der Einkommensentfall löst nämlich die Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen aus, unter Berücksichtigung seiner geistigen und körperlichen Veranlagung sowie seiner Ausbildung und seines Könnens alles zu unternehmen, um einen neuen Arbeitsplatz zu finden. Dazu reicht die bloße Meldung bei den zur Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehenden Stellen allein nicht aus, sondern es ist auch die Entfaltung von Eigeninitiative zur Erzielung eines entsprechenden Einkommens zu fordern (ÖA 1992, 55; ÖA 1998, 251; Purtscheller/Salzmann, Unterhaltsbemessung Rz 257 mwH). In diese Richtung wird das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren Erhebungen zu pflegen haben; schon jetzt kann darauf hingewiesen werden, daß die Beweislast, das frühere Einkommen nicht mehr erzielen zu können, den Unterhaltsschuldner trifft, kann aufgrund amtswegiger Erhebungen eine ausreichende Tatsachengrundlage nicht geschaffen werden (1 Ob 1645/95; 8 Ob 503/96; ÖA 1998, 171). Aber selbst wenn dem Vater dieser Beweis nicht gelingen sollte, könnte er nicht ohneweiteres auf sein früher bezogenes Einkommen angespannt werden, sondern es sind dann die - allenfalls durch Zuziehung eines Sachverständigen zu klärenden - konkreten Erwerbschancen auf dem Arbeitsmarkt ausschlaggebend (8 Ob 191/97i; ÖA 1999, 33).

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

Der Antrag auf Zuspruch von Kosten des Revisionsrekurses ist abzuweisen, weil im außerstreitigen Verfahren - soweit nicht etwas anderes ausdrücklich angeordnet ist, was für Unterhaltsfestsetzungsverfahren gerade nicht der Fall ist - kein Kostenersatz stattfindet (SZ 68/104; 1 Ob 2339/96v ua).

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