OGH 4Ob34/01f

OGH4Ob34/01f3.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kodek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Griß und Dr. Schenk sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** OHG, *****, vertreten durch Dr. Julius Brändle, Rechtsanwalt in Dornbirn, gegen die beklagte Partei S***** *****-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Ernst Hagen und Dr. Günter Hagen, Rechtsanwälte in Dornbirn, wegen Unterlassung (Streitwert 300.000 S) und Schadenersatz (Streitwert 500.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 14. September 2000, GZ 2 R 146/00p- 53, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 28. März 2000, GZ 7 Cg 227/98x-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Lebensmittel-Großhändlerin und beliefert einerseits S*****-Kaufleute in Vorarlberg, andererseits betreibt sie selbst Lebensmittel-Einzelhandel in Eigenfilialen sowie in den Großformen Euros***** und Inters*****. Sie gewährt Großabnehmern, die von ihr für einen einzigen Standort Waren im Wert von mehr als 27,060.000 S beziehen, einen Rabatt von 1% des Umsatzes, der sich in Stufen von 9,250.000 S Umsatz auf bis zu 5% erhöht.

Die Klägerin besitzt seit 1953 in Hohenems an zwei Standorten Lebensmittel-Einzelhandelsgeschäfte samt dazugehörigen Bereichen anderer Warengruppen (Supermärkte). Seit Anfang 2000 hat die Klägerin ihre Geschäfte an die A*****-AG zu einem umsatzunabhängigen Pachtzins verpachtet. Zuvor betrieb sie die Supermärkte selbst, und zwar bis Ende 1998 im Rahmen der S*****-Organisation, und war deshalb Mitglied der Vereinigung österrreichischer S*****-Kaufleute. Zweck dieses Vereins ist die Förderung und Verbesserung der wirtschaftlichen Existenz seiner Mitglieder; dieses Ziel wird durch eigene Rationalisierungsmaßnahmen der Warenverteilung vom Produzenten bis zum Konsumenten, durch fachliche Beratung, Schulung, Einführung neuer Vertriebsmethoden uä angestrebt. Die Vereinsmitglieder haben einen Mitgliedsbeitrag zu entrichten, dessen Höhe in der Satzung festgelegt ist. Mitglieder können die Beklagte sowie physische oder juristische Personen werden, die den Handel mit Lebensmitteln samt den dazugehörigen Bereichen anderer Warengruppen betreiben. Die Mitglieder des Vereins sind zu dessen Förderung verpflichtet und haben sich an die Satzung des Vereins und an die Beschlüsse seiner Organe zu halten. Die Mitglieder sind berechtigt, aber nicht verpflichtet, die Eigenmarken der S***** in ihrem Sortiment zu führen und sollen deren Umsatz besonders fördern. Ein Vereinsaustritt ist jederzeit möglich. S*****-Einzelhändler sind wirtschaftlich selbständige Unternehmen, die mit der Beklagten entweder einen freien Vertrag haben (so etwa die Klägerin bis Ende 1998) oder eine Systempartnerschaft eingegangen sind. Systempartnerschaft ist in zwei Formen möglich, nämlich als "grüne Linie" (dazu gehören eher kleine Unternehmen) und als "rote Linie" (vorwiegend größere Unternehmen, bei denen die Buchhaltung durch die Beklagte erledigt wird und dadurch eine engere Bindung des Systempartners an die Beklagte besteht). Als Mitglied der Vereinigung Österreichischer S*****-Kaufleute bezog die Klägerin bei der Beklagten Waren. Dabei galten für sie die offiziellen Preiskonditionen, die in Form eines "cost-plus-Systems" gestaltet sind. Nach diesem Preissystem wird bis zu einem Warenbezug in einer bestimmten Höhe ein bestimmter Aufschlag verrechnet, der sich mit der Erhöhung des Warenbezuges pro Kalenderjahr verringert. Die Klägerin leistete in den letzten 10 Jahren die in der Satzung vorgesehenen Mitgliedsbeiträge in Höhe von rund 2,600.000 S, die vorwiegend der Werbung für die S*****-Marke dienten. Die 13 Euros*****-Geschäfte in Vorarlberg, die über wesentlich größere Ladenflächen als die S*****-Einzelhändler verfügen, werden in Vorarlberg von Ulrich S***** betrieben, der nicht Mitglied der Vereinigung österreichischer S*****-Kaufleute ist; er bezieht sein Warensortiment teilweise von der Beklagten, teilweise von anderen Lieferanten. Die Beklagte ist ebenfalls Mitglied der Vereinigung österreichischer S*****-Kaufleute; sie beliefert von ihrer Zweigstelle in Dornbirn einerseits verschiedene S*****-Kaufleute in Vorarlberg als Großhändlerin, andererseits betreibt sie die Großmärkte Inters*****.

