OGH 10ObS185/01f

OGH10ObS185/01f30.7.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Fritz Miklau (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Heinz Abel (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarete S*****, Pensionistin, *****, vertreten durch die Sachwalterin Helga R*****, vertreten durch Mag. Josef Koller-Mitterweissacher, Rechtsanwalt in Perg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Ausgleichszulage, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. März 2001, GZ 12 Rs 255/00g-10, womit der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. Juni 2000, GZ 9 Cgs 96/00h-5, teilweise Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die am 1. Juli 1949 geborene Klägerin steht seit ihrem 16. Lebensjahr wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung. Zwischen 1975 und 1987 war sie in verschiedenen Berufen als ungelernte Hilfskraft tätig; seit April 1988 bezieht sie von der beklagten Partei eine Invaliditätspension.

Am 31. 3. 1984 hat die Klägerin die Ehe mit Heinz S***** geschlossen. Die Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Hernals vom 5. 8. 1988 gemäß § 51 EheG ohne Schuldausspruch geschieden.

Mit Vergleich vom 20. 7. 1988 hat sich Heinz S***** zu einer monatlichen Unterhaltsleistung an die Klägerin in einer nach dem VPI 1986 wertgesicherten Höhe von S 5.000,-- ab 1. 8. 1988 verpflichtet. Nach Wegfall der Sorgepflicht für das Kind Christine S***** wurde der Unterhalt in Höhe von 40 % des Familieneinkommens bemessen.

Der geschiedene Ehemann der Klägerin bezieht aus seiner Beschäftigung ein monatliches Engelt von S 3.500,--. Weiters erhält er eine Notstandshilfe von täglich S 407,50. Insgesamt beträgt sein Monatseinkommen S 15.725,--.

Seit September 1995 lebt die Klägerin in Lebensgemeinschaft mit Gerhard W*****. Dieser ist arbeitslos, erhält Notstandshilfe und ist für zwei Kinder unterhaltspflichtig.

Seit September 1995 leistet der geschiedene Ehemann der Klägerin keinen Unterhalt mehr.

Die Klägerin erhält monatlich S 81,20 an Zinserträgen.

Mit Bescheid vom 8. Februar 2000 hat die beklagte Partei den Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage für die Zeit vom 1. 4. 1999 bis 30. 11. 1999 anerkannt und unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs gegen ihren geschiedenen Ehemann mit monatlich S 3.343,10 festgestellt.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene, auf Gewährung der Ausgleichszulage ohne Anrechnung des Unterhaltsanspruchs gegen den geschiedenen Gatten Heinz S***** für den Zeitraum 1. 4. 1999 bis 30. 11. 1999 gerichtete Klagebegehren ab. Nach § 294 Abs 1 ASVG seien Unterhaltsansprüche des Pensionsberechtigten gegen den geschiedenen Ehegatten - gleich viel ob und in welcher Höhe die Unterhaltsleistung tatsächlich erbracht wird - dadurch zu berücksichtigen, dass dem Nettoeinkommen des Pensionsberechtigten 12,5 vH des monatlichen Nettoeinkommens des geschiedenen Ehegatten zuzurechnen sind; dies gelte auch im Falle des Unterhaltsanspruchs nach § 69 EheG, selbst wenn dieser ruhe. Die Ausgleichszulage gebühre daher ab 1. 4. 1999 in Höhe der Differenz zwischen dem Richtsatz von S 8.112.-- und der Pension der Klägerin von S 2.722,10, dem mit S 1.965,60 errechneten Unterhaltsbetrag sowie den Zinserträgen von S 81,20 mit monatlich S 3.343,10.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin insoweit Folge, als es den bekämpften Bescheid der beklagten Partei wieder herstellte. In ausgleichszulagenrechtlicher Hinsicht sei das Eingehen einer Lebensgemeinschaft und das dadurch bewirkte Ruhen des Unterhaltsanspruchs einem Verzicht auf Unterhaltsansprüche gleichzuhalten; der Pensionsbezieherin stehe es aber nicht frei, zu Lasten des Ausgleichszulagenträgers auf ihre Unterhaltsansprüche zu verzichten, weshalb jede freiwillige Begebung des Anspruchs auf Unterhalt im Ausgleichszulagenrecht unbeachtlich sei. Ob und in welchem Umfang die Klägerin tatsächlich Leistungen aus der Lebensgemeinschaft beziehe sei rechtlich irrelevant.

