OGH 1Ob200/00v

OGH1Ob200/00v6.10.2000

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Gebhard F*****, vertreten durch Dr. Herwig Ernst, Rechtsanwalt in Korneuburg, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17 - 19, wegen S 160.796,60 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. März 2000, GZ 14 R 185/99z-72, womit das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 5. Februar 1999, GZ 1 Cg 233/95y-63, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 7.612,50 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu bezahlen.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte aus dem Titel der Amtshaftung die Zahlung von S 160.796,60. In dem seine beiden Kinder betreffenden Pflegschaftsverfahren AZ 6 P 139/88 (nunmehr 14 P 61/96w) des Bezirksgerichts Favoriten seien Besuchsrechtsregelungen ergangen, die in unvertretbarer Weise ein unzureichendes und unrichtiges Gutachten als Grundlage gehabt hätten. Im Zuge der Bekämpfung dieser Entscheidungen bzw des Gutachtens seien dem Kläger Gesamtaufwendungen von S 66.796,60 entstanden. Er habe weiters einen Vermögensschaden von S 94.600 erlitten, weil ihm im genannten Pflegschaftsverfahren aufgrund rechtswidriger, grob fahrlässiger Handlungsweise der entscheidenden Richter unangemessen hohe Unterhaltsverpflichtungen auferlegt worden seien. Kosten von S 700.000 für die Revitalisierung bzw Renovierung einer Wohnung seien ebenso unberücksichtigt geblieben wie seine Aufwendungen für die den Kindern und deren Mutter überlassene Wohnung im Betrag von S 679.201,42.

Die beklagte Partei wendete insbesondere ein, dass die im Pflegschaftsverfahren getroffenen Entscheidungen richtig, aber zumindest vertretbar gewesen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Pflegschaftsgericht habe das vom Kläger bekämpfte Sachverständigengutachten in durchaus vertretbarer Weise seinen Entscheidungen zugrunde gelegt. Die Unterhaltsfrage sei bereits vom Obersten Gerichtshof endgültig entschieden worden.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Aus dem Umstand, dass der Oberste Gerichtshof die vom Kläger zu Unterhaltsentscheidungen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurse gemäß § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen habe, ergebe sich, dass die von den Untergerichten im Pflegschaftsverfahren vertretenen Rechtsansichten keinesfalls unvertretbar seien. Im Außerstreitverfahren gelte das Prinzip der amtswegigen Wahrheitsforschung, weshalb Rekursgerichte in erster Instanz unterlaufene Verfahrensmängel von Amts wegen aufzugreifen hätten; eine gegenteilige Vorgangsweise stellte einen Mangel des Rekursverfahrens dar, der gemäß § 15 Z 2 AußStrG im Revisionsverfahren geltend gemacht werden könne. Habe der Oberste Gerichtshof einen außerordentlichen Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen, so sei damit auch das Vorliegen von Mängeln, die aus Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit hätten wahrgenommen werden müssen, verneint worden. Gründe der Kläger seinen Amtshaftungsanspruch gerade auf solche Mängel, stehe einer solchen Vorgangsweise § 2 Abs 3 AHG entgegen.

Die Revision des Klägers ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der Kläger meint, die im Pflegschaftsverfahren tätig gewordenen Gerichte - einschließlich des Obersten Gerichtshofs - hätten die Kosten für die Revitalisierung einer Altbaumietwohnung im Betrag von 891.912,38 bzw die für die der Lebensgefährtin und den Kindern überlassene ehemals gemeinsame Wohnung aufgelaufenen Investitionskosten von S 671.201,42 aufgrund unrichtiger Rechtsansicht nicht als Abzugspost von der Unterhaltsbemessungsgrundlage berücksichtigt; es sei nicht vertretbar, den Kläger mit dermaßen hohen Unterhaltszahlungen zu belasten, dass ihm selbst nur mehr monatlich S 2.000 zur Bestreitung des eigenen Unterhalts übrig blieben. Diesen Ausführungen ist wie folgt zu erwidern:

Dem Vorwurf des Vaters, der Oberste Gerichtshof habe eine Rechtsfrage in unvertretbarer Weise unrichtig gelöst, ist die Bestimmung des § 2 Abs 3 AHG entgegenzuhalten, wonach aus einem Erkenntnis des Obersten Gerichtshofs ein Ersatzanspruch nicht abgeleitet werden kann.