Die Klägerin begehrt die Verurteilung der Beklagten

a) zur Unterlassung, in Vorarlberg im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs beim Handel mit Lebensmitteln samt den dazugehörigen Bereichen anderer Warengruppen einzelne Wiederverkäufer gegenüber anderen selbständigen S*****-Kaufleuten gesetzwidrig zu bevorzugen, insbesondere durch das Gewähren von sachlich nicht gerechtfertigten Rückvergütungen, zB "Großkundenrückvergütungen" bis zu 5 %;

b) zu Zahlung von 500.000 S Schadenersatz.

Die Beklagte genieße als Lieferantin gegenüber der Klägerin eine überragende Marktstellung, weil die Klägerin zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zur Beklagten angewiesen sei. Bei einem Verzicht auf die Marke S***** und einem Ausscheiden aus dieser Handelskette hätte die Klägerin mit massiven Umsatzeinbußen und dem Verlust eines erheblichen Teils der Kundschaft zu rechnen, hohe Investitionen in einen neuen Marktauftritt wären unerlässlich. Die Klägerin habe stets darauf vertraut, dass die Beklagte die Schwierigkeiten, die aus ihrer Doppelrolle als Lieferantin und Konkurrentin der selbständigen S*****-Einzelhändler resultierten, in einer sachgerechten und fairen Weise bewältige. Nun habe sie jedoch erfahren, dass die Beklagte ihre marktbeherrschende Stellung als Lieferantin der S*****-Kaufleute für eine gesetzwidrige Bevorzugung einzelner Großabnehmer ausnütze, denen sie neben den offiziellen Preiskonditionen einen streng geheimen Preisnachlass ("Großkunden-Rückvergütung") gewähre, für den jede sachliche Rechtfertigung fehle. Dieser sei weder konzentrationsabhängig noch mit logistischen Erleichterungen oder der Sortimentskalkulation begründbar; die dadurch privilegierten Großabnehmer erbrächten keine besonderen wirtschaftlichen Leistungen für die Beklagte, die diesen Rabatt rechtfertigten. Durch dessen Gewährung verstoße die Beklagte gegen das Diskriminierungsverbot des § 35 Abs 1 Z 3 KartG sowie gegen die Bestimmungen der §§ 1 und 2 NahVersG. Dazu kommen noch, dass die Beklagte die wegen des beanstandeten Rabatts unangemessen niedrigen Einkaufspreise der Großkunden dadurch ausgleiche, dass sie von den benachteiligten S*****-Kaufleuten unangemessen hohe Preise verlange. Ohne den strittigen Preisnachlass könnte die Beklagte ihre Großhandelspreise senken, was allen S*****-Kaufleuten zugute käme. Der Beklagten sei daher auch ein Verstoß gegen § 35 Abs 1 Z 1 KartG vorzuwerfen, wonach die unmittelbare oder mittelbare Erzwingung unangemessener Einkaufs- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen verboten sei. Die Benachteiligung der Klägerin und der anderen "kleinen" S*****-Kaufleute durch die Beklagte habe weitreichende negative Folgen für die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse sowie für die Nahversorgung. Sie beeinträchtige die Wettbewerbsfähigkeit der Klägerin und sei mit der tendentiellen Verschlechterung ihrer Marktposition verbunden, während von der Beklagten privilegierte Unternehmen in ihrer Expansion gefördert würden. Vom beanstandeten Rabatt profitierten in Vorarlberg einige wenige Großmärkte, darunter drei unmittelbare Konkurrenten der Klägerin. Wären die unzulässigen Rückvergütungen in den letzten Jahren infolge Herabsetzung des Preisniveaus oder anderer sachlich gerechtfertigter Gesichtspunkte allen S*****-Kaufleuten zugute gekommen, wäre die Expansion großer Händler zu Lasten kleiner Händler gebremst und letztere in ihrer Konkurrenzfähigkeit gestärkt worden. Die systematische Benachteiligung kleiner selbständiger S*****-Kaufleute in Vorarlberg begünstige eine Marktentwicklung, die auch für Mitbewerber, die anderen Handelsketten angehörten, nachteilig sei. Die Klägerin habe von 1988 bis 1997 bei der Beklagten Waren im Wert von rund 243.000.000 S netto bezogen, 5 % Rückvergütung hätten der Klägerin somit in den letzten Jahren mehr als 12,000.000 S zur Verfügung gestellt. Dadurch wäre der Gewinn der Klägerin gestiegen. Ihr