OGH 10ObS123/01p

OGH10ObS123/01p12.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Peter Hübner und Dr. Michael Braun (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann H*****, Pensionist, *****, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84 - 86, 1051 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Aufrechnung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Jänner 2001, GZ 7 Rs 193/00g-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. Juni 2000, GZ 25 Cgs 41/00g-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger bezieht von der beklagten Partei eine Pensionsleistung, die ab 1. 1. 2000 eine monatliche Höhe von S 10.058,40 netto hatte. Er ist für seine am 23. 4. 1977 geborene Tochter sorgepflichtig, die ein Studium absolviert. Seine Gattin bezieht eine Pension in Höhe von etwa S 5.000,-- monatlich.

Laut Rückstandsausweis vom 13. 1. 2000 schuldet der Kläger der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse S 129.868,24 an Beiträgen, Verzugszinsen, Kosten und Verwaltungsauslagen. Die Beitragsrückstände stammen aus dem Zeitraum Juli 1992 bis Juni/Juli 1993. Ab Juli 1992 konnten sie trotz exekutiver Schritte nicht mehr einbringlich gemacht werden. Konkursanträge der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse vom 6. 7. 1992 und 8. 7. 1993 gegen den Kläger wurden mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen.

Mit Bescheid vom 17. 1. 2000 sprach die beklagte Partei aus, dass auf die Pension des Klägers ab 1. 2. 2000 monatlich ein Betrag von S 2.286,40 zur Deckung der offenen Forderung der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse aufgerechnet wird.

Dagegen erhob der Kläger Klage mit dem Begehren, diese Aufrechung für unzulässig zu erklären. Nach einem Herzinfarkt (1994) sei sein Unternehmen insolvent geworden. Im Rahmen des abgeführten Ausgleichsverfahrens seien alle gegen ihn bestehenden Forderungen, insbesonders jene der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse, getilgt worden.

Die beklagte Partei beantragte Klagsabweisung. Trotz der Möglichkeit, die monatliche Abzugsrate mit S 5.029,20 festzusetzen, sei die Rate aus sozialen Erwägungen lediglich mit S 2.286,40 festgesetzt worden.

Das Erstgericht setzte den Aufrechnungsbetrag mit S 694,40 monatlich fest. Rechtlich beurteilte es den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt dahin, dass die Höhe der mit Rückstandsausweis feststellten Forderung der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse einer Überprüfung durch das Gericht entzogen sei. Die Aufrechnung selbst sei gemäß § 71 Abs 1 Z 1 GSVG idF BGBl I 1999/106 auch zu Gunsten der Forderungen anderer Sozialversicherungsträger bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig. Wenngleich § 71 Abs 2 GSVG eine dem eigentlichen Exekutionsrecht vorrangige speziellere Norm sei, die eine Aufrechnung in den pfändungsfreien Teil der Pension zulässig mache, sei dennoch im Einzelfall das Vorliegen einer sozialen Härte zu prüfen. Ein solcher Härtefall, der den Abzug lediglich bis zur Höhe des Existenzminimums zulasse, liege nicht vor, sodass es dem Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen bleibe, die Höhe der Abzugsrate auf relativ niedrigem Niveau festzulegen. Unter Berücksichtigung der Sorgepflicht für die Tochter und des Umstands, dass der Kläger durch die 14malige Auszahlung der Pension Sonderzahlungen erhalte, errechne sich das Existenzminimum mit S 9.904,-- und nicht - wie von der beklagten Partei ermittelt - mit S 8.312,--. Damit verbleibe ein den unpfändbaren Teil übersteigender Betrag von S 154,40 monatlich und unter Hinzurechnung der von der beklagten Partei selbst zugrunde gelegten (das Existenzminimum unterschreitenden) Mindestrate von S 540,-- ein Aufrechnungsbetrag von S 694,40.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung Folge und änderte es im Sinne einer Klagsabweisung ab. Es stellte weiters fest, dass die beklagte Partei berechtigt ist, auf die Pension des Klägers ab 1. 2. 2000 einen Betrag von S 2.286,40 zur Deckung der offenen Forderung der Steiermärkischen Gebietskrankenkasse von S 129.868,24 s.A. aufzurechnen.

Die Festlegung der Höhe der einzelnen Abzugsrate liege im Ermessen des Sozialversicherungsträgers, das bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung ausgeübt werden könne, ohne dass auf die Pfändungsbeschränkungen der EO Bedacht genommen werden müsste. Die beklagte Partei habe den ihr vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraum bei weitem nicht ausgenützt, sodass sich die vom Erstgericht vorgenommene Orientierung am Existenzminimum und die damit einhergehende Reduzierung des Aufrechnungsbetrags als unzutreffend erweise.

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der klagenden Partei mit dem Antrag, das bekämpfte Urteil im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Zur Zulässigkeit der Revision:

Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine "wiederkehrende Leistung" im Sinne des § 46 Abs 3 Z 3 ASGG vorliegt, weshalb ein Ausspruch über die Revisionszulässigkeit entbehrlich ist.