Im Amtshaftungsprozess ist nicht zu prüfen, ob die im Anlassfall geäußerte Rechtsansicht richtig war, sondern nur, ob die getroffene Entscheidung bei pflichtgemäßer Überlegung als vertretbar bezeichnet werden kann (Schragel, AHG2 Rz 147 mwN). Weist der Oberste Gerichtshof eine außerordentliche Revision oder einen außerordentlichen Revisionsrekurs mit der Begründung zurück, es lägen die Voraussetzungen nach § 502 Abs 1 ZPO bzw § 14 Abs 1 AußStrG nicht vor, so wird dabei denknotwendigerweise unterstellt, dass die Rechtsansicht des Berufungs- bzw Rekursgerichts vertretbar war (SZ 70/32). Nun war der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach mit Unterhaltsentscheidungen des Pflegschaftsgerichts bzw des diesem übergeordneten Rekursgerichts befasst. Zu AZ 1 Ob 1531/95 wurde der außerordentliche Revisionsrekurs des Klägers gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom 20. 12. 1994, GZ 44 R 995, 996/94-94 mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen. Schon damals war aktenkundig, dass der Kläger die vormals gemeinsam mit den beiden Kindern und deren Mutter benützte Wohnung diesen Personen überlassen hatte und selbst in eine andere Wohnung gezogen war, die bereits sein Vater im Jahre 1964 angemietet hatte. Das Gericht zweiter Instanz ging in seiner Entscheidung davon aus, die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen für die Adaptierung seiner nunmehrigen Wohnung seien nicht als Abzug von der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

Diese Rechtsauffassung hätte der Oberste Gerichtshof, wäre sie von ihm als unvertretbar angesehen worden, korrigieren müssen, zumal es nicht bloß im Interesse der betroffenen Partei, sondern auch im öffentlichen Interesse geboten erscheint, unvertretbare Fehlentscheidungen zu verhindern. Wies aber der Oberste Gerichtshof - zu 1 Ob 1531/95 - den Revisionsrekurs mit der Begründung zurück, es lägen die Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG nicht vor, dann kann dieser Ausspruch nur so verstanden werden, dass das Revisionsrekursgericht das Vorliegen eines für die Entscheidung erheblichen groben Auslegungs- bzw krassen Denkfehlers verneinte, hätte es doch einen solchen schon zur Wahrung der Rechtssicherheit jedenfalls aufgreifen müssen. Damit hat es bei seiner Entscheidung über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Klägers denknotwendigerweise die Vertretbarkeit der der rekursgerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Rechtsauffassung unterstellt, weil es bei Annahme einer unvertretbaren Rechtsansicht selbst in einem Fall, in dem der zur Lösung anstehenden Rechtsfrage keine über den konkreten Rechtsstreit hinausgehende allgemeine Bedeutung beizumessen ist, aus Erwägungen der Einzelfallgerechtigkeit in die sachliche Prüfung der Berechtigung des Revisionsrekurses einzutreten und das Rechtsmittel meritorisch zu erledigen gehabt hätte. Würden nun die Amtshaftungsgerichte die behauptete Unvertretbarkeit - als eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Stattgebung des Amtshaftungsbegehrens - bejahen, so käme eine solche Annahme der Nachprüfung der oberstgerichtlichen Entscheidung im Anlassverfahren auf deren Rechtmäßigkeit gleich, die den Amtshaftungsgerichten indes mit Rücksicht auf den im § 2 Abs 3 AHG angeordneten Haftungsausschluss verwehrt bleibt, der eine solche Überprüfung gerade hintanhalten will (SZ 70/32).

Die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung des Pflegschaftsgerichts bzw des diesem übergeordneten Rekursgerichts im Anlassverfahren ist demnach durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs über den außerordentlichen Revisionsrekurs gedeckt, sodass aus dieser die geltend gemachten Amtshaftungsansprüche aus dem Grunde des § 2 Abs 3 AHG nicht erfolgreich abgeleitet werden können. Darüber hinaus hat der Oberste Gerichtshof die Richtigkeit dieser Rechtsansicht in seiner Entscheidung 1 Ob 2330/96w bekräftigt und dort ausgeführt, dass die vom Kläger erhobenen Einwände schon im ersten Rechtsgang geprüft worden seien. Schließlich hat er zu 1 Ob 42/98b einen weiteren außerordentlichen Revisionsrekurs des Klägers in der Unterhaltsfrage, in dem abermals die Kosten für die Wohnungsrevitalisierung geltend gemacht wurden, mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen. Aus all diesen Entscheidungen ergibt sich eindeutig und logisch einwandfrei die Schlussfolgerung, dass der Oberste Gerichtshof die im Pflegschaftsverfahren von den dort tätig gewordenen Gerichten vertretene Auffassung in der Unterhaltsfrage, insbesondere was die (Nicht-)Berücksichtigung von Wohnungskosten betrifft, zumindest als vertretbar angesehen hat.

Schließlich meint der Kläger, es sei von den im Pflegschaftsverfahren tätig gewordenen Gerichten unvertretbar gewesen, das Gutachten des Sachverständigen Dr. Reinhold D***** (ON 21 im Pflegschaftsakt) als Entscheidungsgrundlage für eine Vielzahl von Entscheidungen über das vom Vater begehrte Besuchsrecht heranzuziehen. Hiezu ist wie folgt Stellung zu nehmen:

Vorweg ist festzuhalten, dass sich die vom Kläger erhobene Berufung (ON 66) gerade noch am Rande mit der behaupteten Unvertretbarkeit der Besuchsrechtsentscheidungen befasst, indem nämlich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs "ON 199" (= 1 Ob 1664, 1665/93) verwiesen wird, die Anträge des Vaters auf Besuchsrechtseinräumung zum Gegenstand hatte. Mit der zitierten oberstgerichtlichen Entscheidung wurde unter anderem der vom Vater erhobene außerordentliche Revisionsrekurs, der die Abweisung eines Antrags auf Besuchsrechtseinräumung zum Gegenstand hatte, mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Nun sind Amtshaftungsansprüche trotz des im § 2 Abs 3 AHG angeordneten Haftungsausschlusses nicht vollständig ausgeschlossen, wenn ein österreichisches Höchstgericht entschied, weil dessen Erkenntnisse gleichlautende Entscheidungen der Vorinstanzen nur so weit decken, als es sonst mittelbar zu einer Nachprüfung der Rechtmäßigkeit höchstgerichtlicher Entscheidungen käme; soweit jedoch dem Höchstgericht die Überprüfung bekämpfter Entscheidungen - nach den einschlägigen Verfahrensvor- schriften - nur in eingeschränktem Ausmaß möglich ist, können Amtshaftungsansprüche aus einem nicht überprüfbaren Verhalten der Vorinstanzen geltend gemacht werden (SZ 70/32). Da die Tatfrage auch im Verfahren außer Streitsachen nicht revisibel ist und der Oberste Gerichtshof nur wegen rechtlicher oder sonst aktenkundiger Fehler angerufen werden kann, ist der Kläger grundsätzlich berechtigt, Amtshaftungsansprüche aus der damals nicht überprüfbaren Tatfrage (Richtigkeit des Gutachtens des gerichtlich bestellten, zuvor genannten Sachverständigen) geltend zu machen. Damit ist aber für den Kläger nichts gewonnen, weil nicht nachvollziehbar ist, dass das Pflegschaftsgericht und das im Wege der Überprüfung der Entscheidungen tätig gewordene Rekursgericht in unvertretbarer Weise auf die Richtigkeit des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen vertraut hätten. Prüft man das als Beilage D im Akt erliegende Gutachten (ON 21 des Pflegschaftsaktes) für sich allein, so lässt sich dessen Unschlüssigkeit nicht verifizieren. Die vom Kläger zitierte Stellungnahme des Prim. Univ. Doz. Dr. Georg S***** vom 29. 7. 1992 (Beilage E bzw ON 74 im Pflegschaftsakt) lässt ebenfalls keinen verlässlichen Schluss darauf zu, dass ein unschlüssiges bzw unrichtiges Gutachten vorliege. Dr. Georg S***** führt in seiner Stellungnahme - vom Kläger ebenso wie die späteren Gutachten des Ing. Gerhart J. P***** fälschlich als "Obergutachten" bezeichnet - lediglich aus, er könne nur sehr allgemein auf das Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen eingehen und eine fachlich begründete Stellungnahme zur Besuchsrechtsfrage sei nur nach Anhörung weiterer Personen möglich. Die vom SV Dr. Reinhold D***** gewählte Vorgangsweise der Protokollierung der Befundaufnahme hielt er für problematisch und er vermisste eine direkte Beobachtung des Umgangs des Klägers mit seinen Kindern. Ein von Dr. Reinhold D***** angewandter Test war Dr. Georg S***** unbekannt und wurde - trotzt dessen Unkenntnis - als "Test ohne standardisierte metrische Befunddarstellung" bezeichnet. Dr. Georg S***** hielt eine kinderneuropsychiatrische Begutachtung bzw zusätzliche kinderneuropsychiatrische Diagnostik für notwendig. Allein aus dieser Stellungnahme ist eine Unschlüssigkeit des Gerichtsgutachtens nicht abzuleiten, und dem Pflegschaftsgericht bzw dem Rekursgericht im Anlassverfahren ist es nicht vorwerfbar, dass sie sich dieses Gutachtens als Entscheidungsgrundlage bedient haben. Die vom Kläger im Pflegschaftsverfahren vorgelegten Gutachten des Ing. Gerhart J. P***** (vom 16. 1. 1993, Beilage G bzw ON 107 des Pflegschaftsaktes, und vom 11. 4. 1993, Beilage H bzw ON 152 im Pflegschaftsakt) waren und sind schon von vornherein nicht geeignet, das Fachgutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen in Frage zu stellen, bezeichnet sich doch Ing. P***** selbst als allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger für Betriebswissenschaften, Unternehmensorganisation, Informationstechnologie und Arbeitstechnik, welche Bereiche weder mit dem Fachgebiet der Psychologie noch dem der Psychiatrie im Entferntesten verwandt sind. Auf den Inhalt dieser Gutachten muss demnach nicht eingegangen werden, denn schon aufgrund der fachlichen Inkompetenz der vom Kläger beigezogenen Hilfsperson konnten deren Gutachten den im Pflegschaftsverfahren tätig gewordenen Gerichten keinen Anlass dafür bieten, an der Richtigkeit bzw Schlüssigkeit des Gutachtens des Sachverständigen Dr. Reinhold D***** zu zweifeln.

Die Frage, ob eine bestimmte Rechtsansicht vertretbar ist, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden; der Kläger hat in seiner Revision nichts aufgezeigt, was der Beantwortung dieser Frage erhebliche Bedeutung zukommen ließe.

Die Revision ist zurückzuweisen. An den gegenteiligen Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Oberste Gerichtshof gemäß § 508a ZPO nicht gebunden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Die beklagte Partei hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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