OGH 10ObS207/00i

OGH10ObS207/00i25.7.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Fellinger sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Siegfried Z*****, Pensionist, ***** vertreten durch Mag. Wulf Sieder, Rechtsanwalt in Enns, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Rossauer Lände 3, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Ruhens der Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 16. März 2000, GZ 11 Rs 74/00g-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. November 1999, GZ 30 Cgs 159/99v-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Antrag der klagenden Partei auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens beim Verfassungs- gerichtshof betreffend § 89 ASVG gemäß Art 89 Abs 2 B-VG wird zurückgewiesen.

Im Übrigen wird der Revision nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung steht einer Partei ein subjektives Recht, dass ein Gericht von der Anfechtungsbefugnis gemäß Art 89 Abs 2 B-VG Gebrauch macht, nicht zu (vgl SSV-NF 8/88; 4/153 uva), weshalb der darauf zielende Antrag des Klägers zurückzuweisen ist.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend, weshalb gemäß § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO auf die Richtigkeit dieser Ausführungen verwiesen werden kann.

Die Revisionsausführungen des Klägers machen ausschließlich verfassungsrechtliche Bedenken gegen die hier anzuwendende Bestimmung des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG geltend, wonach Leistungsansprüche unter anderem in der Pensionsversicherung ruhen, solange der Anspruchsberechtigte eine Freiheitsstrafe verbüßt. Bei der vom Kläger bezogenen und von der beklagten Partei seit Verbüßung der Strafhaft ab 15.6.1999 ruhend gestellten Invaliditätspension handle es sich um vermögenswerte Rechte im Sinn des Art 1 1. ZPMRK. Durch die Ruhensbestimmung des § 89 ASVG werde der Kläger in seinem Eigentumsrecht verletzt. Auch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe seien vom Betroffenen finanzielle Verpflichtungen (Kreditrückzahlungen, Miete usw) zu erfüllen. Der Kläger sei als arbeitsunfähiger Strafgefangener gegenüber arbeitsfähigen Strafgefangenen finanziell schlechter gestellt.

Dem ist zu erwidern, dass der erkennende Senat Bedenken gegen die

gleichlautende Ruhensbestimmung des § 58 Abs 1 Z 1 GSVG bereits in

seinen Entscheidungen vom 17.10.1995, 10 ObS 190/95 (= DRdA 1996/44,

416 mit zust Anm von Birklbauer) und vom 9.9.1997, 10 ObS 238/97s (=

SSV-NF 11/100) verworfen hat und sich nicht veranlasst sieht, von dieser Auffassung abzugehen. Es hat sich zwar der Verfassungsgerichtshof mittlerweile in seinem Erkenntnis vom 11.3.1998, G 363/97 ua (veröffentlicht in JBl 1998, 438 ua) in Abkehr von seiner bisherigen Judikatur der vom EGMR vorgenommenen Qualifikation des Anspruches auf eine Sozialversicherungsleistung (im konkreten Fall: Notstandshilfe) als vermögenswertes Recht im Sinn des Art 1 1. ZPMRK angeschlossen, wobei dafür auch der vom EGMR hervorgehobene Umstand, dass es sich bei der Notstandshilfe um eine Sozialversicherungsleistung handle, der eine (vorher zu erbringende) Gegenleistung des Anspruchsberechtigten gegenüberstehe, ausschlaggebend war. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem zitierten Erkenntnis aber weiter ausgeführt hat, ist es dem Gesetzgeber durch Art 14 MRK keineswegs verwehrt, Voraussetzungen für den Erwerb oder den Umfang der Leistungsansprüche zu normieren und dabei nach sachlichen Kriterien zu differenzieren. Eine unterschiedliche Behandlung wird nach übereinstimmender Ansicht des Verfassungsgerichtshofes und des EGMR nur dann als diskriminierend im Sinn des Art 14 MRK erachtet, wenn für sie "keine objektive nd vernünftige Rechtfertigung erkennbar ist", das heißt, wenn sie kein "berechtigtes Ziel" verfolgt oder wenn keine "vernünftige Verhältnismäßigkeitsbeziehung zwischen den eingesetzten Mitteln und dem verfolgten Ziel" besteht. Außerdem verfügen die Vertragsstaaten über einen bestimmten Ermessensspielraum bei der Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß Unterscheidungen in sonst ähnlichen Situationen eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen (vgl JBl 1998, 438; ÖJZ 1996/37 (MRK), 955 ua).

