Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.464,76 (darin enthalten S 744,12 USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung
Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.
Gegenstand des Verfahrens ist eine Servitutenklage: Der Kläger ist bücherlicher Eigentümer der Liegenschaft EZ 30 KG W***** mit dem Grundstück 3, Haus W***** 11, zu dessen Gunsten im Lastenblatt der je zur Hälfte den Beklagten gehörenden Nachbarliegenschaft EZ 33 betreffend Grundstück 2 eine Dienstbarkeit einverleibt ist.
Dem liegt ein am 16. 2. 1951 geschlossener Vertrag zugrunde, mit dem die Rechtsvorgänger der Beklagten als Eigentümer des Grundstücks 2 den Rechtsvorgängern des Klägers als Eigentümer des Hauses W***** 11 das Recht eingeräumt haben, auf ihrem Grundstück "während der Druschzeit den Motor aufzustellen, und daselbst das Stroh auszudreschen; bei Vornahme von Reparaturen am Haus W***** 11 das etwa erforderliche Gerüst auf diesem Grundstück aufzustellen; den Graben entlang der Dachtraufe des Hauses Nr 11 auf diesem Grundstück jeweils nach Bedarf zu räumen, wobei weder eine Verbreiterung noch eine Verlängerung dieses Grabens erfolgen darf; für den Fall, dass Bienenschwärme des Hauses Nr 11 sich auf den Bäumen auf dem Grundstück 2 Garten niederlassen sollten, diese Bienenschwärme zu jederzeit unbehindert einzufangen; die Hühner des Hauses Nr 11 auf das Grundstück 2 Garten frei auslaufen zu lassen und den auf dem Grundstück 2 Garten bereits befindlichen Fußsteig jederzeit, jedoch nur zum Gehen, zu benützen." Punkt VIII. dieses Vertrages enthält eine entsprechende Aufsandungserklärung der Rechtsvorgänger der Beklagten. Im Grundbuch wurde auf Grund dieses Vertrages (allerdings nur) die "Dienstbarkeit des Gehens und der Benützung während der Druschzeit hinsichtlich Grundstück 2 gemäß Punkt VIII Servitutsbestellungsvertrag 1951-02-16 für Grundstück 3 (W***** 11)" einverleibt.
Die Beklagten haben Ende April/Anfang 1991 auf ihrem Grundstück entlang des Hauses des Klägers einen Maschendrahtzaun errichtet.
Mit der Behauptung, dadurch werde ihm die Ausübung seiner Servitutsrechte unmöglich gemacht, begehrt der Kläger, die Beklagten schuldig zu erkennen, den Zaun zu entfernen und ähnliche Störungen zu unterlassen.
Im Revisionsverfahren ist nur mehr der Umfang der Servitut strittig.
Das Erstgericht gab der Klage im Wesentlichen statt; lediglich das Begehren auf Beseitigung eines relativ kurzen Zaunstückes wurde abgewiesen.
Das Erstgericht stellte ua noch fest, dass den Beklagten ihre Liegenschaft mit Übergabsvertrag vom 31. 10. 1983 übergeben wurde, wobei der Übergabsvertrag keinen Hinweis auf eine Belastung des Anwesens enthält. Die Beklagten haben den Grundbuchsstand nicht überprüft. "Ihnen waren allerdings die faktischen Gegebenheiten an Ort und Stelle bekannt, die Zweitbeklagte lebte als Tochter des Voreigentümers von Kind auf im Anwesen W***** 12, der Erstbeklagte bereits seit 1973. Ihnen war daher sowohl die Errichtung als auch das Vorhandensein der Wasserleitung bekannt. Ebenso war ihnen bekannt, dass der Kläger im Zuge der Bewirtschaftung des Anwesens W***** 12 (soll heißen 11) fallweise mit der Scheibtruhe über das Grundstück Nr 2 fuhr, regelmäßig der Graben geräumt wurde und das Recht bestand, zu Ausbesserungsarbeiten ein Gerüst aufzustellen".
Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt, soweit hier noch wesentlich, dahin, die Grundbuchseintragung weiche von der Vereinbarung (der Rechtsvorgänger der Streitteile) erheblich ab, weil den Punkten I bzw VIII des Servitutenbestellungsvertrages eine Einschränkung der Servituten auf die Druschzeit nur hinsichtlich des Motoraufstellens zu entnehmen sei, während die übrigen Rechte des Aufstellens eines Gerüstes, der Räumung des Grabens, des Betretens des Grundstückes zum Einfangen von Bienenschwärmen und des freien Auslaufes der Hühner sowie des Fußsteiges ihrem Sinn und Inhalt, aber auch dem Wortlaut des Servitutenbestellungsvertrages nach, nicht auf die Druschzeit eingeschränkt sein sollten, während in der grundbücherlichen Eintragung, abgesehen vom Gehrecht, alle anderen in Punkt VIII des Servitutenbestellungsvertrages, auf den verwiesen werde, geregelten Rechte auf die Druschzeit eingeschränkt erschienen. Da diese Rechte aber im Einzelnen nicht aufgezählt, sondern nur durch Verweis auf Punkt VIII des Vertrages angeführt würden, wäre es für jeden, der von Umfang und Inhalt der Rechte Kenntnis erhalten wolle, erforderlich, sich unmittelbar durch Einsichtnahme in die Urkundensammlung Kenntnis vom genauen Umfang der Dienstbarkeit zu verschaffen. Dies sei aber jederzeit möglich und von einem sorgfältigen Grundeigentümer bzw -erwerber auch zu verlangen und zu erwarten. Die abweichende Textierung der Grundbuchseintragung, die eine Einschränkung sämtlicher Rechte, außer dem Gehrecht, auf die Druschzeit zu enthalten scheine, vermöge daher am Umfang der Servitut nichts zu verändern. Seitens der Voreigentümer der Beklagten sei die Servitut auch unbestrittenermaßen übernommen worden. Offensichtlich durch einen Fehler bei der Vertragserrichtung sei die Servitut aber im Übergabsvertrag an die Beklagten nicht angeführt. Dies vermöge jedoch an ihrem Weiterbestand nichts zu ändern, einerseits weil sich die Beklagten anlässlich der Übernahme sehr wohl in Kenntnis des Bestehens der Servitut befanden und ihre Ausübung zu dieser Zeit auch tatsächlich noch stattgefunden habe, andererseits wären die Beklagten als sorgfältige Erwerber einer Liegenschaft auch verpflichtet gewesen, den Grundbuchsstand zu überprüfen, aus dem das Bestehen der Servitut und der Hinweis auf den Servitutsbestellungsvertrag ersichtlich sei, aus dem sich der genaue Umfang und Inhalt der Servitut ergebe. In der Praxis seien freilich Teile der Servitut überholt. Keinesfalls könne aber ein Erlöschen, hinsichtlich des Rechtes auf Aufstellen eines Gerüstes zur Durchführung von Fassadenarbeiten und hinsichtlich des Rechtes auf Räumung des Grabens angenommen werden. Auch das nicht verbücherte, aber offenkundige Wasserleitungsrecht bestehe weiter und dürfe von den Beklagten nicht beeinträchtigt werden, was aber durch die Errichtung des Zaunes, der eine unzumutbare Behinderung der dem Kläger am Grundstück der Beklagten zustehende Dienstbarkeiten darstelle, ebenfalls geschehen sei.
Das von beiden Streitteilen angerufene Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz, wobei es aussprach, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000,-- übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es bestehe das Problem, dass die Eintragung der Dienstbarkeit im Hauptbuch einerseits zwar von der Textierung her hinter dem Inhalt des Servitutsvertrages (Punkte I und VIII) zurückbleibe, andererseits aber doch wieder einen ausdrücklichen Hinweis auf den entsprechenden Vertragspunkt und damit auf die Urkundensammlung enthalte. Im Lichte der (vom Berufungsgericht durch Wiedergabe der Entscheidungen NZ 1983, 185, 5 Ob 608/80 = RIS-Justiz RS0011515 und 4 Ob 511/65 = RIS-Justiz RS0011559 dargestellten) oberstgerichtlichen Rechtsprechung könne aber gesagt werden, dass im vorliegenden Fall der Inhalt der Urkundensammlung (Vertragspunkt VIII) mit sämtlichen dort aufgezählten Rechten als verbüchert gelte. Es sei also eine vollinhaltliche Verbücherung der vereinbarten Dienstbarkeiten anzunehmen. Selbst wenn man aber die von den Beklagten vertretene Auffassung teile, es handle sich abgesehen vom Gehen und von der Benützung während der Druschzeit, um unverbücherte Servituten, wäre daraus für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen, weil man jedenfalls von einer sogenannten "offenkundigen Dienstbarkeit" ausgehen müsse. Das Grundbuch habe im Bezug auf Dienstbarkeiten generell geringere Aussagekraft, weil deren Verbücherung vielfach unterbleibe, sodass eine Nachforschungspflicht im weiteren Umfang bestehe. Wer also in Kenntnis einer nicht völlig geklärten Rechtslage eine Liegenschaft erwerbe, könne sich nicht mit Erfolg auf den Grundbuchsstand berufen; dies gelte umso mehr bei positiver Kenntnis. Bei rechtsgeschäftlichem Erwerb verdränge der bücherliche Einzelrechtsnachfolger des Veräußerers den außerbücherlichen Erwerber einer Dienstbarkeit dann nicht, wenn er in Kenntnis oder fahrlässiger Unkenntnis der Übergabe bzw der Rechtsausübung gehandelt habe. Im vorliegenden Fall sei von einer entsprechenden Kenntnis der Beklagten von der Servitutseinräumung auszugehen. Darüber hinaus hätten sie aber jeweils zumindest anlässlich der Eigentumsübertragung auch in die Urkundensammlung Einsicht nehmen müssen. Daraus folge, dass zu Gunsten der klägerischen Liegenschaft ua die Servitut "der Aufstellung eines Gerüstes für Hausreparaturen am Hause Nr 11" bestehe, deren Ausübung aber durch den streitgegenständlichen Zaun, soweit er entlang des Wohn- und Wirtschaftsgebäudes verlaufe, verhindert werde. Da der Bedarf an Gebäudereparaturen vom Bestehen oder Nichtbestehen eines landwirtschaftlichen Betriebes unabhängig sei, könne insoweit von einer Servitutserlöschung infolge Zwecklosigkeit keine Rede sein.