Gegen dieses Urteil richtet sich die unbeantwortete Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin vertritt weiter den Standpunkt, dass eine Anrechnung auf die Ausgleichszulage nur im Ausmaß des tatsächlichen Zuflusses geldwerter Leistungen aus der Lebensgemeinschaft erfolgen dürfe; zumindest aber hätte der Klägerin unter Berücksichtigung des Einkommens ihres Lebensgefährten der Familienrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG zugerechnet werden müssen. Dem Ausgleichszulagenrecht liege der Gedanke der Absicherung eines gewissen Existenzminimums zugrunde. Daher sei zu prüfen, ob im Rahmen der Lebensgemeinschaft dem Pensionsbezieher tatsächlich so hohe Leistungen und Vorteile zufließen, dass zusammen mit dem sonstigen Einkommen der Ausgleichszulagenrichtsatz erreicht werde. Andernfalls käme es zu einer unzulässigen Schlechterstellung von in einer Lebensgemeinschaft lebenden Personen.

Rechtliche Beurteilung

Vorweg ist festzuhalten, dass der Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27. Februar 2001, G 104/00-9, über Antrag des Oberlandesgerichts Innsbruck die Wortfolgen "b) den geschiedenen Ehegatten (die geschiedene Ehegattin)" sowie "b und" in § 294 Abs 1

1. Satz ASVG in der Fassung des Art IV Z 39 der 29. Novelle zum ASVG, BGBl 1973/31, des Art I Z 26 der 36. Novelle zum ASVG, BGBl 1981/282, und des Art IV Z 5 lit a der 48. Novelle zum ASVG, BGBl 1989/642, sowie die Worte "in den Fällen des Abs 1 lit b" in § 294 Abs 3 1. Satz ASVG in der Fassung des Art IV Z 39 der 29. Novelle zum ASVG, BGBl 1973/31, als verfassungswidrig aufgehoben hat; frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

Die Bestimmung, deren Verfassungswidrigkeit festgestellt wurde, ist nach Art 140 Abs 7 B-VG auf alle in ihren Geltungsbereich fallenden Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden. Da der vorliegende Fall keinen Anlassfall darstellt, ist hiefür weiterhin § 294 ASVG in der im Jahre 1999 maßgeblichen Fassung maßgebend.