Wohl erklärt § 90 Z 1 ASGG die ausschließliche Anfechtung des Ausspruchs über die Leistungsfrist sowie die Ratenanordnung (§ 89 Abs 3 und 4 ASGG) für unzulässig. Ein Fall des § 89 Abs 4 ASGG liegt jedoch nicht vor. Einerseits begrenzt diese Bestimmung ihren Anwendungsbereich auf Fälle der Rückzahlung einer zu Unrecht bezogenen Leistung (§ 65 Abs 1 Z 2 ASGG) und der Kostenersatzpflicht (§ 65 Abs 1 Z 5 ASGG). Andererseits enthält § 71 Abs 2 GSVG - ebenso wie § 103 Abs 2 ASVG - eine Sonderregelung über das Ausmaß der Aufrechnungsmöglichkeit, ohne dass die Möglichkeit einer Ratenzahlung entsprechend dem § 76 Abs 3 Z 2 GSVG (§ 107 Abs 3 Z 2 ASVG) erwähnt würde. Dies spricht dafür, dass in den Fällen der Aufrechnung nach § 71 Abs 2 GSVG (§ 103 Abs 2 ASVG) die Höhe der laufenden Rückersatzrate nicht im Sinne des § 89 Abs 4 ASGG unanfechtbar vom Gericht bestimmt werden kann. Da diese Bestimmung daher im konkreten Fall unanwendbar ist, ist auch der Rechtsmittelausschluss nach § 90 Z 1 ASGG nicht wirksam.

Vielmehr liegt ein Streit über den Bestand und den Umfang eines Anspruchs auf Versicherungsleistungen im Sinne des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG (10 ObS 173/89 = SSV-NF 3/66 = SZ 62/96 = JBl 1989, 600 = EvBl 1989/151; RIS-Justiz RS0084111) und damit - im Hinblick auf den laufenden monatlichen Abzug - ein Streit über wiederkehrende Leistungen vor (vgl 10 ObS 37/93 = SSV-NF 7/27).

Zur Berechtigung der Revision:

Gemäß § 71 Abs 1 Z 1 GSVG idF BGBl I 1999/106 darf der Versicherungsträger auf die von ihm zu erbringenden Geldleistungen vom Anspruchsberechtigten einem Versicherungsträger nach dem GSVG oder einem anderen Bundesgesetz geschuldete fällige Beiträge (einschließlich Verzugszinsen, sonstiger Nebengebühren, Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren) aufrechnen, soweit das Recht auf Einforderung nicht verjährt ist.

Nach § 71 Abs 2 GSVG ist ua die Aufrechnung nach § 71 Abs 1 Z 1 GSVG "nur bis zur Hälfte der zu erbringenden Geldleistung zulässig". Diese Bestimmung entspricht § 103 Abs 2 ASVG. Mit der zu erbringenden Geldleistung ist der Nettoauszahlungsbetrag angesprochen (10 ObS 245/98x = SSV-NF 12/103; 10 ObS 392/98i = ARD 5051/11/99).

Im ASVG befindet sich diese Regelung bereits seit seiner Stammfassung BGBl 1955/189. Weder § 103 Abs 2 ASVG noch § 71 Abs 2 GSVG wurde vom Gesetzgeber abgeändert, insbesondere auch nicht im Zuge der mehrfachen umfangreichen Novellen der Exekutionsordnung in den

letzten Jahren. Bereits in der Grundsatzentscheidung 10 ObS 146/93 =

SSV-NF 7/100 = SZ 66/134 hat der Oberste Gerichtshof mit

ausführlicher Begründung dargelegt, dass die Pfändungsbeschränkungen der EO einer Aufrechnung bis zur Hälfte der vom Versicherungsträger zu erbringenden Geldleistungen im Sinne des § 103 Abs 2 ASVG nicht entgegen stehen, weil § 293 Abs 3 EO zwar die Aufrechnung gegen die der Exekution entzogenen Teile einer Forderung auf Ausnahmsfälle einschränke, nach seinem ausdrücklichen Wortlaut jedoch nicht in den Fällen gelte, in denen nach bereits bestehenden Vorschriften Abzüge ohne Beschränkung auf den der Exekution unterliegenden Teil gestattet sind. § 103 Abs 2 ASVG sei aber eine solche bestehende Ausnahmevorschrift, die dem eigentlichen Exekutionsrecht als speziellere Norm gehe und eine Aufrechnung in den nach der EO pfändungsfreien Teil zulasse. Es bleibe demnach dem alleinigen Ermessen des Sozialversicherungsträgers überlassen, die Höhe der Abzugsrate auf relativ niedrigem Niveau festzulegen.

An dieser Ansicht hat der Oberste Gerichtshof auch in den Folgejahren

mehrfach ausdrücklich festgehalten, etwa in 10 ObS 210/98z = SSV-NF

12/85 (zu § 71 Abs 2 GSVG), 10 ObS 245/98x = SSV-NF 12/103 und 10 ObS

392/98i = ARD 5051/11/99 (RIS-Justiz RS0110621). Es besteht kein

Anlass, davon abzugehen.

Die Berufungs- und Revisionsausführungen zur wirtschaftlichen Situation des Klägers verstoßen gegen das in Sozialrechtssachen ausnahmslos geltende Neuerungsverbot des § 482 Abs 2 ZPO (RIS-Justiz RS0042049).

Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Der Kläger hat zwar besondere Billigkeitsgründe geltend gemacht, die seines Erachtens trotz gänzlichen Unterliegens einen Kostenzuspruch rechtfertigen. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass es für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG nicht nur auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten, sondern "besonders auf die tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens" ankommt. Da zu der hier maßgeblichen Frage eine feste Judikatur besteht, war keine Rechtsfrage von der in § 46 Abs 1 ASGG angesprochenen Qualität zu lösen. Es besteht daher kein Anlass zu einem Kostenzuspruch nach Billigkeit.

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