Seinen Ausspruch der Zulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht damit, dass höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage der Bedeutung der Urkundensammlung für die Beurteilung eines im Hauptbuch eingetragenen Rechts (§ 5 GBG), insbesondere im Zusammenhang mit Dienstbarkeiten, "ergänzungsbedürftig erscheine" und an der Durchbrechung des Eintragungsgrundsatzes durch - kasuistisch gerechtfertigte - "offenkundige Servituten" schon mehrfach Kritik seitens der Lehre (vgl Kiendl-Wendner in Schwimann2 Rz 10 zu § 481) geübt worden sei.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen diesem Ausspruch, an den der Oberste Gerichtshof nicht gebunden ist (§ 508a Abs 1 ZPO), ist die Revision der Beklagten mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Die Entscheidung des Berufungsgerichtes hält sich im Rahmen der ständigen, als gefestigt zu bezeichnenden (vgl 6 Ob 79/98f) oberstgerichtlichen Rechtsprechung, die bei "offenkundigen" Dienstbarkeiten eine Durchbrechung des Eintragungsgrundsatzes annimmt (SZ 28/30; SZ 47/29; SZ 56/105). Wer also einen gültigen Servitutstitel besitzt, ist trotz Nichtverbücherung geschützt, wenn sichtbare Anlagen auf dem dienenden Grundstück oder sonstige Einrichtungen oder Vorgänge, die man von dort aus bei einiger Aufmerksamkeit wahrnehmen kann, das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen. Dem Erwerber bekannte Dienstbarkeiten stehen den offenkundigen gleich (SZ 28/30; SZ 47/29). An dieser Auffassung, die als herrschend bezeichnet werden kann (vgl Petrasch in Rummel2 Rz 2 zu § 481 ABGB) hat der Oberste Gerichtshof in Kenntnis der Gegenmeinungen von Koziol-Welser10 II 168 und Apathy, Publizianische Klage 55f bis in jüngere Zeit festgehalten (vgl etwa 1 Ob 587/92; 8 Ob 2170/96t und 6 Ob 79/98f). Die Revisionswerber bringen nichts vor, was Zweifel an der Richtigkeit dieser Rechtsprechung hervorrufen könnte. Die vom Berufungsgericht in seinem Zulassungsausspruch betonte Kritik von Kiendl-Wendner (aaO) an dieser Rechtsprechung nimmt ausdrücklich einen Fall wie den vorliegenden aus: "(Nur) bei Kenntnis des Erwerbers vom Bestehen der Servitutsvereinbarung und der Nutzung des Grundstücks durch den Berechtigten kommt eine Wirkung dieser Dienstbarkeit dem Erwerber gegenüber in Betracht".
Geht man aber demnach im vorliegenden Fall von "offenkundigen Servituten" aus, so stellt sich die vom Berufungsgericht primär als iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblich angesehene Rechtsfrage zur Bedeutung der Urkundensammlung für die Beurteilung eines im Hauptbuch eingetragenen Rechts gar nicht (mehr).
Auch von den Beklagten wird in ihrem Rechtsmittel ein tauglicher Revisionsgrund nicht aufgezeigt: Weder kann entgegen der Behauptung der Revisionswerber erkannt werden, dass das Berufungsgericht bezüglich der offenkundigen Servituten nicht von den Feststellungen des Erstgerichtes ausgegangen wäre, noch dass es die Feststellungen des Erstgerichtes entgegen der herrschenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes unrichtig beurteilt hätte.
Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision aus dem Grunde des § 502 Abs 1 ZPO hingewiesen. Die Kosten waren allerdings nicht, wie verzeichnet, auf Streitwertbasis S 60.000,--, sondern auf Basis S 30.000,-- zu bestimmen.
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