Der Oberste Gerichtshof hat zur Frage, welchen Einfluss das Eingehen einer Lebensgemeinschaft auf Unterhalts- und Ausgleichszulagenansprüche hat, in den Entscheidungen 10 ObS 244/98z (ZAS 1999/11, Brodil = DRdA 1999/20, Kerschner = SSV-NF 12/96) und 10 ObS 301/98g (ARD 5025/17/99) eingehend Stellung genommen: Die nichteheliche Lebensgemeinschaft stellt ein von der Rechtsordnung in einzelnen Bestimmungen anerkanntes und rechtlich geschütztes familienrechtsähnliches Verhältnis dar. Wenngleich die Lebensgemeinschaft - anders als die Ehe - keinen gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegen den Partner begründet und der Lebensgefährte anders als ein Ehepartner nicht gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, so ist doch bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen, dass Lebensgefährten gemeinsam wirtschaften und demnach auch ihre Einkünfte miteinander teilen. Zum Einfluss einer solchen Lebensgemeinschaft auf die Ausgleichszulage schloss sich der Senat der Entscheidung des Oberlandesgericht Wien zu SSV 22/81 an. Das Ruhen des Unterhaltsanspruches infolge Eingehens einer Lebensgemeinschaft stellt demnach zwar keinen ausdrücklichen oder auch nur schlüssig erklärten Verzicht auf Unterhaltsansprüche dar, ist aber in ausgleichszulagenrechtlicher Hinsicht einem solchen Verzicht gleichzuhalten, weil es andernfalls auch in dieser Hinsicht zu einer Besserstellung der Lebensgefährtin gegenüber einer wiederverheirateten Frau komme. Hätte sich die Klägerin nämlich wieder verehelicht, hätte sie schon deshalb keinen Anspruch auf Ausgleichszulage, weil bei Feststellung ihres aus übrigen Einkünften erwachsenden Nettoeinkommens auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen wäre (§ 292 Abs 2 ASVG). Wenn und solange das Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten nicht nachgewiesen wird, ist es in der Höhe des Dreißigfachen der Höchstbeitragsgrundlage in der Pensionsversicherung anzunehmen (§ 294 Abs 4 ASVG). Obwohl der Klägerin im Falle der Wiederverehelichung der höhere Richtsatz nach § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG ("Familienrichtsatz") zustatten käme, wäre nicht davon auszugehen, dass das gesamte Nettoeinkommen ihres im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten niedriger wäre als die Differenz zwischen dem erhöhten Richtsatz und ihrer eigenen Pension. Die durch eine Lebensgemeinschaft tatsächlich eintretende Erleichterung der wirtschaftlichen Lebensführung (einer ansonsten nicht mehr berufstätigen oder erwerbsunfähigen Frau) stellt demnach ein Äquivalent für den ruhenden Unterhaltsanspruch gegenüber dem geschiedenen Ehegatten dar.

Der Entscheidung 10 ObS 244/98z sind Kerschner und Brodil in ihren Glossierungen (zu DRdA 1999/20 und ZAS 1999/11) zumindest insoweit entgegen getreten, als im Hinblick auf den Versorgungszweck der Ausgleichszulage der Nachweis fehlenden oder zu geringen Einkommens bzw der Uneinbringlichkeit auch bei der Lebensgemeinschaft möglich sein müsse, wobei den antragstellenden Lebensgefährten die Beweislast treffe. Dieser Gedanke klingt bereits in den Entscheidungen 10 ObS 244/98z und 10 ObS 301/98g an, war dort jedoch aufgrund eines anzunehmenden höheren Einkommens des Lebensgefährten ohne Relevanz.

Im Falle einer Wiederverehelichung der Klägerin wäre bei der Feststellung des Ausgleichszulagenanspruchs das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen (§ 292 Abs 2 ASVG), solange dieses nicht nachgewiesen ist, in der Höhe des Dreißigfachen der Höchstbeitragsgrundlage in der Pensionsversicherung (§ 294 Abs 4 ASVG). Tragender Gedanke der Vorentscheidung 10 ObS 244/98z ist nun, dass ein in Lebensgemeinschaft lebender Geschiedener nicht besser gestellt sein darf als ein Wiederverheirateter. Ein ausdrückliches Verbot einer Schlechterstellung von Lebensgefährten gegenüber verheirateten Personen gibt es in der Rechtsordnung nicht explizit. Im Privat-, Abgaben-, Förderungs- und Sozialrecht finden sich Gleichstellungen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der Ehe dort, wo ein Lebensgefährte vom anderen "eheähnlich" unterhalten wird (zB § 123 Abs 8 lit b iVm Abs 7 ASVG, § 56 Abs 6 B-KUVG, § 20 Abs 2 AlVG) oder zumindest gemeinsames Wirtschaften vorliegt (zB § 14 Abs 3 MRG und verschiedene Wohnbauförderungsgesetze der Länder; siehe näher bei Stabentheiner, Die nichteheliche Lebensgemeinschaft - ein Überblick, NZ 1995, 49 [54]; Stolzlechner, Die Familie im materiellen Verwaltungsrecht, in Harrer/Zitta, Familie und Recht [1992], 233 [254 ff]).

