OGH 9ObA333/00m

OGH9ObA333/00m14.2.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Hermann Weber und Ignaz Gattringer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Regina L*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei KR Kurt E*****, Kaufmann, *****, vertreten durch Mag. Günter Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 96.923,07 brutto sA (Revisionsinteresse S 69.999,99 brutto sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. September 2000, GZ 9 Ra 102/00m-28, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 26. Jänner 2000, GZ 32 Cga 87/98t-21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der Wirtschaftskammer Wien einen pauschalierten Aufwandersatz von S 4.000,- für das Berufungsverfahren und der beklagten Partei die mit S 11.491,04 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 811,84 Umsatzsteuer und S 6.620 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war beim Beklagten seit 1. 8. 1996 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete am 25. 6. 1997 durch Entlassung.

Am 6. 6. 1997 vertippte sich die Klägerin im Zuge des Kassaabschlusses bei der Eingabe der 10-Schilling-Stücke; sie gab 528 10-Schilling-Stücke ein, obwohl nur ein zweistelliger Stückbetrag (vermutlich 58 Stück) in der Kassa vorhanden war. Vor allem aus diesem Grund wies das ADV-System eine positive Kassendifferenz von S 4.348,40 auf. Die Klägerin versuchte sodann, durch Änderung der Eingaben bei verschiedene Geldsorten den ausgewiesenen Kassendifferenzbetrag auf Null zu bringen. Dazu hat sie viermal den Kassastand neu eingegeben. Letztlich wurde vom ADV-System infolge der unrichtigen Eingaben keine Kassendifferenz ausgewiesen, obwohl der Tippfehler bei der Eingabe der 10-Schilling-Stücke bestehen blieb. In der irrtümlichen Annahme, dass entgegen dem letztkorrigierten Eingabeergebnis tatsächlich S 4.646,44 zuviel in der Kassa seien, entnahm die Klägerin diesen Betrag und eignete sich diesen mit dem Vorsatz zu, ihn zu behalten.

Am folgenden Tag, dem 7. Juni 1997 (Samstag), entdeckte die an diesem Tag den Kassaabschluss vornehmende Mitarbeiterin den im Wesentlichen durch die Entnahme der Klägerin verursachten Fehlbetrag. Sie verständigte den Beklagten, der sich in einer anderen Filiale seines Unternehmens einen Ausdruck der Journalkassaabschlüsse des Vortages herstellen ließ und dadurch die Manipulationen bei der Eingabe durch die Klägerin erkannte. Da er jedoch am selben Tag eine Auslandsreise nach Afrika antreten musste, konnte er der Klägerin diese Manipulation erst nach seiner Rückkunft am ersten darauf folgenden Arbeitstage der Klägerin, nämlich am 25. Juni 1997, vorhalten. Im Unternehmen des Beklagten war nur er für die Einstellung von Personal und für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zuständig.

Am 25. Juni 1997 sprach der Beklagte - nachdem die Klägerin die Geldentnahme bestritten hatte - die Entlassung aus.

Mit der Behauptung, unberechtigt entlassen worden zu sein, begehrte die Klägerin vom Beklagten S 96.923,07 an laufenden Bezügen sowie Kündigungs- und Urlaubsentschädigung.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und brachte vor, dass die Entlassung durch das Verhalten der Klägerin im Sinne des § 27 Z 1 AngG berechtigt erfolgt sei. Bei der Kontrolle der Journalkassaabschlüsse habe sich herausgestellt, dass die Klägerin auch am 3. 6. 1997 S 2.490,- aus der Kassa entnommen und überdies Lagerdifferenzen von ca. S 60.000,- bis S 70.000,- sowie eine Inventurdifferenz von S 15.000,- verursacht habe.

Das Erstgericht erkannte die Klageforderung mit S 26.923,08 brutto und die Gegenforderung mit S 4.348,40 netto als zu Recht bestehend und verpflichtete den Beklagten, der Klägerin S 26.923,08 brutto abzüglich S 4.348,40 netto sA zu zahlen. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren wies es ab.

Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und erachtete nicht mit der erforderlichen Sicherheit als feststellbar, das die Klägerin vor dem Vorfall vom 6. 6. 1997 bereits Gelder in Diebstahlsabsicht entnommen habe oder auf sonstige Weise schuldhaft für eine Lager- bzw. Inventurdifferenz verantwortlich sei.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass das Verhalten der Klägerin den Entlassungsgrund des § 27 Z 1 AngG verwirkliche. Die Entlassung sei nicht verspätet erfolgt, da sie vom Beklagten zum erstmöglichen Zeitpunkt ausgesprochen worden sei. Der Klägerin seien daher nur die entlassungsunabhängigen Ansprüche zuzusprechen. Dem Beklagten stehe eine Gegenforderung in der Höhe des in Bereicherungsabsicht entzogenen Kassafehlbetrages zu.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Klägerin dahin ab, dass es die Klageforderung in voller Höhe und die Gegenforderung als mit S 4.348,40 netto als zu Recht bestehend erkannte und den Beklagten daher verpflichtete, der Klägerin S 96.923,07 brutto abzüglich S 4.348,40 netto sA zu zahlen.

Das Berufungsgericht übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen und billigte auch die Rechtsauffassung des Erstgerichtes, dass das Verhalten der Klägerin den Entlassungsgrund des § 27 Z 1 AngG verwirkliche. Allerdings sei die Entlassung nicht unverzüglich erfolgt, sodass von einem Verzicht des Beklagten auf sein Entlassungsrecht auszugehen sei. Nach den Feststellungen habe er die Manipulationen der Klägerin bereits am 7. 6. 1997 erkannt. Da ihm auch die Höhe der Kassendifferenz bekannt gewesen sei, habe er alle den Entlassungstatbestand des § 27 Z 1 AngG erfüllenden Umstände gekannt, sodass er die Entlassung sofort hätte aussprechen müssen. Der Hinweis auf die am gleichen Tag angetretene Auslandsreise rechtfertige es nicht, dass der Ausspruch der Entlassung erst am 25. 6. 1997 - drei Tage nach der Rückkehr von seinem Auslandsaufenthalt - erfolgt sei. Der Klägerin stünden daher alle Ansprüche zu, die ihr bei einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses zugestanden wären.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, es im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens (gemeint offenbar: des noch offenen Klagebegehrens) abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Dass das Verhalten der Klägerin den Entlassungsgrund des § 27 Z 1 AngG verwirklichte, ist richtig und wird im Revisionsverfahren von der Klägerin auch nicht mehr bestritten. Insoweit kann auf die Richtigkeit der Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO).

Nicht zu folgen ist hingegen der Auffassung des Berufungsgerichtes, die Entlassung sei verspätet erfolgt.

Der Grundsatz, dass die Entlassung unverzüglich auszusprechen ist, beruht auf dem Gedanken, dass ein Arbeitgeber, der eine Verfehlung seines Arbeitnehmers nicht sofort mit der Entlassung beantwortet, dessen Weiterbeschäftigung nicht als unzumutbar ansieht und auf die Ausübung des Entlassungsrechtes im konkreten Fall verzichtet. Andererseits kann nicht aus jeder Verzögerung - etwa im Falle einer Geschäftsreise des allein zum Ausspruch der Entlassung zuständigen Geschäftsführers (so schon 9 ObA 181/90) - auf den Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Entlassungsrechtes geschlossen werden (9 ObA 126/93; 9 ObA 181/90; RIS-Justiz RS0029249). Vielmehr ist in jedem Fall zu prüfen, ob im Zuwarten mit der Entlassung ein Verzicht auf die Geltendmachung des Entlassungsrechts begründet ist oder ob es in Umständen begründet ist, die die Annahme eines solchen Verzichts nicht rechtfertigen (RIS-Justiz RS0029267).

Im Zusammenhang mit dem gegen einen Arbeitnehmer gerichteten Vorwurf eines strafbaren Verhaltens hat der Oberste Gerichtshof wiederholt den Standpunkt vertreten, dass der Arbeitgeber mit der Entlassung bis zur Beendigung eines über diesen Vorwurf abgeführten Strafverfahrens zuwarten kann. Es bleibt allein dem Arbeitgeber überlassen, ob und wann er aus dem Verlauf einer Strafuntersuchung gegen seinen Arbeitnehmer auch schon vor ihrer rechtskräftigen Beendigung die Überzeugung gewinnt, dass bereits die bisherigen Verfahrensergebnisse eine Entlassung rechtfertigen (Arb 9606 uva; RIS-Justiz RS0029309). Umso weniger kann es daher zweifelhaft sein, dass dem Arbeitgeber zuzubilligen (sogar nahezulegen) ist, vor der Entlassung eine Stellungnahme des Arbeitnehmers zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen einzuholen (Kuderna, Entlassungsrecht**2 15).

Im hier zu beurteilenden Fall stand dem Beklagten, der allein für die Entlassung von Arbeitnehmern zuständig ist, am Tag seiner Abreise nach Afrika nur ein Ausdruck der Journalkassaabschlüsse zur Verfügung. Wenngleich für ihn daraus Manipulationen der Klägerin erkennbar waren, muss auch ihm die Möglichkeit zugebilligt werden, die Klägerin mit dem gegen sie erhobenen Vorwurf zu konfrontieren, zumal er im Falle einer vorschnell ausgesprochenen Entlassung die negativen Konsequenzen zu tragen hat. Dazu kommt, dass der Beklagte kein Verhalten gesetzt hat, aus dem die Klägerin hätte schließen können, er werde darauf verzichten, wegen der ihm bekannten Manipulation die Entlassung auszusprechen. Schließlich reiste er noch am Tage der Entdeckung der Manipulationen nach Afrika ab, ohne vorher Gelegenheit gehabt zu haben, mit der Klägerin darüber zu sprechen. Bei der ersten sich bietenden Möglichkeit - nämlich beim erstmaligen Dienstantritt der Klägerin nach der Rückkehr des Beklagten - hat dieses Gespräch stattgefunden. Dass die Klägerin bei diesem Gespräch den gegen sie erhobenen Vorwurf bestritten hat und der Beklagte dessen ungeachtet die Entlassung aussprach, bedeutet nicht, dass das Zuwarten von vornherein sinnlos und nicht gerechtfertigt war. Schließlich konnte unter den gegebenen Umständen nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin die Vorwürfe nicht nur bestreiten, sondern vielmehr durch plausible Erklärungen aufklären werde. Dies ist jedoch nicht erfolgt.

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes ist daher eine Verfristung des Entlassungsrechtes bzw. ein Verzicht auf die Entlassung durch den Beklagten nicht anzunehmen, sodass in Stattgebung der Revision das Ersturteil wiederherzustellen war.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO sowie auf § 58a ASGG. Für das Revisionsverfahren war zu berücksichtigen, dass der Beklagte seine Kosten nicht auf der Grundlage des Revisionsinteresses, sondern auf der Basis des gesamten erstinstanzlichen Streitwerts verzeichnet hat. Insofern war der von ihm angesprochene Betrag auf die im Spruch ersichtliche Höhe zu reduzieren.

Stichworte