Schaden betrage daher mindestens 15,000.000 S. Die Beklagte setze sich schuldhaft über die Bestimmungen des § 35 KartG und der §§ 1 und 2 NahVersG hinweg und verschaffe sich so gegenüber der Klägerin, zu der sie in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehe, einen massiven Wettbewerbsvorsprung. Zum Kreis der Mitbewerber gehöre auch die Klägerin als Verpächterin. Das Verhalten der Beklagten sei als Verstoß gegen die guten Sitten iSd § 1 UWG zu beurteilen, woraus die Klägerin Ansprüche auf Unterlassung und Schadenersatz ableiten könne. Aus prozessökonomischen Gründen werde vorerst Schadenersatz in Höhe von 500.000 S begehrt.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin habe ihre Geschäfte vermietet, weshalb sie nicht aktiv legitimiert sei; ihr fehle das Rechtsschutzinteresse, weil sie bei der A*****-Organisation sei und auch den Gewerbeschein mit 13. 12. 1999 zurückgelegt habe. Das Preissystem der Beklagten sei handelsüblich und sachlich gerechtfertigt. Die Beklagte habe ihre Kunden nie unterschiedlich behandelt. Die Klägerin sei nie benachteiligt gewesen und habe keinen Schaden erlitten. Die Beklagte besitze keine marktbeherrschende Stellung. Die Klägerin habe ohne Schwierigkeiten zur A*****-Organisation wechseln können und sei nicht auf die Geschäftsbeziehung mit der Beklagten angewiesen gewesen. Die Klägerin sei auch nie zum Bezug von Waren bei der Beklagten verpflichtet gewesen und hätte jederzeit ohne Angabe von Gründen austreten können. Das Großkunden-Bonussystem sei weder geheim noch sachlich nicht gerechtfertigt. Die Beklagte habe keinen beherrschenden Einfluss ausgeübt, weil der Klägerin die Möglichkeit zur Ausübung echter Unternehmerfunktion nicht genommen gewesen sei. Die von der Beklagten mit ihren Partnern abgeschlossenen Systempartnerverträge begründeten keine Abhängigkeit des Vertragspartners.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf umfangreiche Feststellungen zur Marktstruktur und verneinte eine marktbeherrschende Stellung der Beklagten auf dem relevanten Absatzmittler-Markt. Rechtlich vertrat es die Ansicht, die Klägerin sei auch als Verpächterin Unternehmerin, daher aktiv legitimiert. Es sei ihr möglich gewesen, ohne schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile zu einer Konkurrenz-Organisation der Beklagten zu wechseln. Mangels marktbeherrschender Stellung der Beklagten komme ein Verstoß gegen das KartG und damit auch gegen § 1 UWG nicht in Betracht. Weil Großkundenrabatte nicht von vornherein sachlich nicht gerechtfertigt seien, scheide auch das NahVersG als Anspruchsgrundlage des Unterlassungsbegehrens aus. Liege aber kein wettbewerbswidriges Verhalten der Beklagten vor, sei auch der Schadenersatzanspruch unberechtigt.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 S übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof noch nicht zu der in der Literatur vertretenen Ansicht Stellung bezogen habe, wonach dem NahVersG kein eigenständiger Anwendungsbereich mehr zukomme. In der Unterlassung der Einholung eines von der Klägerin beantragten Gutachtens eines betriebswirtschaftlichen Sachverständigen zum Beweis dafür, dass der beanstandete Großkunden-Rabatt jeder sachlichen Grundlage entbehre, liege kein Verfahrensmangel, weil die Klägerin keine marktbeherrschende Stellung besitze; eine Diskriminierung nach § 35 KartG komme damit nicht in Betracht. Aus entstehungsrechtlichen Gründen ergebe sich, dass dem NahVersG heute kein eigenständiger Anwendungsbereich mehr zukomme. Berücksichtige man im Übrigen, dass die Bindung von Großkunden ein legitimes Interesse eines Unternehmens sei, könne im von der Klägerin beanstandeten Rabatt keine unerlaubte unsachliche Diskriminierung nach dem NahVersG erblickt werden.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht zu Unrecht die Geltung des NahVersG in Zweifel gezogen hat; das Rechtsmittel ist auch berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrages.