Im Ausgleichszulagenrecht besteht keine ausdrückliche Regelung für die Anrechnung der Versorgung des (potentiellen) Ausgleichszulagenbeziehers aus seiner Lebensgemeinschaft. Wie schon in den beiden Entscheidungen 10 ObS 244/98z und 10 ObS 301/98g zum Ausdruck gebracht wurde, stellt die durch eine Lebensgemeinschaft tatsächlich eintretende Erleichterung der "wirtschaftlichen Lebensführung" ein Äquivalent für den ruhenden Unterhaltsanspruch gegenüber dem geschiedenen Ehegatten dar. Konsequenterweise muss aber dann der Nachweis zulässig sein, dass dieser Effekt durch die Lebensgemeinschaft nicht eingetreten ist. Wie Brodil und Kerschner in ihren Glossierungen dargestellt haben, bietet sich hiefür die entsprechende Anwendung der Regelung des § 294 Abs 3 Satz 2 ASVG an, wonach die in § 294 Abs 1 ASVG vorgesehene pauschale Zurechnung des Unterhaltsanspruchs zum Nettoeinkommen durch eine Zurechnung der tatsächlichen Leistungen ersetzt wird, wenn die Unterhaltsforderung uneinbringlich oder die Verfolgung eines Unterhaltsanspruchs offenbar aussichtslos oder offenbar unzumutbar ist.

Es wird nicht verkannt, dass diese Regelung auf den aus der Ehe oder früheren Ehe resultierenden Unterhaltsanspruch abstellt, während aus der Lebensgemeinschaft kein gesetzlicher Unterhaltsanspruch resultiert. Die genannte Bestimmung bietet sich aber deshalb an, weil durch ihre entsprechende Anwendung die Prüfung gewährleistet werden kann, ob die von der Ausgleichszulage angestrebte Mindestversorgung bereits durch die Lebensgemeinschaft gewährleistet ist oder nicht.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin vorgebracht, dass sich die Leistungen ihres Lebensgefährten auf die Bezahlung der Miete und der Betriebskosten für das von der Klägerin und dem Lebensgefährten bewohnte Zimmer im monatlichen Ausmaß von S 1.300,-- beschränkten, sodass der Klägerin lediglich eine monatliche Leistung von S 650,-- zukomme, während sie selbst mit ihrem monatlichen Einkommen die gesamten sonstigen Ausgaben für Lebensmittel, Telefon etc bestreite; der Wert dieser Leistungen übersteige bei weitem den Wert der vom Lebensgefährten erbrachten Leistungen.

Die von der Klägerin zu diesem Beweisthema beantragten Beweise wurden jedoch von den Vorinstanzen im Hinblick auf die von ihnen vertretene Auffassung nicht aufgenommen.

Ausgehend von der oben dargestellten Rechtsansicht ist im fortgesetzten Verfahren zu erheben, wie die Lebensgemeinschaft in wirtschaftlicher Hinsicht ausgestaltet ist und inwieweit der Lebensgefährte der Klägerin zur Bestreitung der gemeinsamen Aufwendungen beiträgt. Für die Berechnung des Ausgleichszulagenanspruchs ist zu fingieren, dass die Lebensgefährten in aufrechter Ehe verbunden sind; auf dieser Grundlage ist die Höhe eines fiktiven Unterhaltsanspruchs - gegebenenfalls unter Anwendung der Anspannungstheorie - zu berechnen und dessen Durchsetzbarkeit entsprechend § 294 Abs 3 Satz 2 ASVG zu beurteilen. Unter den in dieser Bestimmung angeführten Voraussetzungen, die sinngemäß anzuwenden sind, kommt eine Zurechnung nur in der Höhe eines Vierzehntels der jährlich zufließenden Unterhaltsleistung in Betracht.

Da die Vorinstanzen zur Frage der Ausgestaltung der Lebensgemeinschaft und des Beitrags des Lebensgefährten der Klägerin nur unzureichende Feststellungen getroffen haben, bedarf es - um die Sache spruchreif zu machen - einer Verhandlung erster Instanz, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Sozialrechtssache an das Erstgericht zurückzuverweisen war.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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