OGH 9ObA180/00m

OGH9ObA180/00m20.9.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Hartmann und Rat Dr. Werner Conrad als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Annemarie S*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Charlotte Böhm, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei Melitta K*****, Inhaberin der Fa. M*****, *****, vertreten durch Dr. Günther Clementschitsch ua, Rechtsanwälte in Villach, wegen S 48.534,- brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 6. April 2000, GZ 8 Ra 4/00w-15, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 7. September 1999, GZ 33 Cga 220/98s-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.058,88 bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung (darin S 676,48 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin war bei der Beklagten in deren Buchhandlung beschäftigt.

Zwischen Parteien ist strittig, ob die von der Klägerin in der Zeit vom 15. 10. 1982 bis zum 31. 10. 1997 zurückgelegte Vordienstzeit bei der Versicherungsanstalt der öffentlich Bediensteten (BVA) nach dem auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs (in der Folge: KV) für die Einstufung der Klägerin als Berufsjahre anzurechnen ist.

Die Klägerin war bei der BVA (30 Stunden wöchentlich) in einem Kurhaus tätig. Ihr Aufgabenbereich umfasste allgemeine Verwaltungstätigkeiten, wie Rechnungsprüfung beim Lebensmitteleinkauf und bei Kurabrechnungen, Kontrolltätigkeiten bei Verbrauch und Lagerbestand von Lebensmitteln, Bestandskontrollen des Geschirrs und Vornahme von Jahresinventuren. Weiters wirkte sie bei der Einteilung des Badebetriebs mit und übernahm bei kurzfristigen Absenzen der Verwalterin deren Vertretung. Sie verwaltete auch die kurhauseigene Bücherei. Zweimal wöchentlich im Ausmaß von jeweils einer Viertelstunde war sie mit der Bücherausgabe bzw. -rücknahme beschäftigt. Sie verschaffte sich einen Überblick über Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt und war mit der Auswahl der jährlich einmal vorgenommenen Anschaffung neuer Bücher im Rahmen des dafür vorgesehenen Jahresbudgets betraut, wobei der dafür notwendige Zeitaufwand nicht quantifiziert werden kann. Insgesamt nahm die Tätigkeit der Klägerin in der Verwaltung der Bücherei einen Zeitaufwand von zwei bis vier Stunden wöchentlich in Anspruch.

Die Gehaltsordnung des hier anzuwendenden KV enthält folgende Bestimmungen:

A. Allgemeiner Teil

.......

6. Als Berufsjahre für die Einstufung in die Gehaltstafeln gelten nur

die Jahre der praktischen Angestelltentätigkeit sowie die Jahre der

Tätigkeit als selbständiger Kaufmann. Lehrzeit oder die die Lehrzeit

gemäß F.II ersetzenden drei Angestelltendienstjahre fallen nicht

darunter. ...................

............

9. Die im öffentlichen Dienst zurückgelegten Vordienstzeiten werden als Berufsjahre angerechnet, sofern die Tätigkeit im Handelsbetrieb inhaltlich der Tätigkeit im öffentlichen Dienst ähnlich ist oder ihr gleichkommt und die im öffentlichen Dienstverhältnis erworbenen Kenntnisse Verwendung finden."

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren der Klägerin, mit der sie den Zuspruch der aus der Anrechnung der Vordienstzeit resultierende Gehaltsdifferenz begehrte, statt. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass das Dienstverhältnis der Klägerin mit der BVA zwar ein privatrechtliches, aber doch ein dem Begriff "öffentlicher Dienst" zu unterstellendes sei. Trotzdem sei die in diesem Dienstverhältnis zurückgelegte Vordienstzeit anzurechnen, weil sie inhaltlich jener im Handelsbetrieb der Beklagten ähnlich sei und die Klägerin die bei der Führung der kurhauseigenen Bücherei erworbenen Kenntnisse während der Beschäftigungszeit bei der Beklagten auch verwendet habe. Dies gelte umso mehr, als die Klägerin im Rahmen ihrer Stellenbewerbung bzw. im angeschlossenen Lebenslauf ihren beruflichen Werdegang konkretisiert und auf ihre Tätigkeit in der Verwaltung des Kurhauses konkret hingewiesen habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