Vorauszuschicken ist, dass die Klägerin auch durch Verpachtung ihrer Supermärkte bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ihre wettbewerbsrechtliche Stellung als Unternehmerin selbst dann nicht verloren hat, wenn die Höhe des Pachtschillings nicht unmittelbar vom Gewinn des verpachteten Unternehmens abhängt; dies folgt daraus, dass ein Verpächter weiterhin Eigentümer des Unternehmens ist und an dessen Gedeih viel unmittelbarer und stärker interessiert ist als jemand, der sich an einem fremden Unternehmen mit Kapital beteiligt (SZ 64/177 = EvBl 1992/91 = ecolex 1992, 250 = WBl 1992, 168 = ÖBl 1992, 35 - Haus K. mwN). Auch macht die Klägerin in diesem Verfahren in erster Linie nicht die Interessen von Vertragspartnern der Beklagten geltend (welche Eigenschaft sie selbst nicht mehr besitzt), sondern eigene wirtschaftliche Interessen als auf dem betroffenen Markt (mittelbar) unternehmerisch tätige Mitbewerberin. An der aktiven Klagelegitimation der Klägerin auch nach dem NahVersG besteht daher - entgegen der von der Beklagten in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht - kein Zweifel.

Die Klägerin vertritt den Standpunkt, der beanstandete Rabatt verstoße dann als sachlich nicht gerechtfertigt gegen § 1 Abs 2 NahVersG, wenn er über jene Einsparungen hinausgehe, die die Beklagte auf Grund der größeren Abgabemengen an einen Großabnehmer erziele. Ob diese Bedingung zutreffe, müsse auf Tatsachenebene geklärt werden; in der Unterlassung der Einholung des beantragten Gutachtens eines Sachverständigen zu diesem Thema liege ein relevanter Verfahrensmangel. Dazu ist zu erwägen:

Soweit das Berufungsgericht unter Hinweis auf die Meinung von Haybäck/Tüchler (Österreichisches und europäisches Kartellrecht 59) die Auffassung vertritt, aus entstehungsgeschichtlichen Gründen (NahVersG 1977, KartG 1988) ergebe sich, dass den Bestimmungen des NahVersG, das in materieller Hinsicht eher als Ergänzung zum UWG zu verstehen sei, kein eigenständiger Anwendungsbereich (mehr) zukomme, kann dem nicht gefolgt werden. Zwar enthält das NahVersG eine Reihe von Bestimmungen, die jenen des § 35 KartG inhaltlich entsprechen; insoweit liegt also eine Doppelregelung vor (Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht3 § 12 Rz 65). Weil aber das NahVersG Marktbeherrschung iSd KartG nicht voraussetzt, sind die darin geregelten Tatbestände des Ausbeutungs- und Diskriminierungsmissbrauchs jedenfalls insoweit von selbständiger Bedeutung, als sie verpöntes Verhalten nicht marktmächtiger Unternehmen näher konkretisieren (so schon OGH als Kartellobergericht 16 Ok 8/00). Eine materielle Derogation des NahVersG durch Normen des KartG kann in diesem Umfang daher nicht eingetreten sein. Es ist daher zu prüfen, ob das beanstandete Rabattsystem der Beklagten dem NahVersG widerspricht.

