OGH 10ObS181/00s

OGH10ObS181/00s11.7.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr und Dr. Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Wolfgang Adametz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ulrike Legner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Monika Z*****, ohne Beschäftigung, ***** vertreten durch DDr. Hans Esterbauer, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr. Andreas Grundei, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. März 2000, GZ 12 Rs 11/00z-27, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. September 1999, GZ 20 Cgs 377/97g-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 4. 1. 1971 geborene und am Stichtag 1. 10. 1997 daher erst 26 Jahre alte Klägerin ist gelernte Schneiderin. Sie war nach ihrem Lehrabschluss vom 2. 10. bis 29. 12. 1989 bei einer Bekleidungsfirma beschäftigt, wo sie im Rahmen der Serienproduktion von Kleidungsstücken jeweils einen schematischen Arbeitsgang zu verrichten hatte, zB Ärmel einer Jacke annähen oder den Saum eines Mantels einzuschlagen, dann wurde das unfertige Werkstück der nächsten Arbeiterin zur Ausführung des nächsten Produktionsschrittes weiter gegeben. Vom 16. 1. 1990 bis 9. 8. 1991 war sie bei einer Textil-Mietservice-Firma beschäftigt. Ihre Aufgaben bestanden darin, von zurückkommender Ware - hauptsächlich Arbeitsmäntel - beschädigte Stücke auszusortieren und durch Flicken oder Übernähen von Löchern zu reparieren. Ferner half sie im Versand der Mietwäsche mit, die sie für den Transport einpackte. Vom 1. 9. 1991 bis 1. 2. 1993 war die Klägerin schließlich als Näherin bei einem Auto-Ausstatter beschäftigt, der Schonbezüge und dergleichen herstellte; dort hatte die Klägerin lediglich bereits fertig zugeschnittene Stücke zusammenzustellen und gegebenenfalls nach Einsetzen eines Gummizuges fertigzustellen. Andere Tätigkeiten aus dem Berufsbild des Damen- und Herenkleidermachers hat sie nicht verrichtet. Auf Grund verschiedener krankheitsbedingter Veränderungen kann die Klägerin nur mehr leichte und kurzzeitig (drittelzeitig) mittelschwere Arbeiten ohne erhöhten Zeitdruck verrichten. Nach einer durchgehenden Arbeit von zwei Stunden muss sie etwa 15 bis 20 Minuten eine geistige einfache, entspannende Tätigkeit (Routinearbeit) durchführen können. Vermeiden muss sie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, in anderen exponierten Lagen an Maschinen und Fließbändern. Arbeiten, die eine ungestörte Kommunikation erfordern, kann sie wegen einer seit Geburt bestehenden, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit nicht verrichten.

Das Erstgericht wies das gegen den ablehnenden Bescheid der beklagten Partei erhobene, auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1. 10. 1997 gerichtete Klagebegehren ab. Die Klägerin habe nur äußerst geringe Teiltätigkeiten aus dem Berufsbild einer Schneiderin verrichtet, weshalb ihr kein Berufsschutz zukomme und sie nach § 255 Abs 3 ASVG auf ungelernte Hilfsarbeiten verwiesen werden könne, nämlich auf die Berufe Verpackungsarbeiterin, Adjustiererin oder Montagearbeiterin.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Das Zusammennähen von bereits fertig zugeschnittenen Stücken sei keine ausreichend qualifizierte Tätigkeit, um damit den Berufsschutz als Schneiderin aufrecht zu erhalten. Dafür seien nämlich keine qualifizierten Kenntnisse oder Fähigkeiten erforderlich gewesen. Das Erstgericht habe daher zu Recht die Verweisbarkeit der Klägerin nach § 255 Abs 3 ASVG geprüft.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass ihrem Klagebegehren stattgegeben werde.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache ist zutreffend, weshalb es nach § 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO ausreicht, auf deren Richtigkeit hinzuweisen. Ergänzend ist den Rechtsausführungen der Klägerin entgegen zu halten:

Wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, muss im Zusammenhang mit der Prüfung der Verweisbarkeit eines Versicherten nach § 255 Abs 1 und 2 ASVG unterschieden werden, ob ein Berufsschutz im Sinne eines gelernten oder angelernten Berufes erst zu erwerben ist oder ob ein bereits erworbener Berufsschutz durch später ausgeübte Teiltätigkeit weiterhin erhalten bleibt (10 ObS 345/99d; 10 ObS 365/99w ua). Bereits in der E SSV-NF 4/80 hat der Senat ausgesprochen, dass bei einem erlernten oder angelernten Beruf der einmal erworbene Berufsschutz erhalten bleibt, wenn sich die Tätigkeit später zwar inhaltlich ändert, in ihrer Gesamtheit aber noch als Ausübung des angelernten Berufes anzusehen ist. Deshalb darf auch ein Versicherter, der überwiegend in einem erlernten oder angelernten Beruf tätig war, nicht auf Teiltätigkeiten dieses Berufes verwiesen werden, bei deren Ausübung er diesen Berufsschutz verlieren würde (stRspr seit SSV-NF 3/29 = SZ 62/37). Hingegen vermag die Ausübung einer Teiltätigkeit des erlernten oder angelernten Berufes, die sich qualitativ nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, einen vorher bestandenen Berufsschutz nicht aufrecht zu erhalten (SSV-NF 9/40 ua). Für die Erhaltung des Berufsschutzes ist entscheidend, ob ein "Kernbereich" der Ausbildung auch bei Ausübung der Teiltätigkeit verwertet werden muss (SSV-NF 12/47: Servieren von Speisen und Getränken als Haupttätigkeit eines Kellners). Die Tätigkeit eines Tankwartes an einer Bedienungstankstelle wurde dagegen für ungeeignet gehalten, den Berufsschutz eines Kraftfahrzeugmechanikers zu bewahren (10 ObS 411/98h - ARD 5061/13/99).

Den Vorinstanzen ist beizustimmen, dass die Klägerin während ihrer gesamten beruflichen Laufbahn lediglich Teiltätigkeiten des Schneiderberufes ausführte, die sich qualitativ nicht hervorhoben, nämlich Näharbeiten, wie sie etwa die meisten Hausfrauen oder Hausmänner ohne jede fachliche Ausbildung verrichten können. Solche Teiltätigkeiten gehören nicht zum "Kernbereich" der Tätigkeit einer Damen- oder Herrenkleidermacherin, weil sie als bloß "untergeordnet" angesehen werden können. Die von der Revisionswerberin zitierten unveröffentlichten Entscheidun- gen 10 ObS 179/93 und 10 ObS 311/98b stehen dem nicht entgegen. Bei der ersten handelt es sich um ein offensichtliches Fehlzitat. In der zweiten Entscheidung ging der Senat ebenfalls davon aus, dass nur die Ausübung einer Teiltätigkeit, die sich qualittaiv nicht hervorhebt und bloß untergeordnet ist, einen vorher bestehenden Berufsschutz nicht aufrecht zu erhalten vermag; im Übrigen betraf sie aber einen völlig anderen Sachverhalt. Ob die Klägerin, wie die beklagte Partei behauptet, und wofür einige Umstände sprechen, angesichts ihres Leistungskalküls die bisher verrichteten Tätigkeiten weiterhin ausüben könne, brauchte bei dieser Sach- und Rechtslage nicht mehr geprüft zu werden.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit liegen nicht vor und wurden auch nicht dargetan.

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