Es vertrat die Rechtsauffassung, dass die Anrechnung der Vordienstzeit bei der BVA schon aus Pkt. A 6 der Gehaltsordnung abzuleiten sei, weil das Dienstverhältnis der Klägerin mit der BVA dem Angestelltengesetz unterlegen sei. Überdies teile das Berufungsgericht die Meinung des Erstgerichtes, dass die Vordienstzeit auch dann anzurechnen wäre, wenn das Dienstverhältnis zur BVA als "öffentlicher Dienst" zu qualifizieren sei. Auch das Berufungsgericht gehe davon aus, dass die Tätigkeit der Klägerin bei der BVA jener bei der Beklagten "gleichkomme" (iS einer vergleichbaren Wertigkeit der Tätigkeiten) und dass auch die weiteren Anrechnungsvoraussetzung der Verwendung der im öffentlichen Dienstverhältnis erworbenen Kenntnisse bei ihrer Tätigkeit bei der Beklagten zu bejahen seien. Es komme nämlich nicht darauf an, dass eine vollkommene Übereinstimmung bestehe. Vielmehr genüge es für eine Anrechnung, dass im öffentlichen Dienst erworbene Teilkenntnisse im dem Handels-KV unterliegenden Beschäftigungsverhältnis Verwendung finden.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil es an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffes "im öffentlichen Dienst" nach dem KV für Handelsangestellte fehle.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 508 Abs 1 ZPO iVm § 1 ASGG an den Ausspruch des Berufungsgerichtes über die Zulässigkeit der Revision nicht gebunden. Da keiner der Fälle des § 46 Abs 3 ASGG vorliegt, ist die Revision nur zulässig, wenn die Entscheidung von einer iS des § 46 Abs 1 ASGG qualifizierten Rechtsfrage "abhängt". Dies ist hier nicht der Fall.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen gingen übereinstimmend davon aus, dass die von der Klägerin bei der BVA zurückgelegte Vordienstzeit auch dann anzurechnen sei, wenn das Dienstverhältnis zur BVA dem Begriff "öffentlicher Dienst" zu unterstellen sei, weil sie die in Pkt. A 9 des KV geforderten Kriterien verwirkliche.

Sinn und Bedeutung der genannten kollektivvertraglichen Regelung ist zwischen den Parteien nicht strittig. Auch die Beklagte erkennt, dass Pkt. A 9 der Gehaltsordnung keine vollkommene Übereinstimmung zwischen der im öffentlichen Dienst zurückgelegten und der nunmehrigen Tätigkeit verlangt. Strittig ist somit ausschließlich die Anwendung der in ihrer Bedeutung nicht strittigen Bestimmung auf den hier zu beurteilenden konkreten Einzelfall. Der Lösung solcher ausschließlich von den Umständen des Einzelfalles abhängigen Einstufungsfragen kommt aber - von Fällen krasser Fehlbeurteilungen des Berufungsgerichtes abgesehen - keine die Zulässigkeit der Revision rechtfertigende Bedeutung zu (9 ObA 177/99s; 9 ObA 409/97f; 9 ObA 87/00x).

Eine krasse Fehlbeurteilung ist den Vorinstanzen hier nicht

unterlaufen, zumal ihre Annahme, die jedenfalls einen nicht

unwesentlichen Aspekt ihrer Tätigkeit bei der BVA bildende

Bibliotheksverwaltung sei der Verwendung bei der Beklagten

gleichzuhalten bzw. ähnlich, keinesfalls unvertretbar ist. Die von

der Revisionswerberin in diesem Zusammenhang vermissten

Feststellungen betreffen Umstände, die ohnedies auf der Hand liegen

bzw. größtenteils nicht strittig sind und die Vertretbarkeit der

Rechtsauffassung der Vorinstanzen nicht in Frage stellen. Dass für

die Verkaufstätigkeit im Buchhandel rudimentäre Kenntnisse der

buchhändlerischen Verkaufsordnung, Grundwissen über das Bestellwesen

und Kenntnisse der wichtigsten branchenüblichen Waren, Fachausdrücke

und Buchverlage sowie geringfügige Grundkenntnisse der

deutschsprachigen bzw. österreichischen Literatur erforderlich sind,

mag zutreffen. Wesentliche Aspekte dieser Kenntnisse sind aber auch

für die festgestellte Tätigkeit der Klägerin in einer Leihbibiliothek

von Bedeutung, mögen auch Umfang und Publikumskreis der von der

Klägerin früher betreuten Bibliothek mit der Buchhandlung der

Beklagten nicht oder nur beschränkt vergleichbar sein. Auch der von

der Revisionswerberin vorgetragene Sachverhalt macht daher die

Entscheidung des Berufungsgerichtes nicht unvertretbar, sodass die in

Rede stehende Rechtsauffassung der Vorinstanzen im Sinne der

dargestellten Rechtslage nicht revisibel ist.

Da somit die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, die Vordienstzeit der Klägerin sei selbst dann anzurechnen, wenn ihr Dienstverhältnis zur BVA dem Begriff "öffentlicher Dienst" zu unterstellen ist, vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen ist, kommt es auf die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage gar nicht mehr an. Die Entscheidung hängt daher nicht von dieser Rechtsfrage ab, sodass die Revision zurückzuweisen war.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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