Das Ziel der meisten Ruhensbestimmungen besteht darin, Leistungen dann nicht zu gewähren, wenn ein Sicherungsbedürfnis vorübergehend weggefallen ist. Der Grund für diesen Wegfall des Sicherungsbedürfnisses kann auch im Bezug einer anderen funktionsgleichen Leistung liegen, wodurch es zu einer gesamtwirtschaftlich nicht sinnvollen Mehrfachversorgung kommen kann. Der Anspruch auf Leistung bleibt in diesem Fall bestehen, nur die Leistungspflicht wird für die Dauer des Ruhensgrundes sistiert (SSV-NF 11/121 mwN ua; RIS-Justiz RS0083756). Es darf dabei nicht übersehen werden, dass die Finanzierung der Pensionsleistungen nicht ausschließlich über Beiträge sondern zu einem maßgeblichen Teil aus öffentlichen Steuermitteln erfolgt und für die Dauer einer Strafhaft die Versorgung des Anspruchsberechtigten aus öffentlichen Mitteln in anderer Weise sichergestellt ist. Das in § 89 Abs 1 ASVG vorgesehene Ruhen von Pensionsansprüchen tritt dann nicht ein, wenn die Freiheitsstrafe oder Anhaltung nicht länger als einen Monat währt (§ 89 Abs 2 ASVG). Wenn ein Pensionist, dessen Leistungsanspruch wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe ruht, Angehörige hat, die im Fall des Todes des Versicherten Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen hätten, gebührt diesen Angehörigen gemäß § 89 Abs 5 ASVG - in der Reihenfolge Ehegatte, Kinder, Eltern, Geschwister - eine Pension in der Höhe der halben ruhenden Pension. Unter Berücksichtigung dieser Umstände überschreitet der Gesetzgeber den ihm eingeräumten Gestaltungsspielraum nicht, wenn er für die Dauer der Verbüßung einer Freiheitsstrafe ein Ruhen des Pensionsanspruches vorsieht. Ein der Verfassung widersprechender (unverhältnismäßiger) Eingriff in das Eigentumsrecht ist bei dieser Sachlage für den erkennenden Senat nicht erkennbar.

Der Umstand, dass Strafgefangene, die eine Arbeit verrichten, durch den Erhalt einer entsprechenden Arbeitsvergütung finanziell besser gestellt sind als arbeitsunfähige Strafgefangene steht mit der hier zu entscheidenden Frage in keinem Zusammenhang. Im Übrigen kann darin ebensowenig eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erblickt werden wie in der weiteren Tatsache, dass die Verbüßung einer Freiheitsstrafe sowohl für den im aktiven Erwerbsleben stehenden Versicherten als auch für den Pensionsbezieher regelmäßig mit finanziellen Nachteilen (zB durch den Entfall des Erwerbseinkommens bzw der Pension bedingtes Anwachsen von Zahlungsrückständen usw) verbunden ist. Da auch der im aktiven Erwerbsleben stehende Versicherte durch den Vollzug einer Strafhaft am Einkommenserwerb gehindert ist und somit kein Erwerbseinkommen erzielen kann, widerspricht es nicht dem Zweck einer Pensionsleistung, Ersatz für entfallenes Einkommen zu sein, wenn der Pensionsanspruch unter den Bedingungen der Strafhaft ruht (vgl Krückl in seiner Anm zu ZAS 1992/18, 139f).

Da somit der erkennende Senat keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bestimmung des § 89 Abs 1 Z 1 ASVG hat, bestand auch keine Veranlassung diesbezüglich ein Normenprüfungsverfahren einzuleiten.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

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