§ 1 des Gesetzes zur Verbesserung der Nahversorgung und der Wettbewerbsbedingungen (NahVersG) bestimmt, dass Verhaltensweisen von Unternehmern im geschäftlichen Verkehr untereinander untersagt werden können, soweit sie geeignet sind, den leistungsgerechten Wettbewerb zu gefährden. Solche Verhaltensweisen sind insbesondere das Anbieten oder Fordern, Gewähren oder Annehmen von Geld oder sonstiger Leistungen, auch Rabatten oder Sonderkonditionen, zwischen Lieferanten und Wiederverkäufern, die sachlich nicht gerechtfertigt sind, vor allem, wenn zusätzlichen Leistungen keine entsprechenden Gegenleistungen gegenüberstehen. Gem § 2 Abs 1 NahVersG kann auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer als Lieferant gewerberechtlich befugten Wiederverkäufern bei Vorliegen gleicher Voraussetzungen ohne sachliche Rechtfertigung unterschiedliche Bedingungen gewährt oder anbietet.

Die Frage, was unter sachlicher Rechtfertigung iSd §§ 1, 2 NahVersG verstanden werden sollte, ist komplex wird und teilweise kontrovers beantwortet. Koppensteiner (aaO § 31 Rz 10) geht davon aus, dass kostengedeckte Differenzierungen (wie Mengen- oder Funktionsrabatte) einen Diskriminierungsvorwurf ausschließen. Gugerbauer (KartG**2 § 35 Rz 10) hält die Gewährung von Rabatten für zulässig, wenn durch sie eine besondere wirtschaftliche Leistung vergütet wird, die der Abnehmer dem Lieferanten gegenüber erbringt; unterschiedliche Bezugsmengen rechtfertigten die Einräumung unterschiedlicher Rabatte. Auch Farnleitner/Straberger (NahVersG 43) halten kostenbedingte Konditionsunterschiede immer für zulässig; kostenunabhängige Differenzierungen, wie sie sich zB aus dynamischen Absatzüberlegungen ergäben, fänden hingegen ihre Grenze.

Nach den Feststellungen gewährt die Beklagte Großabnehmern, die von ihr für einen einzigen Standort Waren im Wert von mehr als 27,060.000 S beziehen, einen Rabatt von 1% des Umsatzes, der sich in Stufen von 9,250.000 S Umsatz auf bis zu 5 % erhöht. Es liegt demnach ein produktbezogenes Umsatzrabattsystem vor, bei dem die Höhe des Rabatts vom Gesamtumsatz des einzelnen Abnehmers mit einem bestimmten Lieferanten abhängig ist (Markert in Immenga/Mestmäcker, GWB § 26 Rz 252). Zwar werden durch ein derartiges System alle Abnehmer insofern gleich behandelt, als jeder für einen bestimmten Umsatzbetrag in der Referenzperiode den gleichen Bonusbetrag erhält. In der Lehre (Markert aaO) wird aber zutreffend darauf hingewiesen, dass auch von einem solchen individuellen Umsatzrabattsystem eine Sogwirkung zu Lasten der Außenseiter ausgehen kann, deren Stärke vor allem von der Höhe des Marktanteils des Lieferanten, von der Länge der Referenzperiode und von der Höhe und Art der Staffelung der Bonussätze abhängt; sie kann sich im Einzelfall so erheblich behindernd auf die wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten der Außenseiter auswirken, dass die Behinderung als unbillig zu beurteilen ist, falls nicht ausnahmsweise besondere Rechtfertigungsgründe vorliegen.

Auch Carlhoff (Frankfurter Kommentar zum Kartellrecht, § 26 Rz 330) beurteilt ein Gesamtumsatzrabattsystem kritisch: Zwar entstünden durch Zusammenfassen von Aufträgen für verschiedene Produkte Kostenvorteile beim Lieferanten (der etwa Rationalisierungzwecke bei der Ausführung eines Rabattsystems, das eine Lagerhaltung beim Großhandel anstrebe, verfolge); nicht leistungsgerecht sei es aber, wenn ein Lieferant die besondere Machtstellung, die er als Anbieter eines bestimmten Produkts innehat, dazu ausnütze, um ein anderes Produkt, bei dem eine geringere Machtstellung gegeben ist, im Sinne einer "Koppelung" zu fördern. Ein Gesamtumsatzrabattsystem könne somit ähnlich wirken wie eine Koppelungsverpflichtung. In einem solchen Fall obliege dem Lieferanten die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der von ihm gewählte Gesamtumsatzrabatt nicht höher ist als die Kostenersparnis oder der Wert sonstiger Vorteile, die bei ihm durch die Konzentration der Aufträge und des Umsatzes anfallen.

Wiedemann (Handbuch des Kartellrechts § 22 Rz 78, 89) hält im Zusamenhang mit dem Missbrauch marktbeherrschender Stellungen Mengenrabatte nur dann für unbedenklich, wenn sie tatsächlich beim beherrschenden Unternehmen auftretende Kostenvorteile widerspiegelten. Wenn ein Rabatt für die Gesamtbezüge verschiedener Produktgruppen gewährt werde, sei der Kunde gehindert, sich wegen eines Teils der Bezüge an einen konkurrierenden Lieferanten zu wenden, weil er dadurch auch den Rabatt für alle anderen, weiterhin bei dem beherrschenden Unternehmen bezogenen, Produkte verlöre.

Nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art 82 EG (früher Art 86 EGV) ist die Anwendung unterschiedlicher Rabatte dann missbräuchlich, wenn sie nicht auf einer entsprechenden wirtschaftlichen Gegenleistung beruht, die der Abnehmer gegenüber dem Marktbeherrscher erbringt; andernfalls liege der Fall einer unzulässigen Preisdiskriminierung vor (Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen Kartellrecht9 Art 82 Rz 149 mwN).

Diese Stellungnahmen können, soweit sie der deutschen Literatur entnommen sind und/oder sich - wie die dargestellte Rechtsprechung des EuGH - nur auf marktbeherrschende Unternehmen beziehen, wegen der unterschiedlichen Gesetzeslage zwar nicht ohne weiteres auf die nach dem NahVersG bestehende Rechtslage übertragen werden, nach der die Marktbeherrschung kein Tatbestandselement bildet; in ihnen kommt aber doch deutlich zum Ausdruck, dass auch produktbezogene Umsatzrabattsysteme nach den Umständen des Einzelfalls wettbewerbsgefährdende Wirkung (§ 1 Abs 1 NahVersG) haben können. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Ob solche Systeme mit § 1 Abs 2 NahVersG in Einklang stehen, steht daher nicht per se von vornherein fest, sondern hängt von der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "sachlich nicht gerechtfertigt" im Einzelfall ab.

Das Fehlen eines sachlich gerechtfertigten Grundes, der zur

Untersagung einer der in § 1 Abs 2 NahVersG aufgezählten

Verhaltensweisen von (auch nicht marktmächtigen) Unternehmen führt,

kann somit erst nach Abwägung der Interessen der Beteiligten unter

Berücksichtigung der einen leistungsgerechten Wettbewerb anstrebenden

Zielsetzung des NahVersG beurteilt werden. Nach Auffassung der

Rechtsprechung geht der Gesetzgeber nämlich bei den

Spezialtatbeständen des NahVersG davon aus, dass sie den

leistungsgerechten Wettbewerb gefährden (JBl 1990, 187 = EvBl 1990/23

= MR 1989, 225 [F. Prunbauer] = ÖBl 1989, 167 - FAMILIA; 16 Ok 8/00).

Unmittelbar Beteiligte dieser gebotenen Interessenabwägung (vgl zum Folgenden Markert aaO § 26 Rz 196ff) sind die jeweils in Betracht stehenden Normadressaten, die die beanstandete Verhaltensweise auf dem Markt verwirklichen, einerseits und die von diesem Verhalten unmittelbar oder mittelbar betroffenen Unternehmen andererseits. Von vorneherein auszuschließen sind dabei auf Seite der Normadressaten solche Interessen, die auf einen gesetzwidrigen Zustand gerichtet sind oder gegen rechtliche Wertungen (zB § 1 UWG) verstoßen; das Interesse an der Durchsetzung solcher Verhaltensweisen ist nicht abwägungsfähig. Zu fragen ist aber etwa, inwieweit der Normadressat kaufmännische oder betriebswirtschaftlich vernünftige Gründe für sein Verhalten geltend machen kann.

Auf der Seite der Betroffenen bestehen demgegenüber etwa die geschützten Interessen, nicht durch das machtbedingte Verhalten anderer Marktteilnehmer in ihren wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten beeinträchtigt zu werden oder bei offenstehendem Marktzugang nicht durch Beeinträchtigung der Chancengleichheit in der wettbewerblichen Betätigung im Verhältnis zu anderen Unternehmen benachteiligt zu werden.

Die beiderseitigen Rechtfertigungs- und Interessensgesichtspunkte sind zu gewichten und gegenseitig abzuwägen. Zu prüfen ist dabei etwa, wie stark sich in einem bestimmten Einzelfall die Frage der Belieferung oder Nichtbelieferung eines bestimmten Abnehmers auf das betriebswirtschaftliche Optimierungsinteresse des Lieferanten einerseits und auf das wettbewerbliche Betätigungsinteresse von Mitbewerbern andererseits auswirkt. Zwar kann jeder Marktteilnehmer seine geschäftliche Tätigkeit und sein Absatzsystem grundsätzlich nach eigenem Ermessen so gestalten, wie er dies für wirtschaftlich sinnvoll und richtig hält, doch wird diese Gestaltungsfreiheit nicht nur durch das UWG und das KartG, sondern auch durch das NahVersG und dessen normative Maßstäbe eingeschränkt. Jeder Marktteilnehmer muss daher bei Durchsetzung betriebswirtschaftlich und kaufmännisch vernünftiger Ziele verhältnismäßig in dem Sinne vorgehen, dass er sich grundsätzlich auf das mildeste, dh die wettbewerblichen Betätigungsmöglichkeiten Dritter am wenigsten beeinträchtigende Mittel beschränkt, das zum Erreichen des erstrebten Ziels noch geeignet ist. Sein Vorgehen muss sich unter Rücksichtnahme auf die wettbewerbliche Betätigungsfreiheit Dritter als objektiv sachgemäß und angemessen erweisen. Für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit und die gebotene Interessenabwägung insgesamt ist auch die konkrete Marktstärke des beanstandeten Unternehmens und das mit ihr verbundene Ausmaß der Wettbewerbsbeeinträchtigung für die Betroffenen von wesentlicher Bedeutung: Je stärker die tatsächliche Marktmacht im Einzelfall ist und je weniger wettbewerbliche Betätigungs- und Ausweichmöglichkeiten infolge dessen Wettbewerber, Lieferanten oder Abnehmer haben, umso eher wird das belangte Unternehmen zur Rücksichtnahme auf andere Marktteilnehmer verpflichtet sein, um den Ansprüchen des Bewertungsmaßstabs des § 1 NahVersG zu genügen.

Im Zusammenhang mit Rabattsystemen schließt sich der erkennende Senat der in Österreich einhellig vertretenen Lehrmeinung an, dass kostengedeckte Differenzierungen und Konditionsunterschiede stets sachlich gerechtfertigt sind, weil durch sie eine besondere wirtschaftliche Leistung vergütet wird, die der Abnehmer dem Lieferanten gegenüber erbringt.

Aus der negativen Formulierung "sachlich nicht gerechtfertigt" folgt nicht etwa - wie dies die Klägerin in ihrem Rechtsmittel zu Unrecht vermeint - eine Beweislastumkehr zu Lasten des belangten Unternehmens. Für eine solche Auslegung gibt es in der Entstehungsgeschichte des NahVersG keinen Anhaltspunkt. Es ist somit an der Rechtsprechung festzuhalten, wonach die rechtliche Unzulässigkeit selbst bei ungewöhnlichen Preisnachlässen für jeden Einzelfall vom Kläger konkret behauptet und nachgewiesen werden muss (ÖBl 1990, 217 - Pampers aller Sorten).

Die Klägerin hat dazu in erster Instanz vorgebracht, von den privilegierten Großabnehmern würden keine besonderen wirtschaftlichen Leistungen erbracht, die den von ihr beanstandeten Rabatt rechtfertigen könnten; dieser sei weder konzentrationsabhängig noch mit logistischen Erleichterungen oder der Sortimentskalkulation begründbar; die Einsparungen der Beklagten auf Grund größerer Abgabemengen seien schon durch das bei ihrer Preiskalkulation angewendete Aufschlagsystem ("cost-plus-System") abgegolten. Die Beklagte hat zu diesem Beweisthema die Einholung eines Gutachtens eines Sachverständigen für Betriebswirtschaft beantragt, den die Vorinstanzen auf Grund ihrer unrichtigen Rechtsansicht für nicht entscheidungswesentlich erachtet haben.

Berücksichtigt man aber die zuvor angestellten Übelegungen zur sachlichen Rechtfertigung eines Rabattsystems im Lichte des § 1 Abs 2 NahVersG, liegt in der Unterlassung der Einholung eines Gutachtens zu den aufgezeigten Themen - wie die Klägerin zutreffend ausführt - ein Stoffsammlungsmangel, der geeignet ist, die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Rechtssache zu hindern (§ 496 Abs 1 Z 2 ZPO). Ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht hat das Berufungsgericht diesen von der Klägerin aufgezeigten Verfahrensmangel erster Instanz nicht wahrgenommen. Darin liegt ein Feststellungsmangel, der mit Rechtsrüge auch noch vor dem Obersten Gerichtshof geltend gemacht werden kann (Kodek in Rechberger, ZPO**2 Rz 3 zu § 503 mwN). Der Stoffsammlungsmangel führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen; dem Erstgericht ist eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Ergibt sich im fortgesetzten Verfahren, dass der beanstandete Großkundenrabatt (unter Berücksichtigung der sonstigen Preiskalkulation der Beklagten nach dem von ihr zugrundegelegten "cost-plus-System") nicht über die Abgeltung jener Einsparungen hinausgeht, die die Beklagte auf Grund der größeren Abgabemengen an die vom Rabatt begünstigten Großkunden erzielt, ist das Rabattsystem sachlich gerechtfertigt und die Rechtssache spruchreif im Sinne einer Klageabweisung; dies gilt auch für eine Beurteilung im Lichte des § 35 KartG oder des § 1 UWG. Im gegenteiligen Fall wird erst nach Abwägung der Interessen der beteiligten Unternehmen im zuvor dargestellten Sinn beurteilt werden können, ob der Großkundenrabatt der Beklagten gegen § 1 Abs 2 NahVersG verstößt, bejahendenfalls, ob die Klägerin durch das beanstandete Verhalten der Beklagten einen Schaden erlitten hat. In diese Interessensabwägung wird zwar auch die Marktmacht der Beklagten einzubeziehen sein; eine marktbeherrschende Stellung der Beklagten iSd § 34 KartG ist aber - wie schon zuvor ausgeführt - keine Tatbestandsvoraussetzung nach § 1 NahVersG. Ist auch nach dieser Interessenabwägung die sachliche Rechtfertigung für den gewährten Rabatt zu bejahen, ist das Verhalten der Beklagten auch im Lichte des UWG und des KartG nicht zu beanstanden, zumal ja die Marktmacht der Beteiligten in die Abwägung der Interessen eingeflossen ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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