OGH 8ObA216/00y

OGH8ObA216/00y25.1.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Friedrich Stefan und Ernst Boran als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Brigitta M*****, vertreten durch Dr. Peter Kaltschmid, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei K***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Stefan Köck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert S 650.000,--), infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Mai 2000, GZ 15 Ra 45/00f-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Februar 2000, GZ 42 Cga 207/99h-10, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die ihre Kündigung vom 28. 10. 1999 zum 31. 3. 2000 gemäß § 105 ArbVG anfechtende Klägerin war bis 30. 6. 1999 Leiterin einer Filiale der Beklagten in Tirol. Mit 1. 7. 1999 wurde sie als Leiterin enthoben und zur Verkäuferin zurückgestuft und ab 26. 8. 1999 dienstfrei gestellt. Bereits in Anschluss daran führte sie Gespräche mit der Arbeiterkammer und dem Betriebsratvorsitzenden, der auch Kontakt mit der Arbeiterkammer hatte.

Der Betriebsrat wurde dann am 13. 9. 1999 von der beabsichtigten Kündigung der Klägerin zum 31. 3. 2000 verständigt und erhob am 21. 9. 1999 ausdrücklich Widerspruch. Der Betriebsratsvorsitzende beabsichtigte, die Kündigung auch anzufechten.

Mit dem der Klägerin am 28. 10. 1999 zugegangenen Kündigungsschreiben kündigte dann die Beklagte das Dienstverhältnis zum 31. 3. 2000 auf, wovon auch der Betriebsratsvorsitzende verständigt wurde.

Als die Klägerin am 2. 11. 1999 dann bei der Arbeiterkammer war, telefonierte der Mitarbeiter der Arbeiterkammer mit dem Betriebsratsvorsitzenden und erörterte die Begleitumstände der Kündigung. Eine Aufforderung an den Betriebsratsvorsitzenden, die Anfechtung einzubringen, konnte nicht festgestellt werden. Bei dem Gespräch und beim Telefonat hielt es der Betriebsratsvorsitzende aber für sinnvoll, dass die Arbeiterkammer die Anfechtung durchführt, da die Klägerin ohnehin zur Beratung bei der Arbeiterkammer anwesend war. Ob konkret besprochen wurde, dass die Arbeiterkammer für den Betriebsrat Klage erhebt, konnte nicht festgestellt werden. Die Klägerin wurde informiert, dass die Arbeiterkammer die Anfechtung durchführt.

Der Betriebsratsvorsitzende übermittelte am 3. 11. 1999 eine Vollmacht an die Arbeiterkammer "wegen Einspruch zur ausgesprochenen Kündigung".

Diese Unterlagen wurden dann an einen anderen Mitarbeiter der Arbeiterkammer übermittelt, der auch zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt ein Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden führte, in dem bestätigt wurde, dass die Arbeiterkammer die Anfechtungsklage einbringt. Davon wurde auch die Klägerin informiert und war damit einverstanden. Ob erörtert wurde, ob die Klägerin direkt oder durch den Betriebsrat vertreten wird, konnte nicht festgestellt werden. Die vorliegende Klage wurde am 4. 11. 1999 bei Gericht überreicht. Die der Klägerin übermittelte Vollmacht an die Arbeiterkammer mit dem Datum 4. 11. 1999, unterfertigte diese wenige Tage danach und schickte sie an die Arbeiterkammer zurück.

Im Gremium des Betriebsrates wurde nicht erörtert, ob eine Anfechtung erfolgen sollte. Es hatte bereits davor den Betriebsratsvorsitzenden ermächtigt, allein darüber zu entscheiden.

Die Klägerin macht in ihrer Anfechtung geltend, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. In der Klage brachte sie vorweg vor, dass der Betriebsrat der Kündigung ausdrücklich widersprochen habe und der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Tirol die Vollmacht erteilte, die Klage einzubringen. Sie ergänzte dies dann dahin, dass die Klägerin gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden deutlich zum Ausdruck gebracht habe, dass sie die Anfechtung der Kündigung wünsche und im Rahmen eines weiteren Gespräches mit dem Vertreter der Arbeiterkammer der Betriebsrat erklärt habe, die Anfechtung der Kündigung nicht vorzunehmen. Die Klägerin selbst habe die Arbeiterkammer mit der Vertretung beauftragt. Im Übrigen nahm die Klägerin umfangreiches zu den von der Beklagten geltend gemachten Kündigungsgründen Stellung.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete vorweg ein, dass das Anfechtungsrecht der Klägerin erst nach Ablauf der Anfechtungsmöglichkeit des Betriebsrates bis 4. 11. 1999, also erst am 5. 11. 1999 entstanden sei, sodass die Klägerin bei der hier bereits am 4. 11. 1999 eingebrachten Klage nicht aktiv klagslegitimiert sei. Im Übrigen habe sie auch keine Vollmacht erteilt. Ferner erstattete die Beklagte ein umfangreiches Vorbringen zur mangelnden Sozialwidrigkeit der Kündigung und den Kündigungsgründen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es folgerte dabei rechtlich aus dem einleitend festgestellten Sachverhalt, dass der Mangel einer schriftlichen Vollmacht ein verbesserungsfähiger Mangel sei. Hier mangle es jedoch an den formellen Voraussetzungen für die Kündigungsanfechtung, da die Klägerin nicht habe nachweisen können, dass der Betriebsrat es trotz ihres Verlangens abgelehnt habe, die Klage einzubringen. Es sei unzulässig, dass die Klägerin die Klage selbst innerhalb der dem Betriebsrat für die Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 4 ArbVG zustehenden Frist eingebracht habe.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin Folge. Es ging dabei rechtlich davon aus, dass aus Verhalten der Klägerin ohne Zweifel zum Ausdruck komme, dass die Klägerin eine Anfechtung der Kündigung durch wen immer gewünscht habe. Dies ergebe sich schon aus dem in Anwesenheit der Klägerin und Mitarbeiter der Arbeiterkammer geführten Telefonat, wonach die Arbeiterkammer die Anfechtung durchführen solle (unter Hinweis auf SZ 69/30). Was nun den Umstand anlange, dass die Klägerin bereits innerhalb der Anfechtungsfrist des Betriebsrats die Anfechtungsklage erhoben habe, sei darauf zu verweisen, dass nach stRsp die einwöchige Anfechtungsfrist eine formalrechtliche Frist sei (unter Hinweis EvBl 1990/75, SZ 70/219). Ausgehend davon wäre es aber auch sachgerecht die Judikatur heranzuziehen, wonach Rechtsmittel auch schon vor Zustellung der angefochtenen Entscheidung wirksam erhoben werden können. Ferner habe der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung RZ 1992/60 die Anfechtungsfrist nach § 105 Abs 4 AVG in Beziehung zu § 67 Abs 2 ASGG, der die sukzessive Kompetenz in Sozialrechtssachen regle, gesetzt. Ausgehend davon sei aber auch die Judikatur des Obersten Gerichtshofes, wonach bei verfrühten Säumnisklagen im Fall einer Erlassung eines abschlägigen Bescheides die Erhebung einer neuen Klage nicht erforderlich sei, zu übertragen. Da bereits mit dem Verlangen der Klägerin um Anfechtung das Anfechtungsrecht entstanden sei, es aber an einem Betriebsratsbeschluss über die Anfechtung fehle, sei es unschädlich, wenn die Klägerin vor Ablauf der Frist die Anfechtungsklage eingebracht habe. Daher sei die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens über die behaupteten Umstände im Zusammenhang mit der Sozialwidrigkeit der Kündigung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, da eine Rechtsprechung zu den hier maßgeblichen Problemkreisen nicht ersichtlich sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diesen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgericht erhobene Rekurs der Beklagten ist gemäß § 47 Abs 2 iVm § 46 Abs 3 Z 2 ASGG zulässig, aber nicht berechtigt.

Zur Frage des Vorliegens eines "Verlangens" der Klägerin auf Anfechtung der Kündigung durch den Betriebsrat entsprechend § 105 Abs 4 ArbVG kann auf die zutreffende Beurteilung des Berufungsgerichtes verwiesen werden (§ 510 Abs 3 ZPO). An das "Verlangen" des Arbeitnehmers im Sinne des § 105 Abs 4 ArbVG an den Betriebsrat, die Kündigung anzufechten, sind keine besonderen formellen Ansprüche zu stellen (vgl auch Floretta in Floretta/Strasser, Kommentar zum Arbeitsverfassungsgesetz, 673; Schwarz in Cerny/Laßnigg/Schwarz, Arbeitsverfassungsrecht Band 3, 208). Wesentlich ist, dass aus den Erklärungen des Arbeitnehmers insgesamt hervorgeht, dass er möchte, dass seine Kündigung durch Ausübung des Anfechtungsrechtes nach § 105 ArbVG wieder aufgehoben wird. Dies kann aber den Erklärungen und dem Verhalten der Klägerin entnommen werden, da sie sich bereits vor Ausspruch (vgl auch RIS-Justiz RS0102517 = SZ 69/30) der Kündigung wegen dieser an den Betriebsrat wandte und in weiterer Folge auch die Anfechtung der Kündigung besprochen wurde, wenngleich nicht feststellbar war, ob auch besprochen wurde, ob dies der Betriebsrat oder die Klägerin selbst durchführen soll. Letztlich hat auch ein Mitarbeiter der Arbeiterkammer, von deren Mitarbeitern die Klägerin vertreten wird, und der - offensichtlich - von der Klägerin wegen der Gewährung von Rechtsschutz im Zusammenhang mit ihrer Kündigung aufgesucht wurde, vom Betriebsratsvorsitzenden die Information erhalten, dass die Arbeiterkammer die Anfechtung durchführen solle. Da diese Absicht des Betriebsrates für die Klägerin deutlich zum Ausdruck kam und es im Hinblick auf ihr davorliegendes Verhalten an ihr gelegen wäre, klarzustellen, dass sie keine Anfechtung verlangt, hat das Berufungsgericht daher insgesamt zutreffend ein "Verlangen im Sinne des § 105 Abs 4 ArbVG" auf Anfechtung ihrer Kündigung angenommen.

Im Ergebnis nicht berechtigt sind auch die Ausführungen der Beklagten zur mangelnden aktiven Klagslegitimation wegen "vorzeitiger" Einbringung der Anfechtungsklage.

Nach § 105 Abs 4 ArbVG kann bei einer Kündigung, der der Betriebsrat widersprochen hat, vorweg auf Verlangen des Arbeitnehmers der Betriebsrat selbst binnen einer Woche nach Verständigung vom Ausspruch der Kündigung - allenfalls dem tatsächlichen Zugang der Kündigung (vgl Arb 11.445 = ecolex 1996, 37) - die Kündigung beim Gericht anfechten. Kommt der Betriebsrat dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht nach, so kann der Arbeitnehmer innerhalb einer Woche nach Ablauf der für den Betriebsrat geltenden Frist die Kündigung bei Gericht anfechten.

Es ist nun zu unterscheiden zwischen der Frage der Einhaltung der formellen Frist zur Anfechtung der Kündigung, die einer prozessualen

Frist gleichgehalten wird (vgl dazu RIS-Justiz RS0052033 = EvBl

1990/75, 340 = RZ 1992/60, 156 = ZAS 1990/20, 166 ua sowie 8 ObA

2045/96k, SZ 70/219 und 9 ObA 349/98h), und den materiell-rechtlichen Voraussetzungen für das Anfechtungsrecht des Arbeitnehmers.

Wesentlich ist hier aber, dass die Regelung des § 105 Abs 4 erster Satz ArbVG insoweit die Frage der materiell-rechtliche Zuordnung des Anfechtungsrechtes regelt, aber keine prozessuale Sperre darstellt. Ist doch hier auch anders als regelmäßig in Sozialrechtssachen kein Verwaltungsverfahren vorgeschaltet.

Wenngleich nun das Anfechtungsrecht der §§ 105 ff ArbVG vorweg materiell-rechtlich der Belegschaft zusteht (vgl Floretta in Floretta, Strasser aaO, 619, Schwarz aaO, 190; VfGH, VfSlg 10.297) geht dieses Recht doch bei mangelnder Ausübung durch den Betriebsrat innerhalb einer Woche auf den Arbeitnehmer über. Grundsätzlich ist es dabei auch ohne Bedeutung, aus welchen Gründen der Betriebsrat die Anfechtung unterlassen hat. Wesentlich ist aber, dass im Entscheidungszeitpunkt, also dem Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung (vgl Fasching Lehrbuch Rz 1456) der Anspruch des Arbeitnehmers gegeben ist. Dies ist aber hier zu bejahen, da im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung in erster Instanz die Einwochenfrist des Betriebsrats jedenfalls abgelaufen war und dieser auch keine Anfechtungsklage erhoben hat. Es kann zu dem von der Beklagten aufgezeigten Problem einer doppelten Klagsführung nicht kommen, da dann, wenn der Betriebsrat selbst noch wirksam das Anfechtungsrecht wahrgenommen hätte, eben die "verfrüht" erhobene Klage der Arbeitnehmerin mangels Überganges des Anfechtungsrechtes abzuweisen gewesen wäre.

Insgesamt